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Climate Action Plan: Ein guter Start – jetzt müssen wir weiter gehen!

Im November 2020 veröffentlichte der Klimastreik Schweiz einen Klimaaktionsplan, der auch Climate Action Plan (CAP) genannt wird. Dieser schlüsselt differenziert dringend notwendige Massnahmen auf, um das Ziel netto Null bis 2030 zu erreichen. Die Forderung der Klimabewegung nach netto Null wurde von Teilen der Wirtschaft und Politik durch Massnahmen wie Auslandskompensationen oder Ausgleichszertifikaten für Emissionen aufgenommen, ohne dabei etwas am eigentlichen Problem, dem wachstumsbasierten kapitalistischen Wirtschaftsmodell, zu ändern. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, um welche Massnahmen der CAP erweitert werden müsste, um über die Forderung nach netto Null hinaus einen klimagerechten Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft einzuleiten.

von Lisi Kalera (BFS Basel)

Der Klima-Aktionsplan enthält eine Reihe von interessanten Vorschlägen, die «realisierbare und gesellschaftlich gerechte» Massnahmen enthalten, mit denen das Ziel von netto Null bis 2030 verfolgt wird. Dabei fokussieren viele Massnahmen auf die Reduktion der Treibhausgasemissionen. Dies ist ein zentraler Schritt, um die zunehmende Erderwärmung zu drosseln, reicht jedoch nicht aus, um einen klimagerechten Umbau der Gesellschaft und Wirtschaft zu erreichen, was ebenfalls ein Ziel des Klimastreiks ist. Nachfolgend möchten wir gern anhand einiger Teilbereiche des Massnahmenkatalogs aufzeigen, wie diese ergänzt werden könnten, um dem Ziel eines sozial und ökologisch verträglichen Umbaus der Gesellschaft im Sinne der Klimagerechtigkeit auf lokaler und internationaler Ebene näherzukommen. Mit dieser konstruktiven Kritik möchten wir einen Beitrag zur Weiterentwicklung des CAP leisten.

Grenzen des netto Null Zieles

Für die Klimaneutralität sind verschiedene Begriffe wie Treibhausgasneutralität oder netto Null Emissionen im Umlauf. Netto Null bedeutet, dass CO2-Emissionen durch Reduktion an anderer Stelle eingespart werden können. Die «Einsparung an anderer Stelle» ebnet Ausgleichsverrechnungen den Weg. Das führt dazu, dass Unternehmen und staatliche Institutionen, die klimaneutral werden wollen, nicht selbst vor Ort Emissionen senken müssen, sondern sich durch eine vermeintliche Reduktion in anderen Ländern – meist im Globalen Süden – «neutralisieren». So setzen schon jetzt Unternehmen wie Daimler oder Audi zur Erreichung der Klimaneutralität grösstenteils auf eine Verrechnung der CO2-Emissionen mit Ausgleichszertifikaten oder Ökostrom. In der Bilanz führt dies zu «netto Null»-Emissionen, während vor Ort immer noch genauso viel CO2 ausgestossen wird.

Kompensationszahlungen als Teil des Greenwashing

Um möglichst kostengünstig und ohne viel Aufwand für wirtschaftliche Betriebe Emissionen zu reduzieren, versuchen Staaten ihr Emissionsbudget mittels Kompensationen in anderen Ländern aufzubessern. Die Schweiz hat Ende 2020 mit Peru das weltweit erste Kompensationsabkommen unterzeichnet; Verhandlungen mit Bolivien laufen bereits. Die CO2-Einsparung durch sogenannte Kompensationsprojekte in anderen Ländern ist jedoch deutlich geringer als berechnet und suggeriert wird. Das Instrument der Kompensation basiert darauf, dass sich westliche Länder um den Ausgleich von Emissionen im Globalen Süden bemühen und nicht um eine Reduzierung im eigenen Land. Die Kritik an den Kompensationsmechanismen ist vielfältig: Aufforstungsprojekte können geopolitische Konflikte um Landnutzungsrechte verursachen und traditionelle Landrechte indigener Völker in Gefahr bringen. Eine Studie des Öko-Instituts in Deutschland zeigte, dass viele Projekte auch ohne Kompensationsinvestitionen umgesetzt worden wären. Die Kompensationsmassnahmen erfüllen also selten das Kriterium der Zusätzlichkeit.1 Manche Projekte wurden bereits vor Jahren umgesetzt und im Nachhinein angerechnet, oder Emissionen wurden im Vorfeld künstlich nach oben getrieben. Kompensationsprojekte führen also selten dazu, dass Emissionen eingespart werden, aber häufig dazu, dass Menschen im Globalen Süden von Industrieländern weiter bevormundet werden.

