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Das Fabrikkollektiv ex-GKN am Scheideweg

Solidaritätsdemo für das Fabrikkollektiv ex-GKN

Die verbleibenden ex-GKN-Arbeiter:innen aus Florenz sind am 3. Juni 2024 in den Hungerstreik getreten. Ein verzweifeltes Mittel, um ihrer Forderung nach einem staatlichen Eingriff zugunsten einer sozial-ökologischen Konversion des ehemaligen Autozulieferers Nachdruck zu verleihen.

von Caesar Anderegg, Lukas Ferrari, Moritz Frömel, Jan Caspar Lemke und Leon Switala; aus zeitschrift-luxemburg.de

Seit bald drei Jahren führen die Arbeiter:innen der ehemaligen Autozuliefer-Fabrik von GKN in Campi Bisenzio, einem Vorort von Florenz, einen offensiven Abwehrkampf gegen die Schliessung ihres Betriebes. Die im Sommer 2021 unmittelbar nach Erhalt des Entlassungsschreibens organisierte und nun permanente Betriebsversammlung des Collettivo di Fabbrica (Fabrikkollektiv) kämpft inzwischen nicht nur für den Erhalt der Arbeitsplätze, sondern auch für eine demokratische Selbstverwaltung sowie einen sozial-ökologischen Umbau (Konversion) der Fabrik. Getragen wird der Kampf durch ein ökologisches Bündnis aus Beschäftigten, Zivilgesellschaft und solidarischen Wissenschaftler:innen, lokalen linken Gruppen und Politiker:innen sowie radikalen Teilen der Gewerkschaften. Längst gilt der Kampf um die Fabrik international als Leuchtturmprojekt. Klar ist aber auch: Das Fabrikkollektiv befindet sich in einer schwierigen Position innerhalb der hegemonialen Verhältnisse und droht von Kapital und Staat in die Knie gezwungen zu werden.

Im Folgenden berichten wir über die aktuelle Lage und analysieren auf Basis von sechs Interviews mit den Aktiven die Grenzen und Potenziale der Auseinandersetzung um die Zukunft der Fabrik anhand drei zentraler Akteure: dem Staat, den Gewerkschaften und Fridays For Future Italien (FFF). Abschliessend fragen wir nach entscheidenden Hebeln für die Konversion der Fabrik und den Lehren, die wir für die Klimagerechtigkeitsbewegung und eine ökosozialistische Strategie ziehen können.

Ausgehungert, aber mit einem ausgefeilten Reindustrialisierungsplan

Vom derzeitigen Eigentümer Francesco Borgomeo bekämpft, von der italienischen Regierung unter Giorgia Meloni im Stich gelassen und nun seit sechs Monaten ohne Lohn, führt das Fabrikkollektiv mittlerweile einen Abnutzungskampf. Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten sind nur noch 140 Arbeiter:innen beim Unternehmen QF beschäftigt. QF wurde von Borgomeo gegründet, um das ehemalige Autozuliefererwerk zu übernehmen. Doch der Eigentümer spielt schon seit mehr als einem Jahr auf Zeit und verfolgt seit einem Urteil von Dezember 2023  gegen sein gewerkschaftsfeindliches Vorgehen einen noch aggressiveren Kurs. Im März 2024 versuchte er die Arbeiter:innen mit Abfindungszahlungen aktiv zu spalten. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichten die Angriffe auf das Fabrikkollektiv allerdings in der Nacht zum 3. April 2024: Unbekannte brachen in das Gelände ein und sabotierten gezielt den zentralen Stromkasten, der die Versorgung der Fabrik sicherstellt. Auch wenn die Täter:innen nicht ermittelt wurden, ist davon auszugehen, dass es im Dienste Borgomeos geschah. Der Sabotageakt, so der ehemalige Betriebsrat Dario Salvetti, war ein gezielter Angriff auf das kurz darauf stattfindende Festival di letteratura working class am 5. April, das nicht nur die kulturelle Verankerung des Kollektivs widerspiegelt, sondern auch eine substantielle Einnahmequelle ist. Doch das Fabrikkollektiv konnte auf sein internationales Solidaritätsnetzwerk zurückgreifen: Lokale Unterstützer:innen lieferten in Kürze fünf Generatoren, Gewerkschafter:innen aus Deutschland trieben Solarpanels auf und installierten sie auf dem Fabrikparkplatz.


