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Warum die „Unterfinanzierung“ der AHV ein Mythos ist

Ein immerzu wiederholtes Argument bei der Diskussion um Reformen der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) lautet, dass diese unterfinanziert sei. Es sei unvermeidlich, dass die Lohnabhängigen mehr Geld in die Versicherung einbringen müssten, z.B. über eine Ausdehnung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre. Benoit Blanc, Mitglied der Gewerkschaft VPOD in der Romandie, zeigt in diesem Artikel auf, wieso dies ein bürgerliches Märchen ist. Die vermeintliche Unterfinanzierung liesse sich leicht beheben, wenn der im Überfluss vorhandene Reichtum in der Schweiz konsequenter umverteilt würde. Wir publizieren hier die Übersetzung eines Artikels, der in der Zeitschrift «services publics» des VPODs erschienen ist. (Red.)

von Benoit Blanc; aus ssp-vpod.ch

Die Rechte und die Unternehmerschaft der Schweiz sind Weltmeister im Einhämmern: Wenn ihre Interessen auf dem Spiel stehen, werden sie nicht müde, immer wieder dieselben Argumente vorzutragen, um ihren Standpunkt durchzusetzen. Die Renten und insbesondere die AHV sind ein Paradebeispiel dafür. Seit drei Jahrzehnten wollen diese Kreise der Bevölkerung drei Glaubenssätze einbläuen: 1) Die AHV stehe vor einer finanziellen Katastrophe; 2) dies sei die Folge der steigenden Lebenserwartung; 3) es sei daher „unvermeidlich“ und „normal“, länger zu arbeiten und das Rentenalter zu erhöhen.

Im kommenden September wird erneut über die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre abgestimmt. Die Rechte macht kein Geheimnis daraus, dass es ihr darum geht, die letzte Hürde aus dem Weg zu räumen, damit das Rentenalter allgemein auf 66, 67, 68 oder sogar 69 Jahre angehoben werden kann. Um sie zu überlisten, muss man die Bedeutung der bürgerlichen Argumentation blossstellen. Erster Teil: Finanzen.

Je grösser, desto besser…

Selbst wenn die Reform angenommen wird, hat die AHV immer noch ein Finanzloch von 650 Milliarden Franken„, titelt die Neue Zürcher Zeitung am 18. März 2022. Bumm! Das Loch würde sogar 900 Milliarden Franken betragen, wenn die Erhöhung des Rentenalters für Frauen – die besagte „Reform“ – im September abgelehnt wird. Bumm! Dann bliebe uns nichts anderes übrig, als die weisse Fahne zu hissen….

Die Quelle dieser Zahl ist eine „Studie“, die am Vortag von der UBS-Bank veröffentlicht wurde – mit dem passenden Titel „Die Zukunft der AHV. Eine Frage der Perspektive„. Diese Broschüre, die seit Jahren mit aktualisierten Werten immer wieder neu aufgelegt wird, behauptet, sie sei das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Universität Freiburg im Breisgau (Deutschland) und Ökonomen der UBS. Ein auf der Publikation aufgedruckter QR-Code ermöglicht den Zugriff auf Informationen der UBS, z.B. darüber, „welche Anlagestrategien Ihre Vorsorge optimieren können„. Bei diesen Leuten hat die „Wissenschaft“ einen ausgeprägten geschäftlichen Beigeschmack.

Wie kommen sie auf diese überwältigende Summe von fast 1000 Milliarden Franken? Sie soll die Differenz ausmachen zwischen der Summe der Beiträge, die die 2019 in der Schweiz lebende Bevölkerung im Laufe ihres Lebens an die AHV zahlen müsste, und der Summe der Renten, die die gleiche Bevölkerung von der AHV erhalten würde. Es handelt sich also um eine Berechnung für einen Zeitraum von etwa 100 Jahren mit einer garantierten Zuverlässigkeit à la UBS. Weiterhin wird postuliert, dass sich das Finanzierungsniveau der AHV (Beitragssatz, Mehrwertsteuerbeitrag usw.) nicht ändern werde. Dies scheint über einen Zeitraum von 100 Jahren ganz offensichtlich zu sein. Um richtig Angst zu machen, setzt die Studie schliesslich diese Summe, die sich aus einer Kumulierung über ein Jahrhundert ergibt, in Relation zum Wohlstand, der in einem Jahr produziert wird: 125,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) [die Zahl hinter dem Komma ist entscheidend, damit es wissenschaftlich aussieht]. Würde man diese Summe auf den in 100 Jahren produzierten Wohlstand beziehen – nehmen wir an, er wäre 100-mal grösser –, käme man auf Werte um 1% des BIP, was natürlich weniger wirkungsvoll wäre, um die braven Bürger:innen zu erschrecken … und ihm die dritte Säule zu verkaufen, die für die Banken und Versicherungen ein sehr einträgliches Geschäft ist.

