Ende-Gelände ist ein Bündnis, welches versuchen wird am Pfingstwochenende vom 13. – 16. Mai in einer Aktion zivilen Ungehorsams den Braunkohle-Tagebau von Vattenfall in der Lausitz (nahe Berlin) lahmzulegen. Menschen aus ganz Deutschland, aber auch aus vielen anderen europäischen Ländern haben sich bereits für das Wochenende angekündigt. Die gleiche Aktion fand schon 2015 erfolgreich statt und für dieses Jahr werden deshalb noch mehr Aktivist*innen erwartet. Zwischen dem 7. und dem 15. Mai werden auf fünf Kontinenten unter dem Motto „Keep it in the ground!“ viele tausend Menschen zivilen Ungehorsam gegen die ungebremste Ausbeutung fossiler Energien leisten.
von BFS Basel
Was bleibt von einer Bewegung? Was ist die erste Assoziation, die wir mit Martin Luther King, Gandhi oder Occupy haben? Bei mir wären dies der Selma Bus Boykott, der Salzmarsch und besetzte Plätze von New York bis Madrid. Das sind alles Aktionsformen, die noch nicht sehr viel über die Inhalte und Ziele der einzelnen Bewegungen aussagen und trotzdem sind es diese Aspekte einer Bewegung, welche sie definieren und uns im Gedächtnis bleiben. Taktik und Inhalt, was man fordert und wie man versucht, es zu erreichen, können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung ohne zivilen Ungehorsam wäre beispielsweise undenkbar gewesen.
So steht für mich die Frage, welchen Aktionsformen sich die Klimabewegung widmen soll, über lokalen Gegebenheiten oder Präferenzen. Es ist nicht nur eine taktische Frage, sondern genauso eine inhaltliche. An welchem Punkt stehen die verschiedenen Klimabündnisse und was fehlt ihnen? Denn ganz anscheinend ist die Menschheit bei der doch entscheidenden Frage „Wie retten wir unseren Planeten?“, keinen Schritt weiter gekommen in den letzten Jahren.
Grüner Kapitalismus
Besteht noch Hoffnung, dass wir zusammen mit den Eliten unserer Gesellschaft durch Gesetze, Lobbying und individuellen Konsumverzicht doch noch eine radikale Wendung bewirken können?
Das Elite-Klimarettungstreffen COP21, das im Dezember 2015 in Paris stattfand, hat einzig mit der banalen Feststellung geendet, dass die Klimaerwärmung „ein ernstes Problem für die Menschheit“ sei. Dies wusste meine Geografielehrerin jedoch schon vor 20 Jahren. Die ernüchternden Resultate der jüngsten Klimakonferenz haben uns einmal mehr gezeigt, dass schöne Worte nicht viel gegen ein Industriewirtschaftssystem, welches für seine eigene Existenz tausende Tonnen Treibhausgase in die Luft bläst und auf stetiges Wachstum angewiesen ist, bewirken können.
Nicht einmal die Umsetzung der oben genannten „historischen Übereinkunft“ ist gesichert. Den grössten Unsicherheitsfaktor bilden die USA als zweitgrösster CO2- Emitent. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump fällt mit Aussagen wie „Global warming bullshit is an expensive hoax“ auf. Und auch andere aus seiner Partei stehen ihm in dieser Frage (und in vielen anderen) in nichts nach. Wenn also jemand von ihnen ins Weisse Haus einziehen sollte, wird die „historisch Übereinkunft“ kaum durchsetzbar sein.
Auch im Falle von Hillary Clinton als amerikanische Präsidentin besteht nicht viel Hoffnung. Zugegeben, sie ist keine Klimaerwärmungsleugnerin, doch Clinton hat in ihrer bisherigen Karriere über 4.5 Millionen Dollar von Öl- und Gasunternehmen angenommen und sowohl Fracking wie auch die „Keystonepipeline“ unterstützt. Dies hatte direkte Auswirkungen auf den Ölpreis, der dank Fracking seit Mitte Mai 2014 mehr als zwei Drittel seines Wertes verloren hat.
Wie viele Wochen wird Hillary Clinton also benötigen, um nach der Nominierung all ihre bisherigen Positionen zu verwerfen – oder um festzustellen, dass im GOP -dominierten Senat nicht viel mit diesen Positionen zu gewinnen ist?
