Grüne, sozialdemokratische, liberale und konservative Kräfte sprechen sich seit längerer Zeit für ein ökologisch verträgliches Wachstumsmodell, beziehungsweise eine grüne Modernisierung der sogenannten Marktwirtschaft aus. Mit der Entstehung der Klimabewegung und im Zuge der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen entbrannte eine erste internationale Diskussionswelle über Green New Deals, die aber bald wieder abebbte. Seit der Ausbreitung von Fridays for Future und dem erneuten Erstarken der Klimabewegung mehren sich die Vorschläge für Green New Deals.
von Christian Zeller; aus inprekorr.de
Über den Green New Deal wird in ganz unterschiedlichen Kontexten und politischen Zusammenhängen gesprochen. Trotz dieser Vielfalt weisen alle Vorschläge einige Gemeinsamkeiten auf. Alle Varianten von Green New Deals gehen davon aus, dass die kapitalistische Produktionsweise mit entsprechenden institutionellen Reformen in eine ökologisch nachhaltigere und sozial weniger ungleiche Entwicklungsweise transformiert werden könne. Damit stehen sie vor der Herausforderung, zwei grundlegende Fragen zu beantworten.
- Entsprechen die durch einen Green New Deal durchgesetzten Maßnahmen dem Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen? Führt der Green New Deal zu einer vollständigen Entfossilisierung der Gesellschaften bis Mitte dieses Jahrhunderts?
- Ist die ökologisch nachhaltigere und sozial weniger ungleiche Entwicklungsweise, die durch einen Green New Deal realisiert werden soll, überhaupt ein schlüssiges und kohärentes Entwicklungsmodell? Das heißt, kann eine derartige Konfiguration die kapitalistischen Widersprüche soweit bearbeiten und dämpfen, dass sie mehrere Jahrzehnte überdauern kann?
Ich formuliere im vorliegenden Beitrag zunächst einige grundsätzliche Überlegungen zur Beantwortung dieser Fragen. Keiner der Vorstöße für einen Green New Deal erfüllt die beiden Anforderungen. Das habe ich ausführlicher anderswo analysiert (Zeller 2021). Auf dieser Grundlage formuliere ich eine Kritik an Bernd Riexingers Vorschlag für einen linken Green New Deal (Riexinger 2020). Bernd Riexinger (Co-Vorsitzender der deutschen Partei DIE LINKE von 2012 bis Februar 2021) und seine Mitarbeiter:innen Lia Becker, Katharina Dahme und Christina Kaindl (die in der Strömung „Bewegungslinke“ aktiv sind) schlagen damit ihrer Partei eine Orientierung für die nächsten Jahre vor. Zugleich wollen sie zu einem strategischen Bündnis von Teilen der Gewerkschaften, der Klimabewegung, der feministischen Bewegung, städtischen Initiativen für eine Verkehrswende und dem antirassistischen Widerstand anregen.
Allerdings weist ihre Argumentation gewichtige Schwächen auf. Die Orientierung auf einen linken Green New Deal wird weder der Dringlichkeit der Erderhitzung noch der tiefen Krise der kapitalistischen Produktionsweise gerecht und drückt sich um die zentrale Frage herum, ob ein absoluter Rückgang des Ressourcenverbrauchs bei anhaltender Kapitalakkumulation überhaupt möglich ist. Damit gleicht der Vorschlag von Riexinger et al. mehreren anderen Vorschlägen für einen Green New Deal, die in jüngster Zeit in die Debatte eingebracht wurden.
Erstens: Anhaltende Dominanz des Finanzkapitals im Kontext planetarer Grenzen
Die Debatten über Green New Deals müssen wir im Kontext der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Produktionsweise und des unauflösbaren Widerspruchs mit den Schranken der Natur analysieren. Die gegenwärtige Krise zeigt die Grenzen der Akkumulationsdynamik in aller Schärfe. Erneut reagieren Regierungen und Konzernleitungen auf die Krise, indem sie die Abwertung des Kapitals hinauszögern und abfedern. Sie greifen abermals großen Konzernen mit Kapitalbeteiligungen und Krediten unter die Arme und treiben damit die Staatsverschuldung in die Höhe. Auf diese Weise tragen sie zur Steigerung der Ansprüche des fiktiven Kapitals bei. Die Staaten leihen sich im großen Stil bei jenen Akteuren Geld, die sie eigentlich stärker besteuern müssten, um die Verschuldung in Grenzen zu halten. Die Notenbanken akzentuieren ihre expansive Geld- und Niedrigzinspolitik in der Hoffnung, damit die Unternehmen zur Kreditaufnahme und Investitionstätigkeit anzuregen. Da sich allerdings die Absatzmärkte angesichts der Krise nur ungenügend entwickeln, zögern die Unternehmen, zu investieren.