Dario Salvetti, Sprecher des Fabrikkollektivs, sprach bereits Mitte 2023 von einem „widersprüchlichen Moment« der „Besetzung«. Nach aussen sei die Solidaritätsbewegung stärker denn je, aber innerhalb der Belegschaft zeigen sich Ermüdungserscheinungen und Existenzängste. Die nahezu aussichtslose Situation brachte die Arbeiter:innen dazu, am 18. Mai 2024 den Platz vor dem Landesparlament zu besetzen: Im Anschluss an eine Demonstration mit 10.000 Teilnehmenden wurden 30 Zelte in Sichtweite jener Politiker:innen aufgeschlagen, die  sich seit der Werksschliessung verbal zwar auf die Seite der Beschäftigten geschlagen, aber nicht wirklich gehandelt hatten.

Auf dem Tisch liegt ein konkretisierter Reindustrialisierungsplan: Aufgrund der langen Wartezeit auf die Patente wurde die Kohlenstoff-Nanorohr-Technologie verworfen. Dafür setzen die Arbeiter:innen nun auf die Herstellung konventioneller Solarmodule. Ergänzt wird dieses Kerngeschäft durch die bereits laufende Produktion von Lastenrädern. Laut dem Autor Salvatore Cannavò sind 60 Prozent der insgesamt notwendigen 7,6 Millionen Euro zur Aufnahme der Produktion bereits durch Eigenmittel der noch laufenden Finanzierungskampagne und Abkommen mit den Genossenschaftsverbänden gedeckt. Benötigt werden weitere drei Millionen Euro Bankdarlehen und die dauerhafte Bereitstellung des 8.000m2 grossen ehemaligen GKN-Areals. Zu diesem Zweck fordern die Arbeiter:innen vom italienischen Staat EU-Gelder, über die das Kollektiv im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans frei verfügt.

Die Widersprüche des Staates und die Folgen für das Fabrikkollektiv

Der Staat befindet sich im Kampf um die Konversion des Werks in einer zentralen und widersprüchlichen Rolle. Der bürgerliche italienische Staat zögert nicht, den Schutz des Privateigentums mit Gewalt durchzusetzen, während er gleichzeitig jene Rechtsverhältnisse garantiert, die den Kampf des Fabrikkollektivs überhaupt erst ermöglichen. Der Kampf um die Fabrik zeigt, dass der kapitalistische Staat seinerseits widersprüchlich ist und ein umkämpftes Terrain darstellt, das Resultat historischer und gegenwärtiger politischer Kämpfe zwischen unterschiedlichen Klassen und gesellschaftlichen Gruppen ist.

Diese Kämpfe haben sich konkret ins bürgerliche italienische Recht eingeschrieben, insbesondere in Form des Gesetzes Nr. 300 des Arbeiterstatuts aus dem Jahr 1970 sowie des Marcora-Gesetzes von 1985. Das Arbeiterstatut ist Resultat von Klassenkämpfen im «langen Heissen Herbst» 1968 und garantiert Arbeiter:innen verfassungsgemäss umfangreiche Schutz- und Beteiligungsrechte. Auf dieser Grundlage konnte die Metallgewerkschaft Federazione Italiana Operai Metallmeccanici (FIOM) im September 2021 und im Dezember 2023 erfolgreich gegen Kündigungen klagen, weil die gesetzliche Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde und den Kampf um die Fabrik weiterführen. Das Marcora-Gesetz wiederum sichert ein Vorkaufsrecht für Beschäftigte, die ihren Betrieb im Falle einer drohenden Schliessung als Genossenschaft übernehmen können. Institutionen wie Cooperazione Finanza Impresa (CFI) unterstützen die Beschäftigten dabei. Seit der Grossdemo in Florenz vom 18. Mai 2024 beruft sich das Fabrikkollektiv auf einen eigenen Gesetzesvorschlag, der vorsieht, regionale Konsortien für industrielle Entwicklung zu schaffen. Der Vorschlag basiert auf einem Gesetz von 1991, das die Inbetriebnahme von kleinen und mittleren Unternehmen mit nachhaltigem Charakter fördern und begleiten soll. Der Kampf um eine Zukunft von GKN-Florenz offenbart, dass der Staat einen unumgehbaren Bezugspunkt für jegliche Konversion darstellt.

