Um die von der Corona-Pandemie betroffenen Airlines zu retten, hat der Bund jüngst nahezu 1,5 Milliarden Kredite gesprochen. Dabei zeigt sich erneut, wie die Regierung die Profite der Airlines statt das Klima schützt. Eine Klimapolitik, die diesen Namen verdient, müsste klimaschädliche Sektoren wie den Flugverkehr zu nachhaltigen Produktionszweigen um- und zurückbauen. Dieser in der neusten Ausgabe der Antikap erschienene Artikel zeigt, wie das gehen könnte. (Red.)
von Gregor Zahn (BFS Zürich)
Der Ansatz der Konversion – also der Um- und Rückbau der Industrie – gibt uns wichtige Perspektiven, wie wir eine ökosozialistische Transformation der Gesellschaft und die Technologisierung der Wirtschaft zusammendenken können. Beispielsweise ist die Konversion der Automobilindustrie nicht nur notwendig, sondern auch technisch umsetzbar. Gleichzeitig breiten sich prekäre Arbeitsstellen in unserer Gesellschaft rasant aus. In vielen Bereichen der Logistik, der Reinigung, aber auch in der Produktion von industriellen Gütern wird trotz der Digitalisierung (und zum Teil wegen ihr) die Arbeit eintöniger und repetitiver. Diese erfordert Arbeitskräfte, die bereit sind, Schichtarbeit zu leisten und zu miesen Löhnen zu arbeiten. In unseren Überlegungen, wie eine gerechte, nachhaltige und ökologische Gesellschaft aussehen müsste, dürfen diese Sektoren nicht vernachlässigt werden. Einige Gedanken zum Thema anhand des Beispiels der Flughafenlogistik.
Notwendigkeit der Konversion der Automobilindustrie
Lars Henriksson – ein Sozialist, Arbeiter in der schwedischen Automobilindustrie und Gewerkschaftsaktivist – führt sehr eindrücklich aus, warum eine Konversion der Automobilindustrie notwendig ist.1 Damit ist jedoch kein einfacher Umstieg auf Elektromobilität gemeint. Denn auch Elektroautos sind alles andere als ökologisch unproblematisch. Beispielsweise stösst die Produktion eines Elektroautos bereits 5–15 Tonnen CO2 aus, bevor überhaupt Energie zur Mobilität eingesetzt wird. Zusammen mit dem Aufbau der erforderlichen Infrastruktur für eine weitgehende Umstellung von Benzinern auf Elektroautos oder den ökologischen Konsequenzen der Materialgewinnung, die für die Batterien und weiteren Bestandteilen erforderlich sind, kann sich unsere Gesellschaft beim momentanen Stand der Technik schlichtweg nicht leisten, im grossen Stil weitere Autos zu produzieren, ohne die absehbare ökologische Katastrophe noch zu verschlimmern. Hingegen wurden in der Automobilindustrie die Arbeitsschritte in den letzten Jahrzehnten soweit flexibilisiert und technisch weiterentwickelt, dass die Produktionshallen unglaubliche Möglichkeiten darstellen für die Produktion von jeglicher Maschinerie und einer Reihe von Gütern, auf die wir angewiesen sind. Die Automobilindustrie könnte also relativ einfach umgestellt werden und beispielsweise Küchengeräte oder Maschinen für Krankenhäuser produzieren und massgeblich bei der Produktion von Solarzellen und Windturbinen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien aushelfen.
Dies bedeutet, dass die Arbeiter*innen in der Automobilindustrie die Möglichkeit haben, sich im Kampf gegen den Klimawandel einzubringen, ohne dass sie dabei ihre eigene Anstellung und damit ihre Zukunft in Gefahr bringen.2
Kohlenminen der kapitalistischen Gesellschaft
Doch auch Lars Henriksson weist darauf hin, dass gewisse Arbeitssektoren nicht konvertiert werden können und schlichtweg eingestellt werden müssen. Als Beispiel nennt er die Kohlenminen. Die Kohlenminen dienen ausschliesslich der Gewinnung von Kohle, einer Energieform, die keine Zukunft hat. Die Maschinen der Kohlenindustrie können keine gesellschaftlich nützlichen Produkte schaffen, denn sie sind auf eine (höchst umweltschädliche) Extraktion von Ressourcen aus dem Boden ausgerichtet. Vielleicht kommt eine Zeit, in der wir feststellen können, dass eine stark reduzierte Ressourcengewinnung für das gesellschaftliche Wohl weiterhin vertretbar ist. In der jetzigen Zeit ist aber die einzige Perspektive eine Enteignung der Energiekonzerne und ein Umstellen der Energieproduktion auf andere Energiegewinnungsmethoden. Damit einher muss auch eine massive Reduktion des gesamtgesellschaftlichen Energiekonsums gehen.
