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Klimaaktivismus: Ist die Zeit reif für Sabotage?

In seinem neusten Werk «Wie man eine Pipeline in die Luft jagt» schlägt der Autor und Aktivist Andreas Malm vor, das Repertoire der politischen Mittel im Kampf für Klimagerechtigkeit um die Sabotage kritischer Fossilin-frastrukturen zu erweitern. Ein Debattenanstoss.

von Rhea Lang (BFS Basel)

In der Nacht von Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten begingen Jessica Reznicek und Ruby Montoya zum ersten Mal Sabotage. «Wir begannen unsere friedliche Kampagne direkter Aktion auf einer Dakota-Access Baustelle und setzten mindestens fünf Baumaschinen in Brand».1 Zahlreiche weitere Anschläge auf die Dakota-Access Pipeline sollten folgen. Während Monaten reisten Ruby und Jessica landauf und landab, um die Öl-Pipeline zu durchlöchern, Ventilstellen zu zerstören und Baumaterial zu verbrennen. Ihr Ziel: Das zu erreichen, was zahlreiche Unterschriftensammlungen, Demonstrationen, Protest-Camps und Aktionen des zivilen Ungehorsams nicht geschafft hatten. Die Fertigstellung jener Ölpipeline zu verhindern, welche das Reservat des Standing Rock Sioux Stamms durchschneidet und die Trinkwasserreserven tausender Menschen bedroht.

Der Aktivist und Autor Andreas Malm preist die beiden Frauen in seinem neusten Buch2 als «Lehrmeisterinnen». Angesichts der rasant fortschreitenden Klimaerhitzung, der ungebrochenen Dominanz fossiler Energiequellen und des Unwillens staatlicher Regierungen weltweit, griffige Massnahmen für eine ökosoziale Transformation zu ergreifen, sieht er die Zeit gekommen für eine weitere Eskalationsstufe in den Kämpfen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Er ruft dazu auf, dass wir jetzt «die Dinge, die unseren Planeten ruinieren» physisch angreifen und sie «mit unseren Körpern, […] unseren eigenen Händen» zerstören. Viel zu lange schon hätten wir gezögert, die drohende Klimakatastrophe mache solche radikalen Schritte nun notwendig.

Jessica Reznicek, Klimaaktivistin in den USA.
Andreas Malm, Klimaaktivist und Autor aus Schweden.

Ein heisses Eisen in der Klimagerechtigkeitsbewegung

Malm ist sich bewusst, dass er mit dieser Forderung an einem Grundsatz kratzt, welcher für viele Klimaaktivist:innen ein fester Teil ihres Selbstverständnisses ist. Ob bei Fridays-for-Future-Demonstrationen, Strassenblockaden von Extinction Rebellion oder Kohlengrube-Besetzungen durch Ende Gelände: Bei solchen Aktionen wird es allgemein als Tugend erachtet, dass entweder gar keine Gewalt oder höchstens passiver physischer Widerstand zum Einsatz kommt. Unter Berufung auf Idole des zivilen Ungehorsams wie Rosa Parks oder Mahatma Gandhi appellieren Teilnehmende aneinander, sich nicht zu Gewalt gegenüber Personen oder Gegenständen hinreissen zu lassen. Stattdessen soll mittels stoischer Ruhe und demonstrativer Friedlichkeit bewiesen werden, dass man sich nicht vom Kern des eigenen Anliegens ablenken lässt. Diese Aktionsform des gewaltfreien zivilen Ungehorsams wird dabei zumindest implizit häufig auch als moralische Überlegenheit gegenüber dem Staat sowie den dahinterstehenden profitorientierten Interessen gedeutet, welche selbst nicht vor gewaltsamen Räumungen zurückschrecken, um zum courant normal zurückzukehren.

