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Wir brauchen #ZeroCovid, statt einer Pandemie ausser Kontrolle!

Die Corona-Zahlen in der Schweiz sinken seit einigen Wochen langsam, aber beständig. Doch kaum sterben statt ungefähr 100 Menschen „nur“ noch 50 am Tag, werden bereits wieder Forderungen nach Lockerungen laut. Dabei geht völlig vergessen, dass wir mit den dominant werdenden Mutanten des Virus aktuell in eine äusserst schwierige Phase der Pandemie eintreten. Es wäre gerade jetzt der Moment, #ZeroCovid mit aller Konsequenz anzustreben.

von Matthias Kern (BFS Zürich)

Was eine, je nach Zählart, dritte Welle der Corona-Pandemie trotz der langsam anlaufenden Impfkampagne anrichten kann, zeigen uns aktuell die Nachrichten und Bilder aus Portugal oder Grossbritannien. Dort wüten mutierte Varianten des Corona-Virus, die 30-50% ansteckender sein sollen als die bisher bekannten Varianten.

In Lissabon stauen sich seit einigen Tagen die Krankenwagen vor den Spitälern, weil kein Platz mehr da ist für alle schwer Erkrankten. Und in London war das Gesundheitssystem im Januar weit über die Belastungsgrenze ausgelastet und die Zahlen konnten nur mit einem viel zu späten, drastischen Lockdown einigermassen unter Kontrolle gebracht werden.

30% höhere Infektiosität bedeutet eine ganz neue Pandemie

Ungefähr 30 Prozent ansteckender soll die aktuell in Europa stark verbreitete britische Variante des Corona-Virus sein. Was erstmal nicht nach viel klingt, kann in einem exponentiellen Verlauf verheerend sein. Das bedeutet, dass die Massnahmen, welche die Reproduktionszahl des aktuellen Virus auf unter 1 brachten (Eine Person steckt durchschnittlich weniger als eine weitere Person an), nicht mehr ausreichen könnten, um den Verlauf der Ansteckungen zu bremsen. Die Mutation würde dann in vielen Fällen dafür sorgen, dass eine Person wieder deutlich mehr als eine weitere Person ansteckt. Die Pandemie kann dadurch wieder komplett ausser Kontrolle geraten – und das trotz bereits bestehender Eindämmungsmassnahmen.

Ja womöglich sind die Virusmutationen – eine englische, eine brasilianische und eine südafrikanische sind aktuell bekannt – zusätzlich auch noch tödlicher als die bisher bekannten Varianten. In diesem Fall würde nicht nur die Ansteckungsrate, sondern zugleich die Mortalität steigen. Eine verheerende Kombination mit vielen schweren Verläufen, die das Gesundheitssystem weiter belasten.

Nicht umsonst warnen Virolog:innen davor, dass wir es im Grunde mit einer neuen Pandemie zu tun haben werden, wenn sich die Mutationen durchsetzen. Eine Pandemie, bei der wir von Beginn weg verschiedene Eindämmungsmöglichkeiten wie das Tragen von Masken bereits praktisch ausgeschöpft haben.

Mutationen sind schon dominant oder setzen sich in Kürze durch

In gewissen Regionen Österreichs beträgt der Anteil der britischen Mutation an der gesamten Viruslast bereits drei Viertel, was über Messungen im Abwasser nachgewiesen werden konnte. Und auch in der Schweiz dürften sich die Virus-Mutanten längst nicht mehr nur auf einzelne Hotspots beschränken.

In Arosa beispielsweise wurden 2‘000 Corona-Tests durchgeführt, nachdem mehrere Fälle der britischen Mutation nachgewiesen wurden. 58 dieser Tests waren positiv, davon konnten 45 der britischen Variante zugeordnet werden. Auch hier wird das ansteckendere Virus also dominant. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die durch die höhere Infektiosität einen evolutionären Vorteil verschaffenden Mutationen in ganz Europa flächendeckend durchsetzen werden. Und dann?

R-Wert bei knapp unter 1 und dennoch wird von Lockerungen gesprochen

Anders als die meisten anderen europäischen Länder gab es in der Schweiz in den letzten Monaten keine flächendeckenden Schulschliessungen. Viele der Ansteckungsherde sind deswegen wenig überraschend im Umfeld der Schulen zu finden. Weitere gab es in den letzten Wochen in den nicht notwendigen Wirtschaftssektoren wie der Hotellerie, die nicht vom Lockdown betroffen sind. Hier werden bewusst tausende Menschen der Gefahr einer Infektion ausgesetzt, um weiterhin Gäste aus aller Welt zu beherbergen.