Ähnliche Überlegungen können bei anderen Sektoren gemacht werden. Die Logistik, die darauf ausgerichtet ist, die produzierten Güter in der gesamten Welt herumzuschiffen, herumzufahren oder herumzufliegen, ist im aktuellen Ausmass nicht mit einer nachhaltigen Gesellschaft vereinbar. Die Produktion muss in zahlreichen Bereichen lokal stattfinden, um die ökologische Katastrophe des massenhaften weltweiten Güterumschlags einzudämmen. Nur noch das Notwendigste kann in Zukunft über weite Strecken transportiert werden. Für solche Sektoren und dessen Lohnabhängige gibt die unter «Konversion» gefasste Umstellung der Produktion nur eine ungenügende Perspektive.
Was wird aus den Flughäfen und ihrem Personal?
Ein weiteres Beispiel einer «Kohlenmine der kapitalistischen Gesellschaft» sind die Flughäfen. (Fast) alle werden sich einig sein, dass eine starke Reduktion des Flugverkehrs erforderlich ist, damit wir nicht aufgrund der ökologischen Katastrophe des Klimawandels in die Barbarei versinken.
In der Folge der Digitalisierung, des Sozialabbaus und den tiefgreifenden, neoliberalen Veränderungen der Arbeitsbedingungen der letzten Jahrzehnte sind zahlreiche Sektoren mit prekären Arbeitsbedingungen geschaffen worden. Schichtarbeit mit immer weniger Ruhezeiten, dafür aber langen unbezahlten Pausen, charakterisieren auch den Arbeitsalltag am Flughafen. Im Gegensatz zur Automobilindustrie findet man aber kaum eine Perspektive der Konversion vor. Vielleicht kann man auf den Landepisten Energie in Form von Wärme gewinnen oder anderweitig davon profitieren, dass eine grosse zugeteerte Fläche vorhanden ist. Doch das technische Knowhow der Angestellten ist aufgrund der Ausrichtung auf möglichst prekäre Arbeitsbedingungen folglich begrenzt. Viele der heutigen Arbeiten werden in einer nachhaltigen Zukunft nicht mehr gefragt sein.
Trotzdem darf ein ökologischer Wandel nicht auf Kosten des (prekär angestellten) Flughafenpersonals gehen. Im Gegenteil: Gerade die Transport- und Logistikangestellten müssen in den Überlegungen bezüglich einer ökologischen Transformation mitberücksichtigt werden. Ihre Macht, die kapitalistische Warenzirkulation und den Personentransport zu unterbrechen, kann von strategischer Wichtigkeit sein. Ob sich dazu noch weitere Perspektiven einer Konversion des Flughafens entwickeln lassen, wird sich erst zeigen, wenn die Angestellten sich organisieren und darüber austauschen.
Flughäfen als neuralgische Stellen
Ein Flughafen funktioniert wie ein kompliziertes Uhrwerk. Die einzelnen Bereiche der Abfertigung der Passagiere, der Transport von Gütern, des Gepäcks oder der Post sind aufeinander abgestimmt und über langjährige «Optimierungsprozesse» möglichst effizient gestaltet. Insbesondere an Schweizer Flughäfen, wo die Lohnkosten für die Unternehmen im weltweiten Vergleich höher sind, wurden diese tiefgehalten, indem wenig Personal besonders effizient arbeitet und damit die Produktivität gesteigert werden konnte. Eine «Optimierung» der Lohnkosten war aus Sicht der Flugzeugabfertigung notwendig, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.
