Der Bundesrat hat heute die Rettung der beiden Fluggesellschaften Swiss und Edelweiss bekannt gegeben. 1’275 Millionen Franken sollen in Flugzeuge gesteckt werden, die jetzt zurecht am Boden sind. Die Dreistigkeit dieser Rettungsaktion ist unfassbar: Das Geld wurde nur an Bedingungen geknüpft, die den Schweizer Kapitalismus stärken sollen – von ökologischen und sozialen Forderungen keine Spur. Trotz massenhaften Protesten für mehr Klimaschutz und zahlreichen Bekenntnissen der offiziellen Politik soll also eine massive Treiberin der Klimakatastrophe grosszügig finanziert werden, damit diese wie vorher ungehindert weitermachen kann. Aber auch die miesen Arbeitsbedingungen und die katastrophale Bezahlung in der Branche kümmert den Schweizer Staat nicht. Seine einzige Sorge ist, dass das Geld nicht in das Ausland zur Muttergesellschaft Lufthansa abfliesst. Doch es spielt keine Rolle, ob diese 1.3 Milliarden dem schweizerischen oder deutschen Kapital zugute kommen – wir fordern eine ökosozialistische Aneignung der Fluggesellschaften! Das bedeutet deren sofortigen Konversion unter Kontrolle der Arbeiter*innen in dieser Industrie. Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Artikel, der die kommende Rettung der Lufthansa in Deutschland beschreibt – die Kritik lässt sich aber eins zu eins auf die Rettung der Swiss und Edelweiss übertragen. (Red.)
von Paul Michel; aus intersoz.org
Menschen sagen ihren Urlaub ab, Geschäftsreisen werden verschoben, um engen Kontakt mit anderen vermeiden und die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Der Coronavirus hat den Flugverkehr ins Trudeln gebracht. Fluggesellschaften stehen unter starkem finanziellen Druck. Bei der Lufthansa sind derzeit rund 95 Prozent der Gesamtflotte am Boden. Auf den verbleibenden Flügen sind die Maschinen überwiegend leer. 87 000 Beschäftigte werden in Kurzarbeit geschickt. Das Lufthansa-Management verhandelt mit dem Bund über Hilfskredite und Staatsbeteiligung.
Lufthansa-Bosse: Dreister geht’s nicht
Nachdem Lufthansa Chef Carsten Spohr Mitte März noch behauptet hatte, man würde ohne Staatshilfen über die Runden kommen, verhandelt seit Anfang April das Lufthansa-Management mit dem Bund über ein Rettungspaket. Am 23. April gab Lufthansa bekannt, dass die Verluste doch besorgniserregend seien. Die Airline braucht offenbar sowohl frisches Eigenkapital als auch neue Kredite. War zunächst die Rede ist von einem mittleren bis hohen einstelligen Milliardenbetrag, so heisst es jetzt auf tagesschau.de: „Insider berichteten, dass die Lufthansa Anfang nächster Woche ein staatliches Hilfspaket von bis zu zehn Milliarden Euro schnürt… Die Mittel kommen demnach aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes, aus staatlich besicherten KfW-Krediten und von Regierungen Österreichs, Belgiens und der Schweiz. Die Lufthansa, die staatliche Förderbank KfW und die Bundesregierung kommentierten das nicht.“
Eine «stille Beteiligung» des Staates heisst: weiter so!
Wie der «Spiegel» bereits am 11. April 2020 berichtete, tritt das Lufthansa –Management in diesen Verhandlungen selbstbewusst bis anmassend auf. Eine Mehrheitsbeteiligung des Staates hatte Vorstandschef Carsten Spohr im Interview mit dem «Spiegel» von vorn herein ausgeschlossen. Der Konzern habe ein Eckpunktepapier für den Einstieg des Bundes vorgelegt. Grundtenor des Schriftstücks: „Alle Vorteile müssten bei der Lufthansa und ihren Aktionären liegen, das gesamte Risiko dagegen beim Staat, sagt ein Verhandlungsinsider“. Offenbar geht es um eine „stille Beteiligung“ des Bundes an der Lufthansa. Bei einer „stillen Beteiligung“ hätte der Bund kein Stimmrecht.
