Die ökologische Bewegung stellt seit Jahren völlig richtig fest: Für ein nachhaltiges Leben auf der Erde muss der menschliche Stoffwechsel mit ebendieser fundamental verändert werden. Diese Position verdeutlicht, dass uns technologische Fortschritte eben nicht vor der Klimakatastrophe retten werden, sondern dafür die Organisation der Produktion neu gedacht werden muss. Diese Feststellung entbindet uns aber nicht davon, uns mit möglichen zukünftigen technischen Umwälzungen auseinanderzusetzen. Sonst übertölpelt uns der Kapitalismus ein weiteres Mal, indem er sich in letzter Sekunde vor den eigenen Widersprüchen rettet – zumindest für eine gewisse Zeit. Das Beispiel des selbstfahrenden Autos zeigt dies schön auf.
von Matthias Kern (BFS Zürich)
Technische Umwälzungen sind manchmal schwer im Voraus zu erkennen. Wir sind daran gewöhnt, uns Entwicklungen als grundsätzlichen Fortschritt zu denken. So auch, wenn wir die Zukunft der Automobilität skizzieren müssten. In den letzten Jahrzehnten wurden die produzierten Autos jedes Jahr ein kleines bisschen sparsamer pro bewegtem Kilogramm. Allerdings wurden sie auch kontinuierlich schwerer. Zudem gibt es immer mehr Autos. Und so ist trotz technischer Innovationen der gesamte Treibstoffverbrauch in der Schweiz zwischen 1990 und 2018 um 7.8% gestiegen.1
Als vermeintliche Lösung wird von weiten Teilen der Politik und auch der Wirtschaft die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf den Elektroantrieb propagiert. Dabei ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass auch elektrisch betriebene Fahrzeuge den enormen Energieverbrauch durch die individuelle Mobilität nicht wesentlich senken werden. Elektroautos sind sehr schwer, energieintensiv in der Produktion und stehen wie fossil betriebene Fahrzeuge 95% einfach rum. Sie sind damit schlicht eine neue Spielart eines altbekannten Symbols einer kaum nachhaltigen Wirtschaftsweise.2
Auch das E-Auto wird die fundamentalen ökologischen Widersprüche der herrschenden Wirtschaftsweise also nicht lösen können. Im Abbau der für die Batterien so wichtigen Stoffe wie Lithium oder Kobalt passieren nicht nur ökologische, sondern auch menschliche Verbrechen. Und der Strom für die E-Autos kommt immer noch aus der Steckdose und dieser wird weiterhin zu überwiegenden Teilen in Anlagen hergestellt, die fossile Brennstoffe oder Uran verheizen. Es braucht daher nicht neue Autos, sondern die Abkehr von der Automobilität.3
Die nächste Mobilitätsrevolution liegt woanders
Doch wenn wir glauben, dass der aktuell so stark gemachte «Ökokapitalismus» im Bereich der Mobilität nur das Elektroauto als schwächlichen Pfeil im Köcher hat, hängen wir womöglich einer Illusion nach. Ich würde behaupten, dass die eigentliche Innovation in der Mobilität woanders liegt und diese die Art und Weise, wie wir uns im Raum bewegen, fundamental verändern wird. Ich bin überzeugt, dass autonome, sich durch Algorithmen, neurale Netzwerke und künstliche Intelligenz selbständig im Verkehr zurechtfindende Fortbewegungsmittel – selbstfahrende Autos – die Lösung sein werden, auf die ein technophiler Ökokapitalismus setzen wird.
Längst haben die grossen Tech-Konzerne die Mobilität als den grossen Zukunftsmarkt nach Computer und Smartphones entdeckt. Google, Amazon und Apple, aber auch technologieführende Autobauer wie Tesla und VW (in Kooperation mit Microsoft) sowie unzählige kleinere und grössere bislang noch unbekannte Firmen arbeiten mit Hochdruck an eigenen Angeboten und Lösungen. Zentrales Element bei allen: Eine Software, die in der Lage ist, das Fahrzeug selbständig durch den Verkehr und über die Strassen zu lenken, die auf unvorhergesehene Situationen reagieren kann und die gleichzeitig schneller und rationaler reagiert, als es Menschen tun: Der vollautomatische Verkehr also.
Eine lineare Entwicklung?
