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Krisen: Bilder der Ohnmacht und die Ohnmacht durch Bilder

Die modernen Massenmedien berichten unablässig über den katastrophalen Zustand der kapitalistischen Welt. Sie tun dies nicht nur mit den entsprechenden Schreckensmeldungen, sondern auch mit einer einschlägigen Bildsprache. Die verwendeten Bilder rütteln nicht nur auf und führen zu einem politischen Bewusstsein der Krisen, sondern führen zu Ernüchterung und Passivität.

von Kadye Blond und Danilo Meunier (BFS Basel); aus antikap

Jeden Tag erreichen uns in den Medien neue Schreckensmeldungen über den Zustand der Welt. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine bringt die Welt an den Rand der nuklearen Verwüstung. Die fortschreitende kapitalistische Umweltzerstörung führt zur Überschreitung irreversibler «Kipppunkte». Und die sich mehrenden Anzeichen für eine globale Rezession wecken Erinnerungen an die Verheerungen der letzten Finanzkrise. Diese Beispiele von tagtäglich auf uns niederprasselnden News führen bei vielen Menschen zu Hoffnungslosigkeit und Konsternation. Dies hat sicherlich mit den apokalyptischen Inhalten dieser Schreckensbotschaften zu tun. Die Art und Weise, wie die Inhalte jedoch medial aufbereitet werden, verstärkt die ernüchternde Wirkung dieser Botschaften und beeinflusst damit den gesellschaftlichen Umgang mit Krisen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie und auf welchen Ebenen diese panische Ohnmacht politisiert und damit kollektiv überwunden werden kann.

In den Medien und in der Forschung werden im Zusammenhang mit der Klimakrise immer wieder ähnliche Bilder verwendet. Sie haben es gemeinsam, dass sie undifferenziert die schlichte Existenz der Menschheit als Grund für den Klimawandel und die planetare Zerstörung darstellen. Die Menschheit wird wie ein lästiges Virus behandelt, das den Planeten befallen hat. Dies verschleiert einerseits, dass sich die Erde nicht einfach wegen der «Menschheit» erwärmt, sondern wegen der ressourcenintensiven Produktionsweise des Kapitalismus. Andererseits führt dies zugleich bei den Rezipient:innen der Bilder dazu, dass sie – bewusst oder unbewusst – mit der Schuld an der Krise konfrontiert werden. Diese sehr konzentriert dargestellte These wird im Folgenden anhand zweier etablierter Bildtypen diskutiert.1

Die blaue Murmel im Nichts

Dass die einschlägigen Bilder zum Klimawandel nicht zwangsläufig Panik schüren, lässt sich gut an unserem ersten Bildtypus darstellen, der zunächst auch von der Umweltbewegung der 1970er Jahre vereinnahmt wurde: die sogenannte Blue Marble. Diese beruht auf der gleichnamigen Fotografie der Erde aus dem All von 1972, welche von Astronauten der Apollo 17 geschossen wurde. Anfang der 1970er Jahre wurden Bilder wie die der Blue Marble zu einem wichtigen Gegenbild der akuten Angst vor dem Weltende, welche seit der Explosion der Atombomben dominierte. Das Bild der friedlichen blauen Erde im dunklen Weltraum, geschützt von ihrer mit weissen Wolken durchzogenen Atmosphäre, wurde schnell zu einem Symbol der Hoffnung auf eine geeinte, friedvolle Menschheit und eine bessere Zukunft. Weiterhin manifestierte sich im Bild jedoch auch die Gebrechlichkeit des Planeten, welche ihn kostbar und schützenswert macht. Die Blue Marble hat also sowohl eine hoffungsvolle als auch apokalyptische Wirkung, weshalb sie schnell zur wichtigsten Ikone der Klima- und Friedensbewegung wurde. Dies ist einigermassen erstaunlich, da die Fotografie der Erde aus dem All auf mehreren Ebenen als unnatürlich und abstrakt gelten kann. Denn der Globus, der bis zu diesem Zeitpunkt immer nur kartografisch dargestellt werden konnte, konnte nun(mehr) fotografisch dargestellt werden. Dies zog die gewichtige Änderung mit sich, dass die üblichen polit-geographischen Konstruktionen, wie Gradnetze, politische Ländergrenzen und bunte Codierungen entfielen. Folglich wird die Künstlichkeit und Willkürlichkeit menschlicher Grenzen augenscheinlich, denn Staatsgrenzen sind auf diesem Bild naturgemäss nicht erkennbar. Zugleich wird damit aber auch die Tatsache, dass die Erde seit Jahrtausenden von Menschen bewohnt, bearbeitet und geprägt wird, unsichtbar. Betrachter:innen von Bildern wie der Blue Marble, fühlen sich nicht länger als Teil des Bildes – und somit der Erde, sondern blicken als scheinbar Aussenstehende und Unbeteiligte aus einer quasi-göttlichen Perspektive auf sie.

