Dieser Text basiert auf einer Broschüre der Arbeitsgruppen Ökosozialismus Zürich und Basel, welche wir zum Doppel-Workshop «Ökosozialistische Strategien» am Anderen Davos im Januar 2025 geschrieben haben. Der Text wurde seither leicht überabeitet. Darin haben wir einige Überlegungen zur Klimagerechtigkeitsbewegung in der Schweiz und darüber hinaus formuliert. Diese Broschüre stellt die Zusammenfassung unserer Strategiediskussionen dar (Stand: Ende 2024), auch wenn einzelne Mitglieder einige Dinge vielleicht anders formulieren oder priorisieren würden. Dabei handelt es sich weniger um ein fertiges, kohärentes Positionspapier, sondern um einen Beitrag zur Strategiediskussion innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung.
von AG Ökosozialismus, BFS Basel & Zürich
Die Klimabewegung in der Schweiz
These 1: Akteure der Klimabewegung verlieren seit 2020 an Mobilisierungsfähigkeit, gewinnen aber an politischem Profil.
- Zu den zentralen Akteuren in der Schweiz zählen wir Collective Climate Justice (seit 2017), Klimastreik (seit Ende 2018), Extinction Rebellion (2019), ActNow! (a.k.a. Renovate und Liberate, seit 2023) und viele weitere, lokale Kollektive.
- Die zentralen Akteur:innen wie der Klimastreik haben seit 2020 an gesellschaftlicher Macht verloren. Dies hat unterschiedliche Ursachen. Es gab mehrere externe Momente der Zäsur, welche die grosse Mobilisierung gebremst haben: a) die Corona-Pandemie, b) der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Pandemie erschwerte die Organisierung, während sich die mediale und parlamentarische Aufmerksamkeit weg von der Klimakrise und hin zu Kriegen und Geopolitik verschob.
- Es war aber auch Resultat von internen, strategischen und organisatorischen Faktoren: a) die Entscheidungs-unfähigkeit des Klimastreiks, ob schweizweit ein Referendum gegen das CO2-Gesetz von 2021[1] zu ergreifen ist, b) die Dominanz der, primär diskursiv-symbolischen Aktionsformen wie Demos und ziviler Ungehorsam erhalten in einer kapitalistischen Medienindustrie schnell weniger Aufmerksamkeit. Auch das Mobilisierungspotenzial ist gesunken: Das «Rise Up for Change» und die Besetzung des Bundesplatzes 2020 in Bern waren Höhepunkte. Doch die Aktionsformen gingen selten über kurzfristige, symbolischen und appellativen Protest hinaus. Für viele in der Bewegung bleibt/blieb die Medienwirksamkeit das hauptsächliche Erfolgskriterium. Entsprechend konnten die Aktionen keine substanziellen, materiellen Verbesserungen in Form von Gesetzen oder sozial-ökologischer Transformation.
- Im Rahmen des «Strike for Future» startete der Klimastreik 2020 den Versuch eines «Labour-Turns» in der Klimabewegung. Dem lag die Überzeugung zu Grunde, dass eine sozial-gerechte, antikapitalistische Klimapolitik nur zusammen mit den Arbeiter:innen (nicht nur der Lohnarbeitenden) möglich ist. Mit dem Fernziel eines Generalstreiks wurden Kontakte mit der feministischen Bewegung und den Gewerkschaften geknüpft. Das Projekt scheiterte jedoch. Neben der Corona-Pandemie liegt ein Grund sicherlich darin, dass man vor allem auf Gewerkschaftsspitzen zuging und weniger auf Arbeiter:innen selbst.
- Die Kombination aus externen und internen Faktoren führte zur Desillusionierung und Demobilisierung innerhalb der Bewegung. Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass parallel dazu die Tendenz zu sehen ist, dass sich einige Akteure theoretisch-ideologisch ausdifferenziert und, radikalere Positionen entwickelt haben: Die Bewegung ist vermehrt und expliziter antikapitalistisch sowie intersektional. Nicht nur gab/gibt es in grossen Aktionen eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Akteur:innen der Klimabewegung. Vermehr haben sich die Kämpfe auch mit anderen Kämpfen, wie dem Kampf um Bleibefreiheit, verbunden.
- Auch dem Klimastreik ist es zu verdanken, dass es zu einer breiten Politisierung junger Menschen gekommen ist. Viele, die sich im Klimastreik politisierten, sind unterdessen in anderen Bewegungen oder Organisationen aktiv.
