Im letzten Herbst hat die Unia-Zeitung work unter dem Titel «So geht’s konkret!» einen Plan vorgelegt, wie die Schweiz bis 2030 CO2-neutral werden könne. Der unter Leitung von SP-Politiker Peter Bodenmann ausgearbeitete Plan für einen «ökosozialen Umbau» behauptet, dass eine Abwendung der Klimakatastrophe nur durch technischen Fortschritt und teilweise staatliche Steuerung erfolgen könne. Was auf den ersten Blick gut aussieht, bricht auf den zweiten Blick sehr schnell wie ein Kartenhaus zusammen.
von Matthias Kern (BFS Zürich)
Es klingt alles ganz einfach. Die work-Zeitung schreibt: «Wir können die Schweiz ab 2023 mit Kompensationen und ab 2032 ohne Kompensationen problemlos klimaneutral machen. Nicht durch Verzicht, sondern durch die Nutzung des technischen Fortschritts und durch intelligente Steuerung des notwendigen ökologischen Umbaus. Dieser Umbau muss sozial- und randregionenverträglich sein.»
Wie die CO2-Neutralität «problemlos» erreicht werden kann, wird gleich anschliessend an dieses vollmundige Versprechen in 19 Folien dargelegt. Zuerst werden die wichtigsten Bereiche für die Treibhausgas-Emissionen benannt: Verkehr, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft. Daran anschliessend werden für die jeweiligen Bereiche Massnahmen aufgelistet, wie deren Emissionen vermindert oder ganz auf null gebracht werden können. Und hier lohnt es sich, hinter den hübsch aufgemachten und vordergründig einfach verständlichen Forderungskatalog zu blicken. Wir wollen dies am Beispiel der Folie «Verkehr» einmal detailliert machen.

Verkehr macht CO2? Einfach elektrifizieren!
Der Gewerkschafts-Plan erkennt richtig: Der Verkehr ist in der Schweiz für fast einen Drittel der inländischen CO2-Emissionen verantwortlich. Die Antwort? Elektrifizieren! Ausserdem würden sowieso immer mehr junge Menschen gar keinen Führerschein mehr machen. Und wenn dann in unbestimmter Zukunft auch noch die selbstfahrenden Autos kämen, dann bräuchten wir statt aktuell 4.6 Millionen Personenwagen (Die work spricht fälschlicherweise von 3.6 Millionen Fahrzeugen – richtig wären 6.2 Millionen Kraftfahrzeuge ohne Mofas, davon 4.6 Millionen Personenwagen) nur mehr weniger als eine Million – eine Entwicklung, die laut aktuellen Studien alles andere als gesichert ist. Wenn wir die 4,6 Millionen in der Schweiz umherfahrenden Fahrzeuge alle elektrisch machen würden, gäbe das eine (richtigerweise) nicht besonders problematische Menge von 17 Milliarden Kilowattstunden Strom, die zusätzlich benötigt würden. Zwar wurde hier mit der zu tiefen Zahl von 3.6 Millionen PKW gerechnet, allerdings stimmt die Aussage, dass die Elektrifizierung des Strassenverkehrs eine machbare Menge Elektrizität benötigen würde, die ungefähr einem Drittel des aktuellen Schweizer Inlandverbrauchs entspricht.
Schauen wir uns aber diese anscheinend so simple Lösung für die Probleme der Welt beispielhaft mal etwas genauer an. Global gibt es aktuell ungefähr 1.2 Milliarden (!) Kraftfahrzeuge – der grösste Teil davon Autos. Jedes Jahr werden ungefähr 100 Millionen Autos neu produziert und um einiges weniger verschrottet, so dass der globale Bestand an Autos mit beinahe 8% pro Jahr wächst. Von den aktuell umherfahrenden 1.2 Milliarden Kraftfahrzeugen sind ungefähr 9 Millionen Elektroautos. Zwar wächst deren Anzahl jedes Jahr um etwas mehr wie 50% – ihr Gesamtanteil ist aber nach wie vor verschwindend klein. Dabei ist insbesondere die Produktion der benötigten Lithium-Ionen-Batterien von schweren Engpässen betroffen, so dass auch bei höherer Nachfrage die Produktion zurzeit nicht nach Belieben erhöht werden kann.
Um jetzt also den Schweizer Verkehr – wie von work vorgeschlagen – vollständig zu elektrifizieren, müsste über mehrere Jahre ein riesiger Anteil an der globalen Gesamtproduktionskapazität an Elektroautos nur für den Schweizer Markt aufgewendet werden. Alles vor 2032 wohlverstanden, denn bis dahin soll die Schweiz ja CO2-neutral sein. Und auch dann fahren noch – dem Wachstum des Auto-Bestandes sei Dank – mehr als 1.2 Milliarden Benzin- und Diesel-PKW durch die anderen Regionen der Welt. Die Klimakrise abgewendet? Mitnichten!
Sogar wenn durch ein Wunder die Produktionskapazität für Elektroautos plötzlich bei 50 oder sogar 100 Millionen Stück pro Jahr liegen würde, so würde es Jahrzehnte dauern, bis der Grossteil der weltweiten Automobilflotte auf diese Weise elektrifiziert wäre. Und dann wären all die anderen negativen Effekte des individuellen Personenverkehrs sowie die damit einhergehenden CO2-Emissionen noch lange nicht verschwunden (einige Beispiele finden sich hier.)
