von BFS/MPS
Ausgangslage
Menschen verbringen in der Schweiz während ihres Lebens viel Zeit in Bildungsinstitutionen. Die zum überwiegenden Teil staatlichen Bildungsinstitutionen sind ein zentraler Ort der Normierung und und der Reproduktion zukünftiger Arbeitskräfte. Die obligatorische Schulzeit beträgt in der Schweiz elf Jahre, im Normalfall dauern die schulischen Bildungswege aber nochmals deutlich länger. 35% der Schweizer Bevölkerung besitzt einen Hochschulabschluss.
Die jährlichen öffentlichen Ausgaben im Bildungsbereich belaufen sich auf 37 Milliarden Schweizer Franken. Das entspricht 5.6% des Bruttoinlandprodukts. Alleine in den öffentlichen Bildungsinstitutionen arbeiten ungefähr 150‘000 Lehrer*innen, Dozent*innen und Kindergärtner*innen. Dazu kommen tausende Forscher*innen sowie unzählige Arbeiter*innen, die den schulischen Betrieb aufrechterhalten. Als Folge der bürgerlichen Spar- und Abbaupolitik werden ihre Arbeitsbedingungen stetig verschlechtert. Für diese neoliberale Umgestaltung des Bildungssektors im Sinne des Bürgertums trägt auch die Sozialdemokratie eine gravierende Mitschuld, da sie in vielen Kantonen die Regierungsverantwortung dafür inne hat.
Das bürgerliche Konzept der „Chancengleichheit“erscheint in einem kapitalistischen Bildungssystem, dessen wesentliche Aufgabe die Formung, Einteilung und Selektion zukünftiger Arbeitskräfte darstellt, als Farce. Im Gegenteil perpetuiert und fördert das schweizerische Bildungssystem die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft.
Bildungsinstitutionen sind damit keine „neutralen“ Orte, sondern sind Teil von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und aufgrund ihrer Bedeutung oftmals auch politische Brennpunkte. Das lässt sich besonders deutlich im Kontext des Sozial- und Bildungsabbaus sehen, aber auch andere Themenfelder wie Rassismus, Sexismus oder Migration werden immer wieder mit Bezug auf Bildungseinrichtungen diskutiert.
Grundschule und Gymnasien
Die Arbeitsbedingungen von Lehrer*innen in der obligatorischen Schuleund von Kindergärtner*innenhaben sich in den letzten Jahren stetig verschlechtert. Stress, übermässige Arbeitsbelastung, hohe Anforderungen und stagnierende Löhne sind weit verbreitet. Die verhältnismässigschlechte Bezahlung von Lehrpersonen der Basisstufe (Kindergarten und Primarschule) geht mit einer hohen Frauenquote einher.
Es kann hierbei von einer Feminisierung des Berufs gesprochen werden. Die Arbeitsbedingungen haben sich insbesondere seit den 1990er Jahren im Zuge von Spar- und Abbauplänen stetig verschlechtert. Sinkende Löhne, höhere Pensen und grössere Klassen gehören zu den häufigsten Auswirkungen der Sparmassnahmen. Auch der administrative Aufwand (wie zunehmende Kontrolle, Evaluierung und Profilierung der Schüler*innen) ist stark angewachsen und führt zu einer enormen Intensivierung der Arbeit. Gleichzeitig leidet die Qualität des Unterrichts und der Betreuung unter der gestiegenen Belastung der Lehrkräfte.
Bereits der Kindergarten und die Primarschule dienen als Vorbereitung auf das (Arbeits-)leben im Kapitalismus. Es werden eine Vielzahl von normierten Inhalten und Hierarchiestrukturen vermittelt, die sich kaum an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen, sondern an denjenigen des Arbeitsmarktes orientieren. Ausdruck davon sind der sich momentan durchsetzende Lehrplan 21, welcher den Unterricht in weiten Teilen modularisiert, reguliert und quantifiziert.
Die frühe Selektion in der Grundschule (nach der 5. oder 6. Klasse) unterteilt die Schüler*innen schon als Kinder in verschiedene (Schul-)Klassen, welche auf die zukünftigen Arbeitsrealitäten vorbereiten. Die Selektion ist stark verknüpft mit dem sozialen und geographischen Hintergrund. So spielt es eine wesentliche Rolle, ob die Elternteile das Kind beim Lernen unterstützen können oder dies aufgrund von mangelnder Zeit, Sprachkenntnissen oder Bildung nicht möglich ist. Aber auch der Wohnort und die finanziellen Mittel der Eltern für Nachhilfe oder Förderungskursen spielen eine wesentliche Rolle für das schulische Abschneiden der Kinder.
