Die Zurich Pride ist der grösste repräsentative Anlass der LGBTIQ-Bewegung der Schweiz. Kritische queere Stimmen, die sich an der Kommerzialisierung und an der Präsenz von Polizei und Militär stören, werden mit Polizeigewalt ruhig gestellt. Die bürgerliche LGBTIQ-Bewegung vergisst, dass Kapitalismus und Staatsgewalt noch immer Ausschluss und Bedrohung für viele Mitglieder ihrer Community bedeuten und wohl immer bedeuten werden.
von Marco Fischer (BFS Jugend Zürich) und Dario Agnoli
Not a riot? Von Stonewall zur Zurich Pride
„STRONG IN DIVERSITY, 25 JAHRE ZURICH PRIDE 50 JAHRE STONEWALL“ lautete das Motto der diesjährigen Pride in Zürich. Eine Bewegung, oder mittlerweile besser gesagt ein Fest, das stolz an die Ereignisse vor 50 Jahren erinnern will: Am 28. Juni 1969 kam es in der New Yorker Christopher Street bei der Stonewall Bar zu dem Ereignis, das von vielen als die Geburt der modernen LGBTIQ-Bewegung angesehen wird. Es ist kein Zufall, dass die Tatsache, dass die Stonewall-Proteste ein dreitägiger gewaltvoller Aufstand waren, in der öffentlichen Erzählung oft fehlt. Es war ein militanter Ausbruch der Wut über die homo-, transphobe und rassistische Gewalt und Schikane der New Yorker Polizei und damit auch gegen das System, welches diese repräsentiert und verteidigt. Wer den ersten Stein warf, ist Gegenstand von Mutmassungen und Legenden und letztendlich auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass Steine geflogen sind. Viele davon aus den Händen von People of Colour, von trans-Menschen und von obdachlosen Queers. Von Menschen, die nicht nur auf Grund ihrer Sexualität, sondern auch aufgrund der Hautfarbe, ihrer Geschlechtsidentität und ihrer sozialen Klasse von der Gesellschaft (und damit der Polizei) mit Füssen getreten werden.
Die international verbreitete Pridebewegung, zu der auch die Zurich Pride zu zählen ist, erinnert heute viel zu oft nicht mehr an ihre politischen und radikalen Ursprünge, sondern an eine Strassenparade, an der sich Firmen und Institutionen tummeln und eine PR-Fläche finden – darunter auch die Polizei. Die Teilnahme der Pink Cops an der Pride zeigt wohl sinnbildlich, dass die Pride, als politische Idee eines Aufstands der gesellschaftlich und wirtschaftlich Ausgestossenen, gekapert und mit bürgerlicher Anerkennungspolitik überschrieben wurde. Diese Forderungen nach Anerkennung (zum Beispiel Homoehe und Diskriminierungsschutz) sind per se auch zu befürworten, wenn dabei nur nicht ständig vergessen ginge, dass vielen eben diese Anerkennung im bürgerlichen-kapitalistischen Staat wohl immer verwehrt bleibt. Wenn eben Polizei und Firmen an einer Demo mitlaufen, geht es nur noch um diese Anerkennungs- und Selbstdarstellungpolitik und radikalere Forderungen unter gehen. Die queeren Obdachlosen, die in der New Yorker Christopher Street an vorderster Front kämpften, sind dann plötzlich vergessen.

Cops at pride? Ausschluss kritischer Stimmen durch zunehmende Polizeipräsenz
Nun gibt es auch in Zürich verschiedene Aktivist*innen, die versuchen auf die wichtigen politischen Inhalte der Stonewall-Proteste aufmerksam zu machen. Im Gegensatz zu den Stonewall-Riots „nur“ mit Transparenten und Flyer bewaffnet, wurden letztes Jahr Aktivist*innen an der Pride festgenommen. Dieses Jahr wurden Leute daran gehindert, einen Stonewall-Block in der Demo zu bilden, indem sie, noch bevor sie den Startpunkt der „Demonstration“ erreicht haben, von der Polizei durchsucht und mit einem Rayonverbot (Quartierbann) für die Örtlichkeiten der Pride belegt wurden. Einer anderen Gruppe wurde das Flyern an der Demonstration mit der Drohung eines Quartierbanns verboten.

Das diesjährige Motto „Strong in Diversity“, wie es so schön auf dem Fronttransparent des Umzuges prangte, gilt wohl nur solange keine Kritik an der Form der Pride geübt wird. Queere Meinungen, die noch immer das Gesamtsystem hinterfragen, werden von der Polizei mit Gewalt verdrängt.