Über (teil-)autonome Fahr-Assistenzsysteme und «Autopiloten» wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Medien immer wieder berichtet. Weitherum bekannt ist die Einteilung der «Autonomie» des Fahrzeugs in so genannte «Levels»: Level 2 bedeutet ein Fahr-Assistenzsystem, Level 3 die Abgabe der Kontrolle an das Fahrzeug in bestimmten Situationen wie auf Autobahnen, Level 4 die weitgehende Abgabe der Kontrolle und nur noch die Bereitschaft, hin und wieder zu übernehmen und Level 5 das vollständig autonom verkehrende Fahrzeug, ohne die Möglichkeit der Passagiere, die Kontrolle zu übernehmen.
Diese Levels suggerieren eine lineare Entwicklung: Jedes Jahr werden die Autos ein bisschen intelligenter, jedes Jahr übernehmen sie ein bisschen mehr Funktionen, bis sie eines Tages von selbst fahren. Auch die Zeitungsartikel zum autonomen Fahren denken meistens die aktuellen Mobilitäts- und vor allem auch Eigentumsverhältnisse einfach in die Zukunft weiter, nur halt mit intelligenteren Systemen.
Dabei könnte das autonome Fahren die Welt und die Gesellschaft, wie wir sie kennen, fundamental verändern. Die Gestalter und Profiteure dieser Veränderung sind die grossen Tech-Konzerne. Sie sind zugleich auch Ausdruck einer extremen Konzentration des Kapitals. Der Börsenwert von Apple, Amazon und Microsoft beläuft sich jeweils auf über eine Billion (!) Dollar. Zum Vergleich beträgt jener von Toyota, einer der grössten Autohersteller der Welt, gerade einmal 170 Milliarden Dollar. In ihren Händen wird sich die Technik, mit der die autonomen Fahrzeuge funktionieren, befinden und sie werden entsprechend unentbehrlich in der alltäglichen Mobilität von Milliarden von Menschen. Anders gesagt: Wir werden uns nicht einfach zurücklehnen können, während uns Autos gemütlich durch die Welt, wie wir sie kennen navigieren. Die Unternehmer:innen, welche noch mehr Kapital und Macht erlangen werden, werden unsere Welt bis dahin grundlegend verändert haben.
Ein riesiges Investitionspotenzial
Viele Investor:innen haben das bereits entdeckt und wetten auf gewisse Zukunftsszenarien. Die Aktien von Firmen wie Uber oder Tesla sind nicht so begehrt, weil Uber das Taxi neu erfunden hätte oder weil Tesla ein technisch grossartig überlegenes Elektro-Auto gebaut hätte. Nein, beide Firmen forschen intensiv an selbstfahrenden Fahrzeugen. Sie versprechen vollautonome Systeme, im Falle Teslas bereits für Ende 2021. Auch wenn das wohl zu optimistisch ist und es erst Mitte dieses Jahrzehnts so weit sein sollte: Die Auswirkungen, wenn es einer Firma tatsächlich gelingt ein vollständig autonomes Fahrzeug auf die Strasse zu bringen, sind kaum abschätzbar.
Tesla gibt an, dass ihre Robotaxis zukünftig für ungefähr 10 Rappen pro Kilometer betrieben werden könnten. 100 Kilometer, ungefähr die Strecke zwischen Zürich und Bern, würden somit rund 10 Franken kosten. Auch mit einer Gewinnmarge von 100% wäre Tesla günstiger als jeder Zug. Dazu kommt der Komfort: Ein Fahrzeug für sich allein, die Möglichkeit ungestört zu arbeiten oder einen Film zu schauen, all das bietet ein autonomes Auto. Zudem die Möglichkeit, ohne Wechsel des Fahrzeugs und ohne Fussweg von einer Adresse zu einer anderen zu gelangen.
Doch wie genau wird diese Entwicklung das Funktionieren der Gesellschaft verändern? Wenn wir heute Artikel zu autonomen Fahrzeugen lesen, wird oftmals eine fantastische Geschichte erzählt: Sobald die Entwicklung einer Software für autonomes Fahren abgeschlossen sei, könnten die Besitzer:innen ihre Fahrzeuge in der Zeit, in der sie sie nicht benötigen, autonom in einem Ride-Hailing-Netzwerk4 fahren lassen, um so bis zu 20’000 Franken im Jahr zu verdienen. Es wird eine Welt in Aussicht gestellt, in der das eigene Auto ohne eigenes Zutun mal schnell mehr als 1’000 Franken pro Monat «verdienen» kann, die in die eigene Tasche fliessen.