Gymnasien sind gerade im Kontext von Sozialabbau Brennpunkt und teilweise auch Ausgang von sozialen Kämpfen. Es gibt immer wieder Phasen der Politisierung und Selbstorganisierung von Gymnasiast*innen. Ein Beispiel dafür sind die Gymnasien im Kanton Zürich in den Jahren 2016 und 2017, als sich Schüler*innen selber organisiert und gegen die Abbaupläne des Kantons protestiert haben. Nicht nur zu bildungsspezifischen Themen oder Austeritätspolitik erwächst an den Gymnasien Widerstand. Verschiedene Beispiele zeigen, dass ebenso die die Antikriegsbewegung, Umwelt (Anti-Atomkraftbewegung) und die Solidarität mit geflüchteten Menschen einen Politisierungsprozess der Gymnasiast*innen auslösen können.
Berufsbildung
Das System der dualen Berufsbildung gilt in der Schweiz als heilige Kuh: Als Grundpfeiler des hiesigen Arbeitsmarktes ist es in den Augen der Unternehmen und der sie vertretenden Politiker*innen mitverantwortlich für den Wohlstand der Schweiz, ein Garant für ein sorgenfreies Berufsleben und – ebenso wie die militärische Ausbildung – eine Art kostenlose Lebensschule.
Noch immer absolviert eine Mehrheit der Jugendlichen in der Schweiz nach Abschluss der Sekundarstufe eine Berufslehre. Unternehmer*innen, aber auch selbsternannte Berufsbildungsexpert*innen behaupten gerne, dass Betriebe aus verschiedenen Gründen Lernende ausbilden würden. Nicht nur der finanzielle Anreiz sei entscheidend, sondern auch Reputation und soziale Verantwortung (für die Bevölkerung, die Region oder die Branche) seien wichtige Motive.
Allerdings würde kein einziges Unternehmen je eine*n Lernende*n ausbilden, wenn es nicht finanziell davon profitieren würde. Dies geben Bildungsforscher*innen, bürgerliche Politiker*innen und Unternehmen auch ohne weiteres zu. Der Schweizerische Verband der Innendekorateur*innen und des Möbelfachhandels interieursuissehielt 2017 in einer Werbebroschüre für seine Branche klipp und klar fest: «Wer rechnen kann, bildet Lernende aus.»Der Gesamtgewinn aller Lehrstellen für die Unternehmen belief sich im Jahr 2009 auf 474 Millionen Franken.
Unternehmen bilden also Lernende aus, damit sie die Arbeitskraft entweder schon während der Lehre, spätestens aber in den ersten zwei Jahren nach Lehrabschluss ausbeuten und einen «Nettonutzen» erzielen können.
Die Löhne der Lernenden machen die Hälfte der «Bruttokosten» aus, die ein Unternehmen für die Ausbildung von Lernenden während der Lehrzeit aufwendet. Die Unternehmen haben deshalb ein finanzielles Interesse, die Löhne so tief wie möglich zu halten. Dies erklärt den vehementen Widerstand der Betriebe, falls es jemand wagt, die tiefen Löhne in der Lehre zu kritisieren.
Der hohe Lohnkostenanteil an den «Bruttokosten» ist also der wahre Grund, warum die Löhne der Lernenden nach wie vor skandalös niedrig sind, keine branchenübergreifenden Mindestlöhne existieren, Lernende zu berufsfremden Arbeiten eingesetzt und als Billigarbeiter*innen ausgenutzt werden.
