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Quo vadis, Schwurbler:innen?

Kaum wurde Corona für beendet erklärt, kam der Ukrainekrieg in die Schlagzeilen. Von heute auf morgen verschwand das dominante Problemfeld der vergangenen zwei Jahre. Wie geht es weiter mit der Corona-Bewegung und ihren Mitgliedern? Eine Prognose.

von Danilo Meunier und Emil Spotter (BFS Basel); aus antikap

Der 17. Februar 2022 war beinahe das, was die Coronaproteste seit langen zwei Jahren fordern: Die Abschaffung aller staatlichen Regeln im Zusammenhang mit Covid-19. «Freedom Day» wurde er von einigen genannt. «Unsere Freiheiten» seien damit «wieder vorhanden».

Erwartungsgemäss sind seither grosse Corona-Demos ausgeblieben. Der grösste Teil der Coronaskeptiker:innen geht nun nicht mehr auf die Strasse. Doch die Menschen, die sich während zwei Jahren im Kampf mit einer «Corona-Diktatur» wähnten, ändern nicht so schnell ihre Meinung. Ein Teil der Bewegung scheint sich um neue Protestthemen herum zu gruppieren. Wir blicken zurück und wagen eine Prognose für die kommenden Monate und Jahre.

Die Schweizer Corona-Bewegung

Als der erste Lockdown vorbei war, schoss eine bunt zusammengewürfelte Protestbewegung aus dem Boden. Das Wetter war gut, die Fallzahlen waren tief und der Sommer versprach epidemiologische und politische Entspannung. Dennoch verstetigte sich eine Bewegung gegen die Corona-Massnahmen, wie anderswo in Europa auch. Und das, obschon die schweizerischen Massnahmen im internationalen Vergleich stets knapp ausfielen und stellenweise geradezu fahrlässig inexistent schienen.

An den regelmässig stattfindenden Grossdemonstrationen liefen Life-Coaches neben Nazis der «Jungen Tat», Schwyzer Kleinbauern neben Anthroposophinnen und esoterische Hippies neben kaufmännischen Angestellten. Zumindest vorübergehend wurden so Menschen zusammengebracht, die sich lebensweltlich nicht fremder sein könnten. Die Corona-Bewegung brachte also eine hochgradig unwahrscheinliche Allianz hervor, die verschiedene Milieus und Klassen miteinander verband.

Mit dem Ende der Massnahmen am besagten 17. Februar 2022 brach jedoch das zentrale Feindbild weg, das die Bewegung geeint hatte. Seither erweist sich die Mobilisierung als schwierig. Unangenehme Fragen nach den politischen Gemeinsamkeiten der Demonstrierenden können nun nicht mehr so einfach ausgeblendet werden. Die Corona-Bewegung befindet sich also in einer Phase der Neuorientierung. Was sind ihre Optionen? Welche Folgen haben ihre Erfolgsaussichten für unsere emanzipatorische Politik?

Im Rückblick lässt sich die Bewegung vornehmlich in drei Protestgruppen unterteilen: Esos, Verschwörungsgläubige und völkisch Rechtsnationale. Diese überschneiden sich zwar, aber als Idealtypen liefern die drei Gruppen Erkenntnisreiches über die unterschiedlichen Beweggründe der Demoteilnehmenden. Sie erklären auch, wieso die Corona-Skeptiker:innen unterschiedlich auf das Ende der Bewegung reagieren.

Erste Gruppe: Esos

Die Fraktion der Esoteriker:innen und Anthroposoph:innen war von Beginn an zentral für die Bewegung. Sie zweifeln aufgrund alternativwissenschaftlicher, spiritueller oder schlicht intuitiver Wissensbestände die wissenschaftliche Darstellung der Pandemie an. Statt Big-Pharma und Staat verlassen sie sich auf ihr natürliches Immunsystem und dessen Selbstheilungskräfte. Ihr Protest ist stark am eigenen «Gegenwissen» ausgerichtet: Pferdeentwurmungsmittel, Karmalehre und Meditation werden der Impfung vorgezogen, da diese Gentherapie unnatürlich sei und letztlich nur minderwertigen Ersatz für die Selbstheilungskräfte des Körpers darstellen.

