Wirklicher Klimaschutz verlangt einen radikalen Umbau der Produktion. Dies muss unter demokratischer Kontrolle und gemeinsam mit den Beschäftigen geschehen. Für den Wirtschaftsgeografen Christian Zeller ist es deshalb wichtig, dass Gewerkschaften und die Klimabewegung enger zusammenarbeiten. Beispiele dafür, dass das funktionieren kann, gibt es bereits heute. (Red.)
Interview mit Christian Zeller; aus Service Public
Mitten in der Gesundheitskrise ist Ihr Buch* über die Klimakrise erschienen…
Christian Zeller: Sowohl die Pandemie als auch die Klimaerwärmung machen deutlich, dass das Gleichgewicht zwischen Gesellschaft und Natur ausser Kontrolle geraten ist.
Das Eindringen in entlegene Ökosysteme und die Reduzierung der Artenvielfalt leistet der Übertragung von Virusformen von den Tieren auf den Menschen Vorschub. Gleichzeitig droht die Klimaerwärmung ausser Kontrolle zu geraten. Falls es in diesem Tempo weitergeht, werden grosse Teile der Erde in ein paar Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sein.
Die Regierungen treffen keine angemessenen und greifenden Massnahmen, weder gegen die Pandemie, noch gegen die Klimaerwärmung. Denn solche Massnahmen würden in direktem Widerspruch zu den Bemühungen großer Unternehmen stehen, Gewinne zu erzielen und ihre Wettbewerbsposition zu verbessern.
Sie schreiben, dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung eine «soziale Revolution» erfordert. Weshalb?
Um die globale Klimaerwärmung auf 1.5 Grad zu reduzieren – Grenzwert über welchem gemäss den Experten des IPCC («Intergovernmental Panel on Climate Change» = Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) uns eine apokalyptische Zukunft droht – müssen rasch Programme zur Umstellung und Reduktion der Industrie in fast allen Bereichen der heutige Wirtschaft gestartet werden. Solange wir jedoch in der Dynamik des kapitalistischen Systems stecken bleiben, sind solche Veränderungen unmöglich.
Es gibt einen einfachen Grund dafür. Das Energiesystem stützt sich weitgehend auf fossile Energieträger ab – Öl, Gas und Kohle –, die für fast 80% der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Für die multinationalen Unternehmen, die diesen Bereich kontrollieren, stellen diese Ressourcen ein Kapital dar, auf dessen Wertsteigerung sie nie verzichten werden. Ein im Oktober 2020 von ExxonMobil publiziertes Dokument hat Folgendes ans Licht gebracht: die Leitung plant eine Erhöhung der Erdölproduktion für die kommenden Jahren!
Die anderen Schlüsselbereiche, die stark zur Klimaerwärmung beitragen – Automobilindustrie, Rüstung, Luftfahrt, Bauwesen und industrielle Landwirtschaft – weigern sich auch, ihre Produktionskapazität zu reduzieren, um ihre CO2-Emissionen zu senken. In der Automobilindustrie, zum Beispiel, ist das Projekt der Förderung von Elektroautos – deren Produktion große Mengen an natürlichen Ressourcen benötigt – im Übrigen als eine Erweiterung des Marktes für Einzelfahrzeuge konzipiert – wo doch Letzterer unbedingt gedrosselt werden sollte!
Diese Tatsache unterstreicht den unlösbaren Widerspruch zwischen der Begrenztheit unseres Planeten und dem kapitalistischen System und seiner eigenen Logik der endlosen Akkumulation.
Diese Feststellung widerlegt auch das Argument, wonach zuerst begrenzte Massnahmen für die Bekämpfung der Klima Erwärmung getroffen werden sollten, bevor dann über einen gesellschaftlichen Wandel diskutiert würde.
Um den Planeten zu retten muss in Wirklichkeit das System geändert werden. Und zwar dringend.
Was kann konkret getan werden?
Eine drastische Senkung unserer CO2-Emissionen setzt eine umfassende Veränderung unserer Produktionsmethoden voraus. Mit folgendem Ziel: kleinere und andersartige Produktion, reduzierter Transport, gerechte Aufteilung der vorhandenen Ressourcen dank einem tiefgreifenden demokratischen Prozess. Eine solche Perspektive, die ich als «ökosozialistisch» bezeichne, kann nur auf einer globalen Ebene existieren.
Diese Perspektive muss die differenzierten Verantwortlichkeiten in der andauernden Katastrophe berücksichtigen. In der Vergangenheit waren die Europäischen Länder – die Schweiz miteinbezogen – sowie die USA für 80% bis 90% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deshalb liegt es an diesen Ländern, grosse Anstrengungen zu unternehmen – jedoch nicht indem sie umweltverschmutzende Produktionsstätte in Länder des Südens auslagern, wie dies in den letzten Jahren oft geschah.