These 2: Die Klimabewegung in einer strategische Suchbewegung: Ausdifferenzierung, NGO-isierung, Labour-Turn.
- Es gibt keine grösseren schweizweiten Zusammenhänge, Events und Kampagnen. Deshalb werden sehr unterschiedliche lokale Dynamiken stärker sichtbar. Auch die eher institutionellen Kräfte wenden sich zur lokalen bzw. kantonalen Politik hin (z.B. «Basel 2030», eine Haustürkampagne für ein kantonales netto Null-Gesetz bis 2030), auch als Resultat auf das Scheitern des nationalen CO2-Gesetzes von 2021.
- Ein Teil der Klimabewegung NGO-isiert sich: in den Ansätzen – (Begriffe, Vokabular, Medienorientierung, Aktionsformen, Kampagnen), aber auch im Personal. Ein Beispiel dafür ist das Moving Change Collective, wobei wir hier NGO-isierung mehr als Veränderung der Arbeits- und Kommunikationsprozesse verstehen und weniger als eine Veränderung von einzelnen Aktivist:innen.
- Schweizweit gibt es eine strategische Suchbewegung: Es gibt zwar einen starken Willen zur Zusammenarbeit und Interesse am überregionalen Austausch. Die 2024 organisierte schweizweite Strategiediskussion, durchgeführt an zwei Wochenenden durch Collective Climate Justice, ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Anfang. Aber gleichzeitig findet auch eine Entpolitisierung statt («Zusammenarbeit ist alles»), ohne dass Differenzen benannt und gegenseitige Kritik formuliert wird. Das führt zu einem beliebigen Nebeneinander von unterschiedlichen Ansätzen ohne begleitende Strategiediskussionen, was sich im Ansatz der „Ökologie der Bewegungen“ emblematisch zeigt.
- Ein Ansatz ist die «Eskalation in die Breite», also die Aktivierung von Menschen mittels Haustürgesprächen, Stammtischen und humorvollen Aktionen. Damit werden mehrheitlich über 40-Jährige angesprochen. Die «inhaltliche Eskalation», also die Popularisierung von antikapitalistischen Forderungen, steht diesem Organizing scheinbar im Weg.
- Es gibt aber auch radikalere Ansätze: Zum Beispiel in Bern, wo sich ein Kampf für die Vergesellschaftung des lokalen Stromkonzerns formiert. Zudem ist der Labour-Turn von kleinen Teilen der Klimabewegung hervorzuheben, der sich in der solidarischen Unterstützung von Arbeiter:innen der Stahlwerke in Gerlafingen und Emmenbrücke zeigten. In Basel, entstand mit dem «Revolutionären Klimakollektiv» eine Klimagruppe, die sich dezidiert antikapitalistisch positioniert.
Theoretische Überlegungen und strategische Schlüsse der BFS
These 3: Theoretische Grundannahmen
- Kapital- und Klassenverhältnis: Aus ökosozialistischer Sicht ist das Kapitalverhältnis, welches gleichzeitig ein Klassenverhältnis ist, der Ausgangspunkt für das Verständnis der ökologischen Krise. Dieses Klassenverhältnis strukturiert, wie Gesellschaften die Produktion, die Reproduktion sowie das Verhältnis zur Natur organisieren. Im Kapitalismus geschieht dies durch die Ausbeutung von Arbeiter:innen und den Raubbau an der Natur. Deshalb ist das Klassenverhältnis die grundlegende Ursache des gestörten Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur.
- Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur: Das entscheidende Bindeglied zwischen Klassenverhältnis und gesellschaftlichem Stoffwechsel ist die menschliche Arbeit. In jeder Gesellschaft muss der Mensch die Natur be- und verarbeiten, um sich zu reproduzieren. Daher sind die Arbeitsverhältnisse zentral für die Produktion und Reproduktion einer Gesellschaft und bestimmen den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur. Das heisst auch, dass jede Auseinandersetzung über diesen Stoffwechsel zugleich eine Auseinandersetzung über die Organisation der Produktion, der Zirkulation und des Konsums von Waren sowie des reproduktiven Alltagslebens der Menschen ist – und umgekehrt.
