Die Entrechtung, Vertreibung und Tötung der palästinensischen Bevölkerung hat System. Sie hat nicht am 7. Oktober begonnen und der Terror der Hamas rechtfertigt sie nicht. Wir wollen daher ein Zeichen gegen die rassistische und koloniale Politik Israels setzen. Wir fordern, dass die Bombardierung Gazas sowie der Terror der israelischen Armee und der zionistischen Siedlerbewegung sofort beendet werden. Das Recht auf ein selbstbestimmtes, freies Leben steht allen zu.
von BFS Zürich
Vor 79 Jahren wurde das KZ Auschwitz-Birkenau befreit, in dem das Deutsche Reich mehr als 1 Million jüdische Menschen ermordete. Deshalb wird heute der internationale Holocaust-Gedenktag begangen. Das Trauma der Überlebenden, der Nachfahren und der ganzen jüdischen Gemeinschaft währt aber jeden Tag. Und auch unser Kampf gegen Antisemitismus, Unterdrückung und Genozid währt jeden Tag. So gedenken wir den Opfern der Shoah und solidarisieren uns mit der palästinensischen Bevölkerung sowie antirassistischem Widerstand. Damit wehren wir uns auch gegen den Versuch von bürgerlichen Politiker:innen und Medien, Palästina-Solidarität zu diffamieren, indem sie das Trauma und Leid von Millionen jüdischen Menschen instrumentalisieren.
Nicht die Kritik an israelischer Politik ist der Nährboden für Antisemitismus, sondern der Rassismus in unseren Köpfen und Institutionen. Antisemitismus ist auch nicht importiert und lässt sich nicht ausschaffen. Wie alle Rassismen lässt sich Antisemitismus nur durch steten kollektiven Widerstand und antirassistische Solidarität bekämpfen – hier, in Palästina-Israel und weltweit.
Der Willkür fremder Mächte ausgeliefert
Seit dem 7. Oktober 2023 sind in Palästina-Israel etwa 27’000 Menschen getötet worden, über 25’000 davon im Gazastreifen. Fast zwei Millionen Palästinenser:innen wurden in den vergangenen drei Monaten zur Flucht gezwungen; weite Teile des Gebiets sind zerstört und rund 60% der Häuser nicht mehr bewohnbar. Die humanitäre Lage ist katastrophal und gemäss der UNO ist die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens von einer Hungersnot bedroht.
Nur 75 Jahre sind seit der Nakba vergangen, als 700’000 Palästinenser:innen flüchten mussten. Im Sechstagekrieg 1967 besetzte Israel den Gazastreifen (bis 2005), die Sinai-Halbinsel (bis 1982), die Golan-Höhen und das Westjordanland und vertrieb 200’000 Palästinenser:innen aus ihrem Zuhause. Als ein Jahr nach dem Abzug der israelischen Armee die Hamas die Parlamentswahlen im Gazastreifen gewann, verhängte Israel eine Blockade über das Gebiet. Seither reguliert Israel willkürlich, wer die Grenzübergänge passieren kann, welche Waren in welchen Mengen eingeführt werden können und wie viel Wasser und Energie zur Verfügung steht. Selbst über die Grösse der Fischereizone bestimmt Israel. Und im Süden beschränkt oder lockert das benachbarte Ägypten das Grenzregime gegenüber dem Gazastreifen abhängig davon, wie die innenpolitischen Machtverhältnisse gerade liegen.
Ob die 2.2 Millionen Menschen im Gazastreifen leben, arbeiten, hungern oder in einem gesundheitlichen Notfall versorgt werden können, hängt also seit Langem von der Laune anderer Mächte ab. Seit Israel die menschenverachtende Blockade als Reaktion auf das Massaker an 1’200 Israelis am 7. Oktober in eine militärische Belagerung ausgeweitet hat, hat sich die humanitäre Lage derart krass verschlechtert, dass jeder vierte Haushalt im Gazastreifen unter extremem Hunger leidet.