Besteht nicht die Gefahr, dass eine drastische Reduzierung der Emissionen zu einer Explosion der Arbeitslosigkeit führt?
Heute schicken sich Bereiche wie die Luftfahrt und die Automobilindustrie an, Hunderttausende von Arbeitsplätzende abzubauen. Dies hat aber nichts mit dem Klima oder mit Ökologie zu tun. Es ist eine Folge der Überproduktion von Autos und des Wettbewerbs zwischen großen kapitalistischen Gruppen – in Verbindung mit den Auswirkungen der Gesundheitskrise.
Folglich können wir das Argument umkehren: Um die Arbeitsplätze zu erhalten, die durch die kapitalistische Logik gefährdet sind, braucht es einen tiefgreifenden Wandel der Wirtschaft. Die Klimakrise gibt uns die Gelegenheit, einen solchen Wandel umzusetzen.
Die Herausforderung besteht darin, bestimmte stark umweltverschmutzende Sektoren – Rüstung, Automobile, Luftfahrt – zu reduzieren und die programmierte Obsoleszenz zu bekämpfen, die mit dem massiven Konsum von Gütern einhergeht. Und gleichzeitig geht es darum, andere Bereiche auszubauen, die unverzichtbar für ein besseres Leben in der Gesellschaft sind.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
Die Automobilindustrie muss stark zurückgefahren werden. Dies bedeutet, das Angebot und die Qualität des öffentlichen Verkehrs parallel dazu auszubauen. Es wäre ratsam, die Produktionskapazitäten der Automobilwerke in Produktionskapazitäten für den öffentlichen Verkehr – Büsse, Trams und Züge – umzuwandeln und neue Mobilitätsinfrastrukturen zu erschaffen.
Um zu verhindern, dass die Arbeitnehmenden die Rechnung dieser Umwandlung bezahlen müssen, gilt es, Ihnen eine Beschäftigungsgarantie zu geben und sie von einer beruflichen Umschulung profitieren zu lassen.
All dies ist jedoch unmöglich, wenn wir es weiterhin zulassen, dass die auf Gewinnmaximierung abzielenden Regeln der kapitalistischen Produktionsweise zur Anwendung kommen. Die Automobilindustrie muss demnach von der öffentlichen Hand übernommen werden. Die grossen Konzerne der Bereiche Energie, Luftfahrt und Finanzen müssen dem gleichen Prozess unterworfen werden. Dies kann auch dazu beitragen, Entlassungswellen zu vermeiden.
Welche Bereiche müsste man entwickeln?
In industrialisierten Ländern wie die Schweiz gibt es ein starkes Bedürfnis, die von mir genannte «soziale Infrastruktur» zu erweitern, nämlich die Erziehung, die Pflege, die Care-Arbeit, den öffentlichen Verkehr, usw. Diese Dienste hinterlassen einen kleinen Carbon-Fussabdruck und sie sind auch wichtig, damit alle Menschen besser leben können. Ihr Zugang müsste ein garantiertes Recht sein, unabhängig vom Einkommen. Eine solche Entwicklung kann also nur durch die Ausweitung des Service public gewährleistet werden.
Um der Herrschaft der Firmen, die Agrarhandel treiben, einen Riegel zu schieben, gilt es auch bei uns, eine einheimische und umweltfreundliche Landwirtschaft zu fördern. Da müsste man ebenfalls Stellen schaffen, aber es ist unmöglich, Leute in diesem Sektor zu rekrutieren, wenn die Arbeitsbedingungen so schlecht bleiben wie heute.
Gleichzeitig muss man eine Diskussion über die Reduzierung der Arbeitszeit führen, damit alle arbeiten können – und endlich die technologischen Innovationen benutzen, um die Menschen zu befreien, und nicht noch den Stress erhöhen, unter dem sie leiden.
Wie soll das alles finanziert werden?
Das Steuersystem muss überdacht werden. Die Personen, die immense Vermögen in den letzten 30 Jahren aufgebaut haben – und gleichzeitig von Steuergeschenken profitiert haben – müssen zur Kasse gebeten werden.
Arbeit und Reichtum verteilen und ganze Bereiche unter die Kontrolle der Öffentlichkeit bringen. Solche Forderungen lösen sehr grossen Widerstand aus…
Um einen solchen Bruch herbeizuführen, können wir weder den Regierungen, noch den Multinationalen trauen.
Die einzige Möglichkeit es zu schaffen ist eine Veränderung des Verhältnis der sozialen Kräfte. Das setzt voraus, dass man Massenbewegungen auf der Strasse, an den Arbeitsplätzen, in den Schulen organisiert, also Bewegungen, die eine derartige Kraft haben, dass sie über ein Vetorecht in der Gesellschaft verfügen.
