Viele Menschen neigen dazu, Fussballfanszenen politisch in ein banales Rechts-Links-Schema einzuordnen. So wird Hansa Rostock oft pauschal als „rechts“ abgestempelt, weshalb alle Hansa-Fans als „Faschisten“ gelten. Umgekehrt wird den Fans des FC St. Pauli unterstellt, dass sie alle „Genoss:innen” wären, weil der Verein den Ruf hat, links zu sein. Doch diese Vereinfachungen sind weit von der Realität entfernt.
von Charles-Mathieu Sérou (BFS Zürich) aus antikap
Ein Beispiel dafür ist der Hansa-Rapper Marteria, der auf seinen Konzerten offen gegen Rechts auftritt und gleichzeitig ein grosser Unterstützer von Hansa Rostock ist. Er ist regelmässig im Block anzutreffen und verkörpert einen Kontrast zur vermeintlich homogenen politischen Ausrichtung der Fanszene.
Ähnlich verhält es sich bei St. Pauli – nur in umgekehrter Richtung. Obwohl der Verein stark mit linken Werten assoziiert wird, hört man rund um das Stadion oft eher liberale Stimmen (die beispielsweise individuelle Konsumkritik in den Vordergrund stellen) ohne revolutionäre Inhalte. Eine interessante Frage wäre: Wie viele St. Pauli-Fans haben bei den letzten Wahlen die AfD gewählt?
Was hat es mit dem Links-Rechts-Schema auf sich? Eine Einordnung
Die Ultraszene ist in ihren Ursprüngen eigentlich eher von linken Werten geprägt. Es ging viel um das Erkämpfen von Freiräumen und Selbstorganisation. Dies war bestimmt auch der Grund dafür, dass bei gewissen Ultrabewegungen die Geschlechterrollen eine geringere Rolle als heute innehatten. Interessanterweise gibt es aber Fotos älterer Ultragruppen, auf denen auch Frauen sichtbar als Mitglieder zu sehen sind – ein Teil Ultrageschichte, der verloren ging, aber teilweise heute wieder zurückkommt.
Man kann festhalten, dass Fussballkurven oft vorschnell in einem Rechts-Links-Schema eingeordnet werden. Doch diese Kategorisierung greift zu kurz und ist grundsätzlich falsch. Es mag sein, dass manche Kurven tendenziell eher links oder rechts ausgerichtet sind. Allerdings sind diese Ausrichtungen keinesfalls festgeschrieben und können sich im Laufe der Zeit verändern. Eine Fussballkurve ist keine homogene politische Gruppe, wie man es von politischen Bewegungen kennt, sondern zieht Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft an. Im Mittelpunkt steht in erster Linie die Unterstützung für den Verein. Selbst wenn viele Mitglieder einer Kurve klare politische Meinungen vertreten oder sogar politisch organisiert sind, bedeutet das nicht, dass diese Ansichten für die gesamte Gruppe gelten. Auch wenn eine Kurve von aussen als links wahrgenommen wird, weil vielleicht die dominierende Gruppe diese Einstellung hat, bedeutet das nicht, dass alle Mitglieder automatisch linksgerichtet sind. Die Vielfalt innerhalb der Kurve spiegelt vielmehr die Vielfalt der Gesellschaft wider.
Männlichkeit und Fussballkurven: Die „letzte Bastion“?
Von linker Seite wird häufig der Vorwurf erhoben, Fussballkurven seien die „letzte Bastion der Männlichkeit“ in der Gesellschaft. Diese Aussage stammt unter anderem vom Co-Präsidenten der SP, Cédric Wermuth, aus seinem Podcast, in dem es wieder einmal um Fankrawalle ging. Er verweist darauf, dass Fussballkurven nach wie vor stark von traditionellen Männlichkeitsbildern geprägt sind. Es ist unbestritten, dass Kurven Männlichkeit fördern und reproduzieren, indem Werte wie Härte, Stärke und Dominanz eine hohen Stellenwert haben. Ob sie jedoch wirklich die „letzte Bastion“ dieser Art von Männlichkeit darstellen, ist fraglich. Denn dieses Männlichkeitsproblem findet sich überall dort, wo sich Männerbünde formieren – sei es in Turnvereinen, auf dem Oktoberfest oder eben in Fussballkurven.