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Dieses Jahr findet das Andere Davos, Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF), am 13./14. Januar 2023 unter dem Motto „Solidarisch gegen Inflation, Klimakatastrophe & Krieg“ im Volkshaus Zürich statt.

Gerade weil der Klimawandel wesentlich menschgemacht ist und auch nur durch das kollektive Handeln von Menschen verlangsamt werden kann, stellt diese Panikreaktion eine grosse Herausforderung dar.

Diese Meta-Ebene ist den meisten Betrachter:innen des Bildes wohl nicht direkt bewusst. Aufgrund der bereits benannten Effekte, dass aus dem All die ganzen globalen Konflikte unscheinbar wirken und sich die Erde gleichzeitig als schützenswerter Heimatort offenbart, für den wir aktiv sorgen müssen, war das Bild zu seiner Zeit enorm erfolgreich. Der exzessive Gebrauch des Bilds der Erde aus dem All führte auch zu einem Abnutzungseffekt. Die zahlreichen Kopien des Bildes wurden zum Kommerz und erschienen auf Logos, Plakaten und Icons, was den ursprünglichen Effekt des Bildes neutralisierte.

Der brennende Planet

Ebenfalls weit verbreitet in der Berichterstattung der Klimakrise ist ein zweiter Bildtypus: jener der Burning World. Dieser bezieht sich auf zumeist rot, orange und gelb gefärbte Weltkarten, welche von der Klimaforschung publiziert werden, um auf die Erderwärmung hinzuweisen und ihre Intensität zu illustrieren. Wie die Bilder der Blue Marble haben sich auch die roten, klimatischen Weltkarten der Burning World tief in das kulturelle Gedächtnis eingebrannt. Obwohl die rot-blaue Codierung der Klimakarten einem intuitiven Farbschema von Kälte und Wärme folgt, werden auch hier weitere Bedeutungsebenen transportiert. Die Erde in Rot ist eine Erde der Krise und der Lebensfeindlichkeit: Die rote Farbe wird zu einer unumkehrbaren Prognose für unseren Planeten und unsere Zukunft. Die Erde ist bereits rot, sie brennt und es gibt nichts, was diesen Fakt verändern könnte. Natürlich sollen die Erderwärmungskarten in erster Linie auf die menschengemachte Natur des Klimawandels hinweisen, zum Handeln und Nachdenken animieren. Dennoch werden die Betrachter:innen zeitgleich mit der Erkenntnis konfrontiert, dass die Erde bereits in dem Zustand ist, den Mensch um jeden Preis verhindern wollte. Das Farbschema Rot-Blau ruft daher intuitiv eine Ästhetik von Angst, Gefahr und Alarm hervor, von einer schicksalshaften Krise, die unweigerlich stattfinden wird, derer sich die Menschen nicht mehr entziehen können.

Gerade weil der Klimawandel wesentlich menschgemacht ist und auch nur durch das kollektive Handeln von Menschen verlangsamt werden kann, stellt diese Panikreaktion eine grosse Herausforderung dar. Abermals platzieren wir uns ausserhalb der Weltkarte, als unabhängige Subjekte und nicht als aktive Kräfte, welche Einfluss auf den Ausgang der Krise nehmen können. Die Klimakarten, welche auf die menschgemachte Natur der Katastrophe hinweisen sollen, regen nicht nur zu kritischer Reflexion und politischer Selbstermächtigung an, sondern bekräftigen auch ihr Gegenteil, nämlich Untergangsszenarien und Ohnmachtsgefühle. Roland Barthes, ein französischer Philosoph, nannte Bilder mit dieser Wirkung «Schockbilder»: Sie bündeln die Aufmerksamkeit ihrer Betrachter:innen, ohne diese kritisch über das Dargestellte reflektieren zu lassen.

Über den Widerspruch im Bild

Beide Bildtypen haben gemeinsam, dass sie mit ihrer Abbildung der Erde als überschaubares Ganzes ein sogenanntes «Global Environment» schaffen. Aus Sicht des Anthropologen Tim Ingold ist das ein Paradox. Denn einerseits ist es schwierig, die Erde tatsächlich als Ganzes zu sehen. Nur die wenigsten von uns reisen mit einer Raumkapsel um die Erde. Andererseits ist Umwelt immer subjektiv. Sie kann nur im Verhältnis zu denjenigen existieren, die sich in ihr befinden, in ihr handeln und sie wahrnehmen.

Die Bildtypen, welche im Diskurs der Klimakrise häufig Verwendung finden, greifen beide auf die globale Perspektive zurück und gehen mit der Vorstellung einher, dass sich die Welt im Besitz der Menschheit befindet und die Klimakrise daher eine blosse Frage des effizienten Managements darstellt. Wer es denn aber ist, der:die schliesslich die Erde «managed», bleibt dem:der Beobachter:in entzogen. Die lokale Perspektive, welche sich auf individueller Ebene als Umwelt und persönliche Sphäre der Erfahrung definiert, wird dabei ausgeklammert. Wir verkommen so von aktiven, wirkenden Subjekten, zu hilflosen, aussenstehenden Beobachtenden.

