Für den 15. Mai war der Strike for Future angesagt. Aufgrund der einschränkenden Massnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie wird er zu diesem Zeitpunkt nicht in der klassischen Form einer Grossmobilisierung stattfinden können. Der Aktionstag wird vielmehr online durchgeführt. Für die Auseinandersetzung mit den Inhalten des St4F sowie der Bedeutung des neu entstandenen Bündnisses mit den Gewerkschaften und bis anhin weniger in die Bewegung eingebundenen Teilen der Gesellschaft spielt das eine untergeordnete Rolle. Es bleibt dabei: In diesem Bündnis liegt ein grosses Potenzial. Es könnte uns dabei helfen, dem Schlagwort «Klimagerechtigkeit» einen Inhalt und eine Praxis zu geben, welche soziale Fragen nicht von ökologischen Forderungen trennen. Dabei kann das Konzept der Klimagerechtigkeit Orientierung bieten, für welche Zukunft wir streiken. Dieser Artikel ist auch in der neusten Ausgabe der Antikap erschienen.
von Ben Huber (BFS Basel)
In zahlreichen regionalen Bündnissen werden über Ideen, Konzepte, Aktionen und Forderungen für den Strike for Future (St4F) diskutiert. Dabei kommt häufig der Begriff der Klimagerechtigkeit vor. Es zeigt sich aber immer wieder, dass die Vorstellungen über das Konzept der Klimagerechtigkeit sehr unterschiedlich sind. Wird der Begriff ohne Konkretisierung als Forderung aufgeführt, wie auf der Seite des Klimastreiks, ohne zu beschreiben, was damit gemeint ist, bleibt die Forderung zahn- und perspektivlos.
Was sich in den Diskussionen in den Bündnissen des Öfteren zeigt, ist, dass Klimagerechtigkeit oft als rein moralische Kategorie verstanden wird. Es ist ungerecht, dass Menschen im globalen Norden so viel konsumieren und Energie verbrauchen können auf Kosten der Menschen im globalen Süden. Gerechtigkeit ist dann ein Appell an das Individuum, sich dessen bewusst zu werden und das eigene Verhalten zu ändern. Klimagerechtigkeit könnte allerdings mehr sein als eine Floskel moralischer Kritik. Klimagerechtigkeit sollte für uns Teil einer Systemkritik sein, die es schafft, die globale Ungleichheit im Bereich der Klimakrise in den Blick zu nehmen, diese dabei aber auf soziale Ungleichheit und Ausbeutung im Allgemeinen zu beziehen. Damit wird sie zu einem Mittel, das Verhältnis zwischen der eigenen Betroffenheit und der globalen Ungerechtigkeit zu beleuchten. Wie kann das aussehen?
Klimagerechtigkeit als Gesellschaftskritik
Klimagerechtigkeit ist für uns ein Ideal einer Gesellschaft, die nachhaltig und gerecht produziert, das heisst ohne Ausbeutung von Mensch und Natur. In diesem einfachen Verständnis steckt eine radikale Kritik der bestehenden Gesellschaftsordnung. Denn wie wir an verschiedenen Stellen bereits argumentiert haben, kann es das im Kapitalismus nicht geben.1 Dabei müssen wir betonen, dass es dabei um eine systemische Kritik geht, nicht um einen moralischen Appell, sich anders zu verhalten. Klimagerechtigkeit sollte als Scharnier verstanden werden, welche globale Ungerechtigkeit mit jener auf einer lokalen Ebene verbindet. Dafür muss man sich jedoch ein Verständnis der herrschenden Wirtschaftsweise erarbeiten, welches schlechte Löhne im globalen Norden nicht von Raubbau an der Natur und krasser Ausbeutung von Menschen im globalen Süden separiert, um beides gesondert zu verstehen. Wir brauchen ein Verständnis des Wirtschaftens, welches beides zugleich erklären kann – ohne unterschiedliche Betroffenheiten zu leugnen. Klimagerechtigkeit als Konzept könnte genau das bieten, wenn es zugleich eine historische wie eine systemische Dimension hat. Die historische Dimension trägt dem Umstand Rechnung, dass es die Ökonomien des globalen Nordens sind, welche die Länder des globalen Südens in Abhängigkeit hielten und teilweise noch immer halten – eine der Voraussetzungen für die raschere Entwicklung der Wirtschaftssysteme der Länder des globalen Nordens. Dazu gehört allerdings auch, dass diese Länder seit der Industrialisierung das meiste CO2 ausgestossen haben und damit eine historische Last und Hauptschuld an der gegenwärtigen Krise haben.