Von Klimaneutralität zu Klimagerechtigkeit

Das Ziel der Klimaneutralität richtet den Fokus auf die Quantifizierung von Treibhausgasen. Alles wird gemessen und bewertet – und nur die Massnahmen mit direkt messbaren CO2-Einsparungen werden umgesetzt. Der alleinige Fokus auf den Gehalt des CO2-Ausstosses in der Atmosphäre blendet andere Umweltauswirkungen aus wie den Verlust der biologischen Vielfalt, die Erosion und die Belastung fruchtbarer Böden. Klimaneutrale Massnahmen bauen darauf, dass Treibhausgase Priorität haben vor Biodiversität, sauberer Luft und Wasser, Lärmschutz und Gesundheit. Andere Indikatoren wie Geschlechtergerechtigkeit und Ressourcenschonung werden zu «co-benefits» heruntergestuft.

Die Ziele der Klimaneutralität suggerieren, dass wir unsere imperiale Lebensweise und unser Konsumniveau aufrechterhalten können – sofern wir es klimaneutral hinbekämen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung muss reflektieren, welche Ziele sie erreichen möchte. Wenn die Begriffe «klimaneutral» und «netto Null-Emissionen» von der Politik und der Wirtschaft so eingesetzt werden, dass die Ziele aufgeweicht und harte Reduktionsmassnahmen umgangen werden können, müssen diese Begriffe explizit vermieden oder Kriterien aufgestellt werden, die einen Missbrauch verhindern. Ein gutes Beispiel dafür ist der Antrag der örtlichen Fridays-for-Future-Gruppe an den Konstanzer Gemeinderat, der den Ausschluss von Kompensationsprojekten im Globalen Süden und enge territoriale Systemgrenzen vorsieht.2

Emissionsreduktion ist wichtig –reicht aber nicht aus!

Im Kapitel 4 des CAP unter dem Titel «Industrie- und Dienstleistungssektor» werden zahlreiche Massnahmen vorgestellt, die darauf abzielen, die entstehenden Emissionen bei der Produktion von Gütern zu senken. Allerdings reicht es nicht aus, die Emissionen pro produzierte Ware und Produktionsschritt zu senken, wenn weiterhin Waren produziert werden, um mehr Geld und Gewinn zu erzeugen, anstatt die Produktion den Bedürfnissen der Menschen anzupassen. Mit anderen Worten: Mit dem Fokus auf CO2-Reduktion wird ein entscheidendes Merkmal des Kapitalismus ausser Acht gelassen: der Produktivismus.3

Um tatsächlich das Ziel von 1,5 – 2 Grad Erderwärmung anzustreben reicht es nicht aus, Emissionen im kapitalistischen Wirtschaftsmodell zu reduzieren. Wir müssen mit dem nach Wachstum und Gewinnmaximierung ausgerichteten Kapitalismus brechen und alternative, bedürfnisorientierte und basisdemokratisch organisierte Wirtschaftsmodelle erproben. Erste Ansätze in diese Richtung werden im CAP-Kapitel 9 «Wirtschaftliche und politische Strukturen» skizziert. Die genannten Massnahmen für eine basisdemokratische Organisierung von Wirtschaft (Unternehmen) und Politik, für den Ausbau der Care-Arbeit, für die radikale Reduzierung der Arbeitszeit auf 24 Stunden pro Woche, für die Umverteilung von Reichtum über die Besteuerung von Vermögenden und für die Abschaffung der Pauschalsteuer sowie die Neudefinierung der Eigentumsverhältnisse stellen progressive und kapitalismuskritische Forderungen dar. Auch wird im Kapitel 9 des CAP das grüne Wachstum in Frage gestellt und stattdessen eine Postwachstumswirtschaft skizziert. Nun müssten diese in Kapitel 9 beschriebenen Massnahmen nicht punktuell in einem Kapitel Eingang finden, sondern in allen Bereichen des Climate Action Plans als massgebende Prinzipien eingeführt und die Massnahmen danach ausgerichtet werden.