In diesem Kontext einer langanhaltenden Stagnationsphase stehen das Kapital und seine Interessensvertreter vor der Frage, wie sich die Profitabilität des Kapitals wieder steigern und dabei gleichzeitig neue Märkte erschließen lassen, und zwar in einem Maße, dass das Kapital wieder genügend Anreize hat, die Investitionen stark auszuweiten. Solange die Profite nicht steigen und neue Absatzmärkte erschlossen werden können, werden die Investitionen nicht das erforderliche Maß annehmen, um eine neue Wachstumsphase einzuleiten (Husson 2020 u. Husson 2021).
Zu den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise, die eine erneute Phase der Prosperität unwahrscheinlich und eine ökologisch verträgliche Entwicklung unmöglich machen, kommen die planetaren Grenzen unseres Stoffwechsels mit der Natur hinzu. Neben der Erderhitzung haben auch der Verlust der Biodiversität, die Versauerung der Ozeane, Landnutzungsänderungen durch Abholzung und der Stickstoff- und Phosphoreintrag in die Biosphäre und Atmosphäre die Grenzen der Tragfähigkeit erreicht oder gar überschritten (Rockström et al. 2009; Steffen et al. 2015). Die durch die kapitalistische Industrialisierung verursachten Veränderungen haben die Erde in eine erdgeschichtliche Epoche geführt, die namhafte Naturwissenschaftler:innen als Anthropozän bezeichnen (Angus 2020).
Die Erderhitzung ist die offensichtliche ökologische Herausforderung unserer Zeit. Das Budget der Treibhausgasemissionen ist aufgebraucht. Wenn sich die Temperatur noch etwas mehr erhöht, drohen Kipppunkte überschritten zu werden. Das würde eine verhängnisvolle Eigendynamik auslösen und die Erderhitzung zusätzlich antreiben. Eine derartige Kaskade von sich gegenseitig verstärkenden Mechanismen führt dazu, dass sich die Erde zu einem heißen Planeten entwickelt, der für die gegenwärtigen menschlichen Gesellschaften und für viele weitere Arten nur noch eingeschränkt bewohnbar ist (Steffen et al. 2018). Die umfassende ökologische Krise ist Ausdruck des Widerspruchs zwischen den planetaren Grenzen des Wachstums und der endlosen Akkumulationsdynamik des Kapitals (Chesnais 2016).
Gemäß den Studien des IPCC müssen die Gesellschaften die Treibhausgasemissionen bis 2030 weltweit um 58 % senken und bis 2050 kohlenstoffneutral sein, um auch nur eine 50-Prozent-Wahrscheinlichkeit zu haben, dass die Erhitzung 1,5 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit nicht übersteigt (IPCC 2018). Wenn wir das historische Erbe der imperialistischen Staaten Europas berücksichtigen und eine massive Steigerung der Kernenergie ablehnen, muss die Reduktion in diesen Ländern deutlich stärker ausfallen.
Zweitens: Green New Deal als Schritt zur Modernisierung oder Transformation
Green New Deal als Projekt für einen Kurswechsel
Seit den späten 1980er Jahren haben verschiedene Kräfte in Deutschland Vorstellungen einer sozial-ökologischen Reformpolitik mit dem Begriff des Green New Deals auf jeweils unterschiedliche Weise zusammengefasst. Sozial-ökologische Strömungen in der SPD und in den Grünen wollten Umverteilung und Ökologisierung der Wirtschaft miteinander verbinden und auf diese Weise ein strategisches Bündnis herstellen (Brüggen 2001: 1063). Mit der Entstehung der Klimabewegung vor der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 nahm die Diskussion Fahrt auf. Grüne Parteien in Europa nahmen den Begriff Green New Deal in ihre Programme auf. Sie meinten damit eine ökologisch verträgliche Modernisierung des Kapitalismus (The Green European Foundation 2009; Adler und Schachtschneider 2010).
