Am 24. November 2024 stimmen die in der Schweiz Stimmberechtigten über einen Ausbau der Autobahnen auf sechs Abschnitten ab. Nach Bundesrat und Parlament sollen dadurch gezielt Engpässe beseitigt und Stau gemindert werden. Gegen diesen Plan wurde das Referendum ergriffen.
von BFS Zürich
Irrsinnig und unsinnig
Gleich vorweg: In Zeiten der eskalierenden Klimakrise ist es völlig absurd, dass wir über den Bau von mehr Strassen diskutieren. Die ganze Sache zeigt, wie Parlament und Bundesrat noch im Denken des letzten Jahrhunderts feststecken. Sie setzen auf eine veraltete Verkehrspolitik, ignorieren Klimaziele, vernachlässigen langfristige Umweltfolgen und wollen eskalierenden Problemen mit inexistenten technologischen Lösungen beikommen. Aber jetzt der Reihe nach.
Dass wir Stau dauerhaft mit einem Kapazitätsausbau beseitigen können, ist ein Irrglaube. Verkehrsexpert:innen haben erkannt: Die kurzfristige Entlastung eines Engpasses an einem Ort bewirkt nur, dass es durch Verkehrswachstum woanders bald wieder staut, nur dann mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen. Das nennt sich induzierter Verkehr. Ein Angebot von neuen, gut fliessenden Strassen wirkt sich positiv auf die Nachfrage aus, sodass es bald an neuer Stelle wieder so viele Autos hat, dass es erneut staut.
Eine Weichenlegung für den Verkehr der Zukunft
Der Bund spricht von Kosten von 4.9 Milliarden CHF. In der Realität sind solch grosse Infrastrukturprojekte jedoch meist erheblich teurer. Dazu ist geplant, die Autobahn A1 auf den Streckenabschnitten Bern-Zürich und Lausanne-Genf auf mindestens sechs Spuren auszubauen. Nach Schätzung des Vereins Umverkehr haben diese Projekte einen Umfang von insgesamt 35 Milliarden CHF.
Doch diese Projekte sind nicht nur kostspielig für den Bundeshaushalt, während gleichzeitig mit einem neuen Sparprogramm Unterstützung für Kindertagesstätten und geflüchtete Menschen abgebaut werden sollen. Er hat auch gravierende Folgen für die Menschen, die Umwelt und zukünftige Generationen: mehr Lärm, Abgasbelastung, Unfälle, usw. Aber vor allem ist er unvereinbar mit den Klimazielen der Schweiz. Durch den Bau alleine soll etwa eine Million Tonnen CO2 freigesetzt werden. Noch fataler ist die Zementierung des energie-ineffizienten Modells des motorisierten Individualverkehrs. Dieser ist nämlich für nicht weniger als einen Viertel des in der Schweiz emittierten CO2 verantwortlich.
Ausbau für Pendler:innen
Alle Ausbauschritte sind in oder um die Städte Genf, Bern, Basel, Schaffhausen und St. Gallen geplant. Die WOZ analysiert kritisch: “Diese Vorlage bedeutet einen starken baulichen Eingriff in die einzelnen Städte. Sie folgt veralteten Verkehrskonzepten des 20. Jahrhunderts, wonach die Bestimmung jeder Stadt darin liegt, dass die Autos aus dem Umland einen Parkplatz direkt im Zentrum finden.”
Tatsächlich besitzen 70% der Bewohner:innen der Stadt Basel kein Auto. Die Ausbauten würden also vor allem Pendler:innen zu Gute kommen, statt denen, die in den betroffenen Gebieten wohnen. Der dort geplante Rheintunnel bedeutet für die Basler:innen vor allem zehn Jahre lang Baustellen, Lärm und Lastwagen.
Bedeutung des Transports in der kapitalistischen Gesellschaft
Versuchen wir die Transportinfrastruktur der Schweiz in ihrer Bedeutung für unsere Wirtschaft zu erfassen: Der Kern unserer kapitalistischen Produktionsweise liegt in der Akkumulation von Kapital. Spezifische räumliche Bedingungen erschweren den Akkumulationsprozess, können aber auch ausgenutzt werden. Sowohl Waren als auch Arbeiter:innen müssen transportiert werden. Die Transportinfrastruktur ist deshalb ein zentrales Element der kapitalistischen Wertschöpfungskette. Das Automobil, ermöglicht durch die Entwicklung der Massenproduktion, des Massenkonsums, und der Nutzbarmachung des fossilen und sehr günstigen Energieträgers Öl, ermöglichte einen zeitlich sehr effizienten Transport.