Die Messlatte für Massnahmen darf nicht bei der CO2-Reduzierung, also netto Null bis 2030, liegen, sondern muss im gesamten CAP nach Prinzipien der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit ausgerichtet sein. Nur so kann tatsächlich eine klimagerechte Transformation eingeleitet werden.

Was ist Frontex?

Frontex ist die Grenzschutzagentur der Europäischen Union. Sie wurde 2005 gegründet. Seither ist ihr Budget von 6 Millionen Euro um 7000% gestiegen und soll für den Zeitraum von 2021-2027 ganze 11 Milliarden Euro betragen. Personell soll die Einsatztruppe von Frontex bis 2027 auf ein eigenes stehendes Heer mit 10’000 Grenzschutzbeamt:innen aufgestockt werden.

Die Haupt-Aktivitäten der Frontex sind:

  • Rückführungen von «irregulären Migrant:innen» (dabei: direkte und indirekte Verwicklung in illegale Pushbacks)
  • Planung und Durchführung von Ausschaffungen in der gesamten EU
  • Aufrüstung lokaler Grenzschutzbehörden und Ausstattung mit wichtigem Know-how (speziell im Bereich der Überwachung über die Angleichung an europäische Standards und Systeme)
  • Verfassen von sogenannten «Risikoanalysen» samt Handlungsempfehlungen (wie bspw. Grenzkontrollen verstärken, Einsätze von Frontex ausweiten oder Ressourcen der Agentur aufstocken)

Zur Ausführung dieser Aktivitäten ist die Frontex nicht nur direkt an den EU-Aussengrenzen sowie innerhalb der europäischen Länder im Einsatz, sondern über die konstant erhöhte Auslagerung des EU-Migrationsregimes auch in immer mehr Drittstaaten. Sie arbeitet aktiv mit über 20 Ländern ausserhalb der EU zusammen. Dabei kooperiert die Frontex beispielsweise mit der libyschen Küstenwache, welche migrantische Boote abfängt und gewaltsam zurück nach Libyen schleppt, wo Migrant:innen unter massiv gewaltvollen Bedingungen festgehalten werden. Sie unterstützt aktiv die Ausweitung der Luftüberwachung im Mittelmeer, während gleichzeitig die offiziellen Rettungsmissionen immer weiter reduziert werden. Die Aktivitäten der Frontex fördern das rassistische Narrativ von Migration als Bedrohung, wobei besonders die Risikoanalysen als Eigenlegitimation zur immer weiteren Aufstockung der Frontex benutzt werden. Die Abschottungspolitik der EU kostete seit 1993 über 44’000 Tote, die Dunkelziffer eingerechnet sind es viele mehr.

Verbindungen der Frontex zur Schweiz

Die Schweiz unterstützt die Frontex als Schengen-Mitglied seit 2009 finanziell und personell. Nun hat der Nationalrat einem jährlichen Budget von 61 Millionen Franken bis 2027 zugestimmt. Dies macht im Gesamtbudget der Frontex ca. 5% aus, womit die Schweiz beträchtlich zum gewaltvollen Abschottungsregime der EU beiträgt. Die Schweiz kann dabei als Schengen-Staat ausschliesslich mitreden, hat jedoch kein Stimmrecht bei der Planung neuer Kompetenzen und Gesetze.

Die Schweiz profitiert dabei stark von der gewaltvollen europäischen Migrationsabwehr, denn sie ist als Heimathafen für Rohstofffirmen, internationaler Bankenplatz und Waffenfabrik eine wichtige Profiteurin im kapitalistischen Weltsystem. Und sie ist damit Mitverursacherin vieler Fluchtursachen.

Negative Emissions-Technologien – ein weiterer grüner Anstrich des Kapitalismus?