Es gäbe noch viele Argumente, die beweisen, dass sich die Klimabewegung, welche auf eine Lösung innerhalb dieses Systems hofft, in einer Zwickmühle befindet: Klimaprobleme wie der global viel zu hohe CO2- Ausstoss oder die Kunstoffherstellung mit Rohöl konnten noch nicht ansatzweise gelöst werden. Und der dringend notwendige radikale Umbau der Wirtschaft hat noch nicht einmal begonnen. Für mich ist klar, dass wir in einem politischen Klima, das sich so sehr auf das „there is no alternative“-Mantra stützt, keine wirklichen Alternativen finden werden.
Massenblockade
Aber dies ist nicht das Thema dieses Artikels. Ich habe die Frage aufgeworfen: „Welche Aktionsformen brauchen wir?“. Und um diese zu beantworten, müssen wir zuerst einen Blick zurück werfen, zum 3. Mai 1980, ins schöne Wendland. Hier nimmt eine Bewegung ihren Anfang, die im Gegensatz zu vielen anderen Bewegungen dieser Zeit überlebt und ihren Zielen treu bleibt. Die freie Republik Wendland ist der Startschuss für alljährlich stattfindende Anti-Castor-Proteste, die über Jahrzehnte hinweg eine ganze Region, von jung bis alt, mobilisieren können. Hier setzt sich der Primarschüler neben die Grossmutter auf die Gleise und blockiert den Atommülltransport nach Gorleben. Im Wendland konnte sich eine Protestkultur etablieren, die beweist, dass radikale Aktionsformen auch in unserer Zeit nicht nur den protesterprobten Expert*innen vorbehalten sind.
Es erstaunt nicht, dass gerade aus dem Wendland Inspiration für eine neue Aktionsform kam: Die Massenblockade, welche ab 2007 die iL (intervetionistische Linke) und damit viele Aktivist*innen beschäftigen wird. Die Massenblockade war bereits effektiv bei Block G8, Castor-Schottern, Dresden Nazifrei, Blockupy und vielen anderen Protestaktionen der Vergangenheit. Deshalb möchte ich diese Aktionsform etwas genauer anschauen: Die Massenblockade besteht aus drei Hauptpfeilern: 1) Bündnisarbeit, 2) Massentauglichkeit und 3) Rechtswidrigkeit.
1) Bündnisarbeit
Breite Bündnisarbeit ist ein oft unterschätzter Faktor. Das Ende Gelände-Bündnis (siehe Box) bespielsweise besteht aus 52 Organisationen: Von der Antifa über ATTAC und die Animal Climate Action bis hin zur Grünen Jugend und Linksjugend [solid]. Dies erschwert es den Ordnungshütern, den Protest zu Kriminalisieren und hemmt die Einsatzkräfte in der Wahl ihrer Repression. Erreicht wird dieses breite Bündnis über einen offenen Aktionskonsens „mit vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten”, der verschiedene Aktionsformen zulässt.
2) Massentauglichkeit
Massenblockaden zeichnen sich dadurch aus, dass es von Anfang an nicht darum geht, mit einer kleinen, klandestinen Gruppe eine Aktion vorzubereiten und durchzuführen, sondern die Ziele und Mittel der Aktion offen über die Presse zu kommunizieren. Es wird auf den Schutz der Masse gesetzt und nicht auf den Schutz des Konspirativen. Dies schliesst natürlich auf keinen Fall aus, dass gewisse Teile des Plans, Taktik und Route der einzelnen Finger beispielsweise, geheim gehalten werden.
3) Rechtswidrigkeit
Der Aspekt der Rechtswidrigkeit ist der wichtigste und trotzdem der am wenigsten Verstandene. Das Gesetz soll den Ausgangspunkt unserer Gesellschaft bilden, bürgerliche Theorien sprechen dem Gesellschaftsvertrag unglaubliche Fähigkeiten zu. Daher verwundert es auch nicht, dass innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu bleiben, eine Voraussetzung ist, um heute von der offiziellen Politik ernst genommen zu werden. Keine Partei fordert das Missachten eines Gesetzes, dies wäre politisch nicht angemessen. Diese strikte Gesetzestreue ist sozusagen das Pendant zu der politischen Alternativlosigkeit, die uns gefangen hält. Oder wie Slavoj Zizek sagt: „Wer sich Hollywoodfilme anschaut, kann sich das Ende der Welt besser vorstellen, als das Ende des Kapitalismus“.