Das Kräftemessen im bürgerlichen italienischen Staat macht sich im Fall von GKN besonders als Widerspruch zwischen unterschiedlichen Ebenen bemerkbar. So kann man auf kommunaler Ebene durchaus politische Erfolge verbuchen, berichtet Antonella Bundu, die im Florentiner Stadtrat die linke Oppositionsliste «Sinistra Progetto Comune» anführt und für die Fabrik die juristische Bürgschaft übernommen hat. Die Gemeinde von Campi Bisenzio steht hinter der Fabrikbesetzung und war sogar offizieller Partner des Literaturfestivals. Selbst im Rat von Florenz erhält man Unterstützung durch den relativ linken Bürgermeister Dimitri Palagi. Doch der Kampf auf nationaler Ebene sei bisher gescheitert, sagt Ferdinando, ein langjähriger Aktivist bei Fridays for Future Italien (FFF). Die faschistische Regierung von Giorgia Meloni habe ebenso wie die nationalen Gewerkschaften kein Interesse an Konversion und Vergesellschaftung. Diesen hegemonialen historischen Block aufzubrechen, wäre die zentrale Herausforderung für den Konversionskampf und richtungsweisend für kommende ökologische Klassenkämpfe. 

Die repressive Rolle des Staates hat in Campi Bisenzio unterschiedliche Gesichter. Einerseits drückt sich die Repression im Verzicht der Regierungs- und Oppositionsparteien zu handeln aus. Seit der Werksschliessung im Juli 2021 verfolgten alle drei aufeinanderfolgenden Ministerpräsident:innen – Conte, Draghi und Meloni – im Wesentlichen eine Taktik des Nichtstuns. Unter Meloni verschärfte sich das Verhältnis jedoch, sodass fast komplette Funkstille herrscht und das transformationsgebundene Kurzarbeiter:innengeld ausgesetzt wurde. Genau wie das Kapital spielt der Staat auf Zeit, um dem Fabrikkollektiv materiell und ideologisch die Kräfte zu rauben. Zudem will die Meloni-Regierung mit dem neuen «Anti-Rave» Gesetz, das Veranstaltungen kriminalisiert, in denen private bzw. leerstehende Räume besetzt werden, juristisch gegen das Kollektiv vorgehen, indem die Besetzung als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gebrandmarkt wird. 

Die Gewerkschaft FIOM und das Fabrikkollektiv

Auch auf der gewerkschaftlichen Bühne zeigen sich strategische Spannungen und Widersprüche. Vor der Schliessung von GKN-Florenz war die Metallgewerkschaft FIOM die stärkste Kraft unter den Beschäftigten. Das Fabrikkollektiv GKN entstand im Jahr 2018 aus einem Konflikt zwischen der Belegschaft und der FIOM. Der Sprecher des Fabrikkollektivs, Dario Salvetti, ist zwar seit einem Jahrzehnt zugleich gewählter FIOM-Betriebsrat, gilt aber als Teil der oppositionellen Strömung, die für einen kämpferischen und basisorientierten Kurswechsel eintritt. Das bringt Reibungen zwischen dem Fabrikkollektiv und der FIOM mit sich. Immer wieder konfrontierten die Arbeiter:innen den Vorsitzenden der CGIL, Maurizio Landini, und die FIOM-Sekretäre mit der Forderung, einen Generalstreik einzuberufen, um der Regierung eine kohärente und nachhaltige Industriepolitik abzuringen (Gori/Gori 2023). Gleichzeitig lehnte die zuständige Geschäftsstelle der FIOM-Florenz die Unterstützung der vom Fabrikkollektiv gegründeten Genossenschaft ab. Es zähle nicht zu den Aufgaben einer Gewerkschaft, die Interessen von ehemaligen Arbeitnehmer:innen zu vertreten, die zu Genossenschafter:innen geworden sind.

