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Genf: Proteste gegen den Auftritt des rechtsextremen Éric Zemmour

In Genf mobilisiert ein Bündnis von über 60 antifaschistischen Organisationen gegen den öffentlichen Auftritt des rechtsextremen französischen Journalisten Éric Zemmour. Die Mobilisierung erreichte bereits, dass lange Zeit unklar blieb, wo Zemmour überhaupt sprechen wird. Mittlerweile hat ihm das Hotel Hilton Asyl angeboten. Am Mittwochabend, 24. November 2021, organisiert das Bündnis eine überregionale Demo. Angesichts der europaweiten Verankerung von Faschist:innen im Milieu der Coronaleugner:innen ist es umso wichtiger, klare Kante gegen rechtsextreme Veranstaltungen zu zeigen und gleichzeitig unsere Freiheiten und Grundrechte zu verteidigen. (Red.)

von Mouvement pour le socialisme (MPS/BFS) und Cercle de débats Rosa Luxemburg

Eine Zusammenkunft der harten und extremen Rechten

Der bekannteste inoffizielle Kandidat für die kommenden französischen Präsidentschaftswahlen, Éric Zemmour, kommt nach Genf. Der Rechtsanwalt Marc Bonnant dient ihm im Rahmen einer von Convergences organisierten Abendveranstaltung als Steigbügelhalter. Besagte Organisation macht dies nicht zum ersten Mal. Zemmour trat zuvor bereits bei drei ihrer „hochwertigen Dinner-Debatten“ vor ausgewähltem Publikum auf (2014, 2016 und 2018). Doch auch die sonstigen Redner:innen bei Convergences stehen Zemmour in nichts nach. Zu ihnen gehörten 2015 die gescheiterten Präsidentschaftskandidaten der Rechten, François Fillon und Bruno Le Maire, 2018 der nostalgische Royalist Philippe de Villiers, 2012 und 2013 die streng katholische Roselyne Bachelot sowie der umstrittene Kriminologe Alain Bauer. Der Sicherheits- und Terrorismusberater unter dem ehemaligen französischen Präsidenten Sarkozy steht wie wenig andere für die Repression durch die Staatsgewalt.

Damit beschränkt sich die Covergences-Veranstaltung zwar nicht nur auf Reaktionäre, bringt dafür aber umso mehr auch bedeutende Figuren der französischen Rechten und Rechtsextremen in Genf zusammen und sorgt so für die Verbreitung von deren Ideen in der französischsprachigen Schweiz.

Zynische und reaktionäre Eloquenz als Medium

Marc Bonnant – Anwalt von Milliardär:innen und Verwalter mehrerer Dutzend Offshore-Firmen, wie die Panama Papers enthüllt haben – hat sich mehrfach zum Gesprächspartner Éric Zemmours gemacht, den er als seinen Freund bezeichnet. Die altfranzösische Eloquenz des reaktionären Juristen lässt sich gut mit den ranzigen Ideen des vermeintlich genialen Publizisten und Historikers Éric Zemmour kombinieren. Diese Paarung wird aber nur diejenigen beeindrucken, die nach Aussen zwar auf Distanz zu beiden Männern gehen, insgeheim aber Bewunderung für die vermeintlich wertvolle Rhetorik Bonnants oder die angebliche „Weitsicht“ Zemmours empfinden. Doch man realisiert mühelos, dass die Klassenverachtung und das Lob für die sogenannt „grossen starken Männer der Geschichte“, denen das Schicksal einer Nation anvertraut worden war, und der offenkundige Sexismus dieser beiden Individuen Teil der gleichen Nostalgie sind, die sich nach einer Zeit zurücksehnt, die noch vor allen demokratischen und sozialen Errungenschaften der letzten beiden Jahrhunderte lag.

Éric Zemmour gilt als inoffizieller Präsidentschaftskandidat der extremen Rechten in Frankreich.

Bonnant und Zemmour hassen die Gleichheit und die Demokratie, sie sind Teil einer regelrechten Ent-Emanzipationsbewegung. Die gegenwärtige krisenbehaftete Zeit scheint nun gerade wie geschaffen, um die gesellschaftlichen Privilegien und die Macht des Mannes, den Glauben an die Überlegenheit weisser Menschen oder auch des Bourgeois zu bekräftigen. Doch auch noch so blumige Rhetorik und Geschichtsverdrehungen können die bürgerkriegsähnliche Absicht hinter Zemmours Sprache nicht verbergen.

Schamlose Rechte stellt die Welt auf den Kopf

Aufrufe, Zemmour die öffentliche Meinungsäusserung zu verbieten, muss man zurückweisen. In einem Kontext, in dem die bürgerlichen Freiheiten eingeschränkt werden (die neuen „polizeilichen Massnahmen gegen den Terrorismus“ sind hier nur eines der jüngsten Beispiele), steht es ausser Frage, an die Unabdingbarkeit dieser Freiheiten zu erinnern. Zudem gibt es zahlreiche Präzedenzfälle, in denen Verbote später auch auf soziale Bewegungen oder revolutionäre Ideen zurückfielen. Diese Freiheiten zu bekräftigen bedeutet aber eben gleichzeitig auch, die verfälschte Darstellung der Wirklichkeit zu bekämpfen, die von den Befürworter:innen von Éric Zemmours Besuch entworfen wird.