In Großbritannien veröffentlichte die Green New Deal Group um Caroline Lucas (Grüne Abgeordnete 1999–2010 des Europaparlaments und ab 2010 des Unterhauses) und die postkeynesianische Ökonomin Ann Pettifor 2008 einen Plan, um die Finanz-, Klima- und Energiekrise gleichermaßen zu bekämpfen (Pettifor 2020: 19). Das United Nations Environment Programme (UNEP) machte sich zur Fürsprecherin einer grünen Ökonomie und plädierte für einen globalen Green New Deal. Dessen konkrete wirtschafts- und umweltpolitische Programmpunkte blieben einer Modernisierungsperspektive verhaftet, ohne die strukturellen Gründe für die global ungleiche Entwicklung und die ungleichen ökologischen Belastungen anzusprechen (Barbier 2010).
Die Klimabewegung vermochte es nicht, das Kräfteverhältnis zu verändern. Die Eurokrise, die Staatsverschuldung, die europäische Krise in Griechenland und die Migration standen in den Folgejahren im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen. Doch die Erderhitzung kam mit mehreren Umweltkatastrophen und neuen Forschungserkenntnissen zurück ins Massenbewusstsein.
Die Vorschläge von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez in den USA sowie von Jeremy Corbyn in seinem Labour-Wahlprogramm 2019 in Großbritannien verliehen den Debatten über einen Green New Deal neuen Schwung. Naomi Klein (2019) hat mit ihrem in mehrere Sprachen übersetzten Buch den Green New Deal international popularisiert. Die Impulse aus den USA und Großbritannien aufgreifend, forderte die europäische Linkspartei in ihrem Programm für die Wahl zum Europäischen Parlament ebenfalls einen Green New Deal. Die Fraktion der Partei DIE LINKE im Bundestag beschloss Ende Januar 2020 einen umfassenden Aktionsplan für Klimagerechtigkeit, der auch einen Investitionspakt im Rahmen eines Green New Deals fordert, um einen sozialverträglichen industriellen Umbau in die Wege zu leiten (Linke 2020: 15).
Grundlegende Fragen für einen Green New Deal
Jeder Green New Deal, der die kapitalistische Produktionsweise mit einer ökologisch verträglichen gesellschaftlichen Entwicklung versöhnen will, steht vor zwei grundlegenden Herausforderungen.
Erstens stellt sich die Frage, ob die neuen „grünen“ Sektoren der Wirtschaft eine Profitrate ermöglichen, die so hoch ist, dass Kapital in genügendem Maße von den fossilen und anderen nicht nachhaltigen Sektoren in die ökologisch verträglichen Bereiche der Wirtschaft fließt und gleichzeitig die gesamtgesellschaftliche Nachfrage so hoch ist, dass der Mehrwert realisiert werden kann und die Unternehmen somit weiterhin ausreichend investieren wollen. Bislang deutet wenig darauf hin, dass die Umwandlung erneuerbarer Energien, ressourcensparende Produktionsmethoden und überhaupt die Produktion von weniger Waren überdurchschnittliche Profitraten zulässt. Ganz im Gegenteil, das Kapital ist äußerst zurückhaltend darin, sich in diesen Sektoren zu engagieren.
Zweitens stellt sich die Frage, ob ein Green New Deal überhaupt das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts erreichen kann. Allerdings ist dieses Ziel bereits Ausdruck einer Verengung der ökologischen Herausforderung. Die Autor:innen der GND-Vorschläge stellen die anderen brennenden ökologischen Herausforderungen des Anthropozäns, die allesamt mit großen sozialen Problemen verbunden sind, implizit und manchmal auch explizit hintenan. Doch es macht ökologisch und gesellschaftlich keinen Sinn, zuerst das Klima retten zu wollen, um dann anschließend drei, vier Jahrzehnte später die anderen ökologischen Herausforderungen anzupacken. Schließlich sind die genannten ökologischen Herausforderungen nicht isoliert voneinander anzupacken, sondern in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit. Damit ist die Frage verbunden, inwiefern die andauernde Akkumulation von Kapital überhaupt eine absolute Ressourceneffizienz und eine Entkoppelung vom Energieverbrauch zulässt. Die entscheidende ökologische Frage lautet, ob trotz Wirtschaftswachstum, nicht nur relativ zum gestiegenen Output immer weniger Energie und andere Ressourcen eingesetzt werden müssen, sondern sich der Ressourceneinsatz absolut reduzieren lässt. Bislang gibt es keine Anhaltspunkte, dass dies möglich ist. Der Rebound-Effekt durch erhöhte Produktionsmenge, größere Produkte und vermehrten Konsum überwiegen die Effizienzgewinne.