Welchen Ausweg gibt es aus diesem Dilemma? Schliessen wir den Kreis und gehen zurück zu unserer Betrachtung verschiedener Aktionsformen am Anfang. Was waren es für Gesetze, mit denen diese Bewegungen in Konflikt kamen? Ein Gesetz zur Salzherstellung, Gesetze zur Sitzplatzordnung in Bussen und ein Gesetz zum Campieren auf öffentlichen Plätzen. Man könnte meinen, es ging um nicht viel in diesen Beispielen, aber tatsächlich ging es um alles oder nichts.
In Selma stand nicht eine Sitzplanordnung zur Disposition, nein, hier akzeptierte die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung das Gesetz der Weissen nicht mehr, sie ignorierte es und übertrat es. Sie wartete nicht mehr auf Reformen oder Versprechungen, sondern sie widersetzte sich einem weissen Gesetzbuch, das nicht ihres war. Und auch in Indien widersetzte sich Gandhis Bewegung einem fremden Gesetz und stellte die eigenen Bedürfnisse und moralischen Ansprüche über das Gesetz der Queen.
Wenn wir also davon ausgehen, dass wir genug oft betrogen worden sind. Wenn wir davon ausgehen, dass auch im nächsten elektoralen Zyklus nicht viel mehr für uns rausspringen wird. Wenn wir davon ausgehen, dass schon viel zu viel Zeit verschwendet wurde und wenn wir davon ausgehen, dass das (über)Leben auf unserem Planeten über jeglicher Verfassung und jedem Gesetz steht, dann müssen wir aufstehen und unmissverständlich klar machen, dass wir nicht mehr warten wollen, dass wir genug haben von leeren Versprechungen und dass wir unser Schicksal nicht mehr in die Hände von Staatsführer*innen und Eliten legen wollen.
Wir müssen klar und deutlich zeigen, dass Gesetze, die nicht dazu dienen, eine politische Wende herbeizusteuern, von uns ignoriert werden. Wir müssen den Kohleausstieg hier und jetzt in die eigenen Hände nehmen.
Die neu gefundene Form
Dies ist also die neu gefundene Form des Klimaprotests. Die Nichtanekennung des Vorherrschenden, des Alternativlosen, die Nichtakzeptanz ihrer Gesetze, die nur da sind, um das Bestehende zu schützen. Diese Form des Protests reiht sich ein in alte Vorbilder, die im Zuge des verkündeten Endes der Geschichte an Einfluss verloren haben. Die Aktionsform galt als geschichtliches Relikt ohne politischen Wert. Das Ende der Geschichte war jedoch nur von kurzer Dauer, heute sehen wir auf der ganzen Welt Phänomene, die uns schwer daran zweifeln lassen: Globalisierung, Neoliberalismus, die Wirtschaftskrise 2009, der Umgang mit der griechischen Bevölkerung im Zuge der Krise, Krieg und Waffenexporte als legitimes Mittel der Aussenpolitik, Failed States als Normalität auf dem internationalen Bankett, die damit verbundenen flüchtenden Menschen und schlussendlich das Aufkommen hässlicher faschistischer Kräfte.
All dies sind Meilensteine im Prozess vieler junger und älterer Aktivist*innen, die immer klarer sehen, dass es nicht einfach darum geht, ein paar Stellschrauben zu richten, sondern den Kapitalismus radikal zu kritisieren und eine andere Gesellschaft aufzubauen, die auf Solidarität im Gegensatz zu Profitinteresse baut. Diese Bewegungen brauchen ihre eigenen Sprachen, sie brauchen ihre eigenen Aktionsformen.
Aus der Schweiz an die Lausitz?
Der Klimawandel ist ein globales Problem, Aktivist*innen sollten sich daher nicht von Landesgrenzen einschränken lassen. Schon im Sommer 2015 waren 1000 Aktivist*innen aus 25 Ländern an der erfolgreichen Blockade von Tagebau Garzweiler II beteiliegt. Nur durch das Lernen von unterschiedlichsten Bewegungen und durch unsere internationale Solidarität können wir die Macht der Kohle- und Erdölindustrie überwinden. Auch die Unternehmen sind international vernetzt, so kauft die Schweiz in Zukunft mehr Kohlestrom aus Deutschland und der Weiler in der Lausitz wird vom schwedischen Konzern Vattenfall betrieben. Eine nationale Fixierung macht in einem globalen Dorf kaum mehr Sinn.