In Debatten um angemessene Reaktionen auf die Klimaerhitzung und zur Erreichung der Klimaneutralität wird oft das Argument vorgebracht, dass verschiedene technische Lösungen existierten oder in Entwicklung seien, die es uns ermöglichen würden, die weltweiten CO2-Emissionen zu stoppen und bereits emittiertes CO2 wieder zu absorbieren. Auch im CAP ist die Rede von den verheissungsvollen und «sicheren» negativen Emissionstechnologien (NET). Das Kapitel 7 handelt ausschliesslich davon. Kritiker:innen monieren jedoch, dass viele dieser «Lösungen» nicht ausreichend entwickelt sind und ihre tatsächliche Wirkung somit ungewiss bleibt. Ferner bringen sie eine Vielzahl neuer Probleme mit sich, was im Folgenden an dem Beispiel «Bioenergy with Carbon Capture and Storage» (BECCS, deutsch: Bioenergie mit CO2-Abscheidung und Speicherung) erläutert wird.

BECCS bezeichnet ein Verfahren, in dem Biomasse (also Bäume, Sträucher usw.) angebaut und anschliessend durch Verbrennung als Energiequelle genutzt wird. Das CO2, welches die Biomasse während ihres Wachstums absorbiert hat, wird im Verbrennungsprozess abgefangen und im Erdboden gespeichert, wodurch sich die CO2-Bilanz der Atmosphäre verringern soll. Um eine tatsächliche Wirkung auf das weltweite Klima zu haben, müssten laut wissenschaftlichen Schätzungen allerdings Flächen der Grösse von Südkorea bis hin zur doppelten Grösse Indiens für BECCS verwendet werden. Das würde zum einen massiven Verlust an Land, welches zur Nahrungsmittelproduktion verwendet werden könnte, bedeuten, zum zweiten einen stark gesteigerten Wasserverbrauch und drittens einen grossen Biodiversitätsverlust mit sich bringen. Der Beweis, dass BECCS tatsächlich funktioniert, steht zudem aus.4

Eine andere, vor allem von Staaten und der Zementindustrie propagierte Ausgleichsverrechnung ist die CO2-Abscheidung. Diese Technik, auch Carbon Capture and Storage (CCS) genannt, scheidet das CO2 aus Produktionsanlagen ab und speichert es im Boden. Neben dem erhöhten Energieaufwand für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung entstehen jedoch zudem Risiken für das Grundwasser und den Boden, vor allem durch Entweichung von CO2.

NET sind nach wie vor mit erheblichen Unsicherheiten und Risiken sowohl für Mensch als auch die Umwelt verbunden. Eventuell können sie irgendwann tatsächlich unterstützend zur Reduktion der CO2 zum Einsatz kommen, weshalb eine Weiterentwicklung dieser ratsam ist. Jedoch dürfen nicht bereits jetzt Rechnungen zur CO2-Reduktion mit NET beschönigt werden. Denn das birgt ein gefährliches Risiko: Negative Emissionstechnologien wecken die Illusion einer schmerzfreien Lösung der Klimakrise in der Zukunft und verlocken damit zu Passivität in der Gegenwart. Sie dienen CO2-intensiven Industriesektoren als Ausrede, ungehindert weiterhin aktiv zu sein: In Zukunft würde das ausgestossene CO2 irgendwie neutralisiert werden können. Anstatt das Problem an der Wurzel anzupacken, versuchen Wirtschaft und Politik mithilfe technischer Lösungen dem Kapitalismus einen grünen Anstrich zu verpassen, um alles beim Alten zu belassen.

Für eine Demokratisierung des Finanzplatzes

Die Massnahmen zu Divestment (Ausstieg aus den Investitionen) von emissionsintensiven Teilen der Wirtschaft und Investment in klimafreundliche Sektoren, wie sie im CAP-Kapitel 8 zum Finanzsektor beschrieben werden, sind notwendig. Absolut unterstützenswert ist das Verbot von Finanzflüssen in fossile Energien (Massnahme 8.1), jedoch sollte dies um das Verbot auf sämtliche klimaschädliche und/oder menschenrechtsverletzende Tätigkeiten ausgeweitet werden. Auch die Massnahmen, welche auf mehr Transparenz der Finanzflüsse und vor allem der Klimarelevanz setzen, sind grundsätzlich zu befürworten. Sie werden jedoch nur zu einer klimagerechten Zukunft beitragen, wenn sie mit einer Änderung der Machtverhältnisse, also mit einer Demokratisierung des Finanzplatzes, einhergehen. Anstatt auf das Engagement der CEOs und Aktionär:innen führender Finanzplatzinstitutionen zu setzen, plädieren wir dafür, dass die von den Investitionen betroffenen Personen basisdemokratisch über Finanzierungsprojekte bestimmen können.