Green New Deal als neue postneoliberale Konfiguration?
Trotz aller Vielfalt der Programme für einen Green New Deal, lassen sie sich in zwei Gruppen einteilen: die Modernisierung und die sozial-ökologische Reformierung des Kapitalismus. Die zweite Gruppe enthält auch Vorschläge, die den Green New Deal als Einstieg in eine, allerdings nicht näher bestimmte, weitergehende sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft konzipieren. Alle Modelle verbleiben ihm Rahmen der kapitalistischen Eigentumsordnung, Akkumulationslogik und Konkurrenz. Auch die stärker reformorientierten und eher wachstumskritischen GND Modelle akzeptieren den Rahmen und die Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft.
Der von der EU Kommission eingebrachte European Green Deal (European Commission 2019; EU 2020) und Jeremy Rifkins (2019) Global Green New Deal zielen auf eine „grüne“ Modernisierung des Kapitalismus. Die Modernisierungsvorstellungen gehen davon aus, dass es weder grundsätzliche gesellschaftliche und ökonomische Widersprüche noch einen Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und den Wirkungsmechanismen des Erdsystems und der Ökosysteme gibt. Demzufolge sei es möglich, das wirtschaftliche Wachstum vom Energie- und Ressourcenverbrauch absolut abzukoppeln, also die Kapitalakkumulation voranzutreiben, und dabei sogar den Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken.
Die auf eine sozial-ökologische Reform zielenden Varianten eines Green New Deal streben nach einem neuen postneoliberalen und postfinanzdominierten Akkumulationsregime der kapitalistischen Produktionsweise (Adler et al. 2019; Aronoff et al. 2019; Chomsky und Pollin 2020; EuroMemo Group 2020; Pettifor 2020; Pollin 2020; Riexinger 2020; Sanders 2019). Dieses soll es möglich machen, bis 2050 die Treibhausgasemissionen bis zur Klimaneutralität und die massive soziale Ungleichheit gleichermaßen zu reduzieren.
Drittens: Ein linker Green New Deal
Bernd Riexinger und seine Mitarbeiter:innen greifen mit ihrem programmatischen Vorschlag für einen linken Green New Deal vor allem in die Diskussion über die Orientierung ihrer Partei ein (Riexinger 2020). Trotz ihrer Warnung vor der Klimakrise unterschätzen sie in ihren Ausführungen die Dimensionen der Erderhitzung und die Dringlichkeit einer sofortigen massiven Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Noch schwerwiegender: Sie reduzieren die ökologischen Herausforderungen auf die „Klimakrise“.
Riexinger et.al. diagnostizieren einen Formationswandel des Kapitalismus. Dabei erkennen sie drei Optionen: Erstens wollten nationalliberale, konservative und sogar faschistische Kräfte einen autoritären Kapitalismus durchsetzen. Zweitens treibe ein Teil der kapitalistischen Klasse zusammen mit den grünen Parteien eine grüne Modernisierung voran, die aber hochgradig unsozial sein werde und den ökologischen Herausforderungen nicht gerecht werde. Drittens gebe es die Perspektive des linken Green New Deal in Europa, wenn es linken Parteien, gestützt auf eine große gesellschaftliche Mobilisierung, die sich auf Teile der Gewerkschaften und sozialer Bewegungen stützt, gelinge, „ein linkes Hegemonieprojekt in der politischen Praxis und in den Alltag der Menschen einzubringen.“ (S. 27)
Die Autor:innen verstehen unter dem linken Green New Deal einen sozial-ökologischen Systemwechsel. Sie verstehen diesen Systemwechsel als einen Prozess zu einer anderen kapitalistischen Formation. Nirgendwo argumentieren sie unmissverständlich dafür, dass ein Bruch mit der kapitalistischen Verwertungslogik und deren Machtorganen erforderlich und vorzubereiten ist. Riexinger et.al. schwebt ein umfassendes radikal-demokratisches, soziales und ökologisches Reformprogramm vor, das mit den grundlegenden Zwängen der kapitalistischen Produktionsweise nicht oder höchstens ansatzweise bricht.