- Ausgeweiteter Arbeitsbegriff: Feministische und Schwarze Marxismen zeigen auf, dass der Arbeitsbegriff über die Lohnarbeit in der Produktion hinaus erweitert werden muss, um den Kapitalismus als gesellschaftliche Totalität sehen und seine Krisen besser zu deuten. Die Überausbeutung von schlecht oder unbezahlter Reproduktionsarbeit sowie der Arbeit von unfreien, rassifizierten Menschen ist Existenzbedingung für die funktionierende kapitalistische Ökonomie. Arbeit umfasst also jede praktische Produktion und Reproduktion des Lebens. Somit muss Reproduktion/Produktion zusammen gedacht und politisiert und der Arbeitsbegriff entsprechend breiter gefasst werden.
- Ausgeweiteter Klassenbegriff: Wenn «Arbeit» breiter verstanden wird, weitet sich auch der Begriff der Klasse. Als Arbeiter:innen verstehen wir deshalb nicht nur jene, welche für Lohn in der Produktion arbeiten, sondern auch all jene, die (bezahlte und unbezahlte) Reproduktionsarbeit leisten, versklavt oder kolonisiert sind. Dies gilt insbesondere für FINTA*-Personen und rassifizierte Menschen, auf deren unbezahlte Arbeitskraft der Kapitalismus für seine Reproduktion speziell angewiesen ist.
- Degrowth: Der Kapitalismus benötigt Wirtschaftswachstum. Eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch ist bisher empirisch nicht nachweisbar und es ist theoretisch fraglich, ob sie überhaupt möglich ist. Aus ökologischen Gründen muss die Produktion deshalb drastisch verringert, gewisse wirtschaftliche Sektoren aber dennoch stark ausgebaut werden (erneuerbare Energien, öffentliche Infrastruktur, Care-Bereich, etc.). Zudem muss die Schrumpfung sozial-gerecht umgesetzt werden, vor allem global.
- Ökosozialismus: Der Ökosozialismus ist eine ganzheitliche Antwort auf die aktuellen ökologischen und sozialen Krisen und den Faschismus. Es braucht eine gerechte Gesellschaft, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und dem Profit- und Wachstumszwang überwindet. Bisher besitzen aber grosse Konzerne und Regierungen die Kontrolle über Ressourcen und Land. Daher braucht es eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Die Menschen müssen selbst darüber entscheiden können, wie sie leben und was sie produzieren wollen. Das heisst, es benötigt eine demokratische Planung der Wirtschaft. Denn die Klimakrise wird durch den Kapitalismus, der unendliches Wirtschaftswachstum benötigt, verursacht.
These 4: Aus diesen theoretischen Überlegungen leiten wir eine Strategie der ökologischen Klassenpolitik ab.
- Verbreitete Protestformen wie Klimademos und ziviler Ungehorsam reichen allein nicht, um effektive Gegenmacht aufzubauen. Deshalb setzen Ökosozialist:innen auf Strategien, die auf die Verbindung von Klimakämpfen mit Arbeitskämpfen abzielen. Denn nur die Arbeiter:innen haben das Know-how und die ökonomische (Streik-)Macht, einen ökologischen Wirtschaftsumbau auf der Ebene des konkreten Arbeitsprozesses gegen die Interessen des Kapitals durchzusetzen.
- Notwendig ist deshalb ein Schulterschluss der Klima- und der Arbeiter:innenbewegung: Ein Labour-Turn in der Klimabewegung und ein Climate-Turn in der Gewerkschaftsbewegung, um das fossile Kapital zu vergesellschaften mit den Zielen von sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Demokratie und einem Leben innerhalb planetarer Grenzen. Dabei können sich die Klimabewegung und Arbeiter:innenbewegung gegenseitig bestärken, die Diskursmacht der Klimabewegung wird durch die Machtressourcen der Arbeiter:innen ergänzt und umgekehrt. Die Arbeiter:innenbewegung muss hier aber auch über die produktive Sphäre hinausgedacht werden. Das ist eine Schwierigkeit, denn wir müssen auch jenseits von bestehenden gewerkschaftlichen Strukturen und Traditionen Möglichkeiten der Organisierung erwirken. In dieser Herausforderung kann die Klimabewegung von Erfahrungen der antirassistischen Bewegung lernen, die jahrzehntelange Erfahrung im Organizing hat.
- Fossile Sektoren müssen umgebaut (Automobilsektor, Logistik, Landwirtschaft, Bausektor, etc.) oder gleich ganz rückgebaut (Waffenindustrie, Flugsektor, Öl-, Kohle- und Gasindustrie, etc.) werden. Die allermeisten Gewerkschaften sehen jedoch die Notwendigkeit eines solchen Um- bzw. Rückbaus nicht ein. Sie spielen damit dem «jobs vs. environment dilemma» in die Hände, das Jobsicherheit gegen Klimaschutz ausspielt. Ein erweiterter Arbeitsbegriff, der auch die reproduktiven Sphären politisiert, kann dieses Dilemma der Arbeiter:innen potenziell aufbrechen.