Vergessen wir also diesen billigen Horrorfilm und fragen wir uns, wie es wirklich um die finanzielle Nachhaltigkeit der AHV bestellt ist. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat bereits aufgezeigt, dass mit den Reserven der Schweizerischen Nationalbank (SNB) genügend Ressourcen zur Hand sind, um die Finanzierung dieser Sozialversicherung in den nächsten Jahren zu sicherzustellen – im wahrsten Sinne des Wortes. Einige wenden gegen diesen Vorschlag ein – durchaus berechtigt! – dass dies keine dauerhafte Lösung sei. Werfen wir daher einen Blick auf einige grundlegende und dauerhafte Grössenverhältnisse.

Laut den am 10. Januar 2022 vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) veröffentlichten „Finanzperspektiven der AHV“i werden die Konten der AHV im Jahr 2032 ein Geschäftsergebnis von -5,6 Milliarden Franken aufweisen, unter der Annahme, dass im September die Erhöhung des Rentenalters der Frauen abgelehnt wird. Diese Prognosen berücksichtigen natürlich die demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung. Meistens haben sich die Prognosen des BSV als (viel) zu pessimistisch erwiesen. Nehmen wir diese Zahl dennoch für bare Münze und schauen wir uns an, was sie bedeutet.

Hast du mir 30 Mäuse?

Laut AHV-Rechnung wurden im Jahr 2020 34,1 Milliarden Franken durch Lohnbeiträge eingenommenii. Der Beitragssatz betrug 8,7%, der sich aus 4,35% Lohnabhängigen-Anteil und 4,35% Unternehmer:innen-Anteil zusammensetzt. Das bedeutet also, dass 1% des Lohnbeitrags 3,9 Milliarden Franken einbrachte.

Nehmen wir an, dass die Lohnsumme zwischen 2020 und 2032 mit demselben Tempo wächst wie im Durchschnitt zwischen 2010 und 2020, nämlich um 1,8% pro Jahr: In diesem Fall würde eine Erhöhung der Lohnbeiträge um 1,2% (0,6% auf die Lohnabhängigen und 0,6% auf die Unternehmer:innen) ausreichen, um das angekündigte Defizit der AHV auszugleichen.iii Für eine Person, die 5.000 Franken im Monat verdient, wären dies 30 Franken pro Monat, für eine Person, die 10.000 Franken verdient, 60 Franken pro Monat.

Mit solchen Zahlen ist es schwer zu behaupten, dass die AHV-Finanzen am Rande des Abgrunds stehen… Selbst bei einem weiter entfernten Horizont wie 2050 (der übrigens nicht seriös vorhergesagt werden kann) wäre eine zusätzliche Erhöhung des Lohnbeitrags um 1 oder 2% kein Problem.

Unternehmer:innen abgezockt um…0,6%…

Kommen wir nun zu einem zweiten Grössenverhältnis, und zwar auf der Ebene der gesamten Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist das gängigste, wenn auch bei weitem nicht perfekte Verfahren, um den Wohlstand zu messen, der in einem Land im Laufe eines Jahres produziert wird. Im Jahr 2019 belief sich das BIP der Schweiz auf 727 Milliarden Franken, im Jahr 2020, das durch COVID-19 geprägt war, auf 706 Milliarden Franken.