All das wird nur möglich sein, wenn grosse Bereiche der Arbeitnehmer von dieser Perspektive überzeugt sind und sich in diesem Sinne mobilisieren. Eine Annäherung zwischen Klimabewegung und Arbeitnehmerorganisationen ist also unentbehrlich.
Bis jetzt betreffen die Klima-Mobilisierungen nur wenig die Arbeitsplätze. Was kann man dagegen tun?
Der Ausgangspunkt einer Annäherung zwischen Gewerkschaftskampf und Klimabewegung ist folgender: die Verbesserung der Arbeitsbedingungen setzt eine zentrale ökologische Herausforderung voraus.
Warum? Qualitative öffentliche Dienste zu erarbeiten, die den sozialen Bedürfnissen Rechnung tragen und die Natur schonen, setzen ein gebildetes, motiviertes und glückliches Personal am Arbeitsplatz voraus. Das gleiche betrifft auch die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Bei all diesen Fragen könnten die Gewerkschaften eine Schlüsselrolle spielen, sowohl auch betreffend der Entwicklung des sozialen Schutzes, des Kampfes um die Stellengarantie, usw.
Das System der Sozialsicherheit ist auch eine ökologische Herausforderung. In der Schweiz investieren die Pensionskassen massiv in die fossile Energie und in umweltschädliche Konzerne. Die AHV verbessern und das Gewicht der zweiten Säule reduzieren muss zu einer gewerkschaftlichen Forderung der Arbeitnehmerorganisation werden!
Können Sie uns Beispiele einer Annäherung zwischen Gewerkschaftskampf und Klimabewegung geben?
In Deutschland hat eine grosse Streikbewegung die öffentlichen Verkehrsbetriebe (Busse) in den letzten Wochen lahmgelegt.
In dreissig, vierzig Städten des Landes vereint diese Bewegung die ArbeitnehmerInnen der Verkehrsbetriebe sowohl auch die Jungen, die für das Klima kämpfen; sie diskutieren zusammen über die Modalitäten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Angestellten, eine Vorbedingung zur Verbesserung dieser öffentlichen Dienste.
Ein anderes Beispiel: in Frankreich hat die Sektion «CGT-Vinci» (Vinci ist die Multinationale, die den Flughafen Notre-Dame des Landes hätte bauen sollen) nach einer langen Debatte entschieden, die «Zadisten» (von ZAD = zone à défendre) zu unterstützen, die sich siegreich gegen den Bau des Flughafens durchgesetzt haben.
Global gesehen befinden sich die Gewerkschaften nicht an der Spitze in Sachen Klimadebatte…
Historisch haben viele Gewerkschaften die Logik des kapitalistischen Wettbewerbes aufgenommen. Sie gehen vom Prinzip aus, dass wenn es dem Unternehmen gut geht, geht es auch den ArbeitnehmerInnen gut. Aber das zählt nicht mehr heute: der neoliberale Kapitalismus führt einerseits die Verarmung eines wachsenden Teils der Bevölkerung herbei, anderseits zerstört er die natürliche Umwelt.
Es ist also nötig, einen anderen Parameter zu wählen. Einige Organisationen gehen heute in diese Richtung, wie zum Beispiel die BuschauffeurInnen der Gewerkschaft Ver.di in Deutschland – oder SUD-solidaires in Frankreich, welche eine Produktion nach sozialen Bedürfnissen in der pharmazeutischen Industrie verlangt. Andere hingegeben widersetzen sich. IG Metall, die die ArbeitnehmerInnen der deutschen Automobilindustrie organisiert, lehnt die Massnahmen zum Klimanotstand ab. Die Kohlengewerkschaft unterstützt sogar diese äusserst umweltschädliche Industrie. Die Organisationen, die solche Positionen weiter vertreten, werden eine massive Verantwortung in Bezug auf die bevorstehende Klimakatastrophe tragen.
Heute zwingt uns die Pandemie mehr denn je unseres Wirtschaftssystem zu hinterfragen. Welche Bereiche sind wichtig für das Wohlbefinden der Bevölkerung? Warum werden Aktivitäten, die nur dem Gewinn der Gesellschaft dienen und die MitarbeiterInnen einem hohen Infektionsgrad aussetzen, nicht eingestellt?
In diesem Kontext ist es grundlegend, dass man die Diskussionen und den Austausch zwischen Klimabewegung und Gewerkschaften vertieft.
In der Schweiz könnte die Perspektiven des Strike for Futures im Frühling 2021 eine Gelegenheit sein, die Forderungen betreffend Gesundheitswesen und soziale Bedürfnisse mit einer Strategie der sofortigen und massiven Reduzierung der Triebhausgas-Emissionen verbunden werden.
*Christian Zeller: Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen. Oekom, München 2020.