Diese «Optimierung» führt zu schlechten Arbeitsbedingungen: Tagtäglicher Stress ist gekoppelt mit Langeweile in den langen unbezahlten Pausen. Gleichwohl führt dieses optimierte Uhrwerk aber auch zur Situation, dass eine Handvoll Angestellter den gesamten Flugverkehr lahmlegen kann. Streikt nur ein einziger Bereich der Personalabfertigung (Check-In und das Personal am Gate), fliegt kein Flugzeug. Streikt das Catering, fliegt kein Flugzeug. Streikt eines der Unterteile der Gepäckabfertigung (Beladung der Flugzeuge [Ramp], der Transport oder die Sortierung [Be- und Entladung der Gepäckwagen]), fliegt ebenfalls kein Flugzeug.
Dies war eindrücklich zu sehen, als ein Teil der Gepäcksortierung am Flughafen Zürich am 24. Januar 2000 einen einzigen Tag gestreikt hat – und die Polizei die Sortierung und den Gepäcktransport übernehmen musste, damit immerhin ein Teil der Flüge durchgeführt werden konnte. Zuvor hatte die Swissair-Group (noch vor ihrem berüchtigten Grounding im Oktober 2001) die Gepäcksortierung ausgegliedert, um den bisherigen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) zu umgehen. Der eintägige Streik hat Swissport (zuständig für die Gepäck- und Passagierabfertigung am Flughafen Zürich) und die Swissair-Group zu Verhandlungen gezwungen. Die Gepäcksortierung wurde wieder Teil von Swissport. Hingegen begann diese in den folgenden Jahren einen zunehmenden Teil der neuen Angestellten via Temporärfirmen zu rekrutieren, welche nicht mehr dem GAV unterstellt waren.
Dieses Beispiel verdeutlicht die Macht des Flughafenpersonals den Flugverkehr zu unterbrechen. Für eine ökosozialistische Perspektive mit einer anhaltenden Reduktion des Flugverkehrs sind drei Elemente zentral:
- Die Arbeitskämpfe müssen zu einer massiven Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Flughafenpersonals führen, damit eine starke Reduktion des Flugverkehrs ohne Reduktion des Personals verläuft. Eine massive Reduktion der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, eine starke Anhebung der minimalen Ruhezeit oder ein starker Ausbau der Anzahl Angestellten pro Arbeitsschritt erlaubt es dem Personal die Perspektive einer Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen trotz einer Reduktion der gesamthaft anfallenden Arbeit zu geben. Die oft geforderte massive Verteuerung des Flugverkehrs geschieht somit nicht durch eine Erhebung einer Kerosinsteuer, sondern kommt den Angestellten zugute.3
- Die Solidarität der Angestellten untereinander und allen Klimaaktivist*innen mit dem Flughafenpersonal schützt die Angestellten bei ihrem Arbeitskampf vor der unweigerlich folgenden Repression durch das Unternehmen (nach dem Streik in der Gepäcksortierung von Swissport im Jahr 2000 wurde der Grossteil der Streikenden in den folgenden Monaten und Jahren entlassen).
- Arbeitskämpfe müssen auf einer Selbstorganisierung der Arbeiter*innen beruhen, und nicht an Gewerkschaftsbürokrat*innen abdelegiert werden. Dabei dürfen die einzelnen Sektoren am Flughafen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
- Dies ermöglicht es uns Ansätze einer Überwindung des Flugverkehrs zu erkennen, welche nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen. Natürlich können und müssen solche Forderungen fast beliebig ergänzt werden. Beispielsweise um die Forderung nach Weiterbildungen, die den Angestellten ermöglichen in weniger klimaschädlichen Sektoren zu arbeiten.
Appell an die Gewerkschaften
Bei Swissport wurde im Dezember 2019 die erste Lohnerhöhung seit über einem Jahrzehnt erreicht, weil die Mehrheit der Angestellten einer Verlängerung des bisherigen GAV nicht zugestimmt hat. Aber in typisch bürokratischer und gezähmter Gewerkschaftsmanier wurde ein Kompromiss gefunden, der unter dem Strich nicht im Interesse der Lohnabhängigen ist. Letztere wurden aber besänftigt, weil der Vertrag von Gewerkschaften als Riesenerfolg verkauft wurde. Im Gegenzug für eine Lohnerhöhung von 4%, die über drei Jahre gestaffelt erfolgt (und somit nur knapp über der Teuerung liegt und nicht annähernd die Teuerung seit der letzten Lohnerhöhung kompensiert), wurde eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten akzeptiert. Neu wurde eine zusätzliche Lohnkategorie «Flex» eingeführt. Diese erhalten einen höheren Lohn, müssen aber dafür bis zu 8 Mal im Monat 12h Arbeitsschichten mit 3.5h unbezahlten Pausen leisten. Das heisst, sie sind von 06:00 morgens bis 18:00 abends am Flughafen.