Die Transparenz über das Investitionsverhalten der Finanzplatzakteure ist ein wichtiger Punkt. Jedoch wird im Kapitel 8 des CAP argumentiert, dass mittels der Transparenz die Kund:innen bewusste Entscheidungen in Bezug auf Finanzprodukte treffen könnten. Über das Konsumverhalten lassen sich die Probleme jedoch nicht lösen, weil wir erstens oft zwischen Pech und Schwefel wählen müssen, zweitens begrenzte finanzielle Mittel haben und drittens die Produktionsbedingungen, Prozesse und Arbeitsbedingungen nicht kontrollieren können. Wir sind also nicht wirklich frei in unserem Konsum. Allein wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Vermögen und damit das Investitionskapital derart ungleich verteilt sind, wird schnell deutlich, dass breite Teile der Bevölkerung nicht mit ihren (individuellen) Entscheidungen das Investitionsverhalten des Schweizer Finanzplatzes beeinflussen können. Laut dem Bericht über soziale Ungleichheit von Oxfam (Ungleichheitsbericht 2020) besitzen die reichsten 2’000 Menschen der Welt (allesamt Milliardär:innen) genauso viel Vermögen, wie 60% der Prozent der Weltbevölkerung.5 Auch in der Schweiz sind die Vermögen sehr ungleich verteilt: Das reichste Prozent besitzt mehr als 40 Prozent des Gesamtvermögens.6&7 Diese Zahlen verdeutlichen die gegenwärtigen Machtverhältnisse. Wenige besitzen viel Geld und damit Macht – sie sind es, die von den gegebenen, herrschenden Verhältnissen profitieren und damit kein Interesse an einer sozialen Alternative haben. Im Gegenteil boykottieren sie aktiv Veränderungen, die ihre Macht-, Vermögens- und Besitzverhältnisse gefährden. Genau diese Machtverhältnisse müssen wir jedoch in Frage stellen, wollen wir die Massnahmen im CAP umsetzen. Mit einem Appell an den (individuellen) Konsum werden diese Machtverhältnisse jedoch nicht in Frage gestellt, sondern viel schlimmer noch verschleiert und damit unsichtbar gemacht.

Die vorgeschlagenen Massnahmen sind zu begrüssen, können aber keinen klimagerechten Finanzplatz schaffen, wenn sie allein als Aufruf zu Transparenz und Eigenverantwortlichkeit begriffen werden. Stattdessen braucht es eine Demokratisierung des Finanzplatzes, eine Ausweitung der Definition von klimaschädlich (nicht nur fossile Energien, sondern auch z.B. Palmölplantagen für Biosprit) und Forderungen nach Verantwortungsübernahme für verursachte Schäden. Dies kann durch die Vergesellschaftung der grossen Finanzkonzerne wie Credit Suisse und UBS erreicht werden, die aufgrund ihrer Investitionsstrategien für massive CO2-Emissionen verantwortlich sind.

Ist Klimagerechtigkeit innerhalb des Kapitalismus möglich?

Im Kapitel 10 «Internationale Zusammenarbeit und Klimafinanzierung» werden diverse notwendige Massnahmen aufgelistet. Zu nennen sind etwa Kompensationszahlungen an Menschen des Globalen Südens in der Höhe von 1 Milliarde Franken entsprechend des Pariser Klimaschutzabkommens sowie die Forderung, dass die aufgrund des Konsums angefallenen CO2-Emissionen nicht weiter den Produktionsländern angelastet werden, sondern in den Schweizer Fussabdruck eingerechnet werden. Weiter ist die Forderung wichtig, dass Menschenrechten und Klimaschutz Vorrang vor internationalen Verträgen einzuräumen sind.