Im Zuge des einsetzenden Wirtschaftswachstums der 1950er-Jahre stieg die Zahl der in der Schweiz registrierten Autos von 150’000 auf das Dreieinhalbfache. Der zunehmende Verkehr belastete Dörfer und Städte erheblich, was zusammen mit wirtschaftlichen Motiven den Wunsch nach besserer Infrastruktur verstärkte. Schliesslich gab eine Initiative der Automobilclubs ACS und TCS den Anstoss zum Bau des Nationalstrassennetzes. Längerfristig begann eine signifikante Veränderung der Arbeits- und Lebensgewohnheiten, die sich im Wachstum von Vororten und im Anstieg des Pendlerverkehrs zeigte.
Das dichteste Autobahnnetz der Welt bildet heute ein wichtiges Fundament des Produktionsstandortes Schweiz. Zusammen mit einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr ermöglicht es Unternehmen, auf hochflexible, hochspezialisierte Arbeiter:innen zurückzugreifen.
Als zentraler Bestandteil der kapitalistischen Wertschöpfung muss der Ausbau der Transportinfrastruktur auch als eine Erhöhung der Produktionskapazitäten verstanden werden. Gleichzeitig ist auf individueller Ebene keine längerfristige Steigerung der Lebensqualität erwartbar. Unsere Wegzeiten werden sich nicht verkürzen und wir werden nicht mehr freie Zeit gewinnen.
Elektromobile sind nicht ökologisch, sie sind einfach nur nicht fossil
In seiner Strategie zum Netto-Null-Ziel bis 2050 setzt der Bund auf Elektroautos. Um ihren Verkauf zu fördern, erlässt er zum Beispiel jedes Jahr tiefere Werte zur durchschnittlichen CO2-Emissionen von Neuwagen. Wenn die Autoimporteure durch den Verkauf von Benzinern darüber liegen, müssen sie eine Strafe zahlen (bspw. für einen VW Golf mit Verbrennermotor, 110 PS und CO2-Ausstoss von 160 g/km knapp 5000 CHF).
Trotz solcher Lenkungsabgaben stagnieren aktuell die Verkaufszahlen von Elektroautos. Darauf kommt es aber nicht an. Denn Elektroautos sind keine einfache Lösung für eine ökologischere Zukunft. Die Gründe:
Versiegelte Böden
Auch Elektroautos benötigen ein gut unterhaltenes Netzwerk aus Strassen und Parkplätzen (2015 lag der Bestand an Parkplätzen in der Schweiz bei acht bis zehn Millionen), was versiegelte Böden zur Folge hat, die wiederum einen negativen Effekt auf die Wasseraufnahme und Überschwemmungsrisiken sowie die Temperaturentwicklung und die Biodiversität haben.
Ressourcenintensive Herstellung
Die Produktion von Elektroautos ist deutlich energieintensiver als die von herkömmlichen Verbrennern. Zudem ist sie auf seltene Erden und andere begrenzte Rohstoffe angewiesen (Nickel, Lithium, Kobalt, Grafit und Platin). Diese Rohstoffe werden vor allem in den Ländern des Globalen Südens innerhalb neokolonialer Strukturen gewonnen und haben grosse Umweltschäden zur Folge. Ein Recycling der Batterien, das seinen Namen verdient, existiert indessen noch nicht. Besonders hoch ist der Bedarf an Lithium: Nach relativ konstanten Fördermengen bis im Jahre 2015 stieg bis 2023 die jährliche Produktion bereits um das Sechsfache an, und trotzdem werden in Zukunft Engpässe erwartet. Während zur Zeit der grösste Lithiumabbau in Australien stattfindet befindet sich im sogenannten Lithium-Dreieck zwischen den südamerikanischen Ländern Bolivien, Argentinien und Chile nach Schätzungen zwischen zwei bis drei Vierteln des weltweit verfügbaren Lithiums. In der ohnehin schon trockenen Gegend werden beim Extraktionsprozess täglich Millionen Liter Wasser verschwendet und sowohl die Lebensgrundlagen der indigenen Bauern als auch einheimische Tier- und Pflanzenarten zerstört.
