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Women Talking (Filmrezension)

«Women Talking» basiert auf einer wahren Geschichte von einer mennonitischen Kolonie in Bolivien, in welcher zwischen 2005 und 2009 mehr als 100 Frauen und Kinder der Gemeinde unter Betäubung durch Männer der Gemeinde vergewaltigt wurden. Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Buch von Miriam Toews.

von Felicitas Kanne (BFS Basel)

Konträr zu der wahren Geschichte versetzt Sarah Polley den Film in den Süden der USA in die 2010er Jahre. Die Lage der Frauen in diesem tiefreligiösen Patriarchat ist mit den Jahren immer prekärer geworden. In ihrer Unterwerfung wird ihnen nur die Rolle der Hausfrau und Mutter überlassen. Sie können weder lesen noch schreiben und sind komplett von der Zivilisation abgeschottet. Im Unterschied zu den Männern, welche eine Ausbildung geniessen und in Kontakt mit der Zivilisation kommen, wenn sie landwirtschaftliche Produkte in der Stadt verkaufen. Die Männer missbrauchen die Frauen schon seit Generationen, doch nun werden die Frauen mitten in der Nacht mit Betäubungsmittel bewusstlos gemacht und wachen dann am nächsten Morgen mit blutigen Vergewaltigungsspuren auf. Es geht in dem Film hauptsächlich um die psychischen und auch körperlichen Konsequenzen dieser sexualisierten Gewalt, welche die Frauen dazu bringt, zu handeln. Die Traumata nehmen unterschiedliche Ausprägungen an. Manche flüchten sich in den Glauben und andere sind bereit, selbst zu töten, um weiteres Leid zu verhindern.

Die fast einzige Schaustätte des Films ist ein Heuboden, auf dem Repräsentantinnen der Bewohnerinnen sich über die existenzielle Frage aussprechen, ob sie bleiben, bleiben und kämpfen oder ob sie gehen möchten. Der Film besteht sozusagen aus einer langen Diskussion. Im Verlauf der Auseinandersetzung erfahren die Frauen Selbstermächtigung; sie äussern ihre unterschiedlichen Meinungen und versuchen einen Konsens zu finden. Die Gesichter und Schicksale der Frauen verschwimmen zu einem einzigen weiblichen Kollektiv, das umso stärker ist in seiner Emotionalität, Intelligenz, Weitsicht und Gutmütigkeit.

Die Geschichte hat einen zeitlosen Charakter und besitzt eine erschütternde Aktualität. So sind Themen wie der generationale Meinungsunterschied, sexualisierte Gewalt und der gesellschaftliche Umgang mit Machtmissbrauch brisanter denn je und auch wichtige Antriebsfaktoren und Anliegen der Linken auf der ganzen Welt. Beispiel hierfür sind das revidierte Sexualstrafrecht in der Schweiz, aber auch die Gender-Debatte unter den Generationen.

Auch die wahre Geschichte hinter dem Film hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack, den mensch nicht so schnell vergisst: Im Jahre 2009 in Bolivien wurden schlussendlich acht Männer, welche die Frauen und Kinder in der mennonitischen Kolonie vergewaltigt hatten, zu 25 Jahren Haft verurteilt. Dabei konnte ein Vergewaltiger aus dem Gefängnis entkommen und ist seit 2011 auf der Flucht. Viele Bewohner:innen der Kolonie haben seitdem Stahltüren und Fenstergitter an ihren Häusern angebracht.

Die Frage, ob der Film systematischen Machtmissbrauch – explizit sexualisierte Gewalt – als Unterhaltungsprogramm salonfähig macht, ist berechtigt, aber der Film ist keine Komödie, sondern schwere Kost und er lenkt die Aufmerksamkeit auf diese wichtigen Themen. Auch wenn es, wie der Titel «Women Talking» schon impliziert, nur um eine Gruppe von Frauen geht, die miteinander reden, versteht es Sarah Polley mit farblicher und cineastischer Simplizität die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit der Thematiken dieses Filmes glasklar rüberzubringen. Dies wurde dieses Jahr mit einem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch gewürdigt.

Wenn mensch Lust auf einen gedankenanregenden und pathetischen, aber nicht kitschigen Film mit einer atemberaubenden schauspielerischen Leistung hat, kann ich «Women Talking» empfehlen.

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