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Staat und Polizei: Weg damit!

In der Antikap Nummer 13 erschien der Artikel «Staat und Polizei: Instrumente der Herrschenden?» von David Ales. Im Folgenden möchten wir eine Antwort darauf formulieren. Unser Artikel soll einerseits als Ergänzung zu Davids Artikel verstanden werden. Er soll aber auch aufzeigen, dass Davids Einschätzung illusorisch ist. Polizist:innen mögen vielleicht lohnabhängig sein. Das hält sie jedoch nicht davon ab, im Auftrag der Herrschenden Angst und Schrecken zu verbreiten, ja uns schlichtweg zu unterdrücken.

von Dante Manco und Theo Vanzetti (BFS Zürich)

Unser Artikel soll als Ergänzung zu Davids Artikel verstanden werden.
David greift in seinem Artikel interessante Aspekte auf, aber gibt diese leider etwas zu verkürzt wieder. Da- vids erste Hauptthese ist Folgende:

Staatlichkeit und Repression sind umkämpfte und beeinflussbare Felder politischer und sozialer Auseinan- dersetzungen. David schreibt, dass es zu einfach ist, den Polizeiapparat als simples Instrument der Herrschenden zu bezeichnen.

Wir möchten dieser Analyse nur teilweise widersprechen und dennoch anmerken, dass sich die 2020 von Neuem entfachte Debatte auch nur bedingt um diese Fragestellung dreht. Die Positionen von Cinzia Arruzza und Sam Mitrani sind allgemein eine Polizei- und Justizkritik oder eine Kampagne unter dem Slogan «abolish the police» und zeigen damit auf, dass die Analyse des Repressionsapparats weitaus komplexer und vielschichtiger ist. Wie kann eine nuancierte Analyse der Funktion des Repressionsapparats in einer kapitalistischen Gesellschaft aussehen?

Zunehmend Militarisierung der Polizei

Wir halten es für falsch, die militarisierte und rassistisch handelnde Polizei als vornehmlich amerikanisches Phänomen zu analysieren. Zwar sind beispielsweise die griechische oder französische Polizei unter anderen Bedingungen entstanden, stehen der amerikanischen Polizei in Sachen Brutalität in Wenigem nach. David argumentiert, dass die besondere Militarisierung der amerikanischen Polizei nur im historischen Kontext der USA begreifbar ist. Es wäre verharmlosend zu behaupten, dass die Polizei in der Schweiz sei so brutal und mörderisch wie in den Vereinigten Staaten. Jedoch ist spätestens seit 9/11 weltweit zu beobachten, dass Polizeieinheiten zunehmend mit militärischer Ausstattung aufgerüstet werden. Damit sollen sie gegen politische Unruhen gewappnet sein. Seit 1968, als Schweizer Polizist:innen noch völlig ungeschützt gegen Demonstrierende vorgingen, kamen im Verlauf der Jahre Waffen, Rüstung und auch schweres Gerät bis hin zu Räumungspanzern hinzu. Heute stehen wir auch in der Schweiz einer Polizei gegenüber, welche an Kampfroboter erinnert. Weiter sind Überwachungstechnologien inklusive Wärmebildkameras, Drohnen und vielem mehr zu nennen. Wir sollten uns auch bewusst sein, dass all diese Möglichkeiten, welche die Schweizer Polizei heute besitzt, gegen illegalisierte Migration und vieles mehr eingesetzt werden.

Sind Polizist:innen lohnabhängig?

Problematischer sind Davids zwei folgende Argumente, weil sie im Kontext des Artikels stark gewichtet werden und den Eindruck vermitteln können, dass die unterdrückende Funktion der Polizei relativiert wird. Wir möchten David hier jedoch keine Absicht unterstellen.

In seinem zweiten Hauptargument vertritt David die These, dass Polizist:innen wie andere Lohnabhängige auch ihre Arbeitskraft im Kapitalismus verkaufen müssen, um zu überleben. Wir sollten ihnen ihre Lohnabhängigkeit nicht absprechen, weil viele andere Berufe der Gesellschaft ebenso schaden.

