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Ökologisches Denken und Kapitalismuskritik verbinden

Umweltpolitik war lange Zeit nicht das Steckenpferd der traditionellen radikalen Linken. Ihre Kapitalismuskritik behandelte Umweltfragen meist nur als Nebensache, wenn nicht gar als nicht ernst zu nehmende Sorge einer kleinen, rückständigen Minderheit. Zugleich war in zahlreichen Spektren der Umweltbewegung lange Zeit die Kapitalismuskritik nicht sehr hoch im Kurs. Vielen ging es in erster Linie darum, innerhalb des bestehenden Gesellschaftsmodells Verbesserungen herbeizuführen. Beides muss sich ändern – und es gibt glücklicherweise bereits zahlreiche hoffnungsvolle Beispiele einer solchen Verbindung von ökologischer Kritik und Kapitalismuskritik. Die Klimakrise bietet die Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wir können sowohl die drohenden Schreckensszenarien des Klimawandels abwenden und gleichzeitig eine solidarische, egalitäre und demokratische Gesellschaft aufbauen. Damit uns dies gelingt, dürfen wir aber nicht nur langfristige Utopien entwerfen, sondern müssen auch darüber nachdenken, mit welchen Strategien und Forderungen diese erreicht werden können.

von BFS Basel

One Solution, Revolution?

Diese Aussage hat durchaus ihre Richtigkeit. Sie wird aber auch zu einer Plattitüde, wenn nicht darüber nachgedacht wird, wie die Mehrheit der Menschen von ökologischen und antikapitalistischen Anliegen überzeugt werden kann. Denn die Linke ist aufgrund der Dringlichkeit der ökologischen Frage in einer schwierigen Lage. Auf der einen Seite verlangt die fortschreitende Erderwärmung unverzügliche Massnahmen. So müssten bereits im Jahr 2020 die weltweiten Treibhausgas-emissionen abnehmen, während sie jedoch aktuell Jahr für Jahr munter weiter ansteigen. Dabei müssten bereits binnen einiger Jahrzehnte massive Emissionsreduktionen erreicht worden sein. Bleiben griffige Massnahmen aus, wird es aufgrund der Umweltkatastrophen, der Konflikte und Kriege und der abnehmenden Solidarität zwischen den Menschen immer schwieriger, ein alternatives Gesellschaftsmodell aufzubauen.
Auf der anderen Seite aber sind das ökologische Bewusstsein und die Bereitschaft zum Widerstand bisher nur bei einer Minderheit vorhanden. Deshalb reicht es nicht aus, einfach die Revolution zu fordern. Vielmehr müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass eine ökologische Umgestaltung und ein grundsätzliches Umdenken schon vor einer Revolution beginnen müssen. Es braucht somit konkrete Forderungen, um auch jene Menschen zu überzeugen, die bisher noch nicht aktiv sind. Es braucht Massnahmen, welche den Kapitalismus nicht sofort abschaffen, aber dennoch das Leid unzähliger Menschen verringern und so erst die Grundlage für eine bessere Gesellschaft legen. Ohne das Ziel einer anderen Gesellschaft aufzugeben, muss die ökologische Bewegung an den alltäglichen Bedürfnissen der Menschen anknüpfen.

Was kommt nach der Blockade?

Etwas steht mittlerweile bei der Mehrheit der linken Umweltaktivist*innen nicht mehr zur Debatte: Umweltschädliche Projekte müssen schnellstmöglich gestoppt werden – und zwar durch kollektive Mobilisierungen. Dies ist der Antrieb von unzähligen Umweltbewegungen auf der ganzen Welt: vom Widerstand gegen den Bau der Dakota Access Line in den USA und mehreren Staudammprojekten in Mittelamerika, über die Bewegung gegen die Verschmutzung des Niger-Deltas bis hin zu Projekten in Westeuropa wie „Ende Gelände“. Ihr unerlässlicher Beitrag zur Entwicklung einer radikalen Umweltbewegung kann nicht mehr in Abrede gestellt werden.
Zwischen der Notwendigkeit solcher Blockaden und der Notwendigkeit, darüber hinaus konkrete Alternativen vorzuschlagen, klafft aber immer noch eine ziemlich grosse Lücke. Dies zeigt sich beispielsweise in Naomi Kleins Buch „Kapitalismus vs. Klima“. Einerseits lobt sie zu Recht die oben genannten Bewegungen, weil diese ihrer Ansicht nach im Keim alternative Lebensformen jenseits des Kapitalismus entstehen lassen. Andererseits rühmt sie „grüne“ Projekte wie die deutsche Energiewende, obwohl diese keineswegs über das bestehende Gesellschaftsmodell hinausweisen, sondern im Gegenteil die unmögliche Kombination von Kapitalismus und Nachhaltigkeit suchen.