Diese lokalen gewerkschaftsinternen Spannungen spiegeln das Unbehagen der italienischen Gewerkschaftsbürokratie gegenüber Konversionsalternativen wider. Es zeichnet sich ab, dass die tiefgreifende Transformation der Automobilindustrie in Italien in den nächsten Jahren ca. 70.000 Arbeitsplätze kosten wird (Bertolino 2022). Beim Stellenabbau liegt der Automobilhersteller Stellantis im internationalen Vergleich ganz vorn, was die italienischen Metallgewerkschaften unter Handlungsdruck setzt. Diese Situation treibt die Gewerkschaften, mit Hans-Jürgen Urban gesprochen, in eine «strategische Zwickmühle» (Urban 2009, 72f): Sie müssen einerseits Erwartungen der eigenen Mitglieder wie die Standortsicherung und die Verteidigung von Einkommen und Arbeitsstandards erfüllen und andererseits langfristig den notwendigen Umbau des industriellen Kapitals mitgestalten. Angesichts dessen versucht eine «strukturkonservative gewerkschaftliche Interessenpolitik» (ebd.) nationale Standorte weiter gegeneinander auszuspielen und an fossilem Kapital festzuhalten. Um aus dieser Zwickmühle zu kommen, müsste eine «transformative Realpolitik» verfolgt werden, die den relativ beschränkten Handlungsspielraum von Gewerkschaften ausweitet und die eigenen Strukturen verändert (ebd.). Der dreijährige Kampf des Fabrikkollektivs wäre hierfür ein wertvoller Fundus.

Die Notwendigkeit einer transnationalen Gewerkschaftspolitik

Der Fall GKN-Florenz beweist, dass eine rein nationale Gewerkschaftspolitik multinationalen Unternehmen nicht die Stirn bieten kann. Mittlerweile ist klar, dass die Unternehmensleitung schon seit Februar 2020 unter dem Projektnamen «Skye» an der Schliessung von GKN-Florenz arbeitete. Auch wenn die Schliessung plötzlich angekündigt wurde, hatte sie sich durch irrationale Einkäufe und mangelnde Instandhaltung angedeutet. Eine stringente und nachhaltige Gewerkschaftspolitik kann entsprechend nur europäisch umgesetzt werden, wie der FIOM-Chef Michele De Palma regelmässig betont: «Verhandlungen mit einem multinationalen Unternehmen, welches die Arbeiter:innen und die Staaten der verschiedenen Standorte bewusst gegeneinander ausspielt, können nur eine europäische Organisation aufnehmen» (Fargnoli 2022). Tatsächlich erweisen sich die derzeitigen gewerkschaftspolitischen Strukturen auf europäischer Ebene, wie der Euro-Betriebsrat, als fähig, kollektive und längerfristige Antworten auf Standortverlagerungen zu geben. Ein vielversprechendes Beispiel transnationaler gewerkschaftlicher Kooperation ist das seit dem Jahr 2014 laufende Programm zwischen der IG-Metall Wolfsburg und der FIOM Emilia-Romagna. Durch die nahe Bologna gelegenen Werke von Ducati und Lamborghini, beides Marken der VW-Gruppe, verbinden die beiden Regionen enge industrielle Beziehungen. Der regelmässige unternehmensbezogene Austausch hat etabliert, dass laufende Tarifverhandlungen immer von einem Besuch in der Partnerregion begleitet werden, um tarifpolitisch relevante Informationen einzuholen. Die Protagonist:innen dieser Kooperation fordern jedoch zusätzlich, den geografischen Horizont solcher Programme zu erweitern und auch die von der Transformation stark getroffene Zulieferindustrie ins Visier zu nehmen (Telljohann/Bulgarelli 2022, 150).