Durch die sinkenden Infektions-, Hospitalisations-, und Sterbezahlen werden aktuell aber bereits auch wieder Forderungen nach Lockerungen der Corona-Massnahmen laut. Bei diesen Forderungen geht es dabei selten um die Freiheit und die Freizeit der Menschen oder die psychische Gesundheit, sondern darum, dass „die Wirtschaft“ wieder ins Rollen kommen soll. Genau deshalb sollen zum Beispiel zuerst Ladengeschäfte, die keine lebensnotwendigen Güter verkaufen, wieder geöffnet werden. Falls sich diese Forderungen durchsetzen, könnte das fatal sein und die Schweiz in eine dritte Welle mit bislang ungekannten Todeszahlen stürzen.

Denn in den letzten Wochen stieg der berechnete R-Wert, der die Reproduktion des Virus angibt, trotz des Lockdowns wieder auf 0.98 und ist damit fast bei 1 angelangt. Dazu beigetragen haben dürften zu einem Teil die ansteckenderen Virusvarianten. Wenn sich nun die Virusmutationen noch vollständig in der ganzen Schweiz durchsetzen, sehen wir schon bald wieder exponentiell steigende Zahlen – und das trotz Lockdown. Wenn gleichzeitig die Massnahmen gelockert werden, sind portugiesische oder britische Verhältnisse – grossflächige Überlastungen des Gesundheitssystems und eine weiter steigende Übersterblichkeit – absehbar. Das muss unbedingt verhindert werden.

Welche Perspektive?

Weithin wird versprochen, dass die Impfkampagne das rasche Ende der Pandemie bedeuten würde. Abgesehen davon, dass die angelaufene Impfkampagne, bei der in der Schweiz bislang ungefähr 300’000 erste Impfdosen verimpft wurden, bei dem aktuellen Tempo bis mindestens im späten Frühling keinen relevanten Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten wird, stehen weitere Fragen offen.

Es ist bisher unklar, inwieweit die Impfung nicht nur vor den Symptomen und dem schweren Krankheitsverlauf schützt, sondern auch die Verbreitung des Virus verhindert. Zudem ist die Wirkung des Impfstoffs auf den Verlauf der Pandemie abhängig vom R-Wert. Je grösser der R-Wert, desto mehr Menschen müssen geimpft sein, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Das bedeutet, dass sowohl die neuen ansteckenderen Mutanten als auch Lockerungen der Covid-Massnahmen die Anstrengungen der Impfkampagne unterlaufen!

Zudem besteht weiterhin die Gefahr, dass Virusmutationen (Escape-Mutationen) die Immunantwort des Körpers umgehen werden, damit vielleicht sogar Neuansteckungen verursachen oder Impfungen weniger wirksam werden lassen. Je länger und je mehr Menschen sich anstecken, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit für das Auftauchen neuer noch infektiöserer Mutanten, da das Virus bei jeder Infektion die Möglichkeit bekommt zu evolvieren. Ob die derzeit verfügbaren Impfstoffe gegen alle Mutanten helfen, bleibt offen. Gäbe es eine solche Mutante, begänne der Entwicklungsprozess des Impfstoffs von Neuem!

Deshalb wäre es fatal, in dieser Situation vor dem Virus zu kapitulieren und mit Verweis auf baldige Impfungen die aktuellen Eindämmungsmassnahmen zurückzufahren. Im Gegenteil braucht es aktuell nochmals besondere Anstrengungen. Es wäre nämlich möglich, das Virus nicht einzudämmen, sondern weitestgehend unter Kontrolle zu bringen. Die Situation in der Schweiz wäre hierzu aktuell einigermassen vielversprechend. Die Zahlen sind geringer als auch schon und die Testpositivität seit langem wieder einmal unter 10 Prozent. Mit einer solidarischen Pause, wie sie die Kampagne #ZeroCovid fordert, wäre es ausgehend hiervon möglich, die Zahlen gegen Null zu drücken. Dazu bräuchte es aber die kurzfristige Stilllegung aller Wirtschaftszweige, die nicht unbedingt notwendig für das Überleben sind. Und nicht ein ewiger Lockdown, der das Privatleben der Menschen auf ein Minimum beschränkt, sie aber dennoch an den Arbeitsplätzen angesteckt werden. Zu einem solchen Schritt fehlt der politische Wille allerdings. Das ist eine Perspektive, die nur von uns allen durchgesetzt werden kann.

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