Das Ziel von netto Null CO2 -Emissionen in der Schweiz bringt wenig, wenn diese Firmen in anderen Teilen der Welt weiterhin für enorme Emissionen verantwortlich sind. Wie der CAP fordern wir deshalb einen Produktionsstopp von Gütern, welche in anderen Ländern massive Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen anrichten. Eine weitere zentrale Forderung, die in einem CAP nicht fehlen darf, ist die solidarische Aufnahme von Menschen, die durch den Klimawandel zur Flucht getrieben werden (welche hauptsächlich «Industriestaaten zu verantworten haben).

Im Sinne einer umfangreichen Klimagerechtigkeitsperspektive reichen die im CAP-Kapitel 10 beschriebenen Massnahmen jedoch bei weitem nicht aus, um die Ausbeutung von Frauen, People of Colour und indigenen Menschen, die Brandrodung im Amazonas sowie Milliarden Tonnen von Plastikmüll in den Ozeanen zu stoppen – all das ändern wir nur, wenn wir die gesellschaftlichen Machtverhältnisse in Frage stellen, wenn wir die neokolonialen Handelsbeziehungen abschaffen und wenn wir ein solidarisches Wirtschaftssystem aufbauen, in dem die Bedürfnisse der Menschen und der Umwelt im Mittelpunkt stehen.

Klimagerechtigkeit heisst auch Aufwertung von Care-Arbeit

Im Kapitel 10 «Klima-Anpassung» wird zwar die Rolle der Pflegearbeit im Kontext eines starken Gesundheitssystems hervorgehoben. Jedoch sollen neben der Pflege auch weitere wichtige Aspekte der Sorgearbeit gestärkt werden, wie die Betreuung von Kindern und betagten Menschen, die Fürsorgetätigkeiten sowie Hausarbeiten, die alle wesentlich zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen, jedoch sehr ungleich zwischen den Geschlechtern, Klassen und Ethnien verteilt sind.

Im Kapitel 4 zum Industrie- und Dienstleistungssektor bleibt die Rolle der Sorgearbeit sogar gänzlich unerwähnt und damit unsichtbar, obwohl die Sorge- und Betreuungsarbeit entscheidend für die Wirtschaftsleistung ist. Die Organisation Oxfam (Ungleichheitsbericht 2020) berechnet, dass im Jahr 2019 täglich etwa 12,5 Milliarden Stunden unbezahlte Versorgungsarbeit (Essen zubereiten, Betreuen von Kindern, Kranken, betagten Personen, Haushalt) insbesondere von Frauen und Mädchen geleistet wurden, was – in fiktivem Geld bemessen – 10,8 Billionen US-Dollar bzw. etwa ein Achtel der globalen Wirtschaftsleistung ausmachen würde.8 Der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit der Frauen in der Schweiz beträgt pro Jahr CHF 248 Milliarden – mehr als alle Ausgaben, die Bund, Kantone und Gemeinden tätigen.9 Rund 1 Milliarde Stunden arbeiten Frauen in der Schweiz jährlich unbezahlt allein für die Betreuung der Kinder – fast doppelt so viele Stunden wie alle Männer im Baugewerbe.10 Die Sorge- und Betreuungsarbeit sind Tätigkeiten, die keine nennenswerten CO2-Emissionen emittieren, für das Wohlbefinden und eine funktionierende Gesellschaft jedoch zentral sind. Sie werden allerdings in patriarchal organisierten Gesellschaften strukturell abgewertet, un(ter)bezahlt und ins Private abgeschoben und damit unsichtbar gemacht.

Ein sozial gerechtes Klimaprogramm muss daher die Forderung nach einem Ausbau des Service Public enthalten, damit diese Arbeiten kollektiv organisiert und gerecht zwischen allen Teilen der Gesellschaft aufgeteilt werden. Dies beinhaltet auch einen kostenlosen Zugang zu zentralen Infrastrukturen der Sorgearbeit: Gesundheit, Kinderversorgung, Bildung sowie Pflege von hilfsbedürftigen Menschen.

