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Klimabewegung: Die Zeit der Kompromisse ist vorbei

Nach den Schulbesetzungen in Basel und Zürich durch Klimaaktivist:innen, ereifern sich die bürgerlichen Parteien darin, der Klimabewegung Radikalität, Demokratiefeindlichkeit und Dummheit vorzuwerfen. Die Bewegung sei vom Pfad der Vernunft abgekommen und handle kontraproduktiv. Die Vorwürfe entpuppen sich bei genauerem Hinschauen allerdings als Ablenkungsmanöver und offenbaren die Unfähigkeit und den Unwillen der Bürgerlichen, tatsächlich wirksame Massnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen.

von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

Bürgerliche Vorwürfe an die Klimabewegung

Im Rahmen der internationalen „End Fossil Occupy“-Kampagne haben Klimaaktivist:innen anfangs Februar 2023 in Basel und Zürich ein Gymnasium besetzt. Sie forderten endlich Massnahmen gegen die Klimakatastrophe und ein Bildungssystem, das ihnen Fähigkeiten zum Bestehen in einer Welt der Krisen vermittelt. Während eines ganzen Tages wurden Workshops zur Klimakrise, Plenen über alternative Schulstrukturen und weitere lehrende und ermächtigende Aktivitäten durchgeführt. Die bürgerlichen Parteien von GLP bis SVP schäumten aber vor Wut. Sie werfen der Klimabewegung vor, viel zu ideologisch, zu radikal und nicht mehr kompromissbereit zu sein. 

Der Vorwurf, die Klimabewegung sei zu ideologisch geworden, weil sie Wörter wie Kapitalismus, Patriarchat und Neokolonialismus benützt, ist dabei besonders dumm. Ist denn etwa die bürgerliche „Umweltpolitik“ unideologisch? Keineswegs. Die Positionspapiere der bürgerlichen Parteien[1] strotzen nur so vor Ideologie. Durchs Band ist von liberalen Rahmenbedingungen, Freiwilligkeit, marktkompatiblen Lösungen, unternehmerischer Freiheit und innovativem Wachstum die Rede. Ihre Lösungsvorschläge gehen dabei nicht über „Eigenverantwortung“ und grüne Technologie hinaus. Das ist radikaler Liberalismus straight outta 19. Jahrhundert.

Lützerath: Which side are you on?

Das Beispiel von Lützerath, diesem gallischen Dorf in Nordrhein-Westfalen, welches sich über zwei Jahre hinweg den Kohleabbauplänen des deutschen Energiekonzerns RWE in den Weg gestellt hat, zeigt anschaulich auf, weshalb sich die bürgerlichen Vorwürfe letztendlich als Ablenkungs- und Verdrängungsstrategie erweisen. Unter Lützerath befinden sich 280 Millionen Tonnen Braunkohle, die RWE abbauen und verstromen möchte. Durch das Verbrennen dieser Menge Braunkohle würde viermal mehr CO2 in die Atmosphäre gelangen, als ganz Deutschland noch ausstossen dürfte, um das Pariser Klimaabkommen (1,5 Grad-Ziel) einzuhalten. Der Konzern legitimiert sein Vorhaben letztlich mit dem Recht auf sein Privateigentum, das ihnen von der bürgerlich-liberalen Verfassung garantiert wird. Anfangs Januar 2023 setzte RWE sein „Recht“ mit Hilfe der bürgerlichen Partei Die Grünen und der Polizei gewaltsam durch und liess das Dorf zerstören. Von Lützerath sowie von 300 weiteren Dörfern in Deutschland, die in den letzten Jahrzehnten dem Braunkohletagebau weichen mussten, ist mittlerweile nunmehr eine dystopische Drecklandschaft übriggeblieben.

Hier stand Lützerath (Aufnahme vom 7. Februar 2023)

Im Kampf um Lützerath standen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite die Klimaaktivist:innen, die auf Basis der wissenschaftlichen Ratschläge (IPCC-Berichte) und des Pariser Klimaabkommens der Umweltzerstörung Einhalt gebieten wollten; auf der anderen Seite RWE und seine Helfer:innen, die die Profitinteressen des Konzerns über alles stellen. 

Wie, bitte schön, hätte in dieser Situation ein Kompromiss gefunden werden können? Hätte man nur die Hälfte des Dorfes abreissen und nur einen Teil der Kohle abbauen sollen? Jede Tonne Kohle ist eine zu viel, das wiederholen die IPCC-Berichte mittlerweile seit Jahren. Lützerath zwang die europäische Öffentlichkeit also, sich für eine Seite zu entscheiden. Wer der Klimabewegung „fehlende Kompromissbereitschaft“ vorwirft, verdrängt somit den Ernst der Lage und lenkt von der eigentlichen Fragestellung ab. Which side are you on?

Veranstaltung mit Aktivist:innen aus Lützerath am 6. März 2023 in Zürich

Die Zeit der Kompromisse ist vorbei – ob man das gut findet, oder nicht

In einer Welt, die von gesellschaftlichen und ökologischen Krisen geprägt ist, bei denen es immer häufiger „ums Ganze“ geht, existieren keine Spielräume mehr für Kompromisse. Die BlackLivesMatter-Bewegung verlangt nicht, dass nur unter der Woche keine Polizeigewalt gegen People of Color ausgeübt werde. Die feministische Bewegung fordert nicht nur Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, sondern ein sofortiges Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt und der patriarchalen Unterdrückung. 

Auf keine dieser Krisen haben die Bürgerlichen eine zukunftsweisende Antwort. Ihnen bleibt nur zu wiederholen, was ihre ideologischen Vordenker im 19. Jahrhundert schon gesagt haben. Dass sich die Klimabewegung radikalisiert, die gesetzlichen Vorgaben in Frage stellt, und sich über die institutionalisierten Verhaltensregeln (Kompromissbereitschaft, Legalität und Konkordanz) hinwegsetzt, ist die Konsequenz aus der liberalen Ideenlosigkeit und der bürgerlichen Unfähigkeit, angemessen auf die Klimakatastrophe zu reagieren. Denn es waren und sind genau die „liberalen Rahmenbedingungen“ – allen voran der Schutz des Privateigentums –, die einem wirksamen Klima- und Umweltschutz im Weg stehen. Man gewinnt den Eindruck, die Bürgerlichen suchten einen Kompromiss zwischen ihrer liberalen Weltanschauung, die sie wie ein Naturgesetz für unumstösslich halten, und den tatsächlichen wissenschaftlichen Ergebnissen, die uns vor der drohenden Klimakatastrophe warnen. Selbstorganisierter Protest wie in Lützerath oder während der Schulbesetzungen in Basel und Zürich zwingen uns, sich für eine Seite zu entscheiden.


[1] Die Positionspapiere der bürgerlichen Parteien zur Umwelt- und Klimapolitik sind hier verlinkt: GLPDie MitteFDP und SVP.

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