Die Universität Zürich möchte ihre Disziplinarordnung verschärfen, um in Zukunft härter gegen politische Aktionen an der Uni vorgehen zu können. Unter dem Deckmantel der Plagiatsbekämpfung sollen Geldstrafen von bis zu 5’000 Franken und gemeinnützige Arbeit von maximal 40 Stunden verhängt werden können, wenn ein Verstoss vorliegt. Die Kritische Politik (kriPo), das feministische Hochschulkollektiv sowie der Klimastreik lassen sich das nicht gefallen und haben einen offenen Brief an den Universitätsrat adressiert, den wir an dieser Stelle veröffentlichen. Denn wir lassen uns nicht zum Verstummen bringen. Der Kampf für eine sozialistische, feministische und ökologische Gesellschaft geht auch an der Universität Zürich weiter. (Red.)
von Kritische Politik, Feministischer Streik an den Hochschulen und Klimastreik AG Studierende
Offener Brief zur Revision der Disziplinarordnung der Universität Zürich
Sehr geehrte Mitglieder des Universitätsrats
Am Montag, den 25. Mai 2020 wird der Universitätsrat der Universität Zürich über eine Revision der Disziplinarordnung befinden. Verstösse gegen universitäre Vorschriften sollen mit zusätzlichen Mitteln sanktioniert werden können, namentlich mit Geldstrafen und der Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. Wir kritisieren die angekündigten Verschärfungen vehement. Die vorgeschobene Begründung, Plagiatsfälle besser ahnden zu wollen, ist für uns äusserst unplausibel. Die Universitätsleitung möchte ein Problem bekämpfen, das gar keines ist: Wiederholungstäter*innen von Plagiaten an der Universität Zürich sind bisher kaum bekannt. Sehr reale Probleme wie sexuelle Belästigung und Diskriminierung hingegen sind nicht von der Revision betroffen. Geplant sind unter anderem Geldstrafen von bis zu 5’000 Franken für «Betriebsstörungen». Dies in einer Zeit, in der insbesondere die feministische Bewegung und die Klimabewegung erstarkt sind und mit Aktionen entscheidende Impulse für die gesellschaftliche Meinungsbildung geliefert haben. Weil die Universitätsleitung bereits heute weitreichende Sanktionen ergreifen kann, sind wir besorgt und ohne Verständnis, wieso eine Revision anlasslos geplant ist. Dies ist in vielerlei Hinsicht problematisch, umso mehr als sie sich in eine andauernde Entwicklung gegen kritisches Denken und politische Aktionen einreiht.
Ungleichheit
Geldstrafen wirken diskriminierend und sind nur teilweise effektiv: Finanziell benachteiligte Studierende können existenziell bedroht werden, während reichere Studierende sich freikaufen können. Stossend ist auch die Tatsache, dass die Universität Zürich als einzige Hochschule der Schweiz Sanktionsmöglichkeiten in dieser Höhe besitzen soll, um gegen Fehlverhalten ihrer Studierenden vorgehen zu können. Anstatt strukturellen Ungleichheiten entgegenzutreten, werden diese durch die Disziplinarordnung bestärkt.
Willkür
Was tatsächlich als Verstoss geahndet werden kann, ist sehr breit gefasst. Anstatt gezielt gegen Plagiate vorzugehen, erhält die Unileitung weitere Mittel, um unliebsame politische Positionen zum Verstummen bringen zu können. Ausserdem hat die Universität Zürich keine Änderungen geprüft, um ihre Abläufe bezüglich Plagiatsfällen zu revidieren. Hier böte sich Potenzial, denn die Universität konnte Wiederholungstäter*innen von Plagiaten bisher nicht immer in ihrem Sinne sanktionieren, weil Erstvergehen oft nur innerhalb der Fakultäten registriert und nicht von der Universität selber erfasst werden.