Small is beautiful?

In einigen Teilen der Umweltbewegung scheint die Idee vorzuherrschen, dass Kleinräumigkeit grundsätzlich besser ist. Dies bezieht sich nicht nur auf ein alternatives Gesellschaftsprojekt, sondern oftmals auch auf die Widerstandsformen. Demnach sollten Umweltbewegungen kleinräumig bleiben, in einem Quartier, einer Stadt oder einer Region alternative Projekte umsetzen und so als Beispiel vorangehen, damit sich diese Initiativen schrittweise ausbreiten. Stück für Stück sollen so immer mehr Bereiche unserer Gesellschaft der produktivistischen Logik entrissen werden, bis das Kapital schlussendlich mit leeren Händen davonzieht. Dahinter steckt auch ein berechtigtes Misstrauen gegenüber den bestehenden Regierungen und internationalen Organisationen, was sich beispielsweise auch durch die Weigerung äussert, Forderungen an den Staat zu stellen.
Dieser Ansatz vergisst aber, dass die Umweltsünder global handeln, dass sie sich in einer globalen Wirtschaft der Umklammerung von lokalen Widerstandsbewegungen elegant zu entwinden wissen – und dass der Widerstand deshalb auch global sein muss. So beispielsweise kann das notwendige Ziel, 80% der bekannten Erdölreserven nicht auszubeuten, nur global erkämpft werden. Deshalb braucht es weltweit gültige Massnahmen, die aufgrund der Dringlichkeit der Lage wohl oder übel auch von bestehenden Institutionen durchgesetzt werden müssen.