- Die Klimabewegung kann eine sozial-ökologische, radikale Transformationen erwirken, indem sie in den um- und zurückzubauenden Betrieben eine Organisierung der Arbeiter:innen unterstützt und vorantreibt. Perspektivische Ziele liegen in der Erneuerung der Gewerkschaften und in der Stärkung der Selbstorganisierung der Arbeiter:innen. Die Klimabewegung sollte deshalb auf Projekte unterstützen und organisieren, die den Klassenformierungsprozess befördern, wie das beispielsweise die Kampagne «Wir fahren Zusammen» in Deutschland oder „Wir fahren gemeinsam“ in Österreich und vor allem der Kampf des „Collettivo di Fabbrica“ in Florenz, tun.
Strategische Schwierigkeiten einer ökologischen Klassenpolitik aus Sicht der BFS
These 5: Organizing und Basisarbeit haben einige Tücken, auf die wir als BFS nicht gut vorbereitet sind.
- Unter Organizing verstehen wir die politische Mobilisierung und Ermächtigung von bislang inaktiven Gruppen im Rahmen einer Kampagne in spezifischen gesellschaftlcihen Räumen, die nicht wie politische Gruppen selbstselektiv sind. Dabei wollen wir Ziele erreichen, die über das unmittelbare Projekt und seine Forderungen hinausgehen: den langfristigen Aufbau von widerständigen Strukturen und Selbstorganisierung (z.B. in den Quartieren und an den Arbeitsplätzen). Unter Basisarbeit verstehen wir Direkthilfe, wie bspw. Rechtsberatung.
- Organizing und Basisarbeit sind zwei Schlagworte in der linksradikalen Bewegungslandschaft. Aber Organizing zu betreiben ist voraussetzungsvoll, mühsam und ressourcenintensiv, weshalb Organisationen wie die BFS sich noch (zu) selten darauf einlassen. Weitere Gründe könnten sein:
- Wir kommen selber zu wenig aus dem Milieu, das wir organisieren wollen: Arbeiter:innen in um- und rückzubauenden Sektoren und in prekären Arbeitsverhältnissen der Reproduktion.
- Wir bringen (im Moment) noch nicht die Ressourcen und Fähigkeiten mit, die für Basisarbeit nötig sind (Rechtsberatungen, Direkthilfe, etc.). Diese müssen gemeinsam und in der Praxis erlernt werden.
- Beim Organizing müssen die grösseren analytischen Zusammenhänge in der Propaganda vor der Kommunikation zurücktreten, die nötig ist, um die Basis zu organisieren. Die inhaltliche Arbeit tritt also hinter das Organizing zurück. Forderungen und Analysen müssen teilweise angepasst werden, wodurch immer die Gefahr der Verwässerung und des Reformismus besteht. Einen Ausweg aus dieser Gefahr gibt es aber nicht.
- Basisarbeit bedeutet, aus der komfortablen linksradikalen Bubble, wo sich Überzeugungen und Sprache ähneln, rauszugehen und sich bewusst für ein ansprechendes Auftreten entscheiden zu müssen.
- Wenn eine Organisation sich aus diesen Gründen gegen Organizing entscheidet, kann und sollte sie dennoch mit Organisationen zusammenarbeiten, die selbst Organizing betreiben. In diesen Zusammenhängen kann erstere Organisation das Organizing der letzteren Organisation punktuell unterstützen und Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Ein Beispiel dafür ist die europaweite Solidaritätskampagne rund um die breit abgestützte ökologische Klassenkampf rund um das „Collettivo di Fabbrica“ und deren Fabrikbesetzung in Campi Bisenzio bei Florenz.