Gemeinsam ist all diesen Vereinigungen und Treffpunkten eine Kultur, die körperliche Stärke und Kameradschaft über andere Werte stellt. In Männerbünden kommen traditionelle „männliche“ Werte zum Ausdruck. Körperliche Auseinandersetzungen gelten oft als Zeichen von „echter“ Männlichkeit und dienen dazu, sich Anerkennung innerhalb der Gruppe zu verschaffen. Darüber hinaus fördern diese Männlichkeitsbilder häufig die Abgrenzung gegenüber Frauen, queeren Personen oder anderen, die nicht in diese eng gefassten Männlichkeitsvorstellungen passen.
Samstag, 18. Januar 2025, 10:30-13:00 Uhr am Anderen Davos
Antifaschismus und Fankultur in Thüringen

Fussballstadien sind umkämpfte soziale Räume, in denen Rechtsradikale seit jeher Anschluss für ihre Propaganda suchen. Es gibt aber auch immer wieder Ultras, die Widerstand gegen den Einfluss von rechten Kräften im Stadion leisten.
Jena ist eine solche ernstzunehmende antifaschistische Kraft. Sie positioniert sich gegen den Rechtsruck im ostdeutschen Thüringen, wo die AFD unter Björn Höcke über 30 Prozent der Stimmen geholt hat. Nach innen leisten die Jenenser Ultras politische Aufklärungsarbeit und schaffen es so, linke Themen und Positionen an Jugendliche heranzutragen, die sonst wenig Zugang zu progressiver Politik haben.
Überregional arbeitet die «Horda Azzuro» – so der Name der führenden Jenenser Ultragruppe – mit zahlreichen anderen Szenen zusammen, um gegen die zunehmenden Repressalien gegen die Ultrabewegung und die Strafpolitik der Verbände (bzw. deren Unantastbarkeit) zu kämpfen sowie um Traditionsvereine vor dem Ausverkauf durch Investoren zu schützen.
In diesem Workshop diskutieren wir mit Mitgliedern der «Horda Azzuro» über ihr antifaschistisches Engagement in einem der rechtsoffensten Bundesländer Deutschlands, sowie über ihr Selbstverständnis innerhalb der Kurve, des Vereins und der Region. Ausserdem tauschen wir uns über die Möglichkeiten aus, trotz politischer Differenzen mit anderen Ultras zusammenzuarbeiten, um eine kritische und rebellische Fankultur zu erhalten.
Mitglieder der Gruppierung «Horda Azzuro» aus Jena.
Besonders in Fussballkurven bieten diese Männerbünde einen idealen Nährboden für die Verbreitung rechter Ideologien. Rechte Gruppierungen nutzen diese Strukturen gezielt, um traditionelle Männlichkeitsbilder mit ihrer Ideologie verknüpfen. Dass rechtsextreme Aussagen allerdings zunehmend salonfähig werden, spürt man deshalb auch in den Kurven. Diese Orte, an denen sich vor allem junge Männer treffen und gerne die Grenzen überschreiten, bieten eine Plattform, auf der die Hemmschwelle sinkt, selbst menschenverachtende Aussagen – wie etwa Auschwitz-Sprüche – offen zu äussern.
Diese Dynamiken von Männlichkeit, Mysogenie, Queerfeindlichkeit und Antisemitismus oder anderen Diskriminierungsformen machen Fussballkurven zu einem Ort, an dem rechte Ideologien Fuss fassen können.
Radikale Rechte in Fussballstadien
Dass Kurven oft einen idealen Nährboden für rechte Ideologien bieten, zeigt sich beispielwsweise an den Vereinen Energie Cottbus oder Chemnitzer FC, die stark von rechtsextremen Strukturen unterwandert sind. Energie Cottbus machte in den letzten Jahren wiederholt Schlagzeilen, weil rechtsextreme Fans auf der Tribüne offen mit eindeutigen Gesten und Parolen auftraten. Der Verein hatte Schwierigkeiten, sich von diesen Gruppen zu distanzieren und wurde daher häufig mit der rechten Szene in Verbindung gebracht. Ähnlich verhält es sich beim Chemnitzer FC, wo ein Trauermarsch für einen Neonazi 2019 grosse Empörung auslöste und die Verbindungen zwischen Teilen der Fanszene und der rechten Szene verdeutlichte.
Oft sind ihre Mitglieder in erster Linie Fussballfans, die weniger an politischen Kämpfen als am Fussball selbst interessiert sind.