Malm lehnt solche Aktionen des gewaltfreien Widerstands nicht grundsätzlich ab – im Gegenteil erachtet er sie als wertvolle Schauplätze der Massenmobilisierung, die den Teilnehmenden ein Gefühl der Selbstermächtigung verleihen und die Sympathien der breiten Bevölkerung wecken können. Ein absolutes Ablehnen jeglicher Gewalt sei aber ein grosser taktischer Fehler. Wer in die Geschichte zurückschaue und dabei behaupte, dass Bewegungen wie diejenige gegen die Sklaverei, für das Frauenstimmrecht oder für Schwarze Bürgerrechte ihre Erfolge gänzlich gewaltfrei herbeiführen konnten, betreibe aktive Verdrängung. Es seien gerade radikale «Flanken» wie etwa die Aktivist:innen um Malcolm X gewesen, welche mit ihren Aufrufen an die Schwarze Bevölkerung zu bewaffneter Selbstverteidigung eine glaubwürdige Drohkulisse aufbauten und schliesslich den Staat zum Handeln zwangen. Selbst Nelson Mandela, eine weitere Ikone der pazifistischen Bewegung, schrieb in seiner Autobiografie über den Kampf gegen das Apartheidsregime in Südafrika: «Ich wollte gewaltlosen Protest nur, solange er effektiv war».3 Nachdem Jahrzehnte gewaltlosen Widerstands nicht zum gewünschten Wandel geführt hatten, änderten er und seine Mitstreiter:innen ihre Taktik: «[Wir verübten] selektiv Anschläge […] gegen militärische Einrichtungen, Kraftwerke, Telefonleitungen und Transportverbindungen – alles Ziele, die nicht nur die militärische Effektivität des Staates beeinträchtigen, sondern auch die Anhänger der National Party verschrecken, ausländisches Kapital abschrecken und die Ökonomie schwächen würden.»

Sabotage als Drohkulisse gegen das fossile Kapital

Malm attestiert der Klimagerechtigkeitsbewegung, dass ihr eine solche «radikale Flanke» fehle. Er sieht nicht zuletzt darin einen gewichtigen Grund, weshalb Staat und Wirtschaft trotz anstehender Klimakatastrophe weiterhin untätig bleiben. Kapitalist:innen fühlten sich mit ihrem auf fossilen Energien beruhenden Eigentum unantastbar, was sich beispielsweise daran zeige, dass 2018 zwei Drittel des weltweiten Kapitals, welches für die Energiegewinnung investiert wurde, in den Ausbau neuer Öl-, Kohle- und Gasanlagen floss.4 Es sei also an der Zeit, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung dieses Unantastbarkeitsgefühl des Kapitals mittels gezielter Sabotage demontiert und kritische Fossilinfrastrukturen angreift. Malm betont hier, dass er nicht einfach zu blinder Zerstörungswut aufrufen will. Sabotage solle vielmehr «intelligent» sein in dem Sinne, dass sie «für genügend Menschen weitestgehend erklärbar und vertretbar» ist. Das bedeutet einerseits, dass man ein Sabotageziel auswählt, welches tatsächlich erhebliche Klimaschäden verursacht – zum Beispiel eine Ölpipeline. Andererseits heisst das, dass man sicherstellt, dass Menschenleben in keinster Weise durch die Sabotage gefährdet werden. Malm vollzieht hier eine scharfe Trennung: Das Recht der Menschen auf körperliche Unversehrtheit ist unantastbar. Gegenstände und Eigentum hingegen sind es nicht: «Man kann ein Auto nicht grausam behandeln oder zum Weinen bringen. Es besitzt keine Rechte, die im Moment der Inbrandsetzung beschnitten würden». Die Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum ist gerechtfertigt, wenn dieses die Klimaerhitzung in massivem Ausmass vorantreibt.

