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Kann uns ein Green New Deal noch retten??

Seit zwei Jahren erstarkt die Klimabewegung. Mit ihr werden auch neue Vorschläge zur Lösung der Klimakrise formuliert. Der Begriff Green New Deal ist dabei immer wieder zu hören. Doch kann dieser Ansatz eine Lösung aus der Klimakrise bieten? Ist der Green New Deal ein Schritt in Richtung Systemwandel oder vielmehr ein illusorischer Versuch, Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit zu vereinen? Was steckt alles hinter diesen Versprechungen? Dieser Artikel ist auch in der neusten Ausgabe der Antikap erschienen.

von Lisi Kalera (BFS Basel)

Beim Green New Deal (GND) geht es grundsätzlich darum, Innovationen und Investitionen in grüne Technologien durch staatliche Förderung zu erreichen. Kernidee ist einerseits, das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln und gleichzeitig ökologisch nachhaltiger zu wirtschaften, indem dank der neuen grünen Technologien die natürlichen Ressourcen geschont und weniger geschädigt werden.1 Dies ist zumindest die Theorie. Angelehnt ist der GND an den New Deal von Franklin Roosevelt in den 1930er Jahren: Ein Konjunkturprogramm, das durch massive staatliche Investitionen die Wirtschaft wieder ankurbelte und so aus der Finanzkrise von 1929 führte.

Ursprünglich bedeutet der aus dem Kartenspiel kommende Begriff «New Deal», dass die Karten neu gemischt und neu verteilt werden. Beim Green New Deal soll es also einen neuen grünen Investitionszyklus geben, durch zum einen staatliche Investitionen in ökologische Infrastruktur und zum anderen die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für das Wachstum des Marktes an «grünen» Produkten und Dienstleistungen. Diese Prämisse ist allen GND-Vorschlägen gemein. Unterscheiden tun sie sich jedoch darin, ob und wie sie die soziale Frage stellen, und ob sie die Wachstumsfrage beantworten.

Green New Deal ist kein neues Konzept

Wesentliche Vorschläge für einen Green New Deal wurden erstmals im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 vorgelegt. Die sogenannte «Green New Deal Group» forderte damals eine stärkere Regulierung des Finanzplatzes und seiner Finanzflüssen, damit diese mehr im Einklang mit der Umwelt, aber dennoch im Sinne der ökonomischen Stabilität agieren. Die Geldvermehrung an sich wurde jedoch nicht in Frage gestellt. Der Global Green New Deal der Umweltbehörde der Vereinten Nationen (UNEP) von 2009 stellte anders als die GND-Group auch die Nahrungsmittel- und Wasserknappheit in Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise und integrierte die Armutsbekämpfung als hinreichende (aber nicht notwendige) Voraussetzung für globale Nachhaltigkeit. Abgesehen davon zielte der Global Green New Deal der UNEP jedoch ebenfalls darauf ab, den Wirtschaftsmotor mittels eines Investitionsprogramms für grüne Technologien und den CO2-Zertifikathandel wieder in Gang zu bringen.2

Von der Finanzkrise zu den Klimaprotesten

Mit dem Abflauen der Finanzkrise sind auch die damaligen Konzepte des Green New Deal wieder verschwunden, die prekären sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf grosse Teile der Bevölkerung sind jedoch geblieben. Weltweit hat sich in den letzten 15 Jahren die ökonomische Situation für viele Menschen stark verschlechtert, weshalb soziale Bewegungen für mehr Selbstbestimmung, die Wahrung der Grundrechte nach Bildung, Wohnung sowie Nahrung, und für mehr Mitbestimmung sowie für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper aufgeflammt sind. Die ökologische Bewegung hat zudem durch das katastrophale Voranschreiten des Klimawandels an Stärke gewonnen. Grosse Teile der Bevölkerung werden zukünftig nicht mehr in ihren Heimatgebieten leben können, weil diese überschwemmt werden oder die Temperaturen so stark steigen, dass keine Landwirtschaft und kein Leben mehr möglich sind. Diese desaströsen Zukunftsaussichten motivieren die jungen Menschen zum Protest und bringen sie weltweit auf die Strasse. Die Klimabewegung ist stärker, lauter und fordernder geworden. Klimaprotestbewegungen wie Fridays for Future, Klimastreikende oder Extinction Rebellion sind überall aufgetaucht und fordern von der Politik endlich ein Umdenken.