- Um in um- und rückzubauenden Sektoren wie Logistik, Landwirtschaft, Bausektor, Waffenindustrie, Flugsektor, Öl-, Kohle- und Gasindustrie, Finanzsektor, etc. eine erfolgreiche ökologische Klassenpolitik zu betreiben, erscheint es uns nicht nachhaltig, selbst in diese Betriebe einzutreten. Wir müssen also anfangen, mit den entsprechenden Gewerkschaften, Vertrauensleuten und Arbeiter:innen längerfristig zusammenzuarbeiten. Aber diese stehen gegenwärtig den notwendigen ökologischen Transformationsprozessen teils explizit entgegen. Umso wichtiger ist die persönliche Auseinandersetzung in konkreten Konflikten. Nur dort können wir den Arbeiter:innen zeigen, dass wir sie nicht als Gegener:innen eines radikalen ökologischen Umbaus verstehen, sondern als dessen zentrale Akteur:innen. Es gibt jedoch wichtige Ausnahmen wie den Kampf um das Stahlwerk Gerlafingen und diverse kleine Basisgewerkschaften wie IWW und FAU, die wir auch als Aussenstehende gut unterstützen können. Auch sind Gewerkschaften nicht als monolithisch und unveränderbar zu sehen, sondern auch als widersprüchliche, massenintegrative Apparate und Verdichtung von Kräfteverhältnissen, in welchen auch Machtkämpfe um Positionen und Strategien passieren.
- In auszubauenden Sektoren wie dem öffentlichen Verkehr, dem Care-Sektor, Bildung sowie in der Produktion von Wind-, Wasser- und Solarenergie findet eine ökologische Klassenpolitik günstigere Bedingungen vor. Denn eine sozial-ökologische Transformation beinhaltet verbesserte Löhne, Arbeitsbedingungen und Anerkennung für die entsprechenden Arbeiter:innen. Hier sind gewerkschaftliche Strukturen bislang schwächer ausgeprägt. Ein Ausbau dieser Sektoren bewirkt jedoch nicht unmittelbar eine Senkung der CO2-Emissionen und anderen Formen der Umweltzerstörung. Deshalb müssen wir versuchen in beiden Sektoren solidarisch zu intervenieren und einen sozialen und ökologischen Um- und Rückbau gewisser Industrien mit dem Ausbau anderer zusammen zu denken und zu führen.
These 6: Herausforderungen und Wege daraus
- Als BFS sind wir also mit folgender Schwierigkeit konfrontiert: Wie können wir in um- und rückzubauenden Sektoren ökosozialistisch aktiv sein, wenn a) die Klimabewegung abgeflacht ist und b) es in diesen Sektoren nur wenige Gewerkschaften gibt, die für unsere Unterstützung offen sind?
- Fragen und Herausforderungen:
- Wie kann Organizing in Sektoren betrieben werden, in denen gewerkschaftliche Strukturen traditionellerweise nicht existieren?
- Welche Sektoren der Reproduktion/Produktion sollen wie politisch bearbeitet werden? Welche Fraktionen der Arbeiter:innenklasse haben für uns strategisch welche Priorität?
- Können wir die Kontinuität reinbringen, die für eine erfolgreiche ökologische Klassenpolitik nötig ist?
- Oft setzen wir voraus, dass unsere Unterstützung in der Belegschaft gewollt ist. Wie gehen wir in Situationen vor, in denen ein Teil der Belegschaft und/oder die Gewerkschaft selbst keine Lust auf uns haben? Was können wir der Belegschaft jenseits von politischen Analysen und Öffentlichkeitsarbeit konkret anbieten, um ihre Kämpfe zu unterstützen?
- Möglichkeiten einer ökologischen Klassenpolitik:
- Inhaltliche Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit durchführen:
- Vielleicht zu grosse Ähnlichkeiten zu dem, was grosse NGOs wie Greenpeace bereits mit mehr Ressourcen machen?
- In sozialen Bewegungen mitarbeiten, die zwar noch keinen expliziten Klimabezug haben, dafür aber offen sind (bspw. die (queer-)feministische Bewegung)
- Läuft Gefahr, belehrend zu wirken und von der Bewegung nicht erwünscht zu sein.
- Fokussiert nicht auf die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft?
- Suche nach Möglichkeiten für Organizing und Basisarbeit
- (Wieder-)Aufnahme des Austauschs mit Gewerkschaften (z.B. Unia, VPOD) zu potenzieller Zusammenarbeit zu der sozial-ökologischen Transformation.
- Analyse der Arbeitsbedingungen in Sektoren, die wichtig für die Transformation sind (ÖV, Bau, etc.).
- Austausch mit dem Bündnis des Stahlwerks Gerlafingen zu potenzieller Zusammenarbeit.
- Zusammen mit dem Klimastreik und dem RKK ein Projekt wie «Wir fahren zusammen/gemeinsam» anreissen, in welchem wir uns mit Gewerkschaften und Arbeiter:innen verbünden und gleichzeitig die eigene inhaltliche, diskursive Stärke einbringen.