Auch bei Alemannia Aachen gibt es Berichte über die starke Präsenz rechtsextremer Gruppierungen in der Fankurve, die den Verein in Verruf bringen. Es ist ein Traditionsverein, der gerade in die 3. Bundesliga aufgestiegen ist und einen totalen Hype erlebt. Das Stadion zieht wieder Massen an Zuschauer:innen an. Im Durchschnitt sind in den letzten zwei Jahren die Zahlen von 9’000 auf 20’000 gestiegen. Die Aachener Fanszene hatte turbulente Jahre hinter sich: Die frühere Gruppierung Aachen Ultras sah sich gezwungen, sich 2013 aufzulösen, weil sie sich von der rechtsoffenen Ultras Karlsbande bedroht fühlte. Seitdem hat Karlsbande das Sagen. Rechte Gruppen agieren oft geschickt, sie nutzen die traditionelle Struktur von Fussballkurven – enge Kameradschaften und lokalpatriotische Identität – um ihre Ansichten zu verbreiten.

Trotzdem sollte man nicht die ganze Kurven pauschal als politisch rechte Organisationen einstufen. Oft sind ihre Mitglieder in erster Linie Fussballfans, die weniger an politischen Kämpfen als am Fussball selbst interessiert sind. Es mag widersprüchlich klingen, aber die Menschen in den Kurven zu politisieren oder sie kategorisch einer bestimmten Richtung zuzuordnen, greift zu kurz. Trotz eindeutigen rechtextremen Verbindungen kann man nicht sagen, dass die Menschen in diesen Beispiele alle rechts sind. Am Ende handelt es sich im Stadion, überspitzt formuliert, häufig um eine Ansammlung von Individuen, die vor allem Bier trinken, herumbrüllen und sich hin und wieder körperlich messen wollen.
Keine Verharmlosung rechter Strukturen im Stadion
Es ist wichtig zu betonen, dass obigen Ausführungen keine Verharmlosung von rechten Gruppen in Fussballstadien darstellen sollen. Wo immer solche Gruppierungen auftauchen, entsteht eine bedrohliche Situation für Minderheiten. Es gibt zahlreiche Vorfälle von körperlichen Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher politischer Ausrichtungen in Fussballstadien, die verdeutlichen, wie bedrohlich diese Dynamiken werden können.
Fankurven können gefährliche gesellschaftliche Tendenzen widerspiegeln und im schlimmsten Fall begünstigen. Dies kann ein Ausmass annehmen, das weit über das Stadion hinauswirkt, wie beispielsweise im Balkan- oder dem Ukrainekrieg, wo organisierte Fussballfans mit nationalistischen oder faschistischen Gedanken an der Front agierten, oder in Turin, wo sie teils mit der lokalen Neonazi-Bewegung «Säuberungsmärsche» gegen Asylsuchende veranstalten.
Gleichzeitig können Ultrabewegungen gesellschaftliche Veränderungen ermöglichen und emanzipative Dynamiken fördern: Im sogenannten organisierten Support sind eine grosse Solidarität und kollektives Denken unabdingbar und es entstehen Gegenorte zu Vereinsamung, Ohnmacht und Ausbeutung im Kapitalismus, an denen eine selbstbestimmte Organisierung ohne Profitlogik und ausserhalb des bürgerlichen Staates möglich wird. Beispielsweise bilden organisierte Fans Unterstützungsnetzwerke in Bezug auf Wohnungs- und Jobsuche oder führten soziale Unterstützungsaktionen durch während Corona. In der Türkei, Ägypten oder Griechenland waren organisierte Fussballfans beteiligt an Protesten, Aufständen und gesellschaftlichen Umstürzen.
Dieser Beitrag soll eine differenzierte Einordnung von Fussballkurven ermöglichen. Es gilt zu erkennen, dass Kurven divers geprägt sowie oftmals widersprüchlich in ihrer Zusammensetzung sind, sich über die Zeit verändern und deshalb nicht pauschal in eine politische Ecke gestellt werden sollten. Die Präsenz rechter Gruppen und die zunehmende Radikalisierung stellt ein ernstes Problem dar, dem man sich bewusst stellen muss und Kante zeigen soll, damit Fussball ein sicherer Raum für alle sein kann.
Es bleibt die Frage: Wie können wir den Fussball zu einem Raum machen, der für alle sicher ist und gleichzeitig die wachsende Rechtsradikalisierung bekämpfen, ohne dabei das Fussballschauen zu verpolitisieren?