Wie die ganze Bewegung vertreten auch die Esos letztlich ein menschenverachtendes Weltbild, das die Menschheit als Teil der Natur im darwinistischen Kampf ums Überleben sieht. Wenn immungeschwächte Personen dem Virus erliegen, dann ist das «der Natur» geschuldet. Ihrer Meinung nach zeigt eine moralische Empörung über einen sinnlosen Tod lediglich, wie weit sich der Mensch von der Natur entfernt habe. Die moderne Welt pflege ein wohlstandsverwahrlostes Verhältnis zum Leben und Sterben.[1]

Das Engagement der Esos in der Corona-Bewegung mündet in einem Rückzug in alternativwissenschaftliche Wissensbestände und in einer spirituellen Flucht in die Innerlichkeit. Der korrumpierten Welt wollen sie in einer kontemplativen Haltung entgegenstehen – verändern wollen sie sie nicht. Die Esos pflegen also einen radikalen Individualismus; ihre Organisierung war von Beginn weg schwer aufrechtzuerhalten. Dieser Teil der Corona-Bewegung verläuft sich wohl allmählich und tritt aktuell die Flucht ins Private an.

Zweite Gruppe: Verschwörungsgläubige

Als zweite einflussreiche Gruppe lässt sich die verschwörungsideologische Fraktion ausmachen. Diese unterfüttert die politisch unscharfe Protestbewegung mit grossen Verschwörungserzählungen. Damit geben sie vor, die brennende Frage vieler Demoteilnehmenden zu beantworten: Wieso scheint die Mehrheit der Bevölkerung aus verrückten Schlafschafen zu bestehen, die nicht verstehen wollen, dass Corona eigentlich harmlos und nur dazu da sei, damit Big-Pharma astronomische Profite einstreichen kann? Dass die Kapitalakkumulation bereits lange vor der Pandemie den Takt angab, wird mit derselben Bestimmtheit ausgeblendet, wie zugleich finstere Motive des angeblich allmächtigen Bill Gates und seinem Microchipping-Weltherrschaftsplan behauptet werden.

Dabei spielt es keine Rolle, dass die frei flottierenden Verschwörungsmärchen keine gemeinsame Weltanschauung teilen und sich zuweilen auch diametral entgegengesetzt sind. 9/11, Reptiloiden, «Flat Earth-Theory» und der «Great Reset» werden allesamt unter einen Hut gebracht. Eine kohärente Diagnose, die diese Behauptungen systematisch zusammenführt, wird nicht einmal bemüht. Das kann zu absurden Situationen wie in Zug im Herbst 2021 führen: An einer verschwörungstheoretischen Veranstaltung sprach sich eine Rednerin vehement gegen die Abschaffung des Bargeldes aus, nur um sogleich einem Befürworter von Kryptowährungen die Bühne zu überlassen, der die Potenziale einer Welt ohne Zentralbanken und Bargeld pries. Ohne an dieser Stelle auf den strukturellen Antisemitismus einzugehen,  lässt sich allerdings doch eine gemeinsame Einstellung der Verschwörungsfraktion feststellen: Was landläufig als Realität verstanden wird, sei in Wahrheit ein orchestrierter Schein. Also das, was der Fall zu sein scheint, sei eigentlich nur eine Verschleierungsaktion einer kleinen, aber wirkmächtigen und perfekt organisierten Elite.

Die Verschwörungsgläubigen bilden die einzige Fraktion, die nun reibungslos auf neue Inhalte umschwenkt. Dies können wir im aktuellen Ukrainekrieg gut beobachten: In Österreich und Deutschland traten auf Demonstrationen vermehrt Leute aus dem coronaskeptischen Umfeld als Putinversteher:innen und Kriegsverharmloser:innen auf. Die verschwörungstheoretische Fraktion war bis anhin zwar stets reaktionär und wissenschaftsfeindlich, huldigte aber keiner autoritären Führungsfigur. Dies scheint sich nun geändert zu haben. Putin wird neu als «Erlöser» gefeiert, der den «Great Reset» noch abzuwenden versucht. Die Verschwörungsgläubigen versuchen so, möglichst breite Teile der beiden anderen Fraktionen für ihre Ziele einzuspannen.