Die Wirkung der in den Medien und in der Forschung verwendeten Bildsprache erzeugt somit einen Widerspruch: Einerseits sehen sich Rezipierende in der Rolle von Aussenstehenden, welche mit Angst und in Handlungsstarre auf ihren Planeten herabblicken, andererseits bietet eben diese Perspektive auch die Grundlage für ein Gefühl der Ermächtigung, welches die Klimakrise als Management-Frage ungerichtet an die Menschheit abgibt. Da sowohl Klimakarten als auch planetare Ansichten der Erde alle Menschen als globales Wir adressieren, wird impliziert, dass alle gleichermassen Schuld am Klimawandel tragen. Gleichzeitig wird niemensch direkt aufgefordert, aktiv zu handeln und Verantwortung zu tragen.

Wer sind wir – die Menschen?

Dabei stellt sich die Frage, wie das implizite «Wir» im Begriff der Menschheit verstanden werden soll. Das Sprechen von einem virtuellen, planetarischen Wir ignoriert die Asymmetrien von Klasse, Gender und Macht und reduziert die Menschheit zu einem undifferenzierten Ganzen. Indigene Völker in Jäger-Sammler-Gesellschaften haben ohne Zweifel nicht dieselben negativen Effekte auf die Umwelt und sind in ihrer Lebensart und in ihren Lebensräumen schon lange akut von den Konsequenzen der Klimakrise bedroht. Den eigentlichen Auslöser der Klimakrise stellt die industrielle Entwicklung und das ungebremste wirtschaftliche Wachstum der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaften des Westens dar, welches sich auf die Ausbeutung fossiler Ressourcen stützt. Die bildlichen Darstellungen des Klimawandels unterschlagen diese Asymmetrie und suggerieren, dass es die Menschheit selbst sei, die zur Klimaerwärmung führe.

Dass es auch Alternativen gibt, demonstriert unter anderem die britische Organisation Climate Outreach, welche sich intensiv mit dem Thema Klimakommunikation auseinandersetzt. Die Organisation legte 2016 eine Untersuchung der wiederkehrenden Bildsprache des Klimawandels vor und setzte die neu gewonnenen Erkenntnisse in Form einer Fotodatenbank namens Climate Visuals um. Die Datenbank steht Menschen zur Verfügung, die über den Klimawandel berichten, respektive auf ihn aufmerksam machen wollen. Gleichzeitig dient sie als Leitfaden für eine erfolgreiche, bildliche Vermittlung der Krise, die zum Handeln anregt und zur Überwindung der Ohnmacht beiträgt. 

Unter anderem sollen Motive verwendet werden, die vermitteln, dass Veränderung möglich ist wie zum Beispiel Bilder, welche den Einsatz erneuerbarer Energien zeigen. Ebenfalls sei es effektiv, konkrete Klimaschutzaktivitäten abzubilden, insbesondere in Regionen, in denen die lokale Bevölkerung besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen ist. Abgebildete Menschen sollen als Betroffene jedoch nicht in einer Opferhaltung, sondern vielmehr als handlungsfähige Personen dargestellt werden. Weiterhin sei ein perspektivischer Wechsel in den Motiven erforderlich. Neben der Verwendung globaler Bilder sollen die Effekte der Erderwärmung den Rezipient:innen auch in direkter Nähe vor Augen geführt werden. Dies stärkt das Bewusstsein für die eigene Betroffenheit. Letztlich betont die Untersuchung, dass es kontraproduktiv sei, Einzelpersonen abzubilden und diese aufgrund ihrer persönlichen Gewohnheiten zu verurteilen. Vielmehr sollen die sich hinter diesen Gewohnheiten verborgenen Institutionen direkt adressiert werden. Das heisst anstelle des Fleischkonsums eines einzelnen Menschen sollte die Rodung der Wälder adressiert werden, anstelle einer Person im Auto eine überfüllte Autobahn oder noch besser: der Abbau fossiler Brennstoffe.

Diese Beispiele zeigen auf, dass es möglich ist, dieser Ideologie mit der richtigen Analyse der kapitalistischen Verhältnisse entgegenzutreten und gewissermassen «Gegenbilder» zu entwerfen. Der brennende Planet wird so zum Anlass seiner kollektiven Rettung gesehen, statt Auslöser von Konsternation und Hilflosigkeit zu bleiben.


[1] Eine zentrale Quelle für die Argumentation des Artikels ist das Werk Klimabilder: Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel von der Professorin für Medienökologie Birgit Schneider.

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