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Corona-Krise: Schluss mit der Untätigkeit, es braucht endlich eine angemessene Reaktion!

Seit mehreren Wochen spitzt sich die Corona-Pandemie in der Schweiz wieder zu. Die registrierten Infektionen erreichen Rekordwerte, die auf die Bevölkerungsgrösse heruntergerechnet die Zahlen aus den USA oder Brasilien bei weitem überschreiten. Auch die Hospitalisationszahlen und die Todesfälle steigen wieder kontinuierlich an. Ein Ende dieser Entwicklungen ist nicht abzusehen, denn: Statt der Epidemie mit den dringend notwendigen Massnahmen zu begegnen, bleibt der Schweizer Bundesrat untätig und setzt damit die Gesundheit grosser Teile der Bevölkerung aufs Spiel.

von Matthias Kern & Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

Das Gesundheitswesen bereits jetzt am Anschlag

Während die Infektionszahlen am letzten Freitag, 23. Oktober 2020 das erste Mal auf über 6‘000 neugemeldete Fälle stiegen, entwickelt sich auch die Zahl der neu ins Spital eingelieferten Covid-19-Patient*innen nach oben – allerdings steigt deren Zahl noch etwas langsamer. Bundesrat und die kantonalen Gesundheitsdirektionen werden diesbezüglich nicht müde zu betonen, dass noch genug Plätze auf den Intensivstationen und normale Betten in den Spitälern vorhanden seien, um die Pandemie in den nächsten Wochen aufzufangen. Ganz anders klingt es allerdings vonseiten des Personals.

Die Sonntagszeitung veröffentlichte am 25. Oktober 2020 eine längere Recherche zur Situation auf den Intensivstationen in Schweizer Spitälern. Und sie zeichnet ein Bild einer erschöpften Belegschaft. Die Strapazen der ersten Welle der Corona-Pandemie hat diese bis heute noch nicht verdaut. Statt höherer Löhne, mehr Freizeit oder einer angemessenen Planung hinsichtlich einer Zweiten Welle erhielten die Pflegenden: Etwas Applaus und kaum Gehör für ihre Not. Viele von ihnen sehen sich schlicht nicht in der Lage, eine Zweite Welle durch persönlichen Einsatz und viele Überstunden auf dieselbe Weise abzufedern, wie sie es bei der ersten Welle getan haben. Ganz zu schweigen von einem Szenario, in dem sich viele der Pflegenden selbst mit dem Virus anstecken und damit ausfallen. Dies zeigt: Auch wenn es genügend Betten in den Spitäler gibt, ist die Situation kritisch. Denn es braucht das Personal, das die Betten betreut, und dieses könnte früher knapp werden, als gedacht.

Nicht nur die Arbeitenden im direkten Patient*innenkontakt kommen wieder an ihre Belastungsgrenzen, sondern auch Laborant*innen. So haben Arbeitende aus dem Labor des Kantonsspital Aarau einen offenen Brief verfasst, in dem sie ihre Überforderung mit den vielen neuen Tests zusätzlich zur Alltagsarbeit kundtun. «Es reicht! Wir haben die Kapazität nicht mehr, Hunderte von Abstrichen nebst der Routine zu testen. Wir sind nicht mehr bereit, unzählige Überstunden zu leisten, freiwillig Dienste zu übernehmen, uns anzuhören, dass wir nicht schnell genug sind.»

Steigende Fallzahlen sind keine Überraschung

Dass die Corona-Situation in der Schweiz wieder so prekär werden konnte, nachdem das Virus im Sommer fast besiegt schien, ist den verantwortlichen Behörden und der Chefetage der Privatwirtschaft anzukreiden. Die Behörden haben die Massnahmen zur Eindämmung des Virus in einer Situation der relativen Entspannung unverzüglich gelockert. Massnahmen in der Wirtschaft – Home Office, räumliche Distanz beim Arbeiten, Verbot grösserer Anlässe und möglicher Superspreader-Events – wurden aufgrund der Kosten von Verboten und den damit notwendig werdenden staatlichen Unterstützungen schnellstmöglich wieder gestrichen. Stattdessen wurde die Verantwortung zur Eindämmung des Virus vollständig den Einzelnen übertragen. Auch seit diesem Herbst wieder eingeführte Massnahmen zielen hauptsächlich auf das Privatleben und die Freizeit der Menschen ab und sollen das wirtschaftliche Leben so wenig wie möglich tangieren. Die Profite für die Privatwirtschaft sollen möglichst erhalten bleiben.

Zwar müssen weiterhin Hunderttausende jeden Tag zur Arbeit pendeln, aber sie müssen dafür eine Schutzmaske tragen. Zwar dürfen Menschen nicht mehr in den Ausgang nach einer harten Arbeitswoche, aber dafür trotzdem jeden Tag ins Grossraumbüro mit hunderten Menschen.

Dabei gilt natürlich: Auch die Einschränkung persönlicher Freiheiten ist zur Bekämpfung der Pandemie zu einem gewissen Grad notwendig. Ältere Menschen und Risikogruppen können nur dann einigermassen zuverlässig geschützt werden, wenn es nicht ihre eigene, individuelle Verantwortung ist, dass sie das Virus nicht erwischt. Aber Massnahmen, die nur die Freizeit und das Privatleben tangieren und die Ansteckungen im Arbeitsumfeld, in vollen Zügen oder im Kundenkontakt ausser Acht lassen, sind völlig ungenügend. Hier sieht man aktuell sehr deutlich, dass Profit für Wenige offenbar mehr Wert ist als die Leben von Vielen.