Fridays for Future-Italien: Zwischen Kräfteschwund und Labour Turn

Neben Staat und Gewerkschaften spielt FFF-Italien für die Fabrikbesetzung eine entscheidende Rolle. Zusammen mit der lokalen Bevölkerung und linken Gruppen unterstützte die Bewegung von Beginn an. In den letzten Jahren hat die italienische Klimabewegung, forciert durch die anhaltende Auseinandersetzung mit der «Realutopie» des Kampfes des Fabrikkollektivs, eine strategische Wende hin zu Arbeit und Produktion (Labour Turn) vollzogen. Besonders FFF-Italien fokussiert sich stark auf Arbeitskämpfe. Diese Strategiewende entsprang der Analyse, dass es die kapitalistische Produktion ist, die die ökologische Krise hervorruft. Daher ist die Hauptidee, so Emanuele, Sprecher von FFF-Italien, «die Arbeitszeit zu reduzieren, eine andere Produktion aufzubauen und in einigen Sektoren insgesamt weniger zu produzieren». Der Bewegung wurde klar, dass nur die Arbeiter:innen selbst eine gerechte und ökologische Transformation erkämpfen und umsetzen können, so Ferdinando von FFF-Turin. Nur sie besässen die Streikmacht und das praktische Wissen dafür. Eine praktische und politische Annäherung an die Arbeiter:innen sei auch deshalb wichtig, weil sich Arbeits- und Klimakämpfe in der Vergangenheit oft diametral in einem «Job-versus-Environment-Dilemma» gegenüberstanden. Beide Aktivisten betonen, wie wichtig es sei, Ressentiments abzubauen sowie Glaubwürdigkeit bei den Arbeiter:innen zu gewinnen. Dies lege die nötige Grundlage für nationale Kampagnen. Aus diesen Erwägungen ging FFF-Italien schon bald nach der Fabrikbesetzung im Juli 2021 auf das Fabrikkollektiv zu. Darüber hinaus äusserte sich der Labour Turn bei FFF-Italien auch in Solidaritätsaktionen mit den Arbeitskämpfen bei Fiat-Mirafiori (Stellantis) in Turin und den entlassenen Arbeiter:innen von Mecaner bei Urduliz im Baskenland (ebenfalls Stellantis). Letztere inspirierten sich in ihrem Abwehrkampf stark vom Fabrikkollektiv und erarbeiteten ebenfalls einen Konversionsplan.

Als das Fabrikkollektiv 2023 zunehmend unter Druck geriet, intensivierte FFF seine Unterstützung in veränderter Form. Angesichts der schwindenden Löhne und der nachlassenden Kampfkraft der Arbeiter:innen begannen die Aktivist:innen erstens, das Fabrikkollektiv vor Ort in seinen Konversionsplänen zu unterstützen, etwa bei der Ausarbeitung alternativer Produktionspläne. Zweitens wurde auf nationaler Ebene an einer Kampagne für «Climate Jobs» gearbeitet, die eng mit dem Kampf des Fabrikkollektivs verbunden ist und im März 2024 lanciert wurde. Die Kampagne betont die Relevanz von sicheren, sozialen und nachhaltigen Arbeitsplätzen für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft. Diese Kampagne scheint eine wichtige, strategische Ergänzung zur Beteiligung an konkreten Arbeitskämpfen zu sein. Denn sie gibt den konkreten Arbeitskämpfen mit einer nationalen, öffentlichen Forderungspolitik einen strategischen Rahmen und verbindet Ökologie und Beschäftigungsperspektiven branchenübergreifend. Trotzdem ist fraglich, ob FFF in der gegenwärtigen Verfassung genügend diskursive Macht hat, um ihr landesweit Nachdruck zu verleihen. Dafür bräuchte sie wohl Unterstützung der Gewerkschaften oder linker Parteien. Genau diese Unterstützung der nationalen Gewerkschaften blieb bis bisher aus, so Ferdinando von FFF. Dennoch zeigt das jüngste Beispiel des Busherstellers Industria Italiana Autobus (IIA), dass auch innerhalb der Metallgewerkschaft FIOM die Notwendigkeit einer dezidierteren Allianz mit Akteur:innen der Klimabewegung erkannt wurde. So hielten in Bologna die FIOM und FFF eine gemeinsame Versammlung am 3. Juni 2024 an den Toren der von Schliessung bedrohten Busfabrik ab. Die mit T-Shirts vom Fabrikkollektiv bestückten Klimaaktivist:innen diskutierten den Konversionskampf von ex-GKN als wegweisendes Versatzstück einer von den Arbeiter:innen selbst getragene alternativen Industriepolitik. 