Riexinger et. al. konstruieren ihren Vorschlag für einen linken Green New Deal auf sechs Säulen: den Aufbau einer sozialen Infrastruktur, sinnvolle Arbeit und zum Leben reichende Löhne, soziale Sicherheit für alle, radikaler Klimaschutz durch eine Mobilitätswende, ökologische Transformation der Industrie sowie Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Ich beschränke meine Kritik auf die Vorstellungen der Autor:innen zum Klimaschutz, industriellen Umbau und zum Staat. Viele der angeführten Forderungen sind in einer ökosozialistischen Perspektive zu unterstützen. Doch insgesamt ist die von den Autor:innen skizzierte ökologische Transformation weder ökonomisch kohärent noch ökologisch angemessen.
Sozial-ökologische Mobilitätswende
Riexinger et al. fordern eine sozial-ökologische Mobilitätswende als Einstieg in einen radikalen Klimaschutz. In Bezug auf den dringend geboten Um- und Rückbau der Automobilindustrie sind Riexinger et al. allerdings zögerlich. Sie plädieren für eine Konversion in zwei Phasen: zunächst einen ökologischen Umbau der Fahrzeugmodelle und dann eine Konversion der Produktion hin zur Mobilitätswende (S. 59). Mit dieser Aussage akzeptieren die Autor:innen zunächst die Konzernstrategien in Richtung Elektroautos. Das ist ökologisch und gesamtgesellschaftlich unsinnig.
Der Staat müsse die Autokonzerne auf einen sozial gerechten, ökologischen Transformationspfad verpflichten. Ihre Gewinnrücklagen müssten „für den klimaneutralen Umbau und die Sicherung der Arbeitsplätze herbeigezogen werden“ anstatt zur Ausschüttung von Dividenden. Allerdings ist es eine widersinnige Vorstellung, kapitalistische Unternehmen, deren Zweck die Profiterzielung unter Konkurrenzbedingungen ist, auf einen sozialökologischen Transformationspfad zu verpflichten. Riexinger et al. schrecken davor zurück, die Automobilindustrie aus gesellschaftlichen und ökologischen Gründen als solche infrage zu stellen. Sie argumentieren auch nicht dafür, die private Verfügungsgewalt über die Investitionen und letztlich über die Produktionsmittel insgesamt zu überwinden.
Ökologische Transformation der Industrie
Richtigerweise fordern die Autor:innen, dass die Profit-Rücklagen der Konzerne eingesetzt werden müssen, um den sozial-ökologischen Umbau zu finanzieren (S. 62). Ihre Vorschläge zur Schaffung neuer demokratischer Strukturen beschränken sich weitgehend auf die Idee einer größeren Teilhabe der Beschäftigten und betroffenen Menschen an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen, nicht jedoch am Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht und an einer demokratischen gesellschaftlichen Aneignung der Produktionsmittel und der Infrastruktur.
Riexinger et al. flüchten sich in unverständliche formale Kompromissformeln: „Dax-Unternehmen“ sollen „durch eine dreigeteilte Eigentümer-Struktur demokratisiert und ihre Geschäftspolitik neu ausgerichtet werden: mindestens 21 Prozent öffentliches Eigentum, 30 Prozent Belegschaftseigentum und 49 Prozent private Aktionäre. Verbunden mit flächendeckenden Tarifverträgen würden es diese Eigentumsverhältnisse ermöglichen, schrittweise eine neue Wochenarbeitszeit von etwa 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich durchzusetzen. Dies würde nicht nur einen Produktivitätsschub ermöglichen, sondern auch Arbeitsplätze in der Industrie in den nächsten Jahrzehnten sichern.“ (S. 62)
In dieselbe Richtung zielt der Vorschlag, einen „nationalen Transformations- und Konversionsrat einzurichten. Dieser solle einen Plan für den mittelfristigen Umbau der Industriestruktur erarbeiteten. Mit der Forderung nach regionalen Wirtschaftsräten (S. 70) ergänzen sie diese rein formale und scheinbare Demokratisierung einiger wirtschaftlicher Entscheidungen. Warum aber steht dieser Umbau erst mittelfristig an? Ist das ein Zugeständnis an die Gewerkschaftsbürokratie, die die Notwendigkeit dieses Umbaus ohnehin kaum erkennen will?