Und jetzt haben wir uns noch überhaupt nicht mit der Produktion von Autos auseinandergesetzt! Hier wird ein weiteres Mal deutlich, weshalb der Plan der Unia grosser Bullshit ist: Die Produktion von Elektroautos, insbesondere ihrer Batterien, ist sehr energieintensiv. Dabei kommen nur zu einem kleinen Teil erneuerbare Energien zum Einsatz, was dazu führt, dass die Produktion eines E-Autos im Durchschnitt einen höheren CO2-Ausstoss verursacht, als dies bei Autos mit Verbrennungsmotor der Fall ist. Alleine die Produktion einer mit 50 kWh eher kleinen E-Auto-Batterie stösst im günstigsten Fall ca. 3 Tonnen CO2 aus. Zwar machen E-Autos diesen Nachteil nach ein paar tausend Kilometer auf der Strasse durch höhere Effizienz und die günstigere CO2-Bilanz von Strom im Vergleich zu Benzin wieder wett, aber auch etwas geringere CO2-Emissionen sind halt immer noch CO2-Emissionen und die wollte die Unia mit ihrem Masterplan ja genau verhindern.
Wieso also nicht einfach synthetische Treibstoffe herstellen und in bestehende Autos füllen, wie das im Plan auf Folie 13 kurz angeführt wird? Ganz einfach: Weil das ein weiteres Mal Schwachsinn ist, und solange nicht irgendwo im grossen Stil überschüssiger Öko-Strom anfällt, auch gar nicht praktikabel umsetzbar ist. Das Paul-Scherrer-Institut zeigt dies am Beispiel eines Erdgasautos, das mit synthetischem Erdgas betrieben wird: Ein solches braucht fünf bis sechs Mal so viel Energie wie ein Auto, das direkt mit Strom betrieben wird. Nur schon die Umwandlung von Elektrizität in synthetisches Erdgas bedeutet einen Energieverlust von 50%. Statt der vorgegebenen 17 Milliarden kWh wären wir so bei ungefähr 90 Milliarden kWh pro Jahr, die zusätzlich benötigt werden – Ökostrom, versteht sich. Das ist 1.5 Mal der aktuelle Gesamtverbrauch an Strom in der Schweiz pro Jahr (57 Milliarden kWh).

Es braucht radikale Veränderung und keine technischen Träumereien
Solange wir Elektrizität wie aktuell zu einem grossen Teil (global betrachtet) aus fossilen Energieträgern gewinnen, kann jede funktionierende Antwort auf die drohende Klimakrise nur darin liegen, unseren Energieverbrauch massiv zu reduzieren. Ein Auto ist dabei eine in jeglicher Hinsicht ineffiziente Art der Mobilität und wird das auch bleiben – elektrisch oder nicht.
Es ist zudem eine irrwitzige Verschwendung an Ressourcen, dass jedes Jahr 100 Millionen privat besessener PKWs gebaut werden, welche dann den Grossteil der Zeit herumstehen. Es ist dabei egal, mit welchem Treibstoff sie angetrieben werden. Wenn wir diesem – zu allem Unheil auch noch auf ständiges Wachstum angewiesenes – Treiben nicht schleunigst Einhalt gebieten, werden wir die Klimakatastrophe nicht abwenden können, egal ob wir mit Teslas oder Plugin-Hybriden herumfahren.
Die CO2-Emissionen, die durch den individuellen Personenverkehr entstehen, sind enorm. Und sie sind längst nicht unsere einzigen Emissionen. Im selben Stil wie bei der Elektrifizierung der Autos stecken aber auch in den allermeisten anderen Punkten des Unia-Plans gegen den Klimawandel ähnliche Denk- und Logikfehler, irrwitzige Annahmen und absurde Entwicklungsprognosen. Weitere Beispiele können wir gerne in der Kommentarspalte sammeln.
Was die work-Zeitung zusätzlich – bis auf einen Nebensatz – verschweigt: Wir haben bislang nur über die Schweizer Inland-Emissionen gesprochen. Dabei ist der CO2-Fussabdruck der Schweiz nochmals bedeutend höher, wenn man die im Ausland angefallenen Emissionen für in der Schweiz konsumierte Produkte und für Transportwege ausserhalb der Schweiz mit einbezieht. Statt 5 Tonnen CO2 pro Kopf sind es dann 12 – Tendenz steigend.
Es zeigt sich also sehr deutlich: Ohne eine Abkehr vom individuellen Personenverkehr – egal wie angetrieben – und einem überfälligen «System Change» ist eine ökologische Zukunft nicht denkbar. Im Rahmen einer kapitalistisch funktionierenden und auf den Profit Einzelner ausgerichteten Wirtschaft wird die Klimakrise nicht abgewendet werden können. Ein simples Programm wie es die Unia hier vorlegt, ist nichts anderes als Verblendung. Es gibt vor, dass ein grüner Kapitalismus funktionieren und die Klimakatastrophe abgewendet werden kann, ohne dass ganz grundsätzlich eine Veränderung in der Art und Weise wie wir produzieren, konsumieren und transportieren geschehen muss. Damit werden Illusionen geschürt, die verheerend sein können.