Diese Woche ist der neuste Sachstandbericht des Weltklimarates IPCC erschienen. Einmal mehr sind die Erkenntnisse niederschmetternd und die Gefahren grösser, als noch vor kurzem vermutet. Wenn nicht sofort drastischste Massnahmen ergriffen werden, wird das 1,5-Grad-Ziel verfehlt werden. Der Bericht fasst die klimawissenschaftliche Forschung der letzten neun Jahre auf mehr als 6.000 Seiten zusammen. Wir haben die sogenannten «Headline Statements» übersetzt, die als prägnante Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger:innen verfasst werden. Diese 18 Hauptthesen sind dabei so wichtig für die Klimapolitik der kommenden Jahre, dass sich von der Klimagerechtigkeitsbewegung bis zur Economiesuisse alle in der einen oder anderen Form auf sie beziehen werden. Um uns auf die kommenden Auseinandersetzungen vorzubereiten, sollten wir sie also alle lesen. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten weitere Artikel zum Thema veröffentlichen. (Red.)
aus dem Sechsten Sachstandbericht des IPCC
A. Aktueller Stand und Trends
A.1 Beobachtete Erwärmung und ihre Ursachen
Menschliche Aktivitäten, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen, haben eindeutig eine globale Erwärmung verursacht, wobei die globale Oberflächentemperatur im Zeitraum 2011-2020 um 1,1°C über dem Wert von 1850-1900 liegt. Die globalen Treibhausgasemissionen haben weiter zugenommen, wobei die Beiträge aus nicht nachhaltiger Energienutzung, Flächennutzung und Flächennutzungsänderungen, Lebensstilen sowie Konsum- und Produktionsmustern in den verschiedenen Regionen, zwischen und innerhalb von Ländern und zwischen Einzelpersonen ungleich sind. (hohes Vertrauen; Sicherheit mit der die wissenschaftliche Community diese Aussage trifft; Anm. d. Red.)[1].
A.2 Beobachtete Veränderungen und Auswirkungen
Weitreichende und rasche Veränderungen in der Atmosphäre, den Ozeanen, der Kryosphäre [alles Eis auf dieser Erde, z.B. in Form von Gletschern, Permafrost, etc., Anm. d. Red.] und der Biosphäre sind eingetreten. Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat bereits Auswirkungen auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt. Dies hat zu weit verbreiteten nachteiligen Auswirkungen und damit verbundenen Verlusten und Schäden für Natur und Menschen geführt (hohes Vertrauen). Anfällige Bevölkerungsgruppen [communities], die in der Vergangenheit am wenigsten zum aktuellen Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismässig stark betroffen (hohes Vertrauen).
A.3 Aktuelle Fortschritte bei der Anpassung sowie Lücken und Herausforderungen
Die Planung und Umsetzung von Anpassungsmassnahmen sind in allen Sektoren und Regionen vorangeschritten, mit dokumentiertem Nutzen und unterschiedlicher Wirksamkeit. Trotz des Fortschritts gibt es Anpassungslücken, die bei den derzeitigen Umsetzungsraten weiterwachsen werden. In einigen Ökosystemen und Regionen wurden harte und weiche Grenzen für die Anpassung erreicht. In einigen Sektoren und Regionen findet eine Fehlanpassung statt. Die derzeitigen globalen Finanzströme für die Anpassung sind unzureichend für die Umsetzung von Anpassungsoptionen und schränken diese ein, insbesondere in Entwicklungsländern (hohes Vertrauen).