Dieser produzierte Reichtum entspricht auch den Einkommen: in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung klassischerweise denen der Arbeit und denen des Kapitals (oder des „Eigentums“)iv. Im Jahr 2019 machten die Einkommen der Lohnabhängigen 58% des BIP aus; der Rest (42%) entfiel auf das Kapital und entsprach dem Bruttobetriebsüberschuss. Davon kann man die Abschreibungen abziehen, die dem normalen Verschleiss und der vorhersehbaren Alterung der Vermögenswerte der Unternehmen entsprechen, sowie die Steuern auf Produktion und Importe: Das Ergebnis ist der Nettobetriebsüberschuss (NBU). Dieser stellt, vereinfacht gesagt, die Gesamtheit der Ressourcen dar, die für die Verzinsung der verschiedenen Arten von Kapital oder Eigentum (an die Aktionär:innen ausgeschüttete Dividenden, Zinsen für Anleihen, Erträge aus Immobilienkapital usw.) und für die Zahlung von Unternehmenssteuern zur Verfügung stehen. Im Jahr 2019 belief sich der NBU in der Schweiz auf 129 Milliarden Franken, was 17,8% des BIP entspricht.

Machen wir ein einfaches Gedankenexperiment: 1) Das BIP wächst zwischen 2019 und 2032 mit der gleichen durchschnittlichen Rate wie zwischen 2009 und 2019, also nominal um 1,8%; 2) das gesamte Defizit der AHV (5,6 Milliarden Franken im Jahr 2032) wird durch Kapitaleinkommen finanziert. Was ergibt sich daraus? Im Jahr 2032 würde der Anteil des NBU, d.h. der Kapitalerträge, am BIP auf 17,2% steigen, statt 17,8% ohne diesen Beitrag zur Rentenfinanzierung. Das wäre der Ruin. Im Klartext: Eine kleine Neuausrichtung der Verteilung des produzierten Reichtums zugunsten der Lohnabhängigen – da die Rentner:innen in ihrer überwältigenden Mehrheit ehemalige Lohnabhängige sind – würde es leicht ermöglichen, eine dauerhafte Finanzierung der AHV zu gewährleisten.

Albtraum: Fast wie vorgestern!

Diese Feststellung wird durch ein drittes Grössenverhältnis untermauert. Im Jahr 2018 brachte die direkte Bundessteuer (DBST) auf Unternehmensgewinne 12,4 Milliarden Franken ein.v Der Steuersatz des Bundes beläuft sich auf 8,5% des steuerpflichtigen Reingewinns. Wenn man die kommunalen und kantonalen Unternehmenssteuern hinzurechnet, wird der durchschnittliche Steuersatz für Unternehmen vom Bund für das Jahr 2020 auf 14,9% geschätzt. Alle wissen übrigens, dass der Reingewinn ein Wert ist, der den Unternehmen einen mehr als beträchtlichen Spielraum lässt, um ihre steuerpflichtigen Ergebnisse zu „arrangieren“.

Um das Defizit der AHV durch die Bundessteuer auf Unternehmensgewinne zu finanzieren, müsste der Steuersatz bis 2032 um 3,8 Prozentpunkte erhöht werden, wenn man davon ausgeht, dass das Volumen des steuerpflichtigen Nettogewinns nicht steigt. Der Bundessteuersatz würde dann auf 12,3 % und der Gesamtsteuersatz bei angenommener Stabilität auf kantonaler und kommunaler Ebene auf durchschnittlich 18,7 % steigen. Im Jahr 2010 betrug der Gesamtsteuersatz für Unternehmen im Kanton Zürich laut den auf der Website der Eidgenössischen Steuerverwaltung veröffentlichten Daten 26,8% … was offensichtlich nicht zu einem Zusammenbruch des Zürcher Wirtschaftsgefüges geführt hat.

Ein Tropfen aus dem Ozean des Reichtums…

Hier ein letzter Vergleich. Im Jahr 2018 deklarierten 17’140 Steuerpflichtige in der Schweiz ein Nettovermögen von mindestens 10 Millionen Franken.vi Wie beim Reingewinn bietet auch das Nettovermögen viele Möglichkeiten, um sein Vermögen unterzubewerten. Diese Personen machten 0,32% aller Steuerpflichtigen aus. Sie deklarierten insgesamt über 646 Milliarden Nettovermögen, was 32,2% des gesamten Nettovermögens entspricht, das in der Schweiz dem helvetischen Fiskus gemeldet wurde: Hundertmal mehr als ihr prozentualer Anteil an den steuerpflichtigen Personen! Am anderen Ende der Skala deklarierten 55% der Steuerpflichtigen kein Nettovermögen oder einen Betrag von höchstens 50.000 Franken: Sie „besassen“ 1,4% des in der Schweiz deklarierten Nettovermögens.