- Inhaltliche Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit durchführen:
Glossar
Labour-Turn: Strategische Wende in der Klimabewegung hin zu Arbeit und Reproduktion/Produktion (und damit weg von Konsum, Appell an Politik, etc.).
Climate-Turn: Strategische Wende in der Gewerkschaftsbewegung hin zu einer sozial-ökologischen Konversion.
Organizing: Die politische Mobilisierung und Ermächtigung von bislang inaktiven Gruppen im Rahmen einer Kampagne. Dabei verfolgen wir Ziele, die über das unmittelbare Projekt und seine Forderungen hinausgehen: den langfristigen Aufbau von widerständigen Strukturen und Selbstorganisierung.
Basisarbeit: Direkthilfe, wie bspw. Rechtsberatung.
Imperiale Lebensweise: Die dominante Lebensweise im Globalen Norden ist auf Arbeitskraft und Ressourcen aus dem Globalen Süden angewiesen, sie ist insofern imperial. Viele Menschen im Globalen Norden (auch dessen arbeitende Klassen) kommen dadurch in den Genuss von Vorzügen, die aber auf Kosten anderer Menschen und der Natur erkauft sind. Diese Verhältnisse sind nicht nur wirtschaftlich und politisch festgelegt, sondern als Lebensweise auch in alltäglichen Gewohnheiten und Überzeugungen verankert. Die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden, bedeutet also auch, eine etablierte und komfortable Lebensweise in Frage zu stellen, was in der Arbeiter:innenklasse des Globalen Nordens verständlicherweise (grosse) Widerstände weckt.
(Sozial-ökologische) Transformationskonflikte: Die Klimakrise bewegt einige Regierungen von kapitalistischen Gesellschaften zu tiefgreifenden Massnahmen, z.B. zum Verbot von Benzinmotoren. Wo diese Umbruchprozesse treffen auf soziale Verhältnisse treffen, werden sie oft zu «grünem Klassenkampf von oben» auf dem Rücken der ausgebeuteten Klassen. Es besteht die Gefahr einer Spaltung zwischen Klimaaktivist*innen und Beschäftigten («jobs vs. environment dilemma»).
jobs vs. environment dilemma: Die Arbeiter*innen sind im Kapitalismus gezwungen zu arbeiten, um zu überleben und daher abhängig von sozial und ökologisch nicht nachhaltigen Jobs. In «grünen» Transformationsprojekten werden ganze Branchen um- und abgebaut. Zehntausende Arbeitende sind dabei, ihre Jobs zu verlieren. Diese berechtigte Angst vor dem Jobverlust führt dazu, dass viele Arbeiter:innen sich nicht primär von der Klimakrise bedroht fühlen, sondern von den Auswirkungen der «grünen» Transformation. Dies führt auch dazu, dass sich der «Widerspruch» zwischen Arbeit und Natur verstärkt und dass viele Arbeiter:innen und Gewerkschaften der Klimabewegung skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen.
Ökologische Klassenpolitik: Weil u.a. das «jobs vs. environment dilemma» und die imperiale Lebensweise dazu führen, dass Arbeiter:innen der bürgerlichen Klimapolitik und linksliberalen Klimabewegung berechtigterweise kritisch gegenüberstehen, die Klimabewegung ohne die Arbeiter:innen aber keinen ökologischen Umbau der Gesellschaft durchsetzen kann, sollte ökologische Klassenpolitik ein zentraler Pfeiler einer ökosozialistischen Strategie sein. Dafür müssen revolutionäre Klimabewegungen Arbeiter:innenkämpfe solidarisch unterstützen und konsequent in ihnen mitarbeiten, um gesellschaftliches Vertrauen unter den Arbeiter:innen zu gewinnen. Im Zentrum der ökologischen Klassenpolitik steht daher die gesellschaftliche Arbeit, ihre Demokratisierung und Gebrauchswertorientierung. Ihr strategischer Fluchtpunkt ist der schnellstmögliche sozialverträgliche und ökologisch tragfähige Um- und Rückbau des industriellen Apparates und der Ausbau sozialer Infrastrukturen.
[1]Das CO2-Gesetz war ein von linken und bürgerlichen Parteien mehrheitlich unterstütztes Gesetz, das einige Abgaben auf CO2-Emissionen vorsah, aber zentrale Emittenten ausnahm. 2021 rieb sich der Klimastreik Schweiz an der Frage auf, ob man das ungenügende CO2-Gesetz mit einem Referendum bekämpfen solle. Die einzig weitere Opposition kam von der rechtsnationalen SVP (mit sehr anderen Gründen, natürlich).