Perspektiven der politischen Intervention

Der Climate Action Plan des Klimastreiks stellt einen sehr wichtigen Massnahmenplan dar, der in seiner Ausprägung sehr viel ambitionierter ist als viele bisherige klimapolitische Initiativen. Mit der oben beschriebenen Kritik möchten wir dazu beitragen, dass sich der CAP verstärkt in Richtung einer sozial gerechten und ökologischen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt. Indessen muss festgestellt werden, dass zwischen der Dringlichkeit einer derartigen Alternative und den politischen Kräfteverhältnissen eine grosse Kluft liegt. Diese Kluft ist auch das Resultat einer zunehmenden Rechtsentwicklung, von grösser werdenden imperialistischen Spannungen, von Sozialabbau, Prekarisierung der Lohnabhängigen und einer Krise der radikalen Linken.

In der Schweiz ist diese Kluft besonders gross. Die Vorschläge der institutionellen Linken (Sozialdemokratie und Grüne) sowie einer Vielzahl von NGOs sind vollkommen ungenügend; vonseiten der Gewerkschaften ist in Sachen Umweltschutz nur wenig zu hören. Doch selbstverständlich gäbe es auch in der Schweiz viel zu tun. Bei der weltweiten Umweltzerstörung spielen Schweizer Unternehmen eine bedeutende Rolle. Die CO2-Bilanz des Schweizer Finanzsektors beträgt ungefähr 1 Milliarde Tonnen CO2-Äquivalente, das entspricht dem 22-fachen des inländischen Treibhausgasausstosses.11 Hinzu kommen Agrarkonzerne, Rohstoff- und Zementunternehmen sowie Reedereien, die aus der Ausbeutung von Mensch und Umwelt besonders grossen Profit schlagen.

Um erfolgreich zu sein, muss die Klimastreikbewegung Anknüpfungspunkte mit anderen Kämpfen suchen und soziale und ökologische Themen miteinander verbinden. Bewegungen, die einen raschen und gerechten Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger sowie der Atomkraft fordern, müssen unterstützt werden. Dabei stechen die Klimagerechtigkeitsbewegung, Divestment-Kampagnen, aber auch Blockade-Aktionen wie «Ende Gelände» in Deutschland und das Collective Climate Justice in Basel heraus.

Ein klimagerechtes Projekt muss entschieden internationalistisch sein, sich mit den weltweiten Kämpfen gegen die Umweltzerstörung solidarisieren, die Ausbeutung von Mensch und Umwelt durch Schweizer Konzerne bekämpfen und für eine internationale Klima- und Umweltschutzpolitik einstehen, welche die Interessen der besonders betroffenen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Hier bestehen wichtige Anknüpfungspunkte zu antirassistischen Bewegungen und zu Kämpfen gegen die gegenwärtige Migrationspolitik sowie zu feministischen Bewegungen weltweit.

Eine ökologische Transition erfordert die Stärkung des Service Public und die Demokratisierung des öffentlichen Lebens sowie der Produktionsmittel. Kämpfe gegen Sozialabbau und für ein starkes öffentliches Bildungs- und Gesundheitswesen sind auch aus ökologischer Sicht von grosser Bedeutung.


1 https://www.oeko.de/publikationen/p-details/how-additional-is-the-clean-development-mechanism, 27.03.2021

2 https://fridaysforfuture-konstanz.de/resolution-konstanz2030/, 27.03.2021

3 https://sozialismus.ch/oekologie/2019/oekologie-was-ist-oekosozialismus-was-der-soziale-kampf-mit-dem-kampf-gegen-den-klimawandel-zu-tun-hat/, 27.03.2021

4 https://www.fern.org//fileadmin/uploads/fern/Documents/Fern%20BECCS%20briefing_0.pdf, 27.03.2021

5 https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/soziale-ungleichheit, 27.03.2021

6 https://www.srf.ch/sendungen/dok/wer-hat-dem-wird-gegeben-auch-in-der-krise, 27.03.2021

7 https://www.verteilungsbericht.ch/vermoegen/, 27.03.2021

8 https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/soziale-ungleichheit, 27.03.2021

9 https://feministische-fakultaet.org/wp-content/uploads/2020/09/Makroskandal_248.pdf, 27.03.2021

10 https://feministische-fakultaet.org/wp-content/uploads/2020/09/Makroskandal_1.pdf, 27.03.2021

11 https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wirtschaft-konsum/mitteilungen.msg-id-59285.html, 27.03.2021

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