Diese Orientierung ist aus zwei Gründen realitätsfern und aus einer konsequent sozial-ökologischen Perspektive fragwürdig.
Erstens anerkennen die Autor:innen damit die Akkumulation des Kapitals und das Profitstreben unter Konkurrenzbedingungen. Sie heben sogar ausdrücklich die erwarteten Produktivitätssteigerungen für Unternehmen positiv hervor. Das Kapital würde auch mit einem 49 %-Anteil nicht auf seinen Gewinnanteil und seine Dividenden verzichten. Der Staat würde sich selber als Kapitalist verhalten. Die lange Erfahrung verstaatlichter Unternehmen in Frankreich und Österreich zeigt das zur Genüge. Und die Beschäftigten würden mit ihrem 30 %-Anteil in eine infernalische Konkurrenzlogik gegen die Lohnabhängigen in anderen Unternehmen getrieben, seien diese in Konkurrenzunternehmen oder in Unternehmen beschäftigt, die in der Wertschöpfungskette vor- oder nachgelagert Geschäfte machen.
Zweitensist davon auszugehen, dass die Kapitalseite mit ihren 49 %-Anteilen weiterhin in der Lage wäre, die Konzerne zu kontrollieren. Mit Hilfe des Staates und Vertreter:innen der Belegschaft, die – wie heute viele Betriebsräte – sich komplett der Konkurrenzlogik unterordnen, fiele das kaum schwer. Plausibler und vielsprechender wäre es, eine Mobilisierung für eine umfassende demokratische gesellschaftliche Aneignung voranzutreiben. Die in der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung gemachten Erfahrungen mit Arbeiter:innenkontrolle bieten bessere Anknüpfungen. Bei der Arbeiter:innenkontrolle geht es darum, dass die Beschäftigten und die Betroffenen (einschließlich der Beschäftigten in vor- und nachgelagerten Unternehmen) aus dem Widerstand gegen Angriffe des Kapitals sich durch ihre Streiks in die Lage versetzen, eine aktive Kontrolle über das Management der Unternehmen auszuüben.
„Der linke Green New Deal zielt darauf, die Industrie bis 2035 CO2-neutral, energie-effizient und unabhängiger vom Export zu machen“. (S. 66). Dieses Ziel ist zu unterstützen. Das vorgeschlagene Programm wird allerdings nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Autor:innen argumentieren für eine sozial-ökologische Ausrichtung der Investitionen (S. 67). Hierfür brauche es eine demokratische Rahmenplanung. Die Autor:innen suggerieren mit diesen Vorschlägen, dass eine demokratisch geplante sozial-ökologische Orientierung unter kapitalistischen Bedingungen letztlich möglich sei.
Generell setzen Riexinger et al. nicht auf die eigenständige und unabhängige Organisierung der lohnabhängigen und betroffenen Bevölkerung und den Aufbau entsprechender Institutionen. Die Selbsttätigkeit und Selbstorganisation der Lohnabhängigen am Arbeitsplatz, Wohnort und in Bewegungen in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit ist allerdings die zentrale Achse einer emanzipatorischen Strategie. Hierzu sind selbstverwaltete Strukturen und alternative Institutionen aufzubauen. Auf diese Weise gelingt es eine gesellschaftliche Vetomacht, Gegenmacht und schließlich auch perspektivisch gestalterische Macht zu erlangen. Riexinger et al. schlagen demgegenüber vor, die Ansätze von Selbstorganisation und Gegenmacht mit den etablierten Strukturen der Staatsmacht zu versöhnen und zu verbinden. Die entscheidende Frage ist, ob sich eine Dynamik entwickelt. Gelingt der umfassende Aufbau von Gegenmachtstrukturen und selbstverwalteten demokratischen Räten, entsteht eine instabile Doppelmachtsituation. In einer solchen Situation stellt sich die Frage, ob die neuen Strukturen in der Bevölkerung eine umfassendere Legitimität erlangen können als der alte Herrschaftsapparat. Gelingt dies, lässt sich ein System Change in der Perspektive eines ökosozialistischen revolutionären Prozesses einleiten.