In diesem Kontext haben seit 2018 die Konzepte des GND an Unterstützung gewonnen und unterschiedliche Vorschläge wurden ausgearbeitet. Am prominentesten ist sicher der GND aus den USA. Dieser wird lautstark von der Sunrise Bewegung eingefordert und von der Demokratin Alexandra Ocasio-Cortez unterstützt. Bernie Sanders und Elizabeth Warren haben den GND in ihrem Wahlprogramm aufgegriffen. Aber auch der europäische Green Deal, den die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Januar 2020 vorschlug, gibt zu reden.

Neoliberal, marktkonform, nutzlos – European Green Deal

Der European Green Deal der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist jedoch lediglich ein «grünes» Investitionsprogramm mit dem Ziel, die EU wettbewerbsfähiger zu machen. Marktkonforme Massnahmen wie die Ausweitung des europäischen Emissionshandels sollen dabei helfen, neue Investitionsmöglichkeiten für das Kapital zu erschliessen und nebenbei die viel zu niedrig gesteckten Klimaziele des Pariser Klimaschutzabkommens (zumindest auf dem Papier) teilweise zu erreichen. Denn nicht nur Wissenschaftler*innen, auch zahlreiche Politiker*innen zweifeln angesichts der mit maximal 1 Billion Euro viel zu geringen Finanzierung, ob der europäische Green Deal überhaupt eine Wirkung erzielt. Zudem wird kritisiert, dass diese 1 Billion Euro nicht zusätzlich ausgegeben wird, sondern nur aus dem bereits bestehenden Budget der EU umgelagert wird. Um eine ähnliche Grössenordnung und Wirkung wie der GND der USA oder Roosevelts New Deal zu erreichen (5 Prozent des BIP), müsste die EU über 15 Jahre 12 Billionen Euro ausgeben.3

Sozialer Green New Deal aus den USA

Anders als der europäische Green Deal sind die Ausgaben des Green New Deals aus den USA, den die Demokratin Elizabeth Warren und Bernie Sanders in ihrem Wahlprogramm propagieren, mit 16 Billionen US-Dollar über die nächsten 15 Jahre deutlich höher. Damit sollen der Umbau zu erneuerbaren Energien, Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und weitere grüne Investitionen wie Gebäudedämmung finanziert werden, wie wir dies auch schon von anderen GND kennen.

Neben der Höhe der Finanzierung unterscheidet sich der Green New Deal aus den USA von bisherigen Modellen auch in der Art, wie dieser die soziale Frage beantwortet: Mit diesem staatlichen Investitionsprogramm sollen über 20 Millionen reguläre Arbeitsplätze mit Gewerkschaftsorganisierung neu geschaffen werden, wobei Arbeiter*innen aus fossilen Industrien bevorzugt angestellt werden würden. Arbeiter*innen aus fossilen Industrien bekämen eine Garantie auf ihre bisherigen Rentenansprüche und sie bekämen für maximal 5 Jahre ihren Lohn weiterhin ausgezahlt, um in dieser Zeit an Umschulungs- und Weiterbildungen teilnehmen zu können, die ihnen eine Perspektive in anderen Industriezweigen ermöglichen würde. Damit wird die ökologische Frage klar auch als soziale Frage gestellt. Mit dem Vorhaben der Krankenversicherung für alle, dem Aufbau öffentlicher Kinderbetreuung und dem Ausbau gut bezahlter Jobs in Pflege- und Krankenversorgung wird eine bessere Aufteilung und Aufwertung der Sorgearbeit angestrebt.4

Statt den Grossunternehmen des Energiesektors den Vorrang bei der Erzeugung und Vermarktung der erneuerbaren Energien zu geben, sollen nicht-profitorientierte Energieunternehmen zukünftig Strom lokal erzeugen können.5 Die Machtfrage im Energiesektor wird dadurch konkret gestellt. Auch soll mittels kommunalen Genossenschaftsläden das Monopol der Supermärkte gebrochen werden. Das sind zwei Beispiele für eine Umgestaltung der gesellschaftlichen Strukturen, weg von Machtkonzentration hin zu dezentralen und lokalen Strukturen.