Das würde bedeuten, dass der Staat der Lufthansa Milliarden zuschiesst, mit denen das Management machen kann was es will. Einziges Zugeständnis der Lufthansa-Bosse: In der Zeit, während die Massnahme läuft, werde die Lufthansa keine Dividende ausschütten. Der Vorstand verzichtet zudem auf 20% seines Gehalts. Laut der Webseite airliners.de verdiente der Lufthansa-Vorstands Vorsitzende Carsten Spohr im Jahr 2017 4,19 Mio. Euro. Spohr verdient damit 85-mal mehr als ein durchschnittlicher Lufthansa Beschäftigter. Bei einem Verzicht von 20% würden Spohr immer noch deutlich über 3 Mio. bleiben. Zum Vergleich. Als im Rahmen der Krise 2008/2009 die Commerzbank teilverstaatlicht wurde, gab es eine Regelung, wonach Vorstände von Unternehmen, die mit Staatshilfe gerettet werden, höchstens 500.000 Euro Jahresgehalt bekommen durften! Aber auch ein solches Gehalt ist jenseitig. Vertretbar wäre für Spohr vielleicht noch ein Gehalt, wie es Piloten bei der Lufthansa beziehen: Das Durchschnittseinkommen der Lufthansa-Piloten liegt bei rund 181.000 Euro im Jahr.
Kein Freifahrtschein für „Weiter so“
Es wäre ein dummer Fehler, mit Staatsgeldern wohlhabenden Lufthansa –Investor*innen wie dem Milliardär Heinz Hermann Thiele für die Zukunft eine fette Rendite und dem Management weiter fette Gehälter zu bescheren und deren aggressiven Sparkurs gegen die Belegschaften der Lufthansa zu unterstützen. Jetzt, wo die Lufthansa staatliche Unterstützung will, müssen klare Forderungen gestellt werde: Es geht darum, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, insbesondere des Bodenpersonals zu verbessern. Insbesondere bei den Lufthansa-Töchtern sind die Arbeitsbedingungen mies. Gewerkschafter*innen bei der Lufthansa klagen seit Jahren schon darüber, dass der Konzern mehr und mehr Konzernteile in Tochtergesellschaften verlagert bzw. die Gepäckabfertigung oder Boarding von Werkvertragsfirmen zu schlechten Löhnen und bei mieseren Arbeitsbedingungen erledigen lässt. Diese Firmen würden “zu wenig Personal beschäftigen und zu schlecht bezahlen”, kritisierte die Gewerkschaft Ver.di. Es gebe einen Wettbewerb um die niedrigsten Lohnkosten und den knappsten Personaleinsatz.
Airlines als Klimakiller
Bei der Art wie die „Rettungsaktion“ für die Lufthansa betrieben wird, sind die Gehälter der Lufthansa Vorstände noch das geringere Problem. Viel schwerer wiegt, dass ihnen mit dieser Massnahme ein Freifahrtschein ausgestellt wird dafür, dass sie weitermachen können wie bisher. Es ist an der Zeit, das Geschäftsmodell der Airlines grundlegend zu verändern.
Eine Studie des „International Council on Clean Transportation“ (ICCT) hat untersucht, wie viel Kohlendioxid (CO2) die kommerzielle Luftfahrt 2018 emittiert. Die Studie kam zu dem Ergebnis: Die Emissionen beim Flugverkehr sind “schlimmer als erwartet” und übertreffen die bisherigen Annahmen bei weitem. 918 Millionen Tonnen CO2 haben kommerzielle Flugzeuge 2018 ausgestossen. Das entspricht 2,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das meiste stammte von Passagiermaschinen. Unter den schlimmsten Emittenten ist auch die EU – und Deutschland. Die Studie geht davon aus, dass die Emissionen aus dem weltweiten Flugverkehr mehr als 1,5-mal so schnell ansteigen können und sich und sich bis 2050 verdreifachen werden.
Anstatt die Fluggesellschaften wie Lufthansa durch Milliardenspritzen einfach zu retten und ihnen zu erlauben, ihr ökologisch verheerendes Geschäftsmodell fortzuführen, ist es aus klimapolitischen Gründen geboten, jetzt die Wende in Richtung einer (zumindest etwas) klimaverträglicheren Mobilität einzuleiten. Fluggesellschaften müssen entprivatisiert und in öffentliches Eigentum übernommen werden, damit sie, damit sie demokratisch und (zumindest einigermassen) ökologisch verträglich betrieben werden von Beschäftigten, deren Arbeitsbedingungen und Löhne anständig sind.
Umbauen und schrumpfen
(Re)verstaatlichte Fluggesellschaften wie die Lufthansa sollten als Teil eines umfassenderen [europäischen] Verkehrssystems konzipiert werden, mit dem Ziel, unnötige Flugreisen, insbesondere auf Kurzstrecken, zu reduzieren, um so Emissionsminderungen zu erreichen. Eine dementsprechend ausgerichtete Umstrukturierung der Lufthansa würde deren Tätigkeitsfeld deutlich einschränken. Inländischer Flugverkehr sollte in Zukunft eingestellt werden. Er sollte, wie auch ein grosser Teil des innereuropäischen Flugverkehrs auf die Schiene verlagert werden. Inländische und innereuropäische Flüge sollten nur für Notfälle vorbehalten sein.