Die Befürworter*innen der dualen Berufsbildung heben stets hervor, dass das Schweizer Lehrlingswesen die Jugendlichen «optimal auf den Arbeitsmarkt vorbereiten» würde. Berufliche Sozialisation oder gar soziale Integration wird dies dann genannt. Dabei geht es nicht unbedingt darum, dass Jugendliche nach Lehrabschluss einfacher eine Arbeitsstelle finden, sondern vor allem darum, dass junge Arbeitskräfte in der Lehre so geformt werden, dass sie später gut verwertbare Arbeiter*innen werden. Die Jugendlichen in der Schweiz müssen sich schon in der Pubertät daran gewöhnen, wie man sich als Lohnabhängige*r in einem kapitalistischen Betrieb zu verhalten hat. Man lernt die Autorität der Vorgesetzten zu akzeptieren, ist Mobbing schutzlos ausgeliefert und erfährt schon beim Eintritt in das Berufsleben, dass man als Lohnabhängige*r wenige oder gar keine Rechte besitzt, auf sich alleine gestellt ist und es sich nicht gehört, sich zu wehren oder Widerstand zu organisieren. Für die Unternehmen ist diese «Lebensschule» nicht hoch genug zu bewerten.
Hochschulen
Die Hochschullandschaft in der Schweiz wurde in den letzten 30 Jahren analog zu Prozessen im gesamten Westeuropa massiv umgebaut. Die Einführung der Fachhochschulen in den 1990er und die Bologna-Reformen seit 2000 sind Beispiele einer zunehmenden Fokussierung der Hochschulbildung auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, zudem sind auch beides Beispiele einer zunehmenden Normierung und Regulierung. Zeitgleich stiegen die Studierendenzahlen, an den Universitäten von ca. 70‘000 1990 auf ca. 115‘000 2015. Parallel zu dieser Entwicklung steigen auch die Studiengebühren an.
Begründet werden höhere Studiengebühren im Normalfall damit, dass zu wenig «finanzielle Anreize» zur schnellen Beendigung des Studiums vorhanden seien und studieren sowieso ein Privileg sei, das ruhig etwas kosten dürfe. Dabei geht vergessen, dass der Druck auf grosse Teile der Studierenden schon heute immens ist. Im Zuge von Abbau- und Sparmassnahmen der Kantone und des Bundes wurden in den letzten Jahren systematisch Unterstützungsleistungen, wie Stipendien oder die individuellen Krankenkassen-Prämienverbilligungen, gekürzt. Um sich ein Studium leisten zu können, sind Nebenjobs (75% der Studierenden arbeiten in einem Nebenjob) in stark prekarisierten Berufsfeldern die Regel, die zu einer permanenten Doppelbelastung führen. Es erstaunt deshalb kaum, dass Depressionen und Burn-Outs bei Studierenden stark zugenommen haben. Sie gehören zusammen mit Finanzierungsstress, Leistungsdruck und Nebenjob zum studentischen Alltag.
Die Hochschulen sind auch ein zentraler Ort für die Forschung. Die Forschenden (vor allem Doktoranden, Post-Docs etc.) arbeiten dabei für eine schlechte Bezahlung, prekären und kurzfristigen Arbeitsverträgen und einer hohen Abhängigkeit von der Hochschule und meist von dem ihnen vorgesetzten Professoren. Diese starke Hierarchie führt auch immer wieder zu Fällen von Mobbing und Fällen von sexueller Belästigung. Vom Erforschten profitieren in den meisten Fällen weder sie, noch die Allgemeinheit, sondern die Universität und die mit ihr verbundenen Unternehmen.
Der Einfluss der Unternehmen auf die Universitäten ist in den vergangen Jahrzehnten stetig gewachsen. Zum einen nimmt die Rolle der privaten Drittmittel, durch gesponserte Lehrstühle oder Forschung, stetig zu,. Zusätzlich sind viele Professoren oder Mitglieder der Universitätsleitungen direkt mit unternehmen verknüpft, sei dies durch Verwaltungsrats- oder anderen Mandaten. Zum anderen nehmen sie durch Sitze in Universitätsräten (die wie Verwaltungsräte die Universitäten leiten) einen zunehmenden Einfluss ein.
Die ETH in Zürich und Lausanne veranschaulichen die Verflechtung der großen öffentlichen Mittel mit der Präsenz von Privatunternehmen und Stiftungen während der gesamten Ausbildungsdauer und in der angewandten Forschung. Das Ziel dabei ist folgendes:
Rund um die Hochschulen soll ein Ökosystem entstehen, das einen „Wettbewerbscluster“ darstellt. Start-ups, die aus Kooperationen zwischen Lehrpersonen und (Post-)Doktorand*innen entstehen, breiten sich aus und sind von Beginn weg internationalisiert tätig. Diese Start-ups stellen die Konkretisierung der Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit des globalisierten Kapitals dar (mit den dazugehörigen Mechanismen der Privatisierung von geistigem Eigentum und Patenten usw.).
Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen
Anhand dieser Ausführungen sind folgende Entwicklungen feststellbar:
- In allen Bildungsbereichen ist eine Verstärkung der Kontroll- und Normierungsmassnahmen zu beobachten. Sei es gegründet auf den zunehmenden Klassengrössen der Unterstufen, wo sich Lehrkräfte keine Zeit für die einzelnen Bedürfnisse der Kinder nehmen können, oder sei es aufgrund des ECTS-Punktesystems an den Hochschulen, welches sicherstellt, dass Studienzeit und Forschung als normierte Grösse festgehalten werden kann.
- Die neoliberale Agenda macht auch vor dem sogenannt «höchsten Gut» der Schweiz – der Bildung – nicht halt. Bologna-Reformen und der zunehmende Einfluss privater Firmen auf die Fachhochschulen sind eine Seite, die «Ausbildung» zu möglichst wehrlosen ausbeutbaren Arbeiter*innen in der Lehre ist die andere.
- Austeritätsbestrebungen, die aus verminderten Steuereinnahmen zu Gunsten von Reichen und Unternehmen resultieren, wirken sich auf der Ausgabenseite auch auf den Bildungsbereich aus. Neben dem Interesse der Bourgeoisie die Staatsausgaben und damit den Service Public abzubauen, werden die Kürzungen auch dazu eingesetzt, die Bildung und auch Forschung stärker an den Interessen der Wirtschaft auszurichten. So spielt die Austeritätspolitik mit der obengenannten neoliberalen Agenda zusammen. Aufgrund dieser periodischen Sparprogramme geraten die Arbeits- und Lehrbedingungen aller Menschen, die in Bildungsinstitutionen arbeiten, immer mehr unter Druck.
Interventionsmöglichkeiten und Forderungen
Ein zentrales Ziel unserer Organisation muss es sein, an denjenigen Orten, an denen wir unser Leben verbringen, auch politische Aktivitäten zu entwickeln und uns an diesen Orten zu organisieren. Das sind bei einem wesentlichen Teil von politischen Aktivist*innen Bildungsinstitutionen, vor allem die Hochschulen. Das sind die Orte, an denen wir unsere Tage verbringen, lernen und arbeiten. Trotzdem ist die Organisierung an den Hochschulen bisher gering und die Hochschulen gelten Vielen als Orte, an denen politische Auseinandersetzungen nichts zu suchen haben. Und an den Gymnasien gibt es nur in unregelmässigen Abständen punktuelle Mobilisierungen zu verschiedenen Themen, meist ohne eine weiterführende politische Perspektive.
Doch die Organisierung an Bildungsinstitutionen ist wichtig, denn diese sind keine von der Wirtschaft und Gesellschaft ausgegliederte Inseln, sondern im Gegenteil sehr eng damit verbundene Kampf- und Sozialisierungsorte und somit die politische Betätigung in diesem Feld ein wichtiger Teil des sozialen Kampfes.
Während es offizielle Studierendenvertretungen an einigen Universitäten (Genf, ETH Lausanne usw.) schaffen, Studierende für progressive Anliegen zu mobilisieren, ist ihre finanzielle und organisatorische Abhängigkeit von den Leitungsorganen eine Grenze unserer politischen Orientierung. Dies ist bei der Entscheidung über ein gemeinsames Engagement oder eine politische Zusammenarbeit in/mit diesen Strukturen zu berücksichtigen.
Deshalb engagieren wir uns im Kampf gegen Sparmassnahmen und Verschlechterungen der Arbeits- und Lernbedingungen an den Schulen sowie generell gegen neoliberale Reformen im Bildungswesens. Dazu müssen wir auch die Öffentlichkeit der Schulen verteidigen. Sei dies die öffentliche Finanzierung oder auch die Öffentlichkeit der Forschungsergebnisse der Hochschulen. Dafür fördern wir die kollektive Organisierung von Schüler*innen, Lernenden, Studierenden und Arbeitenden im Bildungswesen und setzen uns für eine demokratische Kontrolle von Bildung und Forschung sowie für einen freien Zugang zu und die freie Gestaltung von Bildung für alle Menschen ein (was unter anderem ein Engagement gegen jegliche Hürden wie Aufnahmeverfahren und Studiengebühren sowie für eine finanzielle Deckung der Bildungsausgaben bedeutet).