Der Klimawandel verschärft vor allem die «systemische Ungleichheit», da sich verstärkende Naturkatastrophen die ärmsten Schichten und somit insbesondere People of Color, Immigrant*innen und indigene Gemeinschaften besonders treffen. Deswegen versucht der us-amerikanische GND die am meisten «verwundbaren» Gemeinschaften besonders zu fördern und ihnen bei der lokalen Umsetzung und Gestaltung der Massnahmen des GND eine führende Rolle zukommen zu lassen. Dabei sollen insbesondere die Souveränitäts- und Landrechte der indigenen Gemeinschaften respektiert werden. Damit versucht der GND explizit antirassistisch zu sein, indem von den Massnahmen nicht nur eine weisse Mittelschicht profitiert, wie dies bei dem von Roosevelt initiierten New Deal 1929 der Fall war.

Finanziert werden sollen die erforderlichen Investitionen des Green New Deal von Sanders und Warren über eine stärkere Besteuerung der Grossunternehmen, v.a. der fossilen Industrien, sowie über eine Finanztransaktionssteuer, die Streichung unökologischer Investitionen und die Kürzung der Militärausgaben.6 Das ist ein entscheidender Unterschied z.B. zum CO2-Gesetz der Schweiz, das eine sozial ungerechte CO2-Abgabe (Verbrauchssteuer) vorsieht, die «regressiv» vor allem die Mittelschicht und Geringverdienende belastet.

Insgesamt können wir über den GND aus den USA schlussfolgern, dass die starke Abstützung in den sozialen Bewegungen, die antirassistischen, sozial abfedernden, umverteilenden Massnahmen zur Reduzierung der Ungleichheit sowie die kommunalen Energieerzeugung und Kontrolle wesentliche progressive Elemente sind. Mit der staatlichen Jobgarantie, Lohnfortzahlungen, Weiterbildungsmöglichkeiten, einer Krankenversicherung für alle sowie dem Ausbau des Care-Sektors sind zudem wesentliche Elemente enthalten, die die Kluft zwischen ökologischer und sozialer Frage zu überwinden suchen. Eine Frage bleibt aber noch: Was ist mit dem Wachstum?

Der GND von Sanders und Warren stellt weder das kapitalistische Akkumulationssystem noch das unendliche Wachstum in Frage. Doch wir stellen diese unangenehmen Fragen: Ist ein Green New Deal im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems machbar? Kann ein Green New Deal ohne Wachstumskritik grün sein? Ist es möglich das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch loszulösen? Reicht es aus, unseren Energiedurst mit erneuerbaren Energien zu stillen und sonst geht alles weiter wie bisher? Woher kommen die Rohstoffe für die erneuerbaren Energien? Und wer profitiert, wer verliert an der steigenden Nachfrage nach erneuerbaren Energien?

Das Märchen vom unendlichen Wachstum in einer endlichen Welt

Die bisherigen Green New Deals basieren auf dem Irrglauben des kontinuierlichen Wachstums, das Vollbeschäftigung verspricht und gleichzeitig die ökologischen und sozialen Folgen bewältigen kann. Das Problem am Wirtschaftswachstum ist jedoch, dass ein Teil der Menschheit bereits jetzt weit mehr verbraucht, als der Planet längerfristig zur Verfügung stellen kann. Für den aktuellen durchschnittlichen globalen Ressourcenverbrauch wären 1,5 Planeten vonnöten. Dabei verbrauchen Menschen in den industrialisierten Ländern sehr viel mehr Energie und Ressourcen als Menschen in Ländern des globalen Südens, wie Berechnungen des Global Footprint Network zeigen.7 Wenn alle so viel verbrauchen würden wie die Menschen in Europa, bräuchten wir 2,8 Planeten.8 Wenn es so offensichtlich ist, dass wir weniger verbrauchen müssen, weshalb wird dann die Wachstumsfrage nicht gestellt? Der Grund dafür ist naheliegend: Ohne Wirtschaftswachstum würde das kapitalistische Wirtschaftssystem zusammenbrechen.

