Menu Schließen

Was tun angesichts von Krieg, Energiekrise und Inflation?

Zusätzlich zu Klimakatastrophe, Pandemie und Ukraine-Krieg wird Europa in diesem Winter eine weitere gesamtgesellschaftliche Krise erleben. Aufgrund der drastisch steigenden Energiepreise und der hohen Inflation[1] wird sich die Armut in Europa massiv verschärfen. Die Schweiz wird keine Insel der Seeligen bleiben. Auch hierzulande wird man sich den Herausforderungen der Energieknappheit und des