Veronica Chavez, Präsidentin der indigenen Kolla-Gemeinschaft in Santuario de Tres Pozos äusserte sich wie folgt dazu: „Die Betreiber erklären uns, dass sie die Erde retten werden. Vielleicht retten sie den Planeten, aber sie opfern uns dafür. Denn wir essen kein Lithium und keine Batterien, aber wir trinken Wasser.“
Externe Kosten
Zusätzliche externe Kosten, die durch den motorisierten Individualverkehr entstehen, bleiben auch bei einer Umstellung auf Elektroautos bestehen. Autos erzeugen Lärm, sind die grösste Quelle von Mikroplastik durch den Reifenabrieb und haben ein hohes Unfallrisiko.
Sauberer Strom
Der Betrieb von Elektrofahrzeugen verschiebt den Energieverbrauch fossiler Brennstoffe auf die Stromproduktion, die in vielen Ländern noch immer stark von fossilen und nicht-erneuerbaren Energiequellen abhängt. Der in der Schweiz produzierte Strom ist zwar emissionsarm, weil er kaum mit fossilen Energieträgern erzeugt wird. Allerdings ist der tatsächlich verbrauchte Strom deutlich emissionsreicher, wenn die CO2-Emissionen des Importstroms ebenfalls berücksichtigt werden.
Die Politik von Bundesrat Albert Rösti und des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) verfehlt den wichtigsten Punkt: Der Fokus muss darauf liegen, wie die Zahl genutzter Autos und zurückgelegter Kilometer drastisch reduziert werden kann und nicht darauf, wie Röstis Freunde mehr Elektroautos verkaufen können.
Hin zu einer sinnvolleren Mobilität
Es ist eigentlich ganz klar: Der massenhafte Individualverkehr mit seiner ineffizienten Ressourcennutzung und negativen Externalitäten ist ein Modell, das sein Ablaufdatum längst überschritten hat. Er gehört in eine Reihe von Technologien, die das Ökosystem des Planeten mittlerweile weit über seine Grenze strapaziert haben. Was also tun, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten möchten, aber dennoch auf Transport angewiesen sind?
Kostenloser und ausgebauter öffentlicher Verkehr: Ein entscheidender Schritt in Richtung nachhaltiger Mobilität wäre die Einführung eines kostenlosen öffentlichen Verkehrssystems. Dies würde nicht nur die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fördern, sondern auch soziale Ungleichheiten verringern, da der Zugang zu Mobilität für alle gewährleistet wäre. Gleichzeitig muss das Netz des öffentlichen Verkehrs inklusiver sein und massiv ausgebaut werden, um eine flächendeckende Alternative zum Individualverkehr zu bieten.
Lebenswerte, durchdachte Räume: Eine Mobilitätswende erfordert und ermöglicht die Neugestaltung unserer urbanen Räume. Städte müssen so geplant werden, dass sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden und gleichzeitig umweltfreundlich sind. Dies beinhaltet die Schaffung von autofreien Zonen, grosszügigen Grünflächen, sicheren und attraktiven Fahrradwegen sowie einer Infrastruktur, die kurze Wege ermöglicht.
Förderung lokaler Wirtschaftskreisläufe: Lokales Wirtschaften zu stärken bedeutet, Produktion und Konsum auf regionaler Ebene zu fördern, um Transportwege zu verkürzen und die Resilienz der Gemeinschaften zu erhöhen. Dies bietet auch lokale Arbeitsplätze und eine engere Vernetzung innerhalb der Gemeinschaften.
Demokratisierung der Wirtschaft und Vergesellschaftung: Eine nachhaltige und gerechte Zukunft erfordert die Demokratisierung unserer Betriebe und Systeme. Wichtige Unternehmen und Produktionsmittel sollen in gemeinschaftlichen Besitz überführt und demokratisch verwaltet werden. Durch die Vergesellschaftung können Entscheidungen über Produktion und Verteilung im Interesse der Allgemeinheit, der Beschäftigten und der ökologischen Nachhaltigkeit getroffen werden, anstatt den Profitinteressen weniger zu dienen.
Weniger produzieren, weniger transportieren: Als Ökosozialist:innen setzen wir uns für eine tiefgreifende Veränderung unserer Produktionsweisen ein. Wir müssen weg von der verschwenderischen kapitalistischen Überproduktion und hin zu einer bedarfsorientierten Produktion, die sich an der Reproduktion und den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen sowie den ökologischen Grenzen des Planeten orientiert. Wir möchten, dass technologischer Fortschritt endlich mehr freie Zeit füreinander bedeutet. Dies wird nicht an der Überwindung des Kapitalismus vorbei führen. Holen wir uns das gute Leben für Alle!
Für ein linkes NEIN zum Autobahnausbau am 24. November 2024!