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Streik in Genf gegen die Sparmassnahmen im öffentlichen Sektor

Während drei Tagen haben die Angestellten des öffentlichen Sektors in Genf gegen die geplanten Sparmassnahmen gestreikt. Doch die Bewegung geht weiter und für Anfang Dezember sind weitere Streiks geplant. Unter welchen Voraussetzungen können die Mobilisierungen erfolgreich sein? (Red.)

von MPS/BFS Genf

Wenn der Regierungsrat der Republik und des Kantons Genf – mit Vertreter*innen der FDP, CVP, MCG, SP und den Grünen – sich weigert mit den Gewerkschaften und Berufsverbänden des öffentlichen Dienstes zu verhandeln, ist der Streik nicht nur legitim sondern auch nötig. Denn es geht um die Zukunft des öffentlichen Dienstes, also auch um die zahlreichen Nutzer*innen.

Arbeitnehmer*innen des öffentlichen Sektors und Nutzer*innen: eine gemeinsame Opposition bilden

Das Bildungswesen, das Gesundheitswesen und die verschiedenen sozialen Dienste haben die Aufgabe, die Mechanismen der Ungleichheit zu dämpfen, welche das extrem liberalisierte kapitalistische System erzeugt.
Ein gleicher Zugang zu Gesundheitsversorgung braucht angemessene Arbeitsbedingungen für alle pflegenden Personen. Diese müssen also zahlreich sein und nicht der Verpflichtung unterworfen sein, Pflege im Just-In-Time Verfahren zu leisten. Die Anzahl der pflegenden Personen einzuschränken, die Arbeitszeiten zu erhöhen und die Löhne zu blockieren kann nur zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führen und sich auf die Qualität der Pflegeleistungen auswirken. Die Pflegenden können gegen ihren Willen und gegen ihr berufliches Gewissen die Nutzer*innen nur noch „abfertigen“.
Am anderen Ende der Kette sind die Arbeitnehmer*innen im privaten Sektor, welche vermehrt Stress ausgesetzt sind und somit gesundheitlich besonders gefährdet sind. Dies bestätigen Studien des Bundesamtes für Statistik, zum Beispiel jene vom 19. August 2014.
Sei es im Schulsystem auf Primar-, Sekundar-, oder Universitätsniveau oder sei es in den sozialen Diensten, überall kann die gleiche Bilanz gezogen werden. Die Interessengemeinschaft zwischen einer grossen Mehrheit von Nutzer*innen – die von den Herrschenden immer stärker zu einfachen „Kunden“ gemacht werden – und den Arbeitnehmer*innen des öffentlichen Sektors zeigt die Wichtigkeit einer öffentlichen Unterstützung der Mobilisierung der Angestellten im öffentlichen Dienst.

Eine Verletzung der demokratischen Rechte

Eine einfache Untersuchung der sieben Gesetzesentwürfen, welche bereits von der FDP, CVP, SVP und dem Regierungsrat eingereicht wurden, zeigen das Ausmass der Attacke des Regierungsrates – und seinen Arbeitgeber*innenverbänden – auf die Arbeitsbedingungen, den Lohn und die Rente der Angestellten im öffentlichen- und subventionierten Sektor.
Neben der Weigerung zu verhandeln gibt es Projekte, welche das Streikrecht einschränken sowie Anklagen gegen die vermeintliche Verletzung dieses Rechts von Seiten der Arbeitgeber*innen, wie dies im Fall des Streiks am Genfer Flughafen geschehen ist.
Die Disziplinarmassnahmen gegen die Staatsangestellten, welche für die Überführung von Gefangenen zuständig waren und gegen die Privatisierung dieses Sektors (von Securitas übernommen) demonstrierten, machen den Willen deutlich, die Widerstandsbewegungen zu bestrafen, die sich gegen die Privatisierungen, die Vermehrung der Zulieferfirmen sowie die Verschlechterung der Löhne und der Arbeitsbedingungen zu wehren versuchen.
Ein weiterer Aspekt dieser Infragestellung des Demonstrationsrechts zeigte sich, als Pierre Maudet, Genfer Staatsrat und Vorsteher des Departements für Sicherheit und Wirtschaft, eine Demonstration der Asloca (Mieter*innenverband) gegen den Mangel an Wohnraum mit einer Busse bestrafen wollte. In einer schweizerischen Tradition wurden für eine Zeitlang Sicherheitsketten gebildet, indem eine Perle nach der anderen hinzugefügt wurde.

Die Unternehmenssteuerreform (RIEIII): eine Kriegsmaschine gegen öffentliche Dienste