A.4 Aktuelle Fortschritte, Lücken und Herausforderungen bei der Eindämmung [mitigation]
Seit dem Fünften Sachstandbericht des IPCC von 2014 wurden die politischen Massnahmen und Gesetze zur Eindämmung des Klimawandels kontinuierlich ausgeweitet. Die globalen Treibhausgasemissionen im Jahr 2030, die sich aus den bis Oktober 2021 angekündigten nationalen Klimaschutzbeiträgen («Nationally Determined Contributions», NDCs) ergeben, machen es wahrscheinlich, dass die Erwärmung im Laufe des 21. Jahrhunderts 1,5°C übersteigt, und erschweren es, die Erwärmung auf unter 2°C zu begrenzen. Es gibt Lücken zwischen den prognostizierten Emissionen aus umgesetzten Massnahmen und denen aus den nationalen Klimaschutzbeiträgen. Die Finanzströme reichen nicht aus, um die Klimaziele in allen Sektoren und Regionen zu erreichen. (hohes Vertrauen)
B. Künftiger Klimawandel, Risiken und langfristige Antworten
B.1 Zukünftiger Klimawandel
Fortgesetzte Treibhausgasemissionen werden zu einer zunehmenden globalen Erwärmung führen, die in den betrachteten Szenarien und modellierten Pfaden nach bester Schätzung in naher Zukunft 1,5°C erreichen wird. Jede Zunahme der globalen Erwärmung wird mehrere und gleichzeitige Gefahren verstärken (hohes Vertrauen). Eine tiefgreifende, rasche und anhaltende Verringerung der Treibhausgasemissionen würde innerhalb von etwa zwei Jahrzehnten zu einer spürbaren Verlangsamung der globalen Erwärmung und innerhalb weniger Jahre auch zu spürbaren Veränderungen der atmosphärischen Zusammensetzung führen (hohes Vertrauen).
B.2 Auswirkungen des Klimawandels und klimabedingte Risiken
Für ein bestimmtes zukünftiges Erwärmungsniveau sind viele klimabezogene Risiken höher als im letzten Sachstandbericht von 2014 bewertet. Die projizierten langfristigen Auswirkungen sind bis zu einem Vielfachen höher als derzeit beobachtet (hohes Vertrauen). Die Risiken und die projizierten negativen Auswirkungen sowie die damit verbundenen Verluste und Schäden durch den Klimawandel nehmen mit jeder Zunahme der globalen Erwärmung zu (sehr hohes Vertrauen). Klimatische und nicht-klimatische Risiken werden sich zunehmend gegenseitig beeinflussen und zu komplexen und schwer zu beherrschenden Risiko-Kaskaden führen (hohes Vertrauen).
B.3 Wahrscheinlichkeit und Risiken von unvermeidbaren, unumkehrbaren oder abrupten Veränderungen
Einige künftige Veränderungen sind unvermeidbar und/oder unumkehrbar, können aber durch eine tiefgreifende, rasche und nachhaltige Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen begrenzt werden. Die Wahrscheinlichkeit abrupter und/oder irreversibler Veränderungen steigt mit einem höheren Niveau der globalen Erwärmung. Ebenso steigt die Wahrscheinlichkeit von Ergebnissen mit geringer Wahrscheinlichkeit, die mit potenziell sehr grossen nachteiligen Auswirkungen verbunden sind, mit einem höheren Niveau der globalen Erwärmung. (hohes Vertrauen)
B.4 Anpassungsoptionen und ihre Grenzen in einer wärmeren Welt
Anpassungsoptionen, die heute durchführbar und wirksam sind, werden mit zunehmender globaler Erwärmung an ihre Grenzen stossen und weniger wirksam sein. Mit zunehmender globaler Erwärmung werden Verluste und Schäden anwachsen. Weitere menschliche und natürliche Systeme werden an ihre Anpassungsgrenzen stossen. Fehlanpassungen können durch flexible, sektorübergreifende, integrative, langfristige Planung und Umsetzung von Anpassungsmassnahmen vermieden werden, die vielen Sektoren und Systemen zugutekommen. (hohes Vertrauen)
B.5 Kohlenstoffbudgets und Netto-Null-Emissionen
Die Begrenzung der durch den Menschen verursachten globalen Erwärmung erfordert Netto-Null-CO2-Emissionen. Die kumulativen Kohlenstoffemissionen bis zum Erreichen von Netto-Null-CO2-Emissionen und die Höhe der Treibhausgasemissionsreduktionen in diesem Jahrzehnt bestimmen weitgehend, ob die Erwärmung auf 1,5°C oder 2°C begrenzt werden kann (hohes Vertrauen). Die prognostizierten CO2-Emissionen aus der bestehenden Infrastruktur für fossile Brennstoffe würden ohne zusätzliche Minderungsmassnahmen das verbleibende Kohlenstoffbudget für 1,5°C (50 %) überschreiten (hohes Vertrauen).