Dabei muss man kein:e studierte Ökonom:in sein, um zu merken, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann. Denn wenn ein 60’000-Franken-Auto (bspw. Tesla Model 3) in drei Jahren so nebenbei seinen Preis wieder eingespielt haben wird, dann wird dieses Auto inklusive der Self-Driving-Software keinesfalls mehr für 60’000 Franken angeboten werden. Tesla wäre dumm, ein Auto für läppische 60’000 Franken zu verkaufen, anstatt es selbst als Robo-Taxi einzusetzen und dabei mehr Gewinn zu erzielen. Elon Musk, der CEO von Tesla, geht davon aus, dass die in Entwicklung befindliche Full Self Driving Suite (FSD) bei Fertigstellung einen Wert von mindestens 100’000 Dollar oder mehr haben wird – pro Auto.5
Dass der im Auto gebundene Mehrwert hierbei nicht auf einen Schlag, sondern über eine längere Zeitspanne realisiert wird, spielt keine Rolle. Denn Kapital ist aktuell mehr als genug vorhanden und Investor:innen dürften nur allzu gerne bereit sein, dieses zu investieren. Das selbstfahrende Auto wird also zu einem Anlageobjekt werden. Und damit wird es sich längerfristig nicht mehr im Eigentum einzelner Lohnabhängiger befinden. Stattdessen wird der überwiegende Teil der Bevölkerung nur noch das Angebot oder den Service in Anspruch nehmen und das Auto wird nach getaner Fahrt andere Menschen von A nach B befördern. Eine beträchtliche Reduktion der herumstehenden Fahrzeuge wäre ein automatischer Nebeneffekt, mit einem gleichzeitig starken Rückgang der Produktionskapazitäten in der Autoindustrie.
Müssten also wir Linken, die den zerstörerischen Effekt des motorisierten Individualverkehrs (egal ob fossil oder elektrisch betrieben) schon lange erkannt haben, eigentlich mit Hoffnung in die Zukunft und auf die Entwicklung selbstfahrender Autos blicken?
Wem gehören die Fortbewegungsmittel?
Ein spekulativer Blick ins Jahr 2050: Bahnhöfe werden als Büro- und Sportflächen genutzt, Zuggleise verrosten, Infrastruktur des öffentlichen Personennahverkehrs zerfällt. Autobusse werden manchmal noch für spezielle Ausflüge gemietet, aber mehr wegen des Nostalgie-Charakters, denn wegen ihrer Praktikabilität. Bahngesellschaften existieren praktisch keine mehr. Für den morgendlichen Arbeitsweg öffnen die Menschen eine App von Uber, Tesla oder Apple.
Doch wie kam es dazu? Mit der Entwicklung autonom fahrender Autos sind zwei Sparten in eine heftige Krise geraten: Erstens die traditionellen Autohersteller und zweitens die staatlichen oder halb-privaten Anbieter des öffentlichen Verkehrs. Beide wurden von den technologischen Fortschritten abgehängt.
Mit dem massenhaften Einsatz autonomer Fahrzeuge wurden die klassischen öffentlichen Verkehrsmittel immer unattraktiver. Sie waren weiterhin starr an einen Fahrplan und fixe Haltestellen gebunden und boten nicht den Platz und Komfort eines Autos. Trotz grosser Preisreduktionen gelang es nicht, die Menschen weiterhin von der Benutzung von Bus und Zug zu überzeugen. Nur noch die ärmsten Bevölkerungsteile benutzten den öffentlichen Verkehr. Die grossen Technologiekonzerne haben gleichzeitig nach der Entwicklung ihrer autonomen Fahrlösungen den Verkauf von Fahrzeugen an Privatkunden eingestellt. Sie fungieren als grosse Investitionsplattformen, die jeweils hunderttausende Fahrzeuge besitzen und durch ihre Dienstleistungen gewaltige Gewinne machen, die dann an die Investor:innen ausgeschüttet werden können.
Die traditionellen Autobauer sind zu Nischen-Unternehmen verkommen, die sich auf spezielle Liebhaberstücke und teilweise Nutzfahrzeuge konzentrieren. Millionen von Menschen haben bei dieser Umwälzung ihre Arbeit verloren. Nicht nur büssten klassisch betriebene und von Menschen gesteuerte Autos an Attraktivität ein, sie wurden in den meisten Fällen auch verboten. Denn bereits seit den späten 2010er Jahren rühmen sich Hersteller wie Tesla oder Waymo damit, dass ihre autonomen Systeme um ein Vielfaches sicherer seien als menschliche Fahrer:innen. Dieses Verhältnis dürfte sich bis 2040 in Richtung hundert Mal sicherer oder sogar tausend Mal sicherer verschoben haben. Es dürfte früher oder später eintreten, was Elon Musk bereits 2018 prophezeite: Der Mensch als Fahrer:in wird verboten.