Abschreckungspotenzial und andere Gefahren

Dass Sabotage-Akte Teile der Öffentlichkeit abschrecken könnten, nimmt Malm in Kauf. Er geht davon aus, dass sich die Akzeptanz mit zunehmender Zuspitzung der globalen Situation tendenziell erhöhen werde. Man solle daher nicht auf einen Beinahe-Konsens warten, da «die Sprengung einer Pipeline in einer sechs Grad wärmeren Welt etwas zu spät sein dürfte». Zugleich sei es wichtig, dass auch andere Widerstandsformen wie Demonstrationen, Klimacamps oder ziviler Ungehorsam im Sinne einer «Diversität und Pluralität von Taktiken» weitergeführt werden. Es sei klar, dass diese Bandbreite an Aktionen zu Spannungen in der Klimagerechtigkeitsbewegung führen werde. Doch sei dies das Schicksal jeder Bewegung gewesen, die bisher den Lauf der Geschichte verändern konnte.

Am 24. Juli 2017 veröffentlichten Jessica Reznicek und Ruby Montoya eine Medienmitteilung zu den zahlreichen Anschlägen auf die Dakota-Access-Pipeline und unterzeichneten sie mit ihren Klarnamen. Kurz darauf wurden sie verhaftet. In den Gerichtsprozessen, welche bald anlaufen, bekennen sie sich schuldig, einen Komplott zur Beschädigung einer Energieanlage organisiert zu haben. Die Anklage verlangt, dass beiden eine Gefängnisstrafe von 20 Jahren sowie eine Busse im Ausmass von 250’000 USD auferlegt wird. Das Urteil wird Ende Mai 2021 erwartet.

Welchen Weg wird die Klimabewegung einschlagen?

Die Pipeline-Anschläge von Ruby und Jessica können als Testballon für die von Malm propagierte Strategie betrachtet werden. Gemessen an ihrem Beispiel scheint ein erstes Fazit ernüchternd: Wahrscheinlich haben die meisten von uns vor der Lektüre dieses Artikels noch nie von den beiden Frauen gehört. Ihr Engagement wurde bereits während der Aktionen totgeschwiegen und findet auch weiterhin kaum eine Öffentlichkeit. Gleichzeitig sieht es danach aus, als ob sie grosse juristische Konsequenzen zu tragen haben werden. Der Staat bezieht weiterhin klar Position zugunsten des Eigentums und weigert sich, konsequent für einen lebenswerten Planeten einzustehen.

Malms Argumente verdienen sicherlich eine breite Rezeption: Die Klimabewegung muss sich der Frage stellen, ob die bis anhin propagierte Gewaltlosigkeit nicht doch eher ein Bremsklotz als eine Tugend ist. Dennoch gilt es bei der Beantwortung dieser Frage und insbesondere bei daraus erfolgenden strategischen Entscheidungen, allfällige Gefahren sorgfältig miteinzubeziehen und sich klar darüber bewusst zu werden, wie weit jede Person für den Kampf gegen die Klimaerhitzung zu gehen bereit ist.

Jessica und Ruby selbst äussern sich dazu wie folgt:

„Unsere Schlussfolgerung ist, dass dieses System kaputt ist und dass es an uns als Individuen liegt, friedlich zu handeln und das Problem zu beheben […]. Wir sprechen öffentlich, um andere zu ermächtigen, mutig und mit reinem Herzen zu handeln, um die Infrastrukturen zu zerschlagen, die uns unsere Rechte auf Wasser, Land und Freiheit verweigern. […] Wenn wir etwas bedauern, dann ist es die Tatsache, dass wir nicht genug getan haben.“


Fussnoten:

1 https://unicornriot.ninja/2017/sabotage-arson-attacks-stop-dapl-claimed-two-women/. Alle Übersetzungen dieser Quelle durch die Autorin.

2 Malm, Andreas (2020). «Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen.» Berlin: Matthes & Seitz.

3 Mandela, Nelson (2014). «Der lange Weg zur Freiheit: Autobiographie.» Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

4 Investitionen in den Unterhalt bereits bestehender Anlagen seien in diesen zwei Dritteln nicht inbegriffen.

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