B.6 Minderungspfade
Alle globalen modellierten Pfade, die die Erwärmung auf 1,5°C (>50%) ohne oder mit begrenzter Überschreitung [overshoot] begrenzen, und diejenigen, die die Erwärmung auf 2°C (>67%) begrenzen, beinhalten eine schnelle und tiefgreifende und in den meisten Fällen sofortige Reduzierung der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren in diesem Jahrzehnt. Die globalen Netto-Null-CO2-Emissionen werden für diese Pfadkategorien in den frühen 2050er Jahren bzw. in den frühen 2070er Jahren erreicht. (hohes Vertrauen)
B.7 Überschreitung [Overshoot]: Überschreiten eines Erwärmungsniveaus und Rückkehr
Wenn die Erwärmung ein bestimmtes Niveau wie 1,5°C überschreitet, könnte sie allmählich wieder reduziert werden, indem ein negativer globaler Netto-CO2-Ausstoss erreicht und aufrechterhalten wird. Dies würde im Vergleich zu Pfaden ohne Overshoot einen zusätzlichen Einsatz zur Kohlendioxidbeseitigung erfordern, was zu grösseren Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit führt. Ein Overshoot bringt nachteilige Auswirkungen, einige davon irreversibel, und zusätzliche Risiken für menschliche und natürliche Systeme mit sich, die mit dem Ausmass und der Dauer des Overshoot zunehmen. (hohes Vertrauen)
C. Kurzfristige Massnahmen
C.1 Dringlichkeit kurzfristiger integrierter Klimaschutzmassnahmen
Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten (sehr hohes Vertrauen). Es gibt ein sich schnell schliessendes Zeitfenster, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern (sehr hohes Vertrauen). Eine klimaresistente Entwicklung integriert Anpassung und Abschwächung, um eine nachhaltige Entwicklung für alle voranzutreiben, und wird durch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit ermöglicht, einschliesslich eines verbesserten Zugangs zu angemessenen Finanzmitteln, insbesondere für anfällige Regionen, Sektoren und Gruppen, sowie durch eine integrative Regierungsführung und koordinierte Politik (hohes Vertrauen). Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Massnahmen werden sich jetzt und in den nächsten Jahrtausenden auswirken (hohes Vertrauen).
C.2 Der Nutzen von kurzfristigen Massnahmen
Tiefgreifende, schnelle und nachhaltige Eindämmungsmassnahmen [mitigation] und eine beschleunigte Umsetzung von Anpassungsmassnahmen [adaptation] in diesem Jahrzehnt würden die prognostizierten Verluste und Schäden für Menschen und Ökosysteme reduzieren (sehr hohes Vertrauen) und viele Zusatznutzen bringen, insbesondere für die Luftqualität und die Gesundheit (hohes Vertrauen). Verzögerte Massnahmen zur Eindämmung [mitigation] des Klimawandels und zur Anpassung [adaptation] an den Klimawandel würden die Infrastrukturen mit hohen Emissionen blockieren [sogenannter «lock-in-Effekt», Anm. d. Red.], die Risiken von gestrandeten Vermögenswerten und Kosteneskalation erhöhen, die Durchführbarkeit verringern und die Verluste und Schäden vergrössern (hohes Vertrauen). Kurzfristige Massnahmen sind mit hohen Vorabinvestitionen und potenziell störenden Veränderungen verbunden, die durch eine Reihe von unterstützenden Massnahmen gemildert werden können (hohes Vertrauen).