Wo ziehen wir die Grenze? Es wäre verfehlt, sich in dieser Diskussion zu verzetteln, gerade weil wir keine willkürlichen Grenzen ziehen wollen. Uns ist auch bewusst, dass viele andere Tätigkeiten in unserer kapitalistischen Gesellschaft sinnlos (Werbung) oder direkt schädlich (Rüstungsindustrie) sind. Ergiebiger ist es, über andere Faktoren zu sprechen, die das politische Verhalten und Bewusstsein der Menschen besser abbilden können. Müssen wir die Lohnabhängigkeit der Polizist:innen negieren? An sich nicht. Jedoch wollen wir darauf hinweisen, dass das Klassenbewusstsein, also das politische Bewusstsein, und die materielle Klassenzugehörigkeit nicht automatisch Hand in Hand gehen und deshalb divergieren können. Wie Arruzza in ihrem oben zitierten Artikel erwähnt, wurde die Polizei von den Herrschenden zum Schutz ihres Eigentums, aber zum Beispiel auch für Landprivatisierung im Zuge der Industrialisierung (ursprüngliche Akkumulation) ins Leben gerufen.
Zentral ist in diesem Kontext die Funktion, die die Polizei in einer kapitalistischen Gesellschaft innehat, nicht ihre Lohnabhängigkeit.
Statt über Lohnabhängigkeit sollten wir nebst der bereits genannten Funktion der Sicherung der herrschenden Klassenverhältnisse auch über Macht im weiteren Sinne sprechen und wie sie strukturell in der Gesellschaft verteilt ist. Der Unterschied zwischen Menschen in prekären Anstellungsverhältnissen wie Pflegefachpersonen einerseits und Polizist:innen oder Richter:innen andererseits liegt unseres Erachtens nach in ihrer Position in der gesellschaftlichen Hierarchie und in der unmittelbaren Macht, Dinge zu beeinflussen. Dazu gehört zum Beispiel die Lizenz zur Gewaltanwendung, welche Polizist:innen haben. Eine Lehrperson, welche Kinder schlägt, wird beispielsweise – zumindest in der Theorie – vom Staat sanktioniert. Polizist:innen hingegen gehen selbst bei der Ausübung tödlicher Gewalt oft straffrei aus. Obschon alle Menschen der kapitalistischen Totalität und ihren Sachzwängen unterworfen sind, so besteht dennoch ein grosser Unterschied hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten verschiedener sozialer Akteur:innen.

Spezialeinheit „MEK Helvetia“ der Schweizerischen Zollverwaltung im Training (SRF Reporter, 2020, Minute 4:12)

Damit wollen wir nicht sagen, dass Akteur:innen mit verhältnismässig viel Macht keinen systemischen Zwängen ausgesetzt sind. Essenziell hierbei ist jedoch anzu- erkennen, dass die Probleme zwar struktureller Natur sind, die herrschende Klasse sie jedoch trotzdem mit ihrem Verhalten gewissermassen prägt. Vielmehr stellt sich deshalb unserer Ansicht nach die Frage, in welchem Verhältnis die herrschende Klasse und die herrschenden Verhältnisse zueinanderstehen.

Der Kapitalismus kann sich gerade durch seine Dynamik und Flexibilität sehr gut an neue und sich stetig ändernde Umstände anpassen, weil sich die kapitalistische Totalität aus einzelnen, auch gegensätzlichen oder widersprüchlichen Partikularinteressen zusammensetzt und nicht mit einer wohlgeölten Maschine verglichen werden kann.

Der heutige Kapitalismus zeichnet sich gerade durch diffuse Herrschaftsverhältnisse aus. Der Klassenantagonismus zwischen Lohnabhängigen und Kapitalist:innen tritt zumindest in den kapitalistischen Zentren nicht mehr so eindeutig zu Tage wie zu Zeiten des Fordismus. David macht es sich zu einfach, wenn er die Lohnabhängigkeit der Polizei innerhalb seiner Argumentation so stark gewichtet.