Dritte Gruppe: Völkisch Rechtsnationale

Die dritte, wohl sichtbarste und problematischste Protestfraktion bildete jene der libertär-völkischen Urschweizer. Sie waren in Gestalt der Freiheitstrychler jeweils zuvorderst an den Demonstrationen und überbimmelten erfolgreich die völlige Abwesenheit inhaltlicher Slogans. Die neonazistische «Junge Tat», gewissermassen die Jungfraktion der Rechtsnationalen, konnte sich sogar ungestört an die Spitze einer Corona-Demo in Bern setzen. Die Sennenkutten des «Aktionsbündnis Urkantone» gemahnen an die asketischen «Urschweizer», die sich vor keinem pandemischen Gesslerhut verbeugen wollen und denen das Ricola im Haus notfalls den Lungenspezialist erspart.

Diese «neue» Form der mythologisch-reaktionären Rechten der alten Schule bildet die einzige Protestfraktion, die sich erfolgreich selbst organisieren konnte. Sie ist auch die einzige, die uns als Antifaschist:innen mittelfristig stark beschäftigen wird. Obwohl unterdessen auch ihre Organisationen durch Selbstbereicherungen von Bewegungsunternehmern sowie durch politische Flügelkämpfe erschüttert wurden, bildeten sie doch den harten Kern der Proteste. Der neuen Erfolglosigkeit der Corona-Demos möchten sie nun durch einen Rückzug in ihre urschweizerischen Kleingemeinschaften und «community building» begegnen.

Josef Enders vom «Aktionsbündnis Urkantone» sowie Michael Bubendorfer von «Freunde der Verfassung» verkündeten im Anschluss an die zweite vernichtende Abstimmungsniederlage zum Covid-Gesetz, dass sie die Errichtung parallelgesellschaftlicher Strukturen planen. Diese Kleingemeinschaften sollten über ein eigenes Bildungssystem und eine eigene Gesundheitsversorgung verfügen.

«Existentielle Sachen wie sich frei bewegen, frei wirtschaften, gesund leben sind bedroht. […]  Die Antwort auf diese Herausforderung heisst Vernetzung, heisst Parallelgesellschaft. […] Es ist egal, ob wir die anderen 80 Prozent überzeugen […], wir machen es dann einfach. […] Ich habe lieber Frieden als Krieg […], aber wenn das noch zwanzig bis dreissig Jahre so weiter geht, dann wäre allenfalls ein Bürgerkrieg besser als dieser scheiss Hygienefaschismus.”

– Äusserungen im Gespräch zwischen Daniel Stricker, Josef Enders (Aktionsbündnis Urkantone) und Michael Bubendorf (Freunde der Verfassung) bei Stricker TV im Nachgang zur zweiten verlorenen COVID-Vorlage (November 2021)

Die Organisation, die diesen Wandel einleiten soll, nennt sich «Aufrecht Schweiz» und wird von vielen Coronaleugner:innen unterstützt. Sie weist ein starkes Wachstum in der Innerschweiz auf und versucht sich als Bastion der «aufrechten Schweizer» zu konstituieren. Dazu gehört ein Nachwuchsförderungsprogramm, das die Kinder nicht mehr den staatlichen Schulen überlassen möchte. Mit diesen sezessionistischen Ideen verhalten sich die völkisch Rechtsnationalen wie ein gallisches Dorf, das in erster Linie unabhängig sein will und gegen Rom beziehungsweise Bern Widerstand leistet – allerdings ohne gesamtgesellschaftlich aktiv werden zu wollen. Die Rechtsnationalen bilden damit einen der wohl dauerhaftesten Ableger der vergangenen Corona-Bewegung.

Rechts der SVP wird Platz

Die dritte Gruppe der Rechtsnationalen eröffnet mit ihren Projekten einen Raum rechts der SVP. Denn ihr libertär-völkisches Gedankengut ist noch ländlicher als das der SVP : «Aufrecht Schweiz» wird nie über einen «Zürcher Flügel» verfügen, der von einem Autoritären wie Christoph Blocher geführt wird. Die Führungsriege der SVP pflegt einen urbanen Lebensstil, weist ein hohes Mass an ökonomischem und kulturellem Kapital auf und vertritt dennoch ländlich-rechtsradikale Positionen. Bei «Aufrecht Schweiz» könnte ein solcher Widerspruch nicht einfach in der imaginären Einheit der Nation aufgehoben werden, wie das die SVP erfolgreich tut.