Gerade die Rechte wird nämlich nicht müde, zu behaupten, linke und soziale Bewegungen seien es, die nach Zensuren riefen und die Pressefreiheit erdrückten. Tatsächlich ist da aber dieselbe ideologische Verfälschung am Werk, die schon den Kampf gegen die Corona-Gesundheitsmassnahmen als Diskriminierung der Bevölkerung ausgibt. Eine Umkehrung der Realität! Und nichts wäre schamloser und unangebrachter, als Zemmour, der rund 15 Jahre lang von den Medien aufgebaut wurde und dessen Ideen gerade mediale Hochkonjunktur geniessen, zu einem verfolgten Dissidenten zu stilisieren.

Zemmour: „Die Schweiz ist ein Vorbild für mich“

Dieser mittelmässige Publizist konstruiert eine dreiste Lüge: Philippe Pétain [Staatschef des autoritären Vichy-Regimes, also der Hälfte Frankreichs, die während des Zweiten Weltkrieges mit Nazi-Deutschland kollaborierte; Amm. d. Red.] sei der Retter der französischen Jüd:innen gewesen. Diese Schandtat entspricht in etwa dem bewussten Schweigen, das die Schweiz vor 20 Jahren über die Veröffentlichung des Bergier-Berichts [Schlussbericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, der u.a. die während des zweiten Weltkrieges in die Schweiz gelangten jüdischen Vermögen dokumentiert; Anm. d. Red.] bewahrte. Das Vichy-Regime positiv aufzuwerten, spielt denjenigen in die Hände, die hierzulande die Beziehungen zwischen dem helvetischen Geschäft und dem Dritten Reich herunterspielen wollen. Tatsächlich aber kratzt die Begeisterung eines Teils der damaligen Schweizer Eliten für autoritäre Lösungen (z.B. für das faschistische Italien) am Image einer freien und demokratischen Helvetia: Mitte der 1930er Jahre drückte der spätere General Guisan offen seine Bewunderung für Mussolini aus.

Zemmour wiederum verhüllt seine Bewunderung für die Schweiz nicht: Hat der „Souverän“ hier nicht 2009 beschlossen, den Bau von Minaretten zu verbieten? Der Mann, der behauptet hat, dass „jeder isolierte [ausländische] Minderjährige ein potenzieller Straftäter ist, der einzig für Ausschreitungen nach Frankreich kommt„, wird überglücklich, wenn er die Volksabstimmung „gegen die Masseneinwanderung“ im Jahr 2014 erwähnt. Die „Kontrolle der Migrationsströme“ und der Kampf gegen den „Islam“ sind zwei Schlüsseldimensionen für Zemmours Projekt. Der erklärte Frauenfeind fühlt sich wohl in einem Land, wo Frauen erst vor einem halben Jahrhundert das Wahlrecht erhielten. Das „Wirtschaftsmodell“ der Schweiz, ein Land, das von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wegen seiner Missachtung der Gewerkschaftsfreiheit in die Nähe von autoritären Regimen gerückt wird, ist ein weiterer Grund für den Präsidentschaftskandidaten in spe, sich zu freuen.

Rechtsextremismus bekämpfen, überall!

Zemmours Bewunderung für die Schweiz endet aber bei feministischen und ökologischen Bewegungen, bei der Erinnerung an Dissident:innen, bei denjenigen, die gestern „unerwünschten“ Jüd:innen über die Grenze halfen oder heute Geflüchtete verteidigen. Wer sich aber rühmt, Vertreter:in eines mythisch verklärten Volkes zu sein, verachtet in Wirklichkeit diejenigen – Postangestellte, Krankenpfleger:innen, Mechaniker:innen, Putzkräfte, Kassierer:innen usw. – die jeden Tag durch ihre Arbeit die Gesellschaft am Laufen halten und von denen hier wie in Frankreich ein grosser Teil nicht im hiesigen Land geboren wurde (es wird schnell vergessen, dass in der Schweiz ein Viertel der volljährigen Bevölkerung keine politischen Rechte besitzt).

Hier wie in Frankreich oder überall sonst auf der Welt, lasst uns den alten Slogan der Jüd:innen und Sozialist:innen in Polen aufgreifen: Für unsere und eure Freiheit!“Bekämpfen wir den Vormarsch des Rechtsextremismus (innerhalb dessen Zemmour nur eine jämmerliche Figur darstellt), den Autoritarismus, der ihm den Weg ebnet, sowie alle antisozialen und antidemokratischen Angriffe auf die Lohnabhängigen.


Flyer für die Demo am 24. November 2021 in Genf. Übersetzung durch die Redaktion.

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