Zielführender als die Diskussion um ihre Lohnabhängigkeit wäre es vielleicht,
den Polizist:innen Grundrechte und Menschenwürde zwar nicht abzusprechen, sich aber entschieden gegen ihre unterdrückende Tätigkeit zu stellen.

Wir trauen Polizist:innen und ihren pseudogewerkschaftlichen Lobbyverbänden nicht über den Weg

Aus der Lohnabhängigkeit schliesst David das Anrecht auf gewerkschaftliche Organisierung. Doch was genau sind Polizeigewerkschaften und weshalb macht es keinen Sinn, ihnen dieses Recht zuzugestehen?

Wir gehen davon aus, dass Gewerkschaften dazu dienen, für bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit zu kämpfen. Weil Polizist:innen die herrschenden Verhältnisse schützen und Gesetze durchsetzen müssen, werden sie unweigerlich auf Widerstand stossen. So können Polizeigewerkschaften argumentieren, dass sie sich und die Gesellschaft nur mit entsprechender Ausrüstung wie gepolsterten Handschuhen, die auch gerne offensiv verwendet werden, und weitreichenden Kompetenzen vor diesen realen oder angeblichen Gefahren schützen können. Deshalb sind Polizist:innen nicht mit anderen Lohnabhängigen vergleichbar. Ihre Funktion unterscheidet sich grundlegend von anderer Arbeit, weil sich ihre Arbeitsbedingungen nicht von ihrer Repression trennen lassen. Es macht also keinen Sinn, auf ihren Gewerkschaftsrechten zu beharren. Polizeieinheiten zeichnen sich ebenfalls nicht durch eine ausgeprägte Fehlerkultur und Einsicht aus. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir trauen Polizist:innen und ihren pseudogewerkschaftlichen Lobbyverbänden nicht über den Weg.

Wir möchten David nicht unterstellen, dass er mehr Mittel für die Polizei fordert, jedoch betonen, dass Polizeigewerkschaften bereits konzeptionell keinen Sinn machen. Mehr Rechte für Polizist:innen ohne vermehrte Repression gegenüber allen anderen ist aus unserer Sicht nicht zu haben.

Dass wir ihnen ihre Menschenwürde sowie ihr Recht auf gesicherte Grundbedürfnisse nicht absprechen wollen, sollte selbstverständlich sein. Dennoch haben Polizist:innen unserer Ansicht nach kein Recht darauf, ihren Beruf weiterhin auszuüben. Das bedeutet, dass wir sämtliche institutionalisierte sowie informelle Organisationsstrukturen der jetzigen Polizei restlos auflösen müssen.

Bulle wird oft, wer Spass daran hat, andere zu quälen und Macht auszuüben

Abschliessend werden wir versuchen, Davids strategische Überlegungen kritisch zu kommentieren. Er erwähnt die Russische Revolution sowie die Nelkenrevolution in Portugal als Beispiele für Situationen, in denen Mitglieder des Repressionsapparats im entscheidenden Moment den Gehorsam verweigert haben. Im Kontext seiner Argumentation sollen diese Beispiele zeigen, dass wir die Polizei nicht im Voraus als Feinde bezeichnen sollten, da dies ihnen erschweren würde, Stellung zu beziehen und den Befehl zu verweigern. So weit so gut. Diese Beispiele sind aber aus verschiedenen Gründen unglücklich gewählt, wie wir nachfolgend ausführen werden.

Insgesamt halten wir seine Einschätzung für fragwürdig und naiv. Zum einen würden wir dadurch den Erfolg sozialer Auseinandersetzungen von einzelnen Angehörigen des Repressionsapparats abhängig machen, statt darüber nachzudenken, wie wir die Kräfteverhältnisse zu unseren Gunsten verändern können. Massendesertation und der Ungehorsam einzelner Mitglieder sollte nicht zu einer strategischen Konstante werden. Viel eher müssen wir wohl vom Gegenteil ausgehen, gerade weil sich in solchen Institutionen wie der Armee oder der Polizei vorwiegend Menschen sammeln, die reaktionäres oder gar faschistisches Gedankengut vertreten.