Staat und EU
Damit sind wir beim grundsätzlichen Problem des Staates angelangt. In Anlehnung an die deutschsprachige linksakademische Staatsdebatte verstehen Riexinger et al. den Staat als Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Das ist sowohl teilweise richtig als auch ungenügend. Gemäß diesem Verständnis lassen sich die Kräfteverhältnisse so verändern, dass sie im Staat ihren institutionell verdichteten Ausdruck finden. Vergangene gesellschaftliche Umbrüche lehren uns, dass graduelle und schleichende Prozesse in bestimmten Momenten in sprunghafte Veränderungen umschlagen. Quantität schlägt in Qualität um. In einer für sie kritischen Situation werden die herrschenden Kräfte alles daransetzen, ihre Macht und die hierfür erforderlichen Strukturen zu erhalten. Der Staat erfüllt auch die grundlegende Funktion, die Akkumulationsbedingungen für das Kapital aufrechtzuerhalten bzw. zu verbessern, und er ist zugleich Machtorgan der herrschenden Klassen. Darum stellt sich die Herausforderung, wie dieses Machtorgan so geschwächt und durch andere Strukturen ersetzt werden kann, die einen wirklichen Bruch mit der kapitalistischen Akkumulations- und Profitlogik zulassen.
Es braucht ein europäisches Projekt und es braucht einen gemeinsamen Organisierungsprozess, um ein solidarisches und ökologisches Europa durchzusetzen (S. 82). Daraus ziehen Riexinger et al. aber nicht die eigentlich naheliegende Schlussfolgerung, dass die EU konsequent infrage zu stellen und zu überwinden ist. Denn ein sozial-ökologischer Systemwechsel würde allen grundlegenden Verträgen der EU widersprechen. Sollte sich in einem Land das Kräfteverhältnis zugunsten radikaler sozial-ökologischer Strukturreformen mit einer entsprechenden sich auf soziale Bewegungen stützenden Regierung wenden, so wäre die EU von Anfang an ein entschiedener und entscheidender Gegner eines solchen Prozesses. Bereits die ersten Reformschritte einer sich auf die Arbeiter:innenbewegung und soziale Bewegung stützenden solidarischen Regierung würden am institutionellen Grundgerüst der EU und ihrem Geldregime rütteln. Eine solche Regierung könnte ihr Programm nur gegen die EU und unter Inkaufnahme eines offenen Bruchs mit der EU und vor allem dem Euroraum in die Tat umsetzen.
Gegenüber denjenigen, die „offensiv für ein ökosozialistisches Konzept“ kämpfen, bemerken Riexinger et al., dass revolutionäre Prozesse aus der Praxis der Menschen aus den tatsächlichen Klassenkämpfen in historischen Ausnahmesituationen entstünden. Die Systemfrage sei keine rhetorische Angelegenheit. Da haben sie Recht. Allerdings gilt es, die Menschen zu überzeugen, die Systemfrage zu stellen, darum ist auch offen theoretisch und praktisch eine Übergangsperspektive aufzuwerfen. Das tun Riexinger et al. nicht. Es ist ihnen zuzustimmen, wenn sie sagen, „dass sich die Linke nicht erlauben kann, losgelöst von den tatsächlichen Kräfteverhältnissen und Bewegungen Politik zu machen. Ihre Aufgabe ist, den Horizont zu öffnen, zu benennen, was alles geändert und auf den Kopf gestellt werden muss, damit ein gutes Leben für die Mehrheit der Menschen überhaupt möglich wird.“ (S. 101) Doch die Autor:innen lösen diesen Anspruch selber nicht ein, weil das von ihnen vorgeschlagene Konzept ökonomisch nicht schlüssig und ökologisch unangemessen ist. Es wird dennoch auf eine so erbitterte Gegenwehr des Kapitals stoßen, dass es nur mit einem Kräfteverhältnis umgesetzt werden könnte, das auch erforderlich wäre, um ökosoziale Strukturreformen in einen revolutionären ökosozialistischen Prozess überzuführen.
Viertens: Abschliessende Kritik
Die gegenwärtigen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise sind so groß, dass eine sozial-ökologische Konfiguration des Kapitalismus hochgradig unwahrscheinlich ist. Alle GND-Vorschläge, obgleich in unterschiedlichem Maße, sehen ausdrücklich eine weitere Steigerung der Kapitalakkumulation und des Wirtschaftswachstums vor, alle entwickeln ihre Vorschläge im Rahmen der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des „heimischen“ Kapitals und berücksichtigen die historische ökologische Schuld nicht, die die imperialistischen Länder im Zuge ihres Wachstums und ihrer Expansion auf sich geladen haben.