Damit werden die Tech-Konzerne einen gewaltigen Teil der Mobilität kontrollieren, wenn auch anfangs vermutlich nur in der westlichen Welt. In die Hände spielen dürfte ihnen dabei auch, dass in den kommenden Jahrzehnten die Auswirkungen der Klimakatastrophe immer sichtbarer werden und die kapitalistisch organisierten Staaten dagegen auch in zehn Jahren keine wirksame Strategie entwickelt haben dürften. Einen möglichen Ausweg würden hier die Tech-Konzerne bieten: Sie versprechen mithilfe ihrer Algorithmen und autonomen Fahrzeugen den Verkehr effizienter und somit klimafreundlicher zu organisieren. Das dürfte als der einzige vermeintliche Lösungsansatz erscheinen, wenn Eigentumsverhältnisse nicht angetastet werden sollen.
Wieso sind solche Überlegungen wichtig?
Natürlich sind solche Überlegungen hoch spekulativ. Aber im Kampf gegen die Klimakatastrophe stehen wir einem übermächtigen Feind gegenüber, der über ein gewaltiges Budget verfügt und dem bis heute erstaunlich wenig Opposition entgegenbrandet. Technik ist zudem nicht «neutral» und so sinnvoll und wertvoll selbstfahrende Fahrzeuge theoretisch für eine Gesellschaft auch sein könnten, so wenig Hoffnung besteht, dass die Technologie uns allen zugutekommt, solange sie in den Händen einiger weniger Konzerne verbleibt, die sie zur Profitmaximierung nutzen.
Es ist klar, dass die Herrschenden im kapitalistischen System kein Interesse haben, die Klimaerwärmung nachhaltig zu bekämpfen. Sie werden sie teilweise einzudämmen versuchen und ganz bestimmt sich selbst weiterhin ein komfortables Leben ermöglichen. Und sie werden die notwendigen Umwälzungen, Reformen und Anpassungen nutzen, um sich selbst weitere Vorteile zu verschaffen. Es dürfte mit ziemlicher Sicherheit zu einer weiteren Konzentration des Kapitals kommen und gerade die grossen Tech-Konzerne sind dafür hervorragend aufgestellt. Sie pumpen bereits heute Milliarden in die Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte, denen ein Grossteil der Menschen völlig ausgeliefert sein wird und die keinerlei demokratischer Kontrolle unterstehen.
Aus diesen Gründen erscheint mir das oben vorgestellte Szenario aktuell als nicht völlig abwegig, wenn auch natürlich noch vieles passieren kann – und dringend müsste. Denn noch bliebe die Zeit, um im Kampf für ökologische Gerechtigkeit und gegen die Klimakatastrophe die richtigen, funktionierenden Wege einzuschlagen. Dazu aber braucht es eine weitgehende Transformation der Produktion und vor allem der Eigentumsverhältnisse. Wenn uns dies nicht gelingt, werden in Zukunft viele Errungenschaften sozialer Kämpfe und ganze Sparten kollektiv genutzter Infrastruktur verschwinden. Der Ersatz dafür wäre eine noch viel stärker privatisierte öffentliche Sphäre, die stark von einigen wenigen Konzernen dominiert sein wird. Und diesen Konzernen steht eine immer grössere Masse an prekarisierten Menschen gegenüber, die Verlierer:innen der so genannten Gig-Economy. Keine guten Aussichten.
1 https://www.verbrauchskatalog.ch/de/informationen/verbrauch
2 https://sozialismus.ch/oekologie/2018/oekologie-scheinloesung-elektroauto
3 https://sozialismus.ch/oekologie/2017/oekologie-elektroauto-als-wende/
4 Ride-Hailing ist der Überbegriff für Angebote wie Uber, die einen von A nach B transportieren, aktuell noch unter Einsatz menschlicher Fahrer:innen.
5 https://teslamag.de/news/nach-tests-dann-teurer-tesla-chef-erklaert-und-verteidigt-autopilot-preispolitik-30672