Die Präsidentin des Vereins „Zurich Pride“ ist eine ehemalige Polizistin und lässt sich während der Pride gerne mit ihren uniformierten ehemaligen Kolleg*innen ablichten (Foto oben). Damit überrascht es auch kaum, dass die Polizeipräsenz in und um die Pride von Jahr zu Jahr zunimmt. Man ist bestens vernetzt und wohl kaum empfänglich für die Kritik queerer Personen, die nach wie vor Gewalt und Ausgrenzung durch die Institution Polizei erfahren. Anwesende Polizist*innen im Dienst trugen dieses Jahr sogar Regenbogenherzen auf ihrer Robocop-Ausrüstung. Ob Verhaftungen, Wegweisungen und Ausschaffungen wohl weniger schmerzhaft sind mit so einem Regenbogenherzen auf der Brust?
Mit „Strong in Diversity“ sind wohl viele Berufsgruppen gemeint, so auch Polizist*innen und Militärangehörige. Dabei wird aber aktiv ausgeblendet, dass ihre Präsenz für viele Menschen eine ausschliessende Wirkung hat, etwa für Menschen, die über keine Aufenthaltsbewilligung verfügen oder traumatisierende Erfahrungen mit Militär und Polizei machten mussten. Doch Regenbogenherzchen auf der Uniform und Präsenz an der Pride haben eben für diese Institutionen eben auch einen schönen Nebeneffekt: Genau wie viele Firmen, profitiert auch die Polizei durch ihre Teilnahme an der Pride von einem modernen und weltoffenen Antlitz des Anlasses, ganz nach dem Motto des fortschrittlichen Freund und Helfers. Doch genau diese Freunde und Helfer (als Institution versteht sich) sind auch dafür verantwortlich, dass LGBTIQ*-Personen in Länder wie Nigeria, Syrien und Russland abgeschoben werden, wo ihr Leben als LGBTIQ*-Personen weiterhin bedroht ist. Im Kanton Zürich haben sich deshalb in den vergangenen Jahren mehrere Leute in der Ausschaffungshaft das Leben genommen.
Mitverantwortlich für diese Misere ist, dass in der Schweiz Homosexualität sowie Transidentität trotz nachweislicher Verfolgung in fast allen Fällen nicht als Asylgründe anerkannt werden.
Rainbow Capitalism? Instrumenalisierung einer Bewegung
Die Teilnahme von Firmen an der Pride ist nichts Neues und wohl auch eine Tendenz, die sich noch verstärken wird. Die Multis färben ihre Logos in Regenbogenfarben, um sich als fortschrittlich und inklusiv darzustellen. Sie stehen ein für eine Version des Kapitalismus, in der es egal sein soll, ob der Chef, der dich aufgrund Rationalisierungsmassnahmen entlässt, schwul oder hetero ist. Ihre Massnahmen dafür sind Labels, die die Firmen erwerben können, um sich LGBTIQ freundlich zu positionieren: Hauptsache Regenbogenfassade. Offensichtlich haben es diese Firmen bitter nötig, ihr Image aufzupolieren. So standen diesen Frühling die UBS und CS als zwei der Hauptsponsoren der Pride in der Kritik, da sie mit ihren Investitionen in Fossile Energieträger die grössten CO2 Ausstösse des Landes zu verantworten haben. Jetzt könnte eine*r sagen, was hat Klimawandel mit der LGBTIQ Bewegung zu tun? Und genau diese Tendenz der Separierung von politischen Themen ist ein grundlegender politischer Fehler der Pride. Die Klimakrise trifft Frauen* und Queers, besonders of Colour!, überproportional stark. Da sie im Schnitt zu den ärmeren Teilen der Bevölkerungen gehören, leben sie in Regionen und Häusern, die eine stärkeres Risiko haben, von Stürmen zerstört zu werden. Die Auswirkungen der Klimakatastrophe zeichnen sich vor allem im Globalen Süden ab, während die meisten Emissionen im Globalen Norden verursacht werden. Aber auch im Globalen Norden sind es vorwiegend People of Colour die aufgrund von ökonomischen und sozialen Benachteiligungen in Gebieten leben, die vermehrt von Naturgewalten zerstört zu werden. Ein Beispiel dazu war der Hurrikan Catrina, welcher People of Colour überproportional stark traf. Der Staat – insbesondere die für Katastrophenschutz zuständige Bundesbehörden – hat damals die ärmeren Bewohner*innen von New Orleans fast vollständig ihrem Schicksal überlassen.