Einige Forderungen

Im Folgenden möchten wir eine nicht erschöpfte Reihe von Massnahmen nennen, die aus unserer Sicht von einer antikapitalistischen Ökologiebewegung gefordert werden sollten. Sie sollten nicht ein alternatives Gesellschaftsmodell skizzieren, sondern uns ermöglichen, einen ersten Teil des Weges hin zu einer ökologischen und solidarischen Form des Zusammenlebens zu beschreiten.
Energiequellen: Es braucht ein sofortiges Verbot der schädlichsten Energiequellen wie der Atomenergie. Auch das Fracking und die Förderung von Schiefergas müssen unmittelbar gestoppt werden. Die erneuerbaren Energien sollen durch öffentliche Programme stark ausgebaut werden. Da aber der Schalter nicht einfach umgelegt werden kann und unsere Gesellschaft nicht von einem Tag auf den anderen mit grünen Energien funktionieren kann, müssen die fossilen Energien dort eingesetzt werden, wo sie für die Grundversorgung und den Übergang zu erneuerbaren Energien notwendig sind. Alle anderen Bereiche gehören radikal eingeschränkt. Das bedingt eine öffentliche und demokratische Kontrolle über diese Ressourcen (siehe weiter unten). Energiefirmen müssen unter demokratische Kontrolle gebracht, laufende Privatisierung gestoppt werden.
Militär: Die Streitkräfte verursachen nicht nur Millionen Tote, sondern auch einen massgeblichen Anteil der weltweiten CO2-Emissionen. Die US Air Force beispielsweise ist die Institution mit dem weltweit grössten Verbrauch an Flugzeugtreibstoff. Viel erstaunlicher aber ist, dass das Militär seit dem Kyoto Protokoll nicht mehr von den internationalen Klimaabkommen betroffen ist. Alle militärischen Operationen müssen gestoppt sowie die Waffenproduktion verboten werden. Die dem Militär bisher zur Verfügung stehenden Geräte und Infrastruktur müssen umgenutzt und für Rettungseinsätze in Katastrophengebieten sowie für die Rettung von Flüchtenden verwendet werden.
Verkehr: Der öffentliche Verkehr muss stark ausgebaut werden und den umweltschädlichen Individualverkehr rasch ersetzen. Auch der Flugverkehr muss massiv reduziert werden, die zivile Luftfahrt sollte längerfristig verboten werden oder nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Generell sollten Arbeitswege als Teil der Arbeitszeit verrechnet und die damit verbundenen Kosten vollumfänglich von den Arbeitergeber*innen finanziert werden. Auch der Schifffahrtsverkehr, bei dem die 20 grössten Containerschiffe genauso viel Schadstoffe ausstossen wie eine Milliarde Autos, muss einerseits eingeschränkt, andererseits nach ökologischen Kriterien reorganisiert werden.
Konsum: Dies impliziert eine Neuausrichtung des Handels und des Konsums. Globalisierte Produktionsketten müssen – wenn immer möglich und ökologisch sinnvoll – unterbunden und durch lokale Produktions- und Distributionswege ersetzt werden. Dem Konsumwahn muss entgegengewirkt werden, indem Werbung grundsätzlich verboten wird. Anstatt die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen in die Entwicklung schädlicher Produkte zu stecken, müssen sie für die Erforschung neuer umweltfreundlicher Herstellungsmethoden und Recyclingtechnologien verwendet werden.
Forschung: Daraus folgt, dass die Forschung nach öffentlichen Interessen und nicht von wirtschaftlichem Profitstreben geleitet werden darf. Die Finanzierung von öffentlichen Uni-versitäten und anderen Forschungseinrichtungen muss erhöht werden und die Drittmittelfinanzierung durch Unternehmen abgeschafft werden. Es braucht eine Demokratisierung der Universitäten, sodass die Bevölkerung ein starkes Mitbestimmungsrecht erhält.
Technologietransfer: Die gesamte Politik muss zwingend internationalistisch sein. Ärmere Länder sollten unterstützt werden und die wichtigen Technologien und das nötige Wissen für eine ökologische Transition müssen kostenlos allen Ländern zur Verfügung gestellt werden, indem beispielsweise die Patentierungen aufgehoben werden. Deshalb sollten auch alle geplanten und bestehenden Freihandelsabkommen bekämpft werden, weil sie zahlreiche Bereiche weiter kommerzialisieren und der Kontrolle der Öffentlichkeit entziehen.
Folgebekämpfung: Zahlreiche Folgen des Klimawandels sind nicht mehr rückgängig zu machen, viele machen sich auch bereits heute bemerkbar. Auf solidarische Weise müssen alle Menschen bei ihrer Anpassung an die harscheren Klimabedingungen unterstützt werden. Da vor allem Menschen aus dem globalen Süden betroffen sind, braucht es auch diesbezüglich massive finanzielle und technologische Unterstützung. Fluchtwege müssen für diese Menschen geöffnet und Folgen des Klimawandels als Fluchtgrund anerkannt werden. Gerade wenn es um die Folgen des Klimawandels geht, sollten wir uns bewusst machen, dass ökologische Forderungen immer im Kontext der internationalen Solidarität formuliert werden müssen.
Landwirtschaft: Eine wichtige Rolle bei der Folgebekämpfung werden die Landwirt-schaft und die Nahrungsmittelproduktion spielen. Zwar werden heutzutage 44-57% der Treibhausgase durch das globale System der Nahrungsmittelproduktion (Abholzung, Landwirtschaft, Transport, Verpackung, Konservierung und Abfälle) verursacht. Doch könnte eine ökologische Landwirtschaft auch einen wichtigen Beitrag zur Bindung von CO2 aus der Atmosphäre leisten, die Artenvielfalt schützen, die Nahrungsmittel nährstoffreicher und gesünder machen sowie für Bauern und Bäuerinnen bessere und gesündere Arbeitsbedingungen schaffen. Deshalb braucht es die Förderung kurzer Transportwege und eine weitgehende Nahrungsmittelsouveränität. Die Vorherrschaft der Agrarkonzerne sollte gebrochen werden, indem Saatgut und alle Kulturpflanzen zu einem öffentlichen Gut erklärt, die umwelt- und gesundheitsschädlichsten Giftstoffe sofort verboten und die Nützlichkeit aller anderen synthetischen Dünger und Pflanzenschutzmittel durch öffentliche Expertengruppen geprüft sowie deren Anwendung strikt reglementiert werden. Insbesondere in kleinbäuerlich dominierten Regionen braucht es Landreformen, welche allen landwirtschaftlichen Kleinbetrieben und von Subsistenzwirtschaft lebenden Gemeinschaften eine würdige Lebensgrundlage verschaffen. Die Nahrungsmittelproduktion muss zudem unbedingt der Produktion von Biotreibstoffen vorgezogen werden.
Demokratisierung: Solche Massnahmen dürfen und können nicht von oben dekretiert werden. Es braucht eine massive Ausweitung der öffentlichen Kontrolle. Die Gesellschaft muss über die Verteilung der Ressourcen unter Beachtung der ökologischen Grenzen frei entscheiden dürfen. Eine Dezentralisierung der Entscheidungsebenen soll vorangetrieben werden, sodass sich so viele Menschen wie möglich an der Entscheidungsfindung beteiligen können.
Arbeitszeitverkürzung: Um die Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen, muss die Arbeitsbelastung ohne Lohneinbussen verringert und gerechter verteilt werden. Eine schrittweise verlaufende Arbeitszeitverkürzung soll nicht nur die Beteiligung der Bürger*innen an öffentlichen Instanzen ermöglichen, sondern auch die für kreative Tätigkeiten und die Sorge um Mitmenschen verfügbare Zeit erhöhen.

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