Zudem verpflichtet sich «Aufrecht Schweiz» viel grundsätzlicher einem mythologisiert-reaktionären Weltbild als die SVP. Denn die völkisch Rechtsnationalen erkennen den Zustand der modernen Schweiz deutlicher und lehnen ihn umso stärker ab. Sie sehen die Differenzen und Unterschiede innerhalb der Schweiz und lügen diese nicht zu einer Volksgemeinschaft um. Sie planen die Errichtung von Strukturen, die ihrer Vorstellung einer vormodernen Schweiz entsprechen. Sie aktualisieren damit die traditionsreiche gesellschaftliche Reaktion, die sich stets gegen die Moderne gewehrt hat, in einer mythologisierten und völkischen Art und Weise.

«Aufrecht Schweiz» ist deswegen nur bedingt anschlussfähig für den scharfen Rechtspopulismus der SVP. Denn jene bedient regelmässig und gerne den Bundesstaat als Werkzeug, um repressive Massnahmen gegenüber Minderheiten zu erwirken. Die nun politisierten, neuen-alten Rechtsnationalen werden so weniger zu aktiven Parteimitgliedern der SVP – vielmehr fokussieren sie auf den Aufbau parallelgesellschaftlicher Strukturen und treten so den Rückzug aus der Moderne an.

Antifa bleibt Handarbeit

Corona wurde für beendet erklärt, weitere Krisen haben sich wieder bemerkbarer gemacht. Die «Freunde der Verfassung» sowie das «Aktionsbündnis Urkantone» haben sich aufgelöst. Auch die Bewegung «Massvoll» hat sich gespalten. Doch die zahlreichen Coronaskeptiker:innen haben nun knapp zwei Jahre einen gefährlichen Politikstil eingeübt und sich gegenseitig darin bestätigt. Die Gefahr ist real, dass sie aus ihren Erfahrungen lernen und neue unsolidarische Bewegungen lostreten. «Aufrecht Schweiz» ist ein solcher Fall: Die Organisation versucht, den Restwarenposten der Corona-Bewegung für ihre völkisch-sezessionäre Bestrebungen zu mobilisieren.

An die Stelle der Autorität des Marktes wollen die völkisch Rechtsnationalen althergebrachte Autoritäten und Seilschaften stellen, deren Überwindung für uns alle Emanzipation bedeutete und deren Rückkehr Knechtschaft verhiesse. Als revolutionäre Linke müssen wir dieser sezessionären Flucht vor den Widersprüchen der modernen Gesellschaft, die einer Rückkehr in finstere vormoderne Zeiten gleichkommt, ein emanzipatorisches Projekt entgegenhalten. Die multiplen Krisen im Spätkapitalismus – Pandemien, Wirtschaftskrisen, Klimawandel, Krieg – lassen einen Rückzug in eine vormoderne Kleingemeinschaft fernab vom modernen Kapitalismus attraktiv erscheinen. Doch diese Gemeinschaften sind illusionär, ethnisch-exklusiv und patriarchal verfasst; sie überdecken die kapitalistischen Widersprüche, anstatt sie aufzulösen.


[1] Dass das Virus nicht per se einfach natürlich auftritt, sondern direkt mit der Art und Weise zusammenhängt, wie im Kapitalismus gewirtschaftet und mit der Natur umgegangen wird, hat dieser exzellente Artikel auf sozialismus.ch gezeigt: https://sozialismus.ch/oekologie/2021/fleischkonzerne-klimakiller-und-pandemietreiber/

Titelbild: Abrufbar auf: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d3/F%C3%AAte_f%C3%A9d%C3%A9rale_des_sonneurs_de_cloches_-_Scheller_und_Trychler_-_3_septembre_2011_%C3%A0_Bulle_%286109742449%29.jpg

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