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Hungrig nach Profiten – Landwirtschaft und Welternährung im Kapitalismus

Die Zahl der unterernährten Menschen weltweit ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Verantwortlichen am Welternährungsgipfel wollen auf diese Katastrophe mit einer «Grünen Revolution» reagieren: Das bedeutet Hochertragssorten, Pestizide und synthetische Düngemittel für Kleinbäuer:innen. Eva Blum geht im folgenden Artikel darauf ein, weshalb diese vorgeschlagenen rein technischen Massnahmen schlicht keine Lösung sind, sondern Teil des Problems. (Red.)

von Eva L. Blum (BFS Zürich); aus SoZ

»In der [kapitalistisch organisierten] Landwirtschaft geht es nicht darum, Nahrungsmittel zu produzieren, sondern um Profite. Das Essen ist lediglich Beiwerk.«

Richard Levins

Die Zahl der unterernährten Menschen weltweit ist im letzten Jahr auf über 800 Millionen gestiegen.[1] Die im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsagenda formulierten Ziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die u. a. vorsehen, bis 2030 die Zahl der Hungernden deutlich zu reduzieren und alle Formen der Mangelernährung zu beenden, werden kaum zu erreichen sein. Am 23. September tagte in New York der Welternährungsgipfel (United Nation Food Systems Summit, UNFSS)[2] und unterbreitete Vorschläge, wie der globalen Nahrungsmittelkrise begegnet werden könnte. Leider stand schon im voraus fest, in welche Richtung die Vorschläge gehen würden. Der Gipfel wurde offiziell vom Weltwirtschaftsforum gesponsert, jener privaten Stiftung, die jedes Jahr im Januar die Weltelite des Kapitals in die Schweiz einlädt. Und er wurde vom Präsidenten der Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA)[3] geleitet, einer Einrichtung, die von der Bill & Melinda Gates Foundation gegründet wurde, um die Agrarindustrialisierung in Afrika voranzutreiben. AGRA ist nur ein weiteres Beispiel, das zeigt: mit der «Grünen Revolution» – Hochertragssorten, Pestiziden und synthetischen Düngemitteln – lässt sich die Versorgungslage von Kleinbäuerinnen und -bauern nicht verbessern, im Gegenteil.[4]

Das mit der «Grünen Revolution» verbundene Entwicklungsmodell basiert auf technologischen Innovationen, z. B. in der Mechanisierung, Züchtung (inkl. Bio- und Gentechnik) oder Agrarchemie. Betriebe, die diese Innovation – die produktiver oder kostengünstiger sein muss, als der allgemeine Stand der Technik – frühzeitig einführen, erhalten gegenüber anderen Betrieben einen Konkurrenzvorteil. Sie können mehr in kürzerer Zeit produzieren und verkaufen. Sobald weitere Betriebe die neue Technologie einsetzen, steigt die Produktionsmenge und die Preise beginnen zu fallen. Auf dem Markt überleben letztlich nur jene Betriebe, die erneut durch Rationalisierung oder Grössenwachstum der Konkurrenz einen Schritt voraus sind: «Wachsen oder weichen» heisst also die Devise. Die damit etablierte Konkurrenz um Profite und Kostensenkung soll, so die Vorstellung der herrschenden Volkswirtschaftslehre, dazu beitragen, dass auf möglichst effiziente Weise mit knappen Ressourcen Güter zur Bedürfnisbefriedigung hergestellt werden. Ist das so?

Bei der «Grünen Revolution» geht es folglich nicht nur um die Einführung neuer, «besserer» Produktionsmittel, sondern um die Durchsetzung eines so weit wie möglich «industrialisierten» Agrarsystems (s. Kasten): die neuen Sorten bringen nur dann die versprochenen hohen Erträge, wenn sie regelmässig intensiv gedüngt und auf grossen Flächen in Monokultur angebaut werden. Diese Form des Anbaus begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen, die mit Fungiziden und Insektiziden bekämpft werden, gegen Unkräuter werden Herbizide eingesetzt. Die Bearbeitung grosser Flächen, ist nur mit dem Einsatz von Maschinen zu bewältigen. Begleitend findet oftmals eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen statt. Das Ziel ist hierbei immer, dass Bäuerinnen und Bauern durch neue Regeln dazu gezwungen werden, nur noch kommerzielles Saatgut zu nutzen – Saatgut, das sie kaufen müssen – anstatt ihr eigenes, bäuerliches Saatgut weiter zu verwenden. Zusätzlich ist mit der Konzentration auf den grossflächigen Anbau weniger Cash Crops meist auch eine – durch Strukturanpassungsmassnahmen oder bilaterale Freihandelsabkommen zusätzlich forcierte – Exportorientierung der Agrarproduktion verbunden. Während in traditionellen Agrarsystemen tatsächlich die Bedürfnisbefriedigung im Vordergrund steht – Bäuerinnen und Bauern betreiben Subsistenzproduktion, versuchen also sich und ggf. lokale Märkte mit Nahrungsmitteln zu versorgen – geht es im «industrialisierten» Modell um die Produktion von Waren für den Weltagrarmarkt. Ob die hier gehandelten Güter wie Mais oder Weizen nun tatsächlich jene Menschen erreichen, die an Hunger leiden – mengenmässig wäre mehr als genug vorhanden – hängt allein von deren Zahlungsfähigkeit ab.[5]