Wenn das Gesamtvermögen der Personen, die mindestens 10 Millionen Franken angeben, bis 2032 nicht steigt, würde ein jährlicher Beitrag von ihnen in Höhe von 0,9% ausreichen, um im Jahr 2032 das Defizit der AHV von 5,6 Milliarden zu finanzieren. Wenn das Vermögen der Zehnmillionenbesitzer:innen zwischen 2018 und 2032 mit der gleichen Rate wächst wie zwischen 2010 und 2018 – nicht weniger als 7% pro Jahr! –, dann wäre eine jährliche Beteiligung von 0,3% ausreichend. In beiden Fällen wäre dies nicht einschneidend und würde nur einen Teil der Erträge dieses gewaltigen Reichtums ausmachen, den sich eine winzige Minderheit der Bevölkerung angeeignet hat.

Der Schlüssel: Reichtum aufteilen

Diese vier Beispiele zeigen zwei Dinge deutlich: 1) Die Finanzierung der AHV unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung stellt im Zusammenhang mit dem Umfang des in der Schweiz verfügbaren Reichtums kein Problem dar; 2) die eigentliche Schwierigkeit ergibt sich aus der aktuellen Verteilung des Reichtums: Ein (kleiner) Ausgleich zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung ist notwendig. Aber genau das kommt für die Unternehmer:innenkreise und die rechten Parteien nicht in Frage: Seit Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts haben sie den Anteil des Reichtums, den sie sich aneignen, immer weiter erhöht. Das motiviert ihren erbitterten Kampf gegen jede noch so kleine Ausweitung der Sozialversicherungen. Insbesondere gegen einen Ausbau der AHV, die in ihren Augen mit der schlimmsten aller Todsünden behaftet ist: Die Reichsten zahlen auf ihr gesamtes Lohneinkommen Beiträge ein, erhalten aber nie mehr als das Doppelte der Mindestrente. Dieser begrenzte Umverteilungsmechanismus ist für sie ein unglaubliches Sakrileg! Je schwächer die AHV, desto besser laufen die Geschäfte der Versicherungen und Banken mit der dritten Säule und anderen Lebensversicherungen…

Um die eigentliche Aufgabe – die Verteilung des Wohlstands – zu verdrängen, spielen die bürgerlichen Kreise den sogenannten „Generationenvertrag“ hoch, der angeblich gebrochen sei, weil die jüngeren Generationen mehr für ihre Rente zahlen müssten als die älteren. Diese Metapher, welche die Generationen gegeneinander ausspielt, ist absurd und irreführend.

Einerseits sind wir keine Eichhörnchen, welche Altersbeiträge beiseitelegen, und die wir dann im Ruhestand ausgraben, um sie zu essen. Aus wirtschaftlicher Sicht wird jedes Jahr durch die Arbeit von uns allen neuer Wohlstand geschaffen, der in Form von Kapitaleinkommen und Einkommen der Lohnabhängigen, einschliesslich der Rentner:innen, verteilt wird. Diese Verteilung bestimmt unsere Lebensstandards und die Rentensituation. Es ist notwendig und richtig, diese Verteilung zu korrigieren.

Andererseits sind „Generationen“ weder homogene Gruppen noch voneinander isolierte Einheiten. Ernesto Bertarelli hat sein Vermögen von seinen Eltern geerbt, und bis auf weiteres hat er seine Milliarden nicht mit seinen Altersgenoss:innen geteilt. Wenn er etwas teilt, dann sind es Geschäftsinteressen, und zwar mit wohlhabenden Mitmenschen aller Altersgruppen! Was die Jugendlichen aus der Arbeiter:innenklasse betrifft, so teilen sie mit ihren Eltern und Grosseltern, die ebenfalls aus der Arbeiter:innenklasse stammen, ihre Lebensbedingungen, die Hilfe bei der Kinderbetreuung, die Unterstützung beim Einkaufen oder bei handwerklichen Arbeiten, finanzielle Anschübe für eine grössere Anschaffung, Freizeitaktivitäten … und nichts mit den Golden Boys ihres Alters, die Mitglied in Segelclubs (Alinghi!) oder Golfclubs sind.