Die Strategie des Contact Tracing ist am Ende

Zusätzlich zu diesen Einschränkungen wurde seit dem Sommer ein neues „Allheilsmittel“ gegen die Pandemie eingeführt: Das Contact Tracing. Statt mit tiefgreifenden Massnahmen Infektionsketten zu durchbrechen und Superspreader-Events wenn möglich zu verhindern, sollten Infektionsketten nachträglich nachvollzogen werden und möglicherweise Infizierte in Quarantäne gesteckt werden. Damit versprach sich der Bundesrat alle wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten aufrechterhalten zu können und dennoch das Virus zu bekämpfen.

Auch wenn es die Behörden weiterhin nicht zugeben und das Contact Tracing weiter ausbauen wollen, müssen wir klar und deutlich festhalten: Dieser Weg ist komplett gescheitert. Nicht nur nehmen die Fallzahlen unkontrolliert zu, die Corona-Tests in der Schweiz wiesen am Freitag, 23. Oktober auch eine Positivitätsrate von über 26 Prozent auf. Das heisst: Einer von vier Tests ist positiv. Contact Tracing und das Identifizieren von Übertragungsketten kann aber nur funktionieren, solange die Positivitätsrate wenige Prozent beträgt und man davon ausgehen kann, dass man die allermeisten Fälle durch Tests erkennt. Eine Rate von über 26 Prozent lässt darauf schliessen, dass längst nicht mehr alle Verdachtsfälle getestet werden und viele Infizierte gar nie erfahren, dass sie infiziert sind. Zudem berichten die Arbeitenden in den Contact Tracing Zentren, dass sie schon vor Wochen überlastet waren. Das heisst, dass sie zum einen unter schrecklichen Bedingungen arbeiten müssen und zum anderen ihre Aufgabe auch nicht erfüllen können.

Damit aber kann sich das Virus unkontrolliert verbreiten – zumindest solange keine einschneidenden Massnahmen ergriffen werden. Es wäre nun dringendst an der Zeit, dass die verantwortlichen Behörden die Massnahmen verschärfen. Dazu gehört explizit NICHT die aktuell diskutierte Maskenpflicht im Freien, die nicht viel mehr wie Symbolpolitik wäre. Dazu gehört hingegen, die Menschen nicht nur in der Freizeit, sondern insbesondere auf der Arbeit vor Ansteckungen zu schützen. Das geht aber nur mit drastischen Einschränkungen in der Wirtschaft und damit auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit und der Profite der Unternehmen.

Das falsche Gerede von den „Kosten“ eines Lockdowns

Der Bundesrat weigerte sich diese Einschränkungen und damit Formen eines Lockdowns rechtzeitig zu vollziehen. FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter liess am 22. Oktober verlauten, dass sie zuerst wissen möchte, wie hohe „Kosten“ die verschiedenen Lockdown-Varianten verursachen würden, bevor gehandelt werden soll. Auch die Unternehmen, ihre neoliberalen Meinungsmacher*innen und die bürgerliche Presse reden seit Monaten in menschenverachtender Art und Weise von einem „Kosten-Nutzen-Verhältnis“, mit dem man erneute Einschränkungen abwägen soll. Damit wollen sie vor allem eines vertuschen. Nämlich, dass dies in Wahrheit gar keine „Kosten“ sind, sondern verlorene Wertschöpfung – also ihnen entgangene Profite. Darum, und nur darum geht es ihnen. Natürlich werden vom angeeigneten Wert, den die Lohnabhängigen tagtäglich erarbeiten und der bei einem Lockdown geringer aus- oder wegfallen würde, auch Löhne gezahlt. Aber das interessiert die Unternehmen nicht, wenn sie von „Kosten“ schwadronieren. Denn die tatsächlich anfallenden Kosten (Arbeitslosengelder, Kurzarbeit etc.) werden sowieso sozialisiert und von der Allgemeinheit bezahlt. Mit dem Gerede von den anfallenden „finanziellen Kosten“ versuchen sie die Gesellschaft in Geiselhaft zu nehmen – auf (realexistierende) Kosten der Gesundheit unzähliger Menschen.

Die aktuellen Zahlen, darauf sei auch nochmal verwiesen, widerspiegeln immer das Infektionsgeschehen vor 5 bis 10 Tagen. Massnahmen, die heute ergriffen würden, werden erst in einigen Tagen sichtbar. Bis dahin werden die Hospitalisierungen und die Todesfälle weiterhin ansteigen. Und mit jedem Tag werden mehr Menschen sich infizieren, schwerwiegende langfristige Schäden von der Krankheit davontragen oder sogar daran sterben. Verantwortlich für die Schäden und die Toten sind nicht wir alle, sondern die Behörden, die mit ihrer Untätigkeit die aktuelle Situation erst ermöglicht haben, sowie die Profiteure der Privatwirtschaft, welche mit allen Mitteln versuchen ihre Profite zu sichern.

Die bewusste oder zumindest in Kauf genommene Strategie der Herdenimmunisierung, die die Schweizer Behörden verfolgen, wurde noch vor weniger Monaten von weiten Teilen der Welt als barbarisch bezeichnet. Schweden wurde für ihr Modell rund um den Globus an den Pranger gestellt. Ebenso mutet es mittlerweile grotesk an, dass Daniel Koch als oberster Leiter des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) im Frühling noch Masken als unnützes Mittel zur Pandemie-Bekämpfung bezeichnet hat. Wir sollten diese Dinge in unserem Gedächtnis speichern – um sie zum gegebenen Zeitpunkt wieder in Erinnerung zu rufen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

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