Ist ein Green New Deal ohne Wachstumskritik grün?

Die kapitalistische Wirtschaftsweise bedingt, dass die Unternehmen in ständiger Konkurrenz zueinander stehen. Deswegen überleben nur jene Unternehmen, die ihre Produktivität durch ständige Investitionen steigern und damit die Preise für die Produkte senken können. Dabei muss die Produktion nicht nur effektiver werden, sondern auch laufend erhöht werden, um die Profite zu maximieren. «Ohne dieses Wachstum ist die kapitalistische Ökonomie instabil und ihre Aufrechterhaltung nicht möglich.»9 Die Logik des Kapitalismus erfordert eine stetige Überschussproduktion, um Renditen zu erzielen und Zinsen an Kreditgeber zahlen zu können.

Auch grüne Investitionen werden nur getätigt, wenn sie für die Investoren gewinnversprechend sind, also Profit abwerfen. «Ohne Wachstum ist dies ausgeschlossen und daher bleibt der grüne Kapitalismus, wie der schwarze fossile Kapitalismus auch auf Wachstum angewiesen.»10 Das bedeutet, dass es schlichtweg nichts nutzt, Lösungen innerhalb eines Systems zu suchen, das die ökologische Krise verursacht hat. Ein Green New Deal ohne Kritik am kapitalistischen Wachstumszwang ist nicht grün. Wir brauchen also ein umsetzbares Konzept zur Neugestaltung der ökonomischen und sozialen Organisierung unserer Gesellschaft, welches die Wachstumsfrage ernsthaft stellt.

Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch – schön wärs!

Weil viele Ökonom*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen wissen, dass das Wachstum eine notwendige Bedingung für das Funktionieren des Kapitalismus ist, argumentieren sie, das Wirtschaftswachstum liesse sich vom Energie- und Ressourcenverbrauch entkoppeln. Deshalb sei stetes Wirtschaftswachstum auch künftig möglich. Dagegen spricht jedoch, dass im globalen Massstab das Wirtschaftswachstum noch nie absolut vom Wachstum des Material- und Energieverbrauchs entkoppelt wurde. Zwar ist die Energieintensität der Wirtschaft, also das Verhältnis zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung, von 1965 bis 2018 von 0,25 auf 0,17 Öleinheiten pro Dollar gesunken.11 Relativ wird also für die Produktion weniger Energie verwendet. Vom Wirtschaftswachstum entkoppelt ist der Energieverbrauch deshalb jedoch nicht: in absoluten Zahlen ist der Energie- und Ressourcenverbrauch von 1965 bis 2018 massiv angestiegen, da die Weltwirtschaft in diesem Zeitraum stark gewachsen ist. In den ersten 20 Jahren des 21. Jahrhunderts wurden sogar mehr Ressourcen verbraucht als im gesamten 20. Jahrhundert.12

Noch ein Tropfen Effizienzsteigerung und der Motor läuft wieder

Auch in der ökologischen Debatte heisst es von allen Seiten, die steigende Effizienz sei die notwendige Schmierflüssigkeit, um den Wirtschaftsmotor am Laufen zu lassen, ohne dabei die planetaren Grenzen zu sprengen. Obwohl bereits heute aufgrund der sinkenden Energieintensität der Wirtschaft Energie und damit Kosten eingespart werden könnten, geschieht dies nicht, wie der Anstieg des absoluten Ressourcenverbrauchs zeigt. Dies liegt daran, dass Energie und Kosten an anderer Stelle genutzt und investiert werden. Dieses Phänomen wird auch als Rebound-Effekt beschrieben. Mit anderen Worten führen Effizienzsteigerungen nicht zu weniger Verbrauch. Da Unternehmer*innen haben nicht das Interesse, weniger zu verbrauchen, sondern mehr Gewinn zu machen, indem sie mit möglichst wenig Kosten mehr produzieren und verkaufen können – eine gute Veranschaulichung des Prinzips der Profitmaximierung. Aufgrund dessen hören wir auch häufig das Argument, dass ein Energieanstieg kein Problem sei, solange die Energie aus erneuerbaren statt aus fossilen Energien gewonnen werde. Deswegen setzen die neoliberalen und marktkonformen Massnahmen auch hauptsächlich bei der Förderung der erneuerbaren Energien an.

