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Koloniale Schweiz: Stärken und Schwächen der Ausstellung im Landesmuseum

Die Ausstellung «kolonial – globale Verflechtungen der Schweiz» im Schweizer Landesmuseum will mit dem Irrtum aufräumen, dass die Schweiz nichts mit dem Kolonialismus zu tun hatte, weil sie selbst keine Kolonien besass. Sie nimmt die Besucher:innen auf eine Reise in die letzten 500 Jahre Globalgeschichte und geht den Verflechtungen der Schweiz mit den vergangenen und den gegenwärtigen kolonialen Strukturen nach.

von Alexandra Roost und Philipp Schmid (BFS Zürich)

Im ersten Raum der Ausstellung wird ein Video gezeigt, in dem der bekannte Historiker der kolonialen Schweiz, Hans Fässler, erklärt, dass die Schweizer Gesellschaft bzw. der Schweizer Wirtschaftsraum pro Kopf gerechnet stärker in Kolonialismus und Sklaverei involviert war, als die koloniale Grossmacht Frankreich. Eine Besucherin, die neben uns das Video schaute, meinte dazu: «Das ist eine komische Rechnung. Es war ja nicht die ganze Gesellschaft involviert, sondern nur einzelne Schweizer:innen.» Diese nach wie vor verbreitete geschichtskulturelle Vorstellung wollten die Kurator:innen der Ausstellung widerlegen. Ist dies gelungen?

Koloniale Verstrickungen der Schweiz

Die Ausstellung zeigt die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Verbindungen der Schweiz mit den Kolonien, sowie die Kontinuitäten bis heute. So lernt man zum Beispiel, dass Schweizer Firmen und Privatpersonen sich am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt und am Handel von Kolonialprodukten verdient haben. Ausbeutung auf der einen und Profite auf der anderen Seite – diese Strukturen überlebten das Ende der Sklaverei und haben es ermöglicht, dass die Schweiz heute weltweit der wichtigste Rohstoffplatzhandelsplatz ist.

Aber auch die wissenschaftliche und die politische Schweiz hatten ihren Anteil an den Verflechtungen mit dem Kolonialismus. So formulierten Wissenschaftler an der Uni Zürich und Genf pseudowissenschaftliche Rassentheorien, welche zur Legitimation von Sklaverei und Ausbeutung beitrugen und bis heute das Denken der europäischen Mehrheitsgesellschaft beeinflussen. Ebenso verteidigte der Bundesrat noch 1864 die Sklaverei und argumentierte, dass es unfair wäre, die Sklavenhalter in Brasilien zu enteignen und um ihr rechtmässig erworbenes Vermögen zu bringen, wenn man die Sklaverei verbieten würde. Und dies zu einer Zeit, in der die Sklaverei bereits in den meisten Kolonialstaaten verboten war.

In der Ausstellung werden die mit Beispielen und Quellen illustrierten Kontinuitäten ersichtlich, welche dazu führen, dass die kolonialen Strukturen bis heute wirken. So stand die Schweiz beispielsweise als eines der einzigen Länder bis Ender der 1980er Jahre an der Seite des Apartheidregimes in Südafrika, da man von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit profitierte.

Blinde Flecken…der Ausstellung

Trotzdem gibt es blinde Flecken in der Ausstellung. So haben die Kurator:innen den Anspruch formuliert, die Sicht der Betroffenen einzubeziehen. Die Perspektiven von Betroffenen und die Geschichte des antikolonialen Widerstandes werden allerdings in der Tendenz exemplarisch anhand von individuellen Lebensläufen dargestellt und so meist nicht in ihrer politisch-historischen Dimension erfasst.

Auch fragt man sich, wie eine Ausstellung zum Thema Kolonialismus ohne das Wort Kapitalismus auskommen kann. In einem Nebensatz wird angedeutet, dass die billige, von versklavten Menschen produzierte Baumwolle einen wichtigen Beitrag zur Industrialisierung der Schweiz leistete. Wirklich klar wird einem aber nicht, dass der Kapitalismus von Beginn weg auf der Ausbeutung der (ehemaligen) Kolonien aufbaute. Koloniale Strukturen und Sklaverei waren nicht Kollateralschäden am Rande der grossen Heerstrasse des Fortschritts der westlichen Gesellschaften, sondern integraler Bestandteil des entstehenden Industriekapitalismus und der globalen Durchsetzung der bürgerlichen Herrschaft im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert. Anstelle des bösen K-Wortes werden Wörter wie Verbindungen, Verstrickungen und Kontinuitäten verwendet. Dadurch vernebelt die Ausstellung, wo sie eigentlich aufklären will.

Die Ausstellung ist trotzdem sehenswert, weil sie politisch sensibilisiert und historische Lücken schliesst – auch wenn sie einige offen lässt. Zum Schluss des Rundganges nimmt die Spoken Word Poetin Fatima Moumouni in einem satirischen Videobeitrag die gängigen liberalen Ausreden in Bezug auf die koloniale Vergangenheit der Schweiz auf die Schippe. Aussagen wie «Die Afrikaner hätten ja selber Sklaven verkauft.» und «Arabische Sklavenhändler waren viel schlimmer als die europäischen.» werden durch die Ausstellung als Whataboutism widerlegt. Es bleibt zu hoffen, dass die Besucherin, die zu Beginn des Textes erwähnt wird, das Video auch noch gesehen hat.

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