Diesen Sommer findet die Frauenfussball-Europameisterschaft 2025 in der Schweiz statt. Doch ist wirklich den Hype einer Heim-EM spürbar? Während sich linke Gruppen verstärkt für diese EM Interessieren, stellt sich die Frage: Ist die EM eine echte Chance, gegen strukturelle Diskriminierung im Frauenfussball vorzugehen? Oder ist sie nur der nächste Schritt in der Kommerzialisierung des Sports?
von Charles-Mathieu Sérou (BFS Zürich)
Am 4. April 2023 erhielt die Schweiz durch die UEFA den Zuspruch für die Frauenfussball-EM 2025. Ich erinnere mich daran, wie mich eine Genossin kurz danach voller Enthusiasmus fragte, ob ich denn ins Stadion gehe. Meine Antwort war nicht voller Vorfreude, sondern eher: „Mal schauen, ob sich da was ergibt.“ Ihre Reaktion kam schnell und war die Klassische: „Nur weil es Frauen sind, findest du es nicht spannend? Du gehst doch sonst zu jedem Spiel deines Clubs.“
Was bedeuten EM oder WM wirklich für Fussball-Fans?
Ich gebe es zu: Wer mich kennt, weiss, dass ich von der letzten Männer-EM im Sommer 2024 ziemlich mitgerissen wurde. Ich hatte ein grosses Fest mit Freund:innen, Sonne, Bier und, nach dem Sieg der Schweiz, einem Raclette. Dies lag bestimmt auch daran, dass es schon lange kein klassisches Sommerturnier mehr gegeben hatte. Man denke an die WM 2022 im Winter oder die Jubiläums-EM 2021 über den ganzen Kontinent während der Corona-Pandemie. Bei diesen Endrunden konnte die Euphorie nie wirklich entstehen.
Doch warum ist mein Interesse an dieser Frauen-EM nicht ebenso gross? Vorab: Ich werde ein Gruppenspiel im Stadion Letzigrund besuchen. Aber ich glaube, ich spreche für viele, wenn ich sage, dass Nationalmannschaftsspiele im Stadion wenig mit guter Stimmung und Fankultur zu tun haben, sondern eher an einen mittelmässigen Konzertbesuch erinnern. Falls es organisierte Fans bei Nationalmannschaften gibt, haben diese meist nationalistisches Gedankengut. Man kann es nicht mit dem Fussballfankultur vergleichen, welche sonst unter dem Jahr stattfindet. Für Fussballfans ist diese Zeit eine schöne Abwechslung, aber sie hat wenig mit echtem Fansein zu tun. Wenn Fanmeilen bei Männerturnieren betrachtet werden, ist das vor allem eine Veranstaltung für die Konsumgesellschaft, die einfach eine gute Zeit haben will – vergleichbar mit der Fasnacht in Luzern, an der viele verkleidet und betrunken sind.
Ich besuchte bisher erst einmal im Leben ein Spiel der Schweizer Nationalmannschaft. Es war 2017 gegen Nordirland – ein Qualifikationsspiel für ein grosses Turnier. Nach diesem Spiel dachte ich mir: Zum Glück kenne ich noch eine andere Fussballfankultur. Das Spiel fand in Basel statt und ich hatte Plätze auf dem Oberrang. Während des Spiels, waren häufiger Stadiondurchsagen als Fangesänge zu hören. Der Höhepunkt war eine La-Ola-Welle durchs Stadion, vermutlich weil das Spiel nicht spannend genug war. Eine kleine Gruppe versuchte, echten Support zu leisten. Später wurde bekannt, dass einige Leute aus dieser Gruppe in rechtsextremen Strukturen aktiv sind. Das Publikum an diesem Tag empfand ich als sehr bünzlig und weiss. Mir kam das Kotzen als in einem voll besetzten Stadion mit hauptsächlich Schweizer:innen darüber diskutiert wurde, ob die Spieler auf dem Feld wirklich “echte Schweizer” seien. Man kann zusammenfassend sagen: Eine EM oder WM ist ein Fussball-Event für Menschen, die sonst nichts mit Fussball zu tun haben.
Eine EM oder WM ist ein Fussball-Event für Menschen, die sonst nichts mit Fussball zu tun haben.
Auch bei der letzten Männer-EM in Deutschland war Nationalismus omnipräsent: Ungarische und österreichische Fans hielten „Defend Europe“-Schilder hoch, türkische Fans zeigten den „Grauen Wolf“-Gruss. Das war sicherlich auch ein Grund, warum viele linke Menschen dem EM-Hype fernblieben. Doch stellt sich mir die Frage: Wieso boykottiert man eine Männer-Endrunde und empfängt eine Frauen-Endrunde mit offenen Armen?
Wie viel Feminismus steckt im Frauenfussball?
Dass der Frauenfussball in den letzten Jahren immer populärer wurde, ist eine gute Entwicklung. Dies ist jedoch nicht der UEFA oder der FIFA zu verdanken, sondern dem Druck feministischer Bewegungen auf der Strasse, die mehr Anerkennung für Frauensport fordern. Doch was passierte konkret in den letzten Jahren im Frauenfußball?
