Seit fast zwei Jahren lebt die Welt im Rhythmus der „Sars-CoV2“-Wellen. Über fünf Millionen Menschen sind bereits gestorben, die vielerorts kaputt gesparten Gesundheitssysteme sind massiv überlastet. Seit Frühjahr 2020 sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen im Dauerstress. Nur durch ihren enormen Einsatz ist die außergewöhnliche Lage noch nicht ausser Kontrolle geraten. Heute sind wir in der Schweiz mit einer fünften Welle konfrontiert. Die Zahl der Menschen, die an Covid-19 erkranken, ins Krankenhaus eingeliefert werden und sterben, steigt stark an. Es ist an der Zeit, diesem tödlichen Kreislauf ein Ende zu setzen.
von BFS/MPS
Desaströse Schweizer Pandemiepolitik
Die Schweizer Pandemiepolitik ist ein komplettes Desaster und besteht aus nicht viel mehr als einem Appell an die Selbstverantwortung jeder/jedes Einzelnen. Eines der reichsten Länder der Welt ist nicht fähig, seine Bevölkerung angemessen vor dem Virus zu schützen.
Die Schweizer Regierung, ganz im Dienste der Kapitalinteressen, hat keine Massnahmen ergriffen, um die letzten Wellen zu brechen und die Pandemie zu beenden. Mit einer konsequenten Niedriginzidenzstrategie wäre dies möglich gewesen. Und so hält die Regierung auch in der fünften, sehr massiven Welle an ihren völlig unzureichenden Massnahmen fest. Diese sollen gerade gewährleisten, dass die Beschäftigten in den Krankenhäusern die erkrankten Menschen noch knapp behandeln können, das Gesundheitssystem nicht unter der Last zusammenbricht und dabei kein allzu grosser gesellschaftlicher Widerstand provoziert wird. Das Ergebnis dieser zynischen Politik sind allein in der Schweiz über 11’000 Tote seit Beginn der Pandemie.
Seit Impfstoffe verfügbar sind, wird dieser technokratische Ansatz verfeinert, auch mit stillschweigender oder offener Unterstützung linker Parteien und der Gewerkschaften. Seit Frühjahr 2021 wird auf eine kombinierte Immunisierung der Menschen durch Ansteckung und Impfstoffe gesetzt. Diese sollte es gerade knapp erlauben, ohne allzu viele Tote durch den Winter zu kommen. Doch dieses Kalkül ist fehlgeschlagen. Erstens lassen sich weniger Menschen als „geplant“ impfen und zweitens lässt die Wirkung der Impfstoffe etwas rascher nach als erhofft. Dies gilt vor allem für ältere Menschen (über 65). Seit Juli 2021 ist bekannt, dass der Impfschutz bei dieser Altersgruppe nach 6 Monaten deutlich abnimmt.
Nicht überraschend hat es die Regierung versäumt, die Menschen auf die von den Wissenschaftler:innen nahezu einhellig vorausgesagte fünfte Welle vorzubereiten und zu schützen. Viel zu spät hat die Kampagne für den dritten Impftermin begonnen.
Kombinierte und solidarische Massnahmen, um die Kapital- und Virenzirkulation zu brechen
Eine Impflicht ist richtig, aber angesichts der massiven Welle in der Schweiz ungenügend. Um die Katastrophe in den Griff zu bekommen, müssen verschiedene Massnahmen gleichzeitig ergriffen werden. Um die Zirkulation des Virus in der Bevölkerung zu reduzieren, wäre eine konsequente Impfstrategie (ggf. Pflichtimpfung) notwendig. Zusätzlich brauchen wir einen radikalen, aber solidarischen Lockdown. Auch auf längere Sicht wird Impfen alleine die Pandemie nicht beenden. Dafür braucht es eine global organisierte Niedriginzidenz-Strategie. Denn die Pandemie wütet nicht, weil das Gesundheitswesen ungenügend ausgebaut ist, sondern weil die Ansteckungen nicht unterbunden werden. Eine wirkungs- und sinnvolle Pandemiepolitik setzt also in erster Linie auf Prävention.
Für das gegenwärtige Desaster verantwortlich sind neben der Regierung auch die Interessensvertreter:innen des grossen Kapitals und des Gewerbes. Sie haben sich während der vorangegangen Wellen wiederholt mit aller Kraft einem zwingend erforderlichen Shutdown weiter Teile der Wirtschaft entgegengestellt. Auch jetzt widersetzen sie sich den Massnahmen, die dringend nötig sind, um Gesundheit und Leben der Menschen zu schützen. Schließlich muss das Kapital zirkulieren und die Arbeitskräfte einsaugen, um Mehrwert zu produzieren. Das Kapital muss sich bewegen, Stillstand kennt es nicht, zumindest nicht freiwillig. Der Kapitalismus organisiert den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur also entlang der Profitlogik und deshalb auf total unvernünftige und lebensgefährliche Art und Weise. Nicht nur die Klimakatastrophe, sondern auch die immer häufiger auftretenden Pandemien sind Ausdruck davon.