«Die markt- und profitgetriebene Landwirtschaft weist die Erzeugnisse jenen MarktteilnehmerInnen zu, die für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse einen entsprechenden Preis zu zahlen in der Lage sind, nicht jenen, die Nahrungsmittel brauchen, aber nicht bezahlen können. Darum wird auch ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion an Tiere zumeist in den reichen Metropolenländern verfüttert, während eine Milliarde Menschen unterernährt ist oder Hunger leidet.» (Zeller 2020, 110 – 111)[6]

Die sozialen und ökologischen Folgen der kapitalistischen Agrarmodernisierung sind weitreichend. Doch noch machen vor allem die Unternehmen in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Agrarproduktion[7] gute Geschäfte. Sie sind die eigentlichen Profiteure der «Grünen Revolution», da sie sich auf diese Weise neue Absatzmärkte erschliessen können. Da sie darüber hinaus für die Kosten, die dieses System verursacht, nicht aufkommen müssen, haben sie ein grosses Interesse daran, dass die Produktion auch weiterhin so Input-intensiv betrieben wird. Dies hat inzwischen nicht nur auf betrieblicher Ebene, sondern im gesamten System an vielen entscheidenden Stellen zu Abhängigkeiten und «Lock-ins» geführt (zum Beispiel beim Einsatz von Pestiziden).[8] Wie in jeder anderen industriell-kapitalistisch organisierten Branche, gibt also auch in der Landwirtschaft die Kapitalverwertung die Art und Weise des Produzierens vor. Ein Ausscheren aus diesem Wettbewerb und Wettlauf ist kaum noch möglich. Um den Raubbau an Mensch und Natur zu beenden und den Hunger wirksam bekämpfen zu können, muss daher mit der profitorientierten Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte gebrochen werden. Erst dann lässt sich die Landwirtschaft grossflächig auf biologische und arbeitsintensivere Methoden umstellen und die Produktion wieder tatsächlich bedürfnisorientiert organisieren.

Mit «Industrialisierung» der Landwirtschaft ist gemeint, dass die «Grundprinzipien» der kapitalistischen Industrieproduktion so weit wie möglich auch auf die agrarische Produktion übertragen werden: Spezialisierung, Arbeitsteiligkeit, Rationalisierung, standardisierte Massenproduktion, Produktivitäts- und – und das ist natürlich zentral –  Profit-/Tauschwertorientierung. «Industrialisierung» meint also nicht nur die äussere, technische Form der Produktion (die Standardisierung, die Arbeitsteilung etc.), sondern die mit der Warenförmigkeit des Produzierens verbundene andere soziale Praxis. Diese erfordert andere Formen des Eigentums (z. B. Auflösung der Allmenden, durch Sortenschutz oder Patente privatisiertes Saatgut) sowie eine Betrachtung des gesamten Produktionsprozesses als Strom von Geld- bzw. Wertgrössen.


[1]Quelle: 2021 State of Food Security and Nutrition in the World, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000130141/download/

[2]https://www.un.org/en/food-systems-summit

[3]https://agra.org/

[4]Ein von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und vier Deutschen NGOs im Juli 2020 veröffentlichter Bericht zeigt, dass das von AGRA verfolgte Programm gescheitert ist: Statt den Hunger zu halbieren, hat sich seit Beginn des Projekts die Lage in den 13 Schwerpunktländern sogar verschlechtert. Die Zahl der hungernden Menschen ist in den AGRA-Jahren um 30 Prozent gestiegen.

[5]«Im Kapitalismus zählt ausschliesslich das zahlungsfähige Bedürfnis, weil die Unternehmen nur das Einsammeln dieser Zahlungsfähigkeit bezwecken und ihre Güter nur Mittel für diesen Zweck sind.» (Kaufmann, S., Muzzupappa, A. 2020: Crash, Kurs, Krise. Wie die Finanzmärkte funktionieren – Eine kritische Einführung. Berlin, 24)

[6]Zeller, C. 2020: Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen. München.

[7]Gemeint sind hier die Bereiche der landwirtschaftlichen Inputs (Düngemittel, Futtermittel, Saatgut, Tiergenetik, Maschinen etc.) sowie der Verarbeitung und Distribution.

[8]Clapp, J. (2021): Explaining Growing Glyphosate Use: The Political Economy of Herbicide-Dependent Agriculture. Global Environmental Change 67 (2021). https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2021.102239, Brown, C. H. 2021: Attack of the Superweeds. Herbicides are losing the war — and agriculture might never be the same again. In: New York Times, 18. August 2021,  https://www.nytimes.com/2021/08/18/magazine/superweeds-monsanto.html

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