Die systemische Dimension der Klimagerechtigkeit zielt auf die gesellschaftliche Produktion selbst. Gerechtigkeit kann es nicht geben in Ungleichheit. Solange die grosse Mehrheit der Menschen von den Entscheidungen darüber, was, wie und wie viel produziert wird, ausgeschlossen ist, kann es keine ökologische Politik geben. Klimagerechtigkeit ist für uns das Konzept, welches zwischen dem Ausschluss von Produktionsentscheiden, sowohl auf lokaler wie auf internationaler Ebene, vermittelt. Es geht entscheidend um die Macht der Konzerne. Die Macht der wirtschaftlichen Eliten liegt im Unterbinden der gesellschaftlichen Mitbestimmung. In der Ausweitung demokratischer Kontrolle auf allen Ebenen dagegen ihre Überwindung.
Gewerkschaften als Verbündete
Dieses Verständnis von Klimagerechtigkeit stellt die gegenwärtige Gesellschaft in ihren Grundfesten in Frage. Denn die Grundbedingung von Klimagerechtigkeit liegt demnach in der Ausweitung gesellschaftlicher Bestimmung – in der Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Weshalb ist das relevant für den Strike for Future? Weil die Frage nach unserem gesellschaftlichen Ideal, nach unserem Verständnis von Klimagerechtigkeit die Wahl unserer Verbündeten in diesem Kampf beeinflusst. Dass der Klimastreik als selbstorganisierte Bewegung von unten, das heisst auf der Strasse entstanden ist, ist entscheidend für sein gesellschaftliches Potenzial. Was den St4F abhebt von anderen Klimamobilisierungen, ist die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Die Allianz, die sich daraus ergeben könnte, ist nicht zu unterschätzen. Denn wenn wir es ernst meinen mit dem Kampf für Klimagerechtigkeit, braucht es die massenhafte Mobilisierung von Lohnabhängigen. Sie sind ein relevanter Faktor, um das gesellschaftliche Kräfteverhältnis entscheidend zu verschieben. Sie können verhindern, dass Klimapolitik von oben die Krise auf die Schultern der lohnabhängigen Bevölkerung ablädt, beispielsweise durch höhere Abgaben auf Konsumgüter. Insbesondere den Gewerkschaften wird dabei zukünftig eine wichtige Rolle zukommen. Beispielsweise sind die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen essenziell in Konversionsbestrebungen – das heisst der Überführung ökologisch untragbarer Industrien in gesellschaftlich notwendige und nachhaltige. Doch das theoretische Potenzial der Gewerkschaften sollte nicht zu praktischen Illusionen führen. Der interne Zustand und das allgemeine Funktionieren der heutigen Gewerkschaften bedarf einer ausführlichen Kritik, die hier nicht geleistet werden kann. In Bezug auf ökologische Fragen braucht es auch gegenüber den Gewerkschaften politische Kampagnen. Betrachtet man beispielsweise das Thesenpapier der UNIA, zeigt sich, dass sie eine durchaus sonderbare Sicht auf den notwendigen öko-sozialen Umbau pflegt.2 Auch eine Gewerkschaft ist nicht davor gefeit, kurzfristige (politische) Profite vor ökologische Erwägungen zu stellen. Das entspricht auch dem Interesse der Unternehmen, Gewerkschaften durch Kompromisse einzubinden und ist damit nichts Neues. Das Bewusstsein dafür, dass auch der ökologische Kampf zwischen oben und unten verläuft, muss auch hier aktiv hergestellt werden. Der Kampf für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt kann im Sinne der Klimagerechtigkeit weder vom Kampf für gerechte Arbeitsbedingungen noch von feministischen Kämpfen und antirassistischen Bewegungen getrennt werden. Alle diese Kämpfe müssen letzten Endes gegen den Willen der Unternehmen in der aktuell vorherrschenden, profitorientierten Organisationsform durchgesetzt werden. Dieses Bewusstsein bildet die Basis für den Kampf um demokratische Bestimmung über die Produktion – was sich auch als Hauptanliegen in der Klimabewegung wiederfindet.
Von der Klimagerechtigkeit zum System-Change
Das hier vertretene Verständnis von Klimagerechtigkeit mag radikaler sein als es von gewissen Strömungen im Klimastreik vertreten wird. Doch darunter kann es nichts geben. Ökologische Fragen sind soziale, das heisst gesellschaftliche Fragen. Ökologische Forderungen, die dies nicht berücksichtigen, können keine nachhaltige Veränderung bringen. Im Zentrum der ökologischen Katastrophe steht der Stoffwechsel der kapitalistischen Produktionsweise mit seiner Umwelt. Und dazu gehören sowohl der Mensch wie die natürlichen Ressourcen. Ausbeutung des einen wie Raubbau der anderen sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ist dieses Verhältnis, welches geändert werden muss. Damit wird Klimagerechtigkeit zum konkreten Inhalt eines System-Changes.