Intransparenz
Es ist inakzeptabel, dass es für Studierende praktisch unmöglich ist, sich zur beabsichtigten Änderung der Disziplinarordnung zu äussern, geschweige denn, darauf Einfluss zu nehmen. Dies hat strukturelle wie auch zeitliche Gründe. Einerseits sind die Studierenden lediglich durch eine Person im Universitätsrat vertreten, die nicht einmal stimmberechtigt ist und der Schweigepflicht unterliegt. Andererseits hat der Universitätsrat die Entscheidung genau auf den Beginn der Prüfungsphase angesetzt. Während die universitären Gebäude wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen sind und sich die Studierende zu Hause auf die Prüfungen vorbereiten, will der Universitätsrat klammheimlich diese weitreichende Entscheidung treffen. Auf Anfragen interessierter Studierender haben sowohl der Universitätsrat, die Bildungsdirektion wie auch die Universitätsleitung entweder floskelhaft geantwortet oder geschwiegen. Wir bemängeln die Kommunikation, denn bis heute (24. Mai 2020) liegt kein Entwurf der Verschärfung öffentlich vor.
Entpolitisierung
Wieso sollen Betriebsstörungen – beispielsweise durch politischen Aktivismus – mit den für Plagiatsfällen vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten geahndet werden können? Soll das Aufbegehren gegen strukturelle Ungerechtigkeiten und Unterdrückung nach dem Ermessen von nur einer einzelnen Person verurteilt werden können? Die Entscheidungsmacht soll nämlich teilweise von der sechsköpfigen Disziplinarkommission zum Universitätsanwalt verschoben werden. Eine solche Machtkonzentration ist untragbar.
Zerfall der universitären Werte
Beat Hotz-Hart, Mitglied des Universitätsrats, lässt sich wie folgt zitieren:
«Sie [die Universität Zürich] motiviert ihre Studierenden, Doktorierenden und Mitarbeitenden zu eigenverantwortlichem und selbstkritischem Denken und Handeln und gewährt Freiräume für kreative Arbeiten. Sie trägt zur Bewältigung drängender gesellschaftlicher Herausforderungen, zur Steigerung der Lebensqualität und den langfristigen Erhalt unserer Lebensgrundlagen bei. Damit nimmt sie ihre Mitverantwortung zur Stärkung von Gesellschaft und Wirtschaft am Standort Schweiz wahr und strahlt positiv auf den Grossraum Zürich aus.»[1],
Angesichts der geplanten Revision liest sich dies als Farce.Wagt sich die Universität Zürich von ihrer Legitimation zu verabschieden? Es ist ein entscheidender Moment für die Hochschulpolitik. Denn die Universität Zürich würde damit punkto Repression schweizweit zur absoluten Vorreiterin. Zivilgesellschaftliche Bewegungen sind jedoch wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung und liefern dringende Antworten auf gegenwärtige Krisen. Die Universität Zürich soll eine Bildung ermöglichen, welche kritisches Denken und Handeln fördert, anstatt stromlinienförmig Studierende auf eine Karriere in der Privatwirtschaft trimmt. Demokratische Prozesse müssen gestärkt und nicht geschwächt werden.
Wir werden uns weiterhin für unsere politischen Rechte und damit gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit stark machen. Wir bleiben unbeirrt und werden den Protest gegen Sexismus, Rassismus, Faschismus, Umweltzerstörung und jegliche weitere Formen von Ausbeutung und Unterdrückung entschlossen fortführen. Und das auch an der Universität!
Wir hoffen auf Ihre Einsicht und einen moralisch vertretbaren Entscheid Ihrerseits.
Kritische Grüsse,
KriPo UZH/ETH, Feministischer Streik an den Hochschulen, Klimastreik AG Studierende
[1] Portrait von Beat Hotz-Hart auf der Website des Universitätsrats. <https://www.uzh.ch/cmsssl/de/about/management/unirat/hotz-hart.html> [Stand: 22.05.2020].