Auf Klubebene ist immer häufiger zu beobacheten, dass Traditionsvereine des Männerfussballs in den Frauenfussball investieren – in der Hoffnung auf neue Einnahmequellen und Imagepflege. Ein interessantes Beispiel ist Frankfurt: 2020 fusionierte der 1. FFC Frankfurt mit Eintracht Frankfurt. Der 1. FFC war zu dieser Zeit der erfolgreichste Frauenfussballklub Deutschlands. Beim 1. FFC gibt es bis heute eine aktive Fanszene namens Nutria Banda, die regelmässig die Entwicklung des Frauenfussballs kritisierte und nicht gerade erfreut über die Fusion mit der Eintracht war. Als Beispiel sei hier die Stadion-Situation genannt: Normalerweise spielen die Frauenteams des neu fusionierten Vereins seither im Stadion Brentanobad. Für gewisse Highlight-Spiele dürfen sie im Waldstadion der Männer antreten. Das Ziel des Vereins ist es, durch diese Spiele einen künstlichen Hype aufzubauen und das Image durch Besucherrekorde zu verbessern. Die aktive Fanszene empfindet den Stadionwechsel als sinnlos – ein halbleeres, überdimensioniertes Stadion anstelle eines kleinen, atmosphärischen 5’000er-Stadions, welches Ecken und Kanten hat. Die Kommerzialisierung des Frauenfussballs steckt zwar im Vergleich zum Männerfussball noch in den Kinderschuhen – aber wollen wir wirklich dahin, wo der Männerfussball bereits ist?
Die grösste Ungleichheit zwischen Männer- und Frauenfussball sind wohl die Gehälter. Ein prominenter Fall ist das Profifussball-Paar Douglas Luiz und Alisha Lehmann. Beide spielten bei Aston Villa und wechselten im Sommer zu Juventus Turin. Für Douglas Luiz wurde eine Ablösesumme von 50 Millionen Euro gezahlt, für Alisha Lehmann gerade mal 500’000 Euro. Während Luiz bei Aston Villa rund 5 Millionen Euro im Jahr verdiente, waren es bei Lehmann etwa 200’000 Euro. Beide spielen auf vergleichbarem Niveau, doch die Lohnschere ist gigantisch.
In der Schweiz müssen viele ehemalige Profis nach ihrer Karriere weiterarbeiten.
Es ist natürlich zu begrüssen, dass sich die Gehälter im Frauenfussball langsam dem Männerfussball annähern. Die Realität ist jedoch auch, dass die meisten Profispieler des Mänenrfussballs nie so viel verdienen werden wie Douglas Luiz. In der Schweiz müssen viele ehemalige Profis nach ihrer Karriere weiterarbeiten. Ein Beispiel dafür ist Silvan Aegerter, ehemaliger FCZ-Kapitän, der heute im Berner Oberland als Elektromonteur arbeitet. Er erzielte in der Champions League ein Tor gegen Real Madrid. In der höchsten Frauenfussballliga der Schweiz können – im Gegensatz zu den Männern – die meisten Spielerinnen nicht einmal während ihrer aktiven Karriere vom Fussball leben.
Es braucht dringend faire Löhne im Frauenfussball, ohne dass sich dabei dieselben absurden Gehaltsunterschiede entwickeln wie im Männerfussball und ein kleiner Teil extrem viel verdient, während die Mehrheit nach der Karriere anderer Lohnarbeit nachgehen muss.
Was machen wir jetzt mit der Frauen-EM?
Wer die Männer-EM aus sinnvollen Gründen boykottiert hat, sollte dies auch bei der Frauen-EM in Erwägung ziehen. Konsequenterweise müssten aber auch alle, welche die Männer an der EM und WM verfolgten, das Gleiche auch bei den Frauen tun und so anderen aufzeigen, dass die Turniere sich in vielen Aspekten ähneln – positiv wie auch negativ. Dass die Frauen-EM nicht dieselbe Grösse hat wie das Männerturnier, zeigt, wie tief der Sexismus im Sport (wie auch in der ganzen Gesellschaft) verankert ist. Die Frauen-EM kann eine Gelegenheit sein, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen.
Wenn man die Frauen-EM sinnvoll für politische Anliegen nutzen will, sollte man nicht vergessen, wohin sich der Frauenfussball gerade entwickelt: Die offiziellen Turnierveranstalter wollen sich profilieren, doch mit echter Gleichstellung hat das wenig zu tun. Wichtiger wäre es, sich mit den lokalen Frauenteams zu organisieren und diese auch nach der EM zu unterstützen. Macht es wie die Nutria Banda: Supportet euer lokales Frauenteam. Jedenfalls werde ich meine Genossin fragen, ob sie Lust hat, die Frauen-EM mit anzuschauen. Und vielleicht sehen wir uns diesen Sommer im Stadion – oder auf dem Idaplatz, bei einem Fussball-Event, das nicht wirklich etwas mit Fussball zu tun hat.

Danke für diesen Artikel!
Wenn wir schon über Eintracht Frankfurt sprechen. Der Verein hat die Champions-Leaguespiele der Frauen 2023 mit dem Slogan „Frankfurt, wir haben ein Date!“ beworben. Dabei sassen die Spieler:innen in Trikot an einem Tisch mit Sektgläsern, Rosen und einem Fussball (vor rotem Vorhang). Im dazugehörigen Video werden fünf weisse (blonde) Spieler:innen gezeigt, selbstverständlich entgegen der Teamzusammensetzung (Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=FQtM4VWBQ18). Dieses Beispiel zeigt, entgegen gewissen Hoffnungen, dass Sexismus (und Rassismus) durch die Kommerzialisierung („Professionalisierung“) nicht ab- sondern zunehmen wird.