Selbstverständlich macht eine Verlagerung des Verkehrs vom Flugzeug auf die Schiene einen erheblichen Ausbau des Schienenverkehrs erforderlich – des Fernverkehrs, des Nahverkehrs und des Güterverkehrs. Es braucht eine bessere Taktung, besseren Service, mehr und besser gewartete Züge, eine Signaltechnik, die funktioniert, intakte Gleisanlagen und eine deutliche Senkung der Ticketpreise. Es ist dringend geboten, die fast 6.500 Kilometer Bahnstrecken, die nach der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn seit 1994 stillgelegt wurden, wieder zu reaktivieren.
Zugverkehr auf “Schweizer Niveau”
Die Bahnnetze in den neoliberal heruntergewirtschafteten Ländern wie Deutschland, Grossbritannien und Spanien müssen zumindest auf Schweizer Niveau angehoben werden. In der Schweiz wurden 2018 pro Kopf rund 365 Euro in die Schieneninfrastruktur investiert, in Deutschland waren es im selben Jahr 77 Euro. Um beim Zugverkehr „Schweizer Niveau“ zu erreichen, sind erhebliche Investitionen in die Verbesserung der Schienenfahrzeuge und der Infrastruktur von Nöten. Anstatt die Manager der Lufthansa mit Milliarden zu beglücken, mit denen sie machen können, was sie wollen, ist es jetzt höchste Eisenbahn, endlich jene grossen Konjunkturprogramme für den Ausbau der Infrastruktur auf den Weg zu bringen, die auch viele bürgerliche Expert*innen für erforderlich halten. Die riesigen Summen, die die Bundesregierung jetzt im Rahmen der Corona-Nothilfe zur Förderung der Industrie bereitgestellt hat, zeigen, dass in dieser Gesellschaft durchaus die für eine sozial-ökologische Wende erforderlichen Finanzmittel vorhanden sind. Selbstverständlich geht das nicht ohne eine massive Umverteilung von Oben nach Unten, wie durch die Einführung einer 5% Vermögenssteuer für Vermögen oberhalb von 1 Mio. Euro, einer deutlichen Erhöhung der Einkommenssteuer für Spitzenverdiener*innen, der Anhebung der Körperschaftssteuer, die Schliessung von Steuerlöchern usw.
Konversion: Vom Flieger zur Schiene…
Bei einer Verstaatlichung der Lufthansa muss es vorrangiges Ziel sein, darauf zu achten, dass die Beschäftigten nicht die Leidtragenden sind. Insofern sollten ein wichtiger Punkt bei der Überführung der Lufthansa unter öffentliche Kontrolle die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, deutlich kürzere Arbeitszeiten, bessere Regelung der Ruhezeiten und die Rücknahme der in den letzten Jahren vom Management erzwungen Ausgliederungen und Werkverträge sein.
Nur bei einer staatlichen Übernahme besteht die Aussicht, dass Massenentlassungen verhindert werden können. Wie bereits dargestellt, würden im Gegenzug zur Streichung aller Inlandsflüge der Lufthansa bei der Bahn die Einstellung einer grossen Zahl zusätzlicher Arbeitskräfte erforderlich: Stellen für Zugführer*innen, Servicepersonal oder auch bei der Wartung und Pflege der Bahninfrastruktur. Die Koordination des gesamten Verkehrssektors sollte eine öffentliche Verkehrsbehörde, eine Art „Bundesnetzagentur Mobilität“ übernehmen, deren Säulen unter anderem Abteilungen für schienengestützten Nah-, Fern- und Güterverkehr wären. Diese Agentur wäre wohl am ehesten in der Lage, dass der Umstrukturierungsprozess vom Flugzeug auf die Schiene gut koordiniert von statten gehen kann und keine Kolleg*innen durchs Raster fallen.
…technisch und finanziell möglich
Rein technisch oder finanziell wäre eine sozial-ökologische Konversion der Gesellschaft ohne weiteres möglich. Woran es fehlt, ist der Wille und die Bereitschaft der Leute an den Schaltstellen in Politik und Wirtschaft. Es müsste von den direkt Betroffenen und vor allem von den sozialen Bewegungen starker Druck entwickelt werden, wenn sich da etwas bewegen soll.