Damit dem Flughafenpersonal hingegen eine Perspektive des ökologischen Wandels gegeben werden kann, muss sich die Gewerkschaft getrauen, sich radikal und kämpferisch für die oben beschriebenen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen einzusetzen. Wenn sie nicht die Selbstorganisierung der Arbeiter*innen unterstützen, wenn sie nicht jetzt zu Versammlungen einladen, an denen solche ökologische Perspektiven diskutiert und debattiert werden, wenn sie sich nicht getrauen, für eine reale Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu kämpfen, wird die Möglichkeit an uns vorbei gehen, die Besserstellung am Arbeitsplatz und die ökologischen Konversion zusammenzudenken. Wenn die Gewerkschaften ihrer Aufgabe nicht nachkommen, für die Interessen ihrer Mitglieder zu kämpfen, dann wird unweigerlich der Moment kommen, an dem die Lohnabhängigen des Flughafens aus Eigeninteresse für ihren Arbeitsplatz kämpfen müssen. So würde der Spaltung zwischen der Klimabewegung und dem Flughafenpersonal nichts mehr entgegengestellt werden können.
Gleichzeitig ist die Klimabewegung auf kämpferische und selbstorganisierte Lohnabhängige angewiesen. Ohne die kapitalistische Produktion mittels Streiks stillzulegen, wird es nicht gelingen, die Kräfteverhältnisse entscheidend zu beeinflussen und die Welt vor einer ökologischen Katastrophe zu bewahren. Der Strike for Future am 15. Mai, also der Versuch der Klimabewegung den Klimastreik auf die Lohnabhängigen auszuweiten und sich mit ihnen zu vernetzen, ist ein zentraler Schritt in die richtige Richtung. Aber damit daraus eine wahrhafte Perspektive der gesellschaftlichen Veränderung entsteht, müssen transitive Elemente, welche die Arbeitsbedingungen berücksichtigen, in die Forderungen der Klimabewegung aufgenommen werden. Gerade betreffend Flugverkehr ergibt sich daraus eine weitaus grössere Perspektive als die Forderung nach einer Kerosinsteuer oder sonstigen Lenkungsabgaben, die den Flugverkehr teurer machen sollen, ohne dabei die Anstellungsbedingungen des Flughafenpersonals zu verbessern.
1 Siehe das Interview mit Lars Henriksson auf sozialismus.ch. Ökologie: Die Notwendigkeit eines Umbaus der Industrie.
2 Es ist an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft ein Austausch dazu stattfindet muss, was denn gesellschaftlich notwendige Produktion ist und welche Güter produziert werden können und sollen, ohne dabei die Umwelt mittel- und langfristig zu zerstören. Eine solche gesellschaftliche Planung schafft erst die Voraussetzung, weniger zu produzieren, was uns wiederum erlaubt die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Deshalb darf mit dem Ansatz der Konversion nicht der Eindruck erweckt werden, es könne in der Automobilindustrie künftig ohne Weiteres gleich viel produziert werden wie heute.
3 Auch wenn die Inexistenz einer Kerosinsteuer vergleichsweise absurd ist: Diese würde ohne Schulterzucken an die Konsument*innen weiterverrechnet werden. Wenn also eine Preiserhöhung gefordert wird, damit daraus eine Reduktion des Flugverkehrs entsteht, dann muss dies so geschehen, dass die Arbeitsbedingungen der Angestellten massiv verbessert werden. Natürlich sind weitere Massnahmen zur drastischen Reduktion des Flugverkehrs möglich und notwendig. Dieser Artikel soll jedoch den Fokus auf die Notwendigkeit legen, dass jegliche Massnahmen betreffend Flugverkehr auch das Flughafenpersonal mitberücksichtigen müssen.