Der „katastrophale Zustand der kantonalen Finanzen“ ist das Totschlagargument, welches von der Exekutive angeführt wird. Die Unternehmenssteuerreform wird hypothetisch die Einnahmen der Republik und des Kantons Genf um 500 Millionen Franken verringern.
In einem Wort, es ist ein Steuergeschenk an das Kapital und eine Kriegsmaschine gegen den öffentlichen Dienst. Die Hochrechnungen für das RIEIII ruhen auf wenig robusten wirtschaftlichen Modellen. Zudem ist die Abschaffung des Spezialstatus vom internationalen und institutionellen wirtschaftlichen Kontext in den kommenden Jahren abhängig. Ausserdem ist die Besteuerung des Kapitals von internationalen Verträgen festgelegt, welche ihre Dauer und ihr Ausmass bestimmen. Die Gegenreform (RIEIII) hingegen wird die Steuerkonkurrenz zwischen den Kantonen verstärken, was eine neue Runde von Steuerkürzungen auslösen wird. Jeder Kanton wird seinen „Steueranreiz“ beibehalten wollen und die Gewinnsteuer reduzieren und die direkten sowie indirekten Subventionen vermehren. Die Firmen sind also bevorteilt, obwohl im Kontext der Globalisierung des Kapitals das Argument der geringeren Steuern nur darüber entscheidet, an welchem Ort produziert wird. Dies unterscheidet sich allerdings von der Anmeldung einer Briefkastenfirma, um Steuerausgaben zu verringern.
Das Totschlagargument wird benutzt, um in einem ersten Schritt die lineare Reduktion um 1% der Personalausgaben rechtfertigen zu können. So zum Beispiel 12 Millionen für das Departement für Erziehungswesen, Kultur und Sport. Hinzu kommen die sogenannten Strukturmassnahmen, welche die Lohnsumme in drei Jahren um 5% senken sollen. Dies ist ein Keulenschlag für die Löhne der Arbeitnehmer*innen des öffentlichen Sektors, für ihre Lohnentwicklung sowie ihre Renten. Die Erhöhung der Arbeitszeit von 40 auf 42 Stunden ist vorgesehen. Dies ist eine Provokation, weil verschiedene Studien zeigen, dass bereits jetzt die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit einer Lehrperson der Sekundarschule zwischen 43 und 45 Stunden schwankt. Eine Studie aus der Deutschschweiz zeigt, dass jährlich zwischen 110 und 130 unbezahlte Überstunden geleistet werden. Es kann die gleiche Tendenz im privaten Sektor beobachtet werden, wo die Überstunden weder erfasst noch ausbezahlt werden, beispielsweise als Effekt der „Arbeit mit Zielvorgaben“, ohne von der diffusen Angst vor Entlassung zu sprechen.
In Wirklichkeit sind es die Normen der kantonalen Buchhaltung, welche in Frage gestellt werden müssen, wenn eine Mehrheit des Regierungsrates ein „Null-Defizit“ anvisiert. Seit Jahren zeigen Studien, dass die verbuchte Dauer für die Amortisierung der Investitionen in Infrastrukturprojekte eine schlichte Betrügerei darstellt. Das Seeufer oder eine Brücke müssen nicht in fünf Jahren amortisiert sein. Diese Methode ermöglicht lediglich das sogenannte Haushaltsbudget unter Druck zu stellen. Zusätzlich können die Investitionen in die Gesundheit oder Bildung nicht als Ausgaben für das alltägliche Funktionieren der öffentlichen Dienste bezeichnet werden. Es handelt sich um langfristige Investitionen für die „Wirtschaftsentwicklung“, in anderen Worten für die Reproduktion des Kapitals. Die Konten eines Staates, ob föderalistisch oder zentralistisch, sind nicht neutral. Sie reflektieren Klasseninteressen und ein zunehmend ungleiches Umverteilungssystem des Reichtums, welcher von den Arbeitnehmenden produziert wird.

Keine Buchhaltungsdiktate

Wenn es um die Schulden geht, müsste ein Prüfung durchgeführt werden, um zu sehen, wer die Besitzer*innen dieser mehr als 13 Milliarden sind. Somit muss untersucht werden, in welche Tasche die Zinsen fliessen und wer diese Zinsen tatsächlich bezahlt. Die Schulden als eine unumstössliche Tatsache, die keiner Überprüfung bedarf zu akzeptieren, ist wie zu sagen: „Der Hammer ist gut, aber der Schlag zu stark.“
Es abzulehnen, dass die Angestellten des öffentlichen und subventionierten Sektors die „Anpassungsvariablen“ des Budgets sind, bedeutet ebenfalls eine Ablehnung einerseits der Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und andererseits der Verschlechterungen der Dienstleistungen für die Nutzer*innen, also Student*innen, Lehrpersonen oder Kranke (jede gesunde Person kann potentiell krank werden).
Die Budget Konterreformen, welche wie ein unvermeidbares Resultat eines nicht-demokratisch kontrollierten Mechanismuses präsentiert werden, nähren nicht nur die Privatisierung, sondern lassen auch die verschiedenen öffentlichen und halböffentlich Sektoren gegeneinander konkurrieren. Auf universitärem Niveau mündet dies in der Einführung von Manager-Rektor*innen im Namen der Autonomie der universitären Institution. Und ein „guter Manager“ wird sich zuerst um das ausgeglichene Haushaltsbudget der Universität kümmern und hierfür die attraktiven Fakultäten privilegieren, „die Administration rationalisieren“, die administrativen Aufgaben für die Professor*innen vermehren, welche diese dann an Assistent*innen weitergeben, welche weniger Zeit für ihre studentische Arbeit haben.
Die grösste Unterstützung muss in den ersten Streiktagen geleistet werden. Wenn dieser Streik vom 10. November fortgeführt werden wird, verfügt das Streikkomitee des öffentlichen Sektors mit der Unterstützung der Nutzer*innen (unter anderem Student*innen, Schüler*innen, etc.) über Mittel und Kenntnisse, um aus dem ersten Streiktag eine grosse öffentliche Debatte zu lancieren, welche über die Wahldebatte hinausgeht. Dies betrifft alle Personen, welche das Wahlrecht haben (oder sich enthielten) und alle, welche kein Wahlrecht besitzen, aber dennoch Nutzer*innen und Angestellte im öffentlichen, halböffentlichen oder subventionierten Sektor sind.
Die Zurückziehung der Budgetmassnahmen für das Jahr 2016 hängt von der Wirkung des Streiks sowie von den demokratisch gefällten Entscheidungen der betroffenen Arbeiter*innen über die Fortführung der Mobilisierungen ab. Der Verdruss könnte so zu einer überlegten Aktion werden und der gemeinsame Austausch könnte dadurch den Hebel für die Fortführung der kollektiven Aktion darstellen.

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