Wie wenig sich die Pride-Organisation für andere Unterdrückungsformen, als die der LGBTIQ-Diskriminierung interessiert, zeigt zum einen die mangelhafte öffentliche Solidarisierung mit dem Feministischen – Frauen*Streik, der am Vortag als wohl grösste politische Mobilisierung seit Jahrzehnten in der Schweiz stattgefunden hat (als wäre der Kampf gegen die Heteronormativität nicht direkt mit dem Kampf gegen das Patriarchat verbunden), und zum anderen, dass auch dieses Jahr am Ende der Pride eine Putzkolonne nachlief. Es handelte sich dabei um People Of Colour, welche dies im Rahmen eines Arbeitsprogramms des Schweizer Asylsystems tun mussten. Vielleicht gab es unter den Menschen, die durch das ausbeuterische Migrationsregime gezwungen waren den Dreck, der zum Grossteil weissen Partyvögel aufzuputzen, auch LGBTIQ*s gibt, die gerne mitgelaufen wären. Aber wie erwähnt, wird vom schweizerischen Migrations- und Polizeiregime wenig Rücksicht auf die Sexualität und Geschlechtsidentität von Asylsuchenden genommen. Doch das ist genau die die Vorstellung des Schweizer Regenbogen-Kapitalismus: Es sollen doch bitte auch Queers Teil vom Machtapparat werden, welcher Lohnabhängige, und vorwiegend People of Colour hier und international ausbeutet.

#Not my pride! Wie machen wir weiter?
Diese Pride ist nicht unsere Pride, weil uns politische Inhalte fehlen, oder jene, die gezeigt werden, stark an vernetztem Denken und emanzipatorischem Charakter mangeln. Weil dissidente Inhalte mit brutaler Polizeigewalt an der Verbreitung gehindert werden. Weil die Pride immer mehr den Charakter eines Festivals an nimmt, statt den einer politischen Demonstration, einer Demonstration, die zeigen sollte, dass es uns Queers gibt, wir stolz auf unsere Art zu leben und lieben sind, dass wir verdammt viel Gewalt erfahren, und an der wir fordern, dass sich noch so einiges verändert in dieser Gesellschaft. Die strukturelle Minderbewertung von politischen Inhalten zeigt sich symptomatisch auch daran, dass sich dieses Jahr der Bereich der Musikbühne auf dem Sechseläutenplatz, massiv grösser war als jener vor der Politikbühne auf dem Bürkliplatz. Absurderweise, aber in Anbetracht der Entwicklungen der Pride nicht überraschend, waren viele Hauptacts auf der Bühne, weiss, cis-männlich und hetero, aber Hauptsache berühmt.
Es geht nicht darum das Feiern an einer Pride zu verteufeln. Viele von uns haben das ganze Jahr über kaum die Möglichkeit mit einer grossen Anzahl Queers zu feiern und mit all der Gesamtscheisse, mit der wir tagtäglich zu kämpfen haben, das Feiern auch mehr als verdient. Wir schätzen die Kraft, die es vielen von uns gibt, wenn wir sehen, dass wir nicht alleine sind und dass es viele Wege gibt Sexualität und Geschlechtsaudruck zu leben. Doch bei all dem Feiern stellt sich die Frage wer oder was denn überhaupt gefeiert wird? Feiern wir Firmen, die erst dann Trans*menschen einstellen, wenn es in ihre PR-Strategie passt und sie damit noch Werbung machen können, als wäre das eine Leistung? Feiern wir eine Polizei, die mit dem Regenbogenkleber auf der Brust Politaktivist*innen festnimmt und gleichzeitig Geflüchtete ausschafft?
Wir sollten besser all jene feiern, die mit ihrem Leben dafür bezahlt haben, dass es heute überhaupt eine Pride gibt. All jene, die sich der mörderischen Alltagsgewalt der Heteronormativität widersetzt haben und für ihre Geschlechtsidentität und freie Partner*innenwahl eingestanden sind. All jene, die zurückgeschlagen haben, Steine auf die Polizei geworfen haben. All jene, die mit wenig finanziellen Mitteln Safer-Spaces erstritten haben, all jene, die für die Community arbeiten, ohne dabei ihre Profitinteressen zu verfolgen. Wir sollten all jene feiern, die gelernt und uns gelehrt haben, dass Unterdrückungsformen miteinander verbunden sind und nur als Ganzes bekämpft werden können.
Wenn gesagt wird #notmypride, öffnen sich viele Fragen: Welche ist es dann? Wo werden wir den Platz finden, uns wieder politisch zu äussern, ohne von Firmen und staatlichen Institutionen verdrängt und instrumentalisiert zu werden? Brauchen wir eine queere politische Aufbauarbeit jenseits der globalen Pridebewegung? Können wir Allianzen schliessen mit weiteren emanzipatorischen Bewegungen und gemeinsam gegen Hetero-Patriarchat, Kolonialismus, Kapitalismus und Naturzerstörung kämpfen?

Und was sagen die Organisatoren_innen dazu? Finde ich sehr einseitig berichtet…