Beim Blick in Fussballstadions ergibt sich europaweit dasselbe Bild: Bei grossen Vereinen tobt nach dem Schlusspfiff immer häufiger die eigene Kurve, um ihre Mannschaft zurechtzuweisen. Doch diese Kritik nützt nicht viel, solange die Kritik nicht das systemische Problem in den Blick nimmt.
von Charles-Mathieu Sérou (BFS Zürich)
Immer häufiger stehen alte und grosse Fan-Gruppierungen vor der Tatsache, dass ihre Traditionsvereine in den Meisterschaften immer mehr den Anschluss an die Spitze zu verlieren scheinen. So haben in Deutschland bspw. Schalke 04, Hertha BSC oder in Frankreich Olympique Lyon einen Fehlstart in die Saison hingelegt. Die Liste liesse sich natürlich beliebig verlängern, zum Beispiel mit Ajax Amsterdam oder dem FC Basel. Und natürlich lässt sich die folgende Kritik nicht beliebig auf alle Fussballclubs ausdehnen: Bei Premier League Clubs wie FC Chelsea und Manchester United kann es auch einfach schlecht laufen, weil die Mannschaft schlecht gemanagt wird. Viele Traditionsklubs befinden sich aber in einer ganz bestimmten Situation, die auf die Kommerzialisierung des Fussballs zurückgeführt werden kann.
Die Reaktionen der Fans auf die zurückfallenden Herzensmannschaften ähneln sich auch: Wenn der Haussegen schief hängt, beginnen Fans und der organisierte Support damit, Druck auszuüben. Es wird schnell gefordert, dass die Mannschaft vor die Kurve treten muss, um sich Anweisungen anzuhören wie zum Beispiel die Forderung nach Rücktritt von Vereinsführungen. Die Schuld tragen ja oft individuelle Fehlentscheidungen von Manager:innen oder Spielern.
Angst um seinen Verein
Man kann diesen Frust und diese Angst verstehen, wenn es plötzlich nicht mehr läuft und der Verein kurz vor dem Abstieg steht oder sogar um seine Existenz bangen muss. Was mir bei all diesen Forderungen und der Kritik jedoch fehlt, ist die Kritik am Konstrukt Fussball selbst. Das Problem lässt sich sehr gut am Beispiel des FC Basel verdeutlichen: Durch das Erreichen des Halbfinals in der Conference League haben sich zahlreiche Stammspieler europaweit empfohlen. Das zog grössere Vereine an und führte insgesamt zum Abgang von 21 Spielern in andere Vereine. Zwar erfolgten nicht alle diese Abgänge zu besseren Vereinen, aber es zeigt, dass das Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Mannschaften auf dem Transfermarkt nicht mehr stimmt. Noch deutlicher wird dieses Missverhältnis, wenn man sich anschaut, wie schnell und urplötzlich Zeki Amdouni – ein Aufsteiger der Premier League – für 18 Mio. Euro Ablöse beim FC Burnley verpflichtet wird. Noch in der letzten Saison war er ein Leistungsträger beim FC Basel gewesen, der an 24 Toren beteiligt war. Die ganzen Abgänge und natürlich auch 23 Neuzugänge haben aus dem FC Basel eine völlig neue Mannschaft gemacht. Dies ist natürlich nicht der einzige Grund für die aktuelle Lage des FC Basel.
Ligen wie die Schweizer Super League werden gerne als Ausbildungsligen bezeichnet, weil ihre Mannschaften oft als kurzzeitiges Sprungbett dienen, von wo aus Spieler weiterziehen. Aber genau diesen Zustand gilt es nicht einfach als normal hinzunehmen. Denn faktisch handelt es sich beim Status als Ausbildungsliga im Grunde um ein Symptom eines grundlegenderen Problems: der Kommerzialisierung des Fussballs. Anders ausgedrückt, einige Vereine haben immer mehr Geld zur Verfügung und dadurch können sie immer früher und schneller Talente kaufen als andere. Die Kritik sollte daher nicht nur an die Vereinsführung gerichtet sein, sondern auch an das aktuelle Fussballprodukt und daran, wie der Transfermarkt funktioniert.
Dieses Phänomen ist dabei nicht nur in niederen Ligen zu beobachten, wie etwa in der Schweizerischen Super League, in der auch der FC Basel spielt, sondern auch in den weltweit besten vier Ligen. Deutsche Top-Mannschaften verdeutlichen das eindrücklich. In der deutschen Bundesliga wächst die Konkurrenz durch Vereine mit grossen Geldgebern wie dem RB Leipzig oder TSG Hoffenheim. Dadurch geraten Traditionsvereine wie Schalke immer mehr in Bedrängnis. Hochgezüchtete Vereine rauben den Traditionsvereinen Ligaplätze und gute Spieler, schlicht weil sie es sich leisten können. Die finanzschwächeren Vereine müssen allerdings auch Geldquellen finden, um zu überleben, und fördern deswegen den Ausverkauf des eigenen Vereins, indem sie mit der Vermarktung mitziehen.
Dieser Ausverkauf beschränkt sich aber nicht auf den Transfer auch ganz andere Aspekte des Fussballs werden durch die Kommerzialisierung zum Schlechteren verändert. Andere Auswirkungen sind etwa der Abriss von Traditionsstadien, die in der Geschichte des Fussballvereins und ihrer Fangemeinschaft tief verankert sind. Die Vereinsführung des FC Union Berlin hat durch die Saisonerfolge in den letzten Jahren Blut geleckt. Die Vereinsführung will oben mitspielen und dazu gehört eine kommerzialisierte Rundumerneuerung. So soll das Stadion, die schöne alte Försterei bald abgerissen werden, um stattdessen eine 0815 Fussball Arena hinzubölzen. Aber alle, die sich mit der Geschichte von Union auskennen, wissen, wie speziell das Verhältnis zwischen Fans und dem bisherigen Stadion ist.
Auch in der Schweiz entwickelt sich der Fussball immer mehr dahin, dass hochgezüchteten Geldvereine wie der Lausanne-Ouchy ohne grosse Verankerung bei den Fans andere Vereine in eine Abwärtsspirale des Ausverkaufs zwingen. Aber die Schuld nur diesen Vereinen zuzuschreiben, wäre zu kurz gedacht. Man muss sagen, dass diese hochgezüchteten Vereine Produkte unseres aktuellen Fussballsystems sind. Der eigentliche Feind ist also die Art und Weise, wie der Fussball organisiert ist. Der Fussball erlebt derzeit eine logische Zuspitzung der Kommerzialisierung, wie sie im kapitalistischen System üblich ist.
Eine Kritik muss immer die strukturellen Probleme miteinbeziehen
Dieser Text soll keine vollständige Analyse des Problems sein, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass die Kritik der Fans, wenn es bei ihrem Verein nicht läuft, auch immer eine Kritik an der Kommerzialisierung des Fussballs sein sollte. Die Forderung, einfach die Manager:innen auszutauschen und dann wird alles gut, ist reine Symbolpolitik, solange die Rahmenbedingungen und Umstände, in denen sich der Verein bewegt, nicht geändert werden. Wenn wir das aktuelle System nicht ändern, werden in den nächsten Jahren immer mehr grosse Vereine erleben, wie sie in der Tabelle abrutschen