Schutz für Siedler:innen, Schikanen für Palästinenser:innen
Im Westjordanland fördert Israel seit der Besetzung systematisch die jüdische Besiedlung, mit dem Ziel, das Gebiet zu «israelisieren». Palästinensische Bewohner:innen werden durch die Armee und Siedler:innen terrorisiert; seit dem 7. Oktober sind über 300 Palästinenser:innen im Westjordanland getötet worden und fast 6’000 wurden ohne Verfahren durch das Militär verhaftet. Die illegalen jüdischen Siedlungen werden von Israel subventioniert und vom israelischen Militär geschützt. Als Teil seiner Expansionspolitik ordnet Israel auch immer wieder die Zerstörung palästinensischer Dörfer an. Allein seit Oktober wurden so 1’000 Personen unter beliebigen Vorwänden vertrieben, so die israelische Menschenrechtsorganisation B’tselem. Zudem greifen radikale Siedler unter dem Schutz der israelischen Armee regelmässig palästinensische Landwirt:innen an, um sich deren Land anzueignen.
Für die jüdischen Siedler:innen gilt im Westjordanland eine andere Rechtsordnung als für die Palästinenser:innen. Die Siedler:innen sind israelische Staatsbürger:innen und können jederzeit in Israel einreisen und wieder ausreisen. Hierfür wurden Strassen gebaut, deren Nutzung für Palästinenser:innen verboten ist. Von den Palästinenser:innen darf eigentlich nur nach Israel einreisen, wer in Israel arbeitet. Zumindest bis zum 7. Oktober waren das etwa 70’000, die täglich militärische Checkpoints passieren mussten, stundenlang warteten und schikaniert wurden.
Von der Institutionalisierung zur Verfestigung der rassistischen Klassengesellschaft
Netanyahu war wie die meisten seiner Vorgänger:innen nie an einem friedlichen Zusammenleben interessiert und schon gar nicht daran, allen Bewohner:innen Palästina-Israels ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. So verabschiedete er das sogenannte Nationalstaatengesetz, wonach Israel in erster Linie eine jüdische Nation sei und mit dem Arabisch von einer offiziellen Sprache zu einer Sprache mit Sonderstatus degradiert wurde. Auch schreckten er und die israelische Rechte zum Erhalt ihrer Macht nicht davor zurück, eine neofaschistische Regierung zu bilden.
Sein Minister für nationale Sicherheit Ben Gvir nutzte die Gunst der Kriegsstunde, um die Waffenregulierungen – nur – für jüdische Israelis erheblich zu erleichtern und tausende illegal zu bewaffnen. Er fordert explizit die «freiwillige» Massenemigration von Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen und den Wiederaufbau jüdischer Siedlungen. Programme zur Bekämpfung von Kriminalität in arabischen Städten und Dörfern in Israel hat er eingestellt; die Mordrate in diesen mehrheitlich muslimisch, drusisch oder christlichen Gemeinschaften hat sich in seiner Amtszeit vervielfacht. Die Aufklärungsrate liegt dort bei ca. 21%, während sie im restlichen Israel 76% beträgt. Derweil kürzte Finanzminister Smotrich, der sich selbst auch als «faschistischen Homophoben» bezeichnet, das Budget für Bildungs-, Wohlfahrts- und Infrastrukturprojekte in arabischen Gemeinschaften um über 1 Milliarde Dollar. Zudem wurde das staatliche Budget zur Förderung der mentalen Gesundheit gekürzt – dies zu Zeiten, in denen Tausende um ihre Familie und Freund:innen trauern oder durch Terror und Raketen ihr Zuhause verloren und Hunderte sexuelle Gewalt erfahren haben. Gleichzeitig wurden Millionen an illegale Siedlungen überwiesen.
Für antirassistischen kollektiven Widerstand von unten
Wir solidarisieren uns mit der palästinensischen Bevölkerung und mit allen Aktivist:innen, die sich in Palästina, in Israel und weltweit für Frieden und gegen Unterdrückung, Apartheid und Kolonialismus einsetzen. Damit alle Menschen zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer frei und selbstbestimmt leben können.
Deswegen fordern wir
- einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens.
- die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen und der israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen.
- den Rückzug der israelischen Armee aus dem Westjordanland und die Rückgabe der illegalen Siedlungen.
- das Rückkehrrecht für alle palästinensischen Geflüchteten.
- das Ende aller politischen Repression und umfängliche politische Mitbestimmungsrechte für alle in Palästina und Israel.
- von allen eine dezidiert antirassistische Haltung, die weder blind ist für Rassismen noch diese instrumentalisiert.
- und, dass alle Menschen in Palästina-Israel gleichermassen frei über ihr Leben bestimmen und sich sicher fühlen können!