Fazit: Allianzen in schwierigen Zeiten

Der offensive Abwehrkampf des Fabrikkollektivs droht an der Übermacht von Staat und Kapital sowie am Zögern nationaler Gewerkschaften früher oder später zu scheitern. Daher ist die Frage drängend, welche Lehren wir für Allianzen zwischen Klimabewegungen und ökologischen Arbeitskämpfen und darüber hinaus eine ökosozialistische Strategie ziehen können. Denn im Automobilsektor stehen international Massenentlassungen an, Transformationskonflikte werden sich in Zukunft also weiter verstärken. Der Fall GKN-Florenz zeigt, dass ökologische Klassenkämpfe über Grenzen hinweg koordiniert werden müssen. Erst wenn sich Arbeiter:innen verschiedener Produktionsstandorte und Branchen entlang der Wertschöpfungsketten miteinander solidarisieren, können sie diese an vulnerablen Stellen gezielt unterbrechen, um Druck aufzubauen. Auch wenn wir von einer solchen organisatorischen Macht heute Meilen entfernt sind, gilt es, darauf hinzuarbeiten.

Wie schwierig sich das gestaltet, zeigt der sich gegenwärtig zuspitzende Konversionskampf des Fabrikkollektivs. Die kapitalistisch forcierte Transformation der Automobilindustrie droht die Bestrebungen der Arbeiter:innen von ex-GKN zu erdrücken. Auf nationaler Ebene ist man von Geschehnissen abhängig, die sich dem Zugriff des Fabrikkollektivs entziehen. Der faschistischen Regierung Melonis kann man bis dato kaum etwas entgegensetzen. Sie bildet zusammen mit dem Kapital den wohl am schwersten zu knackenden Machtblock. Um mittelfristig zumindest ein Stück aus diesem herauszubrechen, gilt es vor allem, die Widersprüche in den Gewerkschaften anzugehen. Hier bestehen institutionelle Ansatzpunkte, um Gewerkschaften europäischer aufzustellen – um so das Kapital unter Druck zu setzen. Zuletzt zeigt die Klimabewegung in Form von FFF-Italien, dass die Fokussierung auf Arbeitskämpfe notwendig und wichtig ist, aber auch, welche Härten damit einhergehen. Doch auch wenn die Climate Jobs Kampagne noch wenig Durchschlagskraft entwickeln konnte, um ein überzeugendes Framing für Arbeitskämpfe darzustellen, und die mühsame Basisarbeit in Arbeitskämpfen manche Aktivist:innen gekostet hat, sollte der Labour Turn nicht frühzeitig als unwirksam kritisiert werden. Denn durch die sozial-ökologischen Allianzen wurden zum einen Kämpfe wie jener des Fabrikkollektivs tatkräftig und entscheidend unterstützt und zum anderen Ressentiments und Vorurteile von Arbeitenden und der Bevölkerung abgebaut, sowie Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewonnen. Die Früchte des Labour Turns werden erst langsam heranreifen.

Für die Klimabewegung erscheint uns zudem eine internationalistische Solidaritätsarbeit für den Aufbau transnationaler Allianzen notwendig, wie jene der letzten drei Jahren mit dem Fabrikkollektiv. Diese Erfahrung hat gezeigt, dass es dabei nicht einfach um die Unterstützung eines lokalen Kampfes von aussen geht. Diese Arbeit ist ein enorm hilfreiches Werkzeug, um weiter an den hiesigen Allianzen zu schrauben und für Kolleg:innen von Ver.di und der IG-Metall Konversionsalternativen greifbar zu machen. Auf Bildungsreisen und -urlauben konnten wir die transnationale Vernetzung zwischen Beschäftigten, Klimabewegung und Gewerkschaftsaktiven ausbauen. Die Solidaritätsarbeit mit ökosozialistischen Leuchtturmprojekten wie jenes in Campi Bisenzio ergänzen die alltägliche gewerkschaftliche Betriebsarbeit, indem sie das imaginative Feld der Kampfmöglichkeiten von Beschäftigten erweitern und ihre Vorstellungskraft in Richtung ökologischen Produktionsalternativen stärken.


Literatur

Candeias, Mario/Krull, Stephan, 2022: Spurwechsel: Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion, Berlin 

Dörre, Klaus, Holzschuh, Madeleine, Köster, Jakob, Sittel, Johanna (Hg.), 2020: Abschied von Kohle und Auto? Sozial-ökologische Transformationskonflikte um Energie und Mobilität, Frankfurt am Main

Telljohann, Volker/Bulgarelli, Michele, 2022: Fra la via Emilia e la Germania: intrecci economici e cooperazione sindacale tra FIOM-CGIL e IG-METALL, Bologna

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