Schliesslich sind die Schulen, Krankenhäuser, Eisenbahnen oder Strassen, die Gebäude, in denen wir wohnen, die Büros und Fabriken, in denen wir arbeiten, die Theater und Museen, kurzum alle Ressourcen und Reichtümer, die es uns ermöglichen, so zu leben, wie wir leben, das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit der Männer und Frauen, die vor uns gelebt haben, wie auch derjenigen, die heute leben. Eine angebliche „Abrechnung“ bezüglich der Rentenfinanzierung von dieser wirtschaftlichen und sozialen Realität zu isolieren, macht keinen Sinn. Der Gegensatz zwischen „Generationen“ ist eine Täuschung, um den wahren Konflikt im Kern der Rentenzukunft zu verschleiern.

Die hübschen Berechnungen des BSV…

Der obige Beitrag wurde auf der Grundlage der im Januar 2022 veröffentlichten Finanziellen Vorausschau des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) verfasst. Am 25. Mai hat das BSV eine aktualisierte Version dieses Dokuments veröffentlicht. Der Vergleich lohnt sich. Denn laut dieser aktualisierten Version sinkt das Defizit der Betriebsrechnung der AHV im Jahr 2032 auf 3,75 Milliarden Franken, gegenüber 5,6 Milliarden Franken zuvor. Das entspricht einem Rückgang um ein Drittel – in fünf Monaten… Nicht schlecht!

Um dieses Ergebnis zu verstehen, ist es aufschlussreich, die im Januar 2022 veröffentlichten Prognosen für 2021 mit den im Mai 2022 veröffentlichten Ergebnissen der endgültigen Konten für dasselbe Jahr zu vergleichen. Daraus ergeben sich zwei gegenläufige Trends. Einerseits waren die Ausgaben in der Prognose leicht überhöht, und zwar um 120 Millionen (0,3 %). Andererseits unterschätzten die Prognosen die Einnahmen stark. Insbesondere die Einnahmen aus Arbeitnehmerbeiträgen waren um 613 Millionen Franken (1,7%) höher als erwartet. Auch die Erträge aus den Anlagen des AHV-Vermögens lagen um 900 Millionen Franken über den Erwartungen. Hier zeigt sich quasi in flagranti die Praxis des BSV, die Einnahmen der AHV, angefangen bei den Einnahmen aus den Lohnbeiträgen, systematisch zu unterschätzen. Und so diese Sozialversicherung künstlich als finanziell schwach erscheinen zu lassen… obwohl sie robust ist.

Die Folgen dieser Korrektur der BSV-Prognosen sind nicht unbedeutend. Nehmen wir die Schätzung der Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge, mit der das bis 2032 prognostizierte Defizit ausgeglichen werden kann. Auf der Grundlage des im Januar angekündigten jährlichen Defizits von 5,6 Milliarden war ein zusätzlicher Beitrag von 1,2% (0,6% Arbeitnehmer- und 0,6% Arbeitgeberanteil) erforderlich. Da das geschätzte Defizit nun um ein Drittel reduziert wurde und die tatsächliche Rendite der Arbeitnehmerbeiträge höher ist, ergibt sich, dass eine Beitragserhöhung um 0,8% (0,4% für die Arbeitnehmer) ausreichen würde, um das Defizit der AHV-Betriebsrechnung im Jahr 2032 auszugleichen. Im Klartext: 20 Franken pro Monat auf einen Lohn von 5000 Franken; 40 Franken auf einen Lohn von 10’000 Franken.

Und sie wollen uns glauben machen, dass die AHV in den finanziellen Ruin getrieben wird, wenn das Rentenalter nicht erhöht wird? Die oben entschlüsselte Rammaktion erfolgt im Schutz der Konsens-Politik, d.h. der Leugnung der sozioökonomischen Widersprüche, die zum kapitalistischen System gehören. Ein Teil einer notwendigen Gegenreaktion kann sich am 25. September 2022 behaupten und in einer öffentlichen Debatte über die AHV und die zweite Säule zusammen fortgesetzt werden.


i Das Dokument ist hier einsehbar.

ii Die Finanzstatistiken der AHV finden sich hier.

iii Auch das BSV kommt nach komplizierteren Berechnungen zu diesem Ergebnis, genauer gesagt zu 1,3%.

iv Daten über das BIP und seine Einkommensverteilung finden sich hier.

v Daten zur Bundessteuer für Unternehmen finden sich hier.

vi Daten zur Verteilung des deklarierten Vermögens finden sich hier.

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2 Kommentare

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