Erstens bestehen gegenwärtig nicht die Potentiale, die Produktivität in dem Maße zu steigern, dass sowohl die Löhne erhöht und die gesellschaftliche Infrastruktur verbessert als auch die Gewinne der Unternehmen sich wieder steigern lassen. Weil dieser Spielraum nicht besteht, können radikale Strukturreformen nur durchgesetzt werden, wenn die Arbeiter:innenbewegung und die Umweltbewegung ein Kräfteverhältnis aufbauen, das es erlaubt, die Macht des Kapitals massiv einzuschränken. Dieses erforderliche Kräfteverhältnis kommt aber letztlich einer gesellschaftlichen Situation gleich, in der sich die Frage der politischen Macht und des Eigentums über Produktionsmittel ebenfalls stellen lässt. Radikale Reform und Revolution verschmelzen.
Zweitens müsste ein Green New Deal eine kapitalistische Konfiguration ermöglichen, in der die Profite in den neuen grünen und nicht-fossilen Sektoren der Wirtschaft höher sind als in den fossilen Sektoren. Nur unter dieser Bedingung würde das erforderliche Kapital überhaupt in diesen Sektor fließen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das kurzfristig der Fall sein wird. Die Profite ließen sich auch in den nicht-fossilen Sektoren nur durch eine verstärkte Ausbeutung der Lohnabhängigen, das Drücken der Weltmarktpreise für die Inputs und einen Raubbau in anderen Bereichen der Natur bewerkstelligen. Schließt man diesen Weg aus, muss der Staat die Lücke schließen und die nicht-fossilen Bereiche der Wirtschaft finanzieren und selber aufbauen. Das heißt, es gilt in ein Kräfteverhältnis aufzubauen, das es erlaubt, einen durch massive Gewinn- und Vermögenssteuern finanzierten öffentlichen „grünen“ Industriesektor aufzubauen, der den sozial-ökologischen Umbau mit seinen Produkten (erneuerbare Energien, Stahl, Zement, Eisenbahnen, Busse, etc.) trägt. Eine derartige Strategie hätte aber mit einem Deal nur noch wenig zu tun und wäre einer ökosozialistischen Umbaustrategie ziemlich ähnlich (Zeller 2020).
Drittens vermeiden es alle Green-New-Deal-Vorschläge einschließlich jener von Riexinger et al., eine zentrale grundsätzliche Frage anzusprechen. Ist es möglich, den Ressourcen- und Energieverbrauch absolut zu senken bei gleichzeitigem Fortgang der kapitalistischen Akkumulationstätigkeit? Es gibt nirgendwo Anhaltspunkte, dass es bei fortschreitender Kapitalakkumulation möglich ist, den Ressourcenverbrauch absolut zu senken. Jede Strategie, die beansprucht, einen sozial-ökologischen Systemwechsel anzustreben, dieses Problem aber nicht anspricht, bleibt inkonsistent und ökologisch ungenügend.
Viertens verengen Riexinger et al. die Umweltzerstörung auf den Klimawandel. Die Erkenntnisse der Erdsystemforschung weisen darauf hin, dass der gesamte gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur derart gestört ist, dass nur ein rascher und kompletter industrieller Um- und Rückbau die Aussicht darauf zulässt, die Erde lebensfreundlich zu erhalten. Alles ist zu reorganisieren.
Fünftens unterscheidet sich die gegenwärtige wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Situation grundlegend von jener in den 1930er Jahren. Der Begriff New Deal ist im Bewusstsein größerer Teile der Bevölkerungen in den USA und allenfalls in Großbritannien zwar durchaus positiv belegt, im deutschen Sprachraum gibt es aber keine historische Referenz. Zudem ist es politisch nicht sinnvoll, einen Diskurs des „Deals“ zu pflegen. Wer soll mit wem auf welcher Grundlage und mit welchem Ziel einen Deal abschließen? Die ökologische und gesellschaftliche Dringlichkeit im Kontext des Durchbrechens der planetaren Schranken im Zeitalter des Anthropozäns macht den Begriff des Deals unsinnig. Es gilt nicht einen Diskurs des Kompromisses und seiner Aushandlung, sondern einen Diskurs des Bruchs und des Aufbaus von gesellschaftlicher Gegenmacht zu entwickeln.
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