C.3 Optionen zur Eindämmung [Mitigation] und Anpassung [Adaptation] über verschiedene Systeme hinweg
Rasche und weitreichende Transitionen in allen Sektoren und Systemen sind notwendig, um tiefgreifende und nachhaltige Emissionsreduzierungen zu erreichen und eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern. Diese Systemwechsel erfordern eine erhebliche Ausweitung eines breiten Spektrums von Eindämmungs- und Anpassungsoptionen [mitigation and adaptation options]. Durchführbare, wirksame und kostengünstige Optionen zur Eindämmung und Anpassung sind bereits verfügbar, wobei es Unterschiede zwischen den Systemen und Regionen gibt. (hohes Vertrauen)
C.4 Synergien und Zielkonflikte mit der nachhaltigen Entwicklung
Beschleunigte und gerechte Massnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels und zur Anpassung daran sind entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung. Massnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen und zur Anpassung an den Klimawandel haben mehr Synergien als Zielkonflikte mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung. Synergieeffekte und Zielkonflikte hängen vom Kontext und dem Umfang der Umsetzung ab. (hohes Vertrauen)
C.5 Gleichberechtigung und Eingliederung
Die Priorisierung von Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Inklusion und gerechten Übergangsprozessen kann Anpassungs- und ehrgeizige Eindämmungsmassnahmen sowie eine klimaresistente Entwicklung ermöglichen. Die Anpassungsergebnisse werden durch eine verstärkte Unterstützung von Regionen und Menschen mit der höchsten Anfälligkeit für Klimagefahren verbessert. Die Integration von Klimaanpassung in soziale Schutzprogramme verbessert die Widerstandsfähigkeit. Es gibt viele Möglichkeiten, den emissionsintensiven Konsum zu reduzieren, auch durch Änderungen des Verhaltens und des Lebensstils, was sich positiv auf das gesellschaftliche Wohlergehen auswirkt. (hohes Vertrauen)
C.6 Governance und Massnahmen
Wirksame Klimaschutzmassnahmen werden durch politisches Engagement, eine gut abgestimmte Multi-Level-Governance, institutionelle Rahmenbedingungen, Gesetze, Massnahmen und Strategien sowie einen verbesserten Zugang zu Finanzen und Technologien ermöglicht. Klare Ziele, Koordination über mehrere Politikbereiche hinweg und integrative Governance-Prozesse erleichtern wirksame Klimaschutzmassnahmen. Regulatorische und wirtschaftliche Instrumente können tiefgreifende Emissionssenkungen und Klimaresilienz unterstützen, wenn sie auf breiter Basis angewendet werden. Eine klimaresiliente Entwicklung profitiert von der Nutzung unterschiedlichen Wissens. (hohes Vertrauen)
C.7 Finanzen, Technologie und internationale Zusammenarbeit
Finanzierung, Technologie und internationale Zusammenarbeit sind entscheidende Voraussetzungen für beschleunigte Klimaschutzmassnahmen. Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, müsste die Finanzierung sowohl der Anpassung als auch der Eindämmung um ein Vielfaches erhöht werden. Es gibt genügend globales Kapital, um die globalen Investitionslücken zu schliessen, aber es gibt Hindernisse für die Umlenkung von Kapital in Klimaschutzmassnahmen. Die Verbesserung der technologischen Innovationssysteme ist der Schlüssel zu einer schnelleren und breiteren Einführung von Technologien und Praktiken. Die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit ist über verschiedene Kanäle möglich. (hohes Vertrauen)
[1]Die Berichte des Weltklimarates IPCC fassen den aktuellsten Stand wissenschaftlicher Forschung zusammen. Sie geben dabei jeweils an, mit wie viel Vertrauen (also wie gut) die Wissenschaft eine Aussage beweisen kann.