Schliesslich kommen auch die Gewerkschaften ihrer elementarsten Aufgabe nicht nach, sich bedingungslos für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit ihrer Mitglieder und aller Lohnabhängigen einzusetzen. Sie hätten in einer solch dramatischen Gesundheitssituation die Aufgabe, jene Bereiche der Wirtschaft stillzulegen, in denen sich die Menschen anstecken, die aber nicht unmittelbar wichtig für die Versorgung der Bevölkerung sind. Wenn das nicht möglich oder sinnvoll ist, müssen sie zumindest umfassende Schutzvorkehrungen durchsetzen.
Mit der neuen, noch ansteckenderen Virus-Variante «Omikron» wird die Pandemie vermutlich eine neue Qualität annehmen. Die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen um deren Bekämpfung dürften sich damit weiter zuspitzen, und zwar sowohl innerhalb der Gesellschaften als auch auf internationaler Ebene.
Solange nicht 90 Prozent der Bevölkerung durch Impfung oder Ansteckung immunisiert sind, wird die Pandemie weitergehen. Solange wird es unmöglich sein, in eine endemische Situation zu kommen. Die derzeitige Impfpolitik, die auf einem individuellen Ansatz beruht – jede/jeder muss sich die Impfung selbst organisieren – ist gescheitert. Ist die Impfquote zu niedrig und stecken sich zugleich viele Menschen an – also genau die Lage, in der wir in der Schweiz und ganz Europa gegenwärtig stecken –, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus auch hier mutiert. Ob der Körper eines Einzelnen gesund oder krank ist, hängt also sehr wesentlich von den gesellschaftlichen (sozio-ökonomischen) Verhältnissen ab, in denen wir leben. Der Gesundheitszustand jedes Einzelnen sollte nicht isoliert betrachtet werden; er ist vielmehr abhängig vom Gesundheitszustand aller Menschen in einer Gesellschaft – und der Gesellschaft als Ganzer.
Es muss jetzt also darum gehen, dem Virus so wenig Gelegenheit wie möglich zu bieten, sich auszubreiten und weiter zu mutieren. Dies ist nur mit einer radikalen Strategie der niedrigen Inzidenz in Verbindung mit einer breiten Impfung möglich, die darauf abzielen muss, die Ausbreitung des Virus vollständig zu verhindern. Nur wenn diese beiden Ziele erreicht werden, kann die Pandemie gestoppt werden.
Solidarische Forderungen für einen Ausweg aus der Pandemie
Wir müssen die äusserst prekäre Lage wieder in den Griff bekommen, um eine Katastrophe zu verhindern. Wir fordern als politische Antwort auf die aktuelle Situation:
1. Die Kontakte sind für eine kurze Zeit radikal einzuschränken. Das ist keine individuelle Aufgabe, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit und Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Wir brauchen eine Notbremse, einen solidarischen Shutdown aller Bereiche, in denen sich die Menschen anstecken können, die aber für unsere Versorgung und unser Leben nicht unmittelbar wichtig sind. Dieser Shutdown muss so lange andauern, bis die fünfte Welle sicher gebrochen ist, die Ansteckungszahlen also markant sinken.
2. Ein Ausbau der Testkapazitäten. Tests müssen überall kostenlos verfügbar sein, vor allem in den Wirtschaftsbereichen, die aufgrund der Versorgung der Bevölkerung nicht heruntergefahren werden können.
3. Die Einführung einer nationalen Impfkampagne (ggf. Impfpflicht), die in allen erforderlichen Sprachen umfassend über die Impfung aufklärt und deren solidarischen Charakter hervorhebt. Die Behörden müssen alle Einwohner:innen zu einem ersten, zweiten und dritten Impftermin in der Nähe des Wohnorts oder Arbeitsorts einladen.
4. Ausbau des Gesundheitssystems. Das Gesundheitswesen muss den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen und Kapazitäten für die Aufnahme von Patientinnen und Patienten haben. Dazu braucht es eine umfassende Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.
5. Alle Länder des Globalen Südens brauchen dringend internationale Unterstützung – eine Pandemie lässt sich nur international und gemeinsam beenden. Die Patente auf Impfstoffe sind aufzuheben. Die technologisch führenden Länder müssen zu einem Technologietransfer bei der Impfstoff- und Medikamentenherstellung an die armen Länder gezwungen werden.