Wir können Geschichte auch als offenen Prozess begreifen, ohne das Verhalten der Sicherheitskräfte prognostizieren zu wollen. Wir können zurückblicken und uns fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass einzelne Akteur:innen Stellung beziehen und sich distanzieren oder ob ihre Disziplin und Loyalität zu ihren «Kameraden» in Krisensituationen überwiegt. Auch wenn das Verhalten einzelner Polizist:innen nicht vorbestimmt sein mag, so erhöht der «Kameradschaftsgedanke» und die Dynamik innerhalb einer solchen Institution den Druck enorm, sich gegen die eigene Einheit zu stellen. Diese Dynamik wird durch den Unwillen, polizeiliches Fehlverhalten zu untersuchen und gegen andere Polizist:innen auszusagen, zusätzlich verschärft.

Zu den Vergleichen mit Russland im 1. Weltkrieg oder Portugal in den 1970er-Jahren bleibt Folgendes zu sagen: In beiden Fällen desertierten vor allem Soldaten, welche unter Zwang in ihrer Armee dienten. Die meisten Polizist:innen in industrialisierten Staaten, insbesondere in der Schweiz, dürften wohl für vergleichbaren materiellen Wohlstand auch andere Berufsmöglichkeiten gehabt haben. Wie bereits von Arruzza bildhaft dargestellt: Bulle wird oft, wer Spass daran hat, andere zu quälen und Macht auszuüben.

Wir stimmen David zu, dass die kommenden sozialen Kämpfe und Auseinandersetzungen einer Massenbewegung bedürfen, die die Kräfteverhältnisse zu unseren Gunsten verschiebt. Dass wir die Angehörigen des Repressionsapparats zu dem Teil der Bevölkerung zählen sollten, die sich mit Händen und Füssen gegen einen radikalen Wandel wehren werden, scheint uns leider wahrscheinlich.

Auch ist fraglich, inwiefern es eine radikaldemokratische Kontrolle des momentan existierenden Sicherheitsapparats zu fordern gilt, und nicht, wie bereits angeschnitten, dessen bedingungslose Abschaffung. Reicht es, den Repressionsapparat unter radikaldemokratische Kontrolle zu stellen? Uns ist bewusst, dass beispielsweise die Polizei in Fällen von häuslicher Gewalt im Hier und Jetzt unerlässlich ist oder dass die Armee bei Naturkatastrophen manchmal nützlich sein kann. Diese Erkenntnis impliziert oder legitimiert keineswegs ihr weiteres Bestehen, weil sich diese Aufgaben in der Gesellschaft auch anders organisieren lassen.

Für eine gerechte und sichere Gesellschaft ohne Dichotomie von Repression und Rehabilitation

Wir halten es für verfehlt, eine radikaldemokratische Kontrolle, statt die Abschaffung des Repressionsapparats zu fordern, da diese Forderung die Polizei implizit legitimiert. Stattdessen sollten wir explizit die Abschaffung des Repressionsapparats mitsamt seinen Institutionen wie der Polizei, den Gefängnissen, dem Nachrichtendienst und Vergleichbarem fordern, weil dies uns zwingt, fundamentale Prinzipien, auf denen unsere Gesellschaft basiert und nach denen sie funktioniert, zu hinterfragen. Wie schaffen wir eine gerechte und sichere Gesellschaft mit wirklicher Rechenschaft, ohne auf die Dichotomie von Repression und Rehabilitation, meistens als «Resozialisierung» beschrieben, zurückzugreifen?

Wir wollten mit dieser Replik darauf hinweisen, dass das politische Bewusstsein nicht allein durch die Lohnabhängigkeit entsteht, sondern dass viele verschiedene Faktoren für die Politisierung ausschlaggebend sind. Wir haben im Text dargelegt, weshalb wir es für verfehlt erachten, die Angehörigen des Repressionsapparats zu den potenziellen Verbündeten zu zählen, die die Seiten auf Grund moralischer Bedenken wechseln würden, da dies in den allermeisten Fällen schlichtweg illusorisch und naiv ist.

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