Die Kehrseite der erneuerbaren Energien

Der Übergang hin zu erneuerbaren Energien ist absolut notwendig, doch reicht das aus, um die Zerstörung unseres Planeten aufhalten zu können? Wie alle Technologien haben auch erneuerbare Energien ihre Grenzen. Sie haben aufgrund ihrer geringen Energiedichte einen hohen Flächenverbrauch. Ein Beispiel dazu: Beim derzeitigen Wachstum würde für die Deckung des europäischen Energieverbrauchs mit Solarenergie 50 Prozent der Fläche der EU notwendig sein. Dies würde die Biodiversität empfindlich reduzieren und eine nicht vertretbare Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen. Selbst wenn wir also unseren gesamten Energiebedarf über erneuerbare Energien decken könnten, müssten industrialisierte Länder ihren Energieverbrauch massiv einschränken, weil die erneuerbaren Energien eine Bedrohung für die Biodiversität und Nahrungsmittelsicherheit wären.

Um die industrialisierten Nationen mittels erneuerbarer Technologien wie Solar- und Windkraftanlagen «grün» zu machen, wäre zudem eine immense Steigerung des Abbaus von seltenen Erden, sowie Lithium, Kobalt, Silber, Kupfer und Stahl notwendig. Diese wäre vor allem in Ländern der südlichen Hemisphäre zu finden. Die Aneignung dieser Rohstoffe wäre sehr wahrscheinlich ein sehr gewaltsamer Prozess, bei dem bisherige neokoloniale Abhängigkeitsverhältnisse noch vertieft würden. Damit drohen jegliche Green New Deals imperialistische Beziehungen zwischen Staaten des globalen Nordens gegenüber jenen des globalen Südens noch zu verstärken, sollten sie an bisherigen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen festhalten, die auf kolonialen Ressourcenverbrauch aufbauen.

Freiwillig werden sie nicht auf ihre Profite verzichten

Gleichzeitig beobachten wir weiterhin trotz jeglicher Warnungen der Wissenschaft und Klimabewegung einen Anstieg der Investitionen in fossile Energien, wie die Berichte der Internationalen Energieagentur (IEA) von 2018 und 2019 zeigen. Die globalen Grosskonzerne handeln also aktiv gegen jegliche wissenschaftliche Erkenntnisse, da es um die eigenen Gewinne und Profite geht. Ein sofortiges Verbot der Nutzung fossiler Energien würde eine immense Liquidierung bereits investierten Kapitals und fossiler Infrastruktur bedeuten, was zum Bankrott der weltweit stärksten Industrie überhaupt führen würde – der fossilen. Die Kapitalist*innen werden diese Gewinne nicht freiwillig aufgeben, sondern mit allen Mitteln verteidigen. Ihre Interessen stehen im absoluten Gegensatz zu unseren Interessen. Wollen wir die Gesellschaft ernsthaft verändern, müssen wir die Machtfrage stellen. Innerhalb der gegebenen Kräfte- und Machtverhältnisse werden wir den Kampf verlieren – deswegen ist unser Ziel nicht, innerhalb der gegenwärtigen Macht- und politischen Kräfteverhältnisse zu denken und zu handeln, sondern diese in Frage zu stellen und zu überwinden!

Es geht darum, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verändern, weil wir unsere Vorstellungen einer nachhaltigen Welt nicht im gegebenen System umsetzen können. Es geht darum, über die Grenzen des Systems hinaus zu denken und sich gemeinsam mit einer breiten Klimabewegung, antikapitalistischen linken politischen Kräften und progressiven Gewerkschaften für eine Überwindung des zerstörerischen Kapitalismus zu kämpfen. Wie das plötzliche Erstarken und der sprunghafte Anstieg der ökologischen und feministischen Bewegungen weltweit zeigen, sind gesellschaftliche Umbrüche nie vorhersehbar. diese sozialen Bewegungen sind Ausdruck davon, dass der Kapitalismus von immer mehr Menschen in Frage gestellt wird.

Progressive, breite sozialen Bewegungen können die Mächtigen herausfordern!

Der Green New Deal aus den USA thematisiert die Systemfrage zu wenig und stellt auch das Wachstumsparadigma gar nicht in Frage. Dennoch kann dieser eine progressive Antwort auf die Klimakrise bieten, indem er verschiedene Kämpfe miteinander verbindet. Denn aus strategischer Sicht reicht es nicht aus, einfach einen Systemwandel zu fordern. Um den Systemwandel zu erreichen, benötigen wir Übergangsforderungen, die am bestehenden Bewusstseinsstand ansetzen, aber auf grundsätzliche Veränderungen verweisen. Damit ist die entscheidende Frage in unserer Auseinandersetzung mit dem GND nicht nur, ob er den Kapitalismus abschaffen will oder nicht, sondern ob er die strategischen Anforderungen eines ökosozialen Übergangsprogramms erfüllt. Also ob er das Potenzial hat, an bestehenden Kämpfen anzusetzen und diesen unterschiedlichen Kämpfen eine gemeinsame Richtung zu geben und sich mit grundlegenden Machtstrukturen in dieser Gesellschaft anzulegen.

Bei dem GND aus den USA werden sowohl die soziale und die ökologische Frage als auch feministische und antirassistische Kämpfe miteinander verbunden. In diesem Kontext hat der GND aus den USA das Potenzial, eine progressive soziale Bewegung entstehen zu lassen.13 Eine breite soziale Bewegung, welche für fundamentale Veränderungen einsteht, indem eine breite Debatte über die Konversion der Industrie, Demokratisierung der Wirtschaft, soziale Absicherung, Umverteilung und die Machtfrage aufgeworfen wird.

Wir haben die Aufgabe, mit unserer Kraft und Energie, Freude und Motivation einen Teil dazu beizutragen, die sozialen Bewegungen zu stärken und radikale Veränderung des Zusammenlebens zwischen Natur und Mensch einzufordern. Denn anders als beim «New Deal» geben wir uns nicht damit zufrieden, neue Karten zu erhalten – wir wollen die Spielregeln ändern!


1 Schachtschneider, Ulrich, Green New Deal – Sackgasse und sonst nichts?, RLS, 2009, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_2009_17.pdf, 18.03.2020

2 Umdenken oder Schönfärben, Führt der Green New Deal aus der Krise?, EvB Dokumentation Nr. 03, September 2009

3 Schuhmacher, Juliane, Marktgläubig und mager, Analyse und Kritik 656, S. 6

4 ebd.

5 Rehmann, Jan, Ein Plan für alle (Fälle) – Der Green New Deal als sozial-ökologisches Hegemonieprojekt, 2019,
https://www.zeitschrift-luxemburg.de/ein-plan-fuer-alle-faelle-der-green-new-deal-als-sozial-oekologisches-hegemonieprojekt/, 18.03.2020

6 ebd.

7 http://data.footprintnetwork.org/#/?, 03.03.2020

8 https://www.n-tv.de/wissen/EU-verbraucht-Ressourcen-von-2-8-Planeten-article21012586.html, 03.03.2020

9 https://www.sozonline.de/wp-content/uploads/2015/01/Flugblatt7-Grenzen-des-Wachstums.pdf, 03.03.2020

10 Altvater, Elmar, Ein «ökologischer Keynesianismus» – Idee und kein Projekt, 2008

11 Schmid, Simon, Wie sich Klima und Wachstum vertragen, Republik, 02.03.2020, https://www.republik.ch/2020/03/02/wie-sich-klima-und-wachstum-vertragen

12 Grenzen des Wachstums, https://www.sozonline.de/wp-content/uploads/2015/01/Flugblatt7-Grenzen-des-Wachstums.pdf, 03.03.2020

13 Bellamy Foster, John, On Fire this time, https://monthlyreview.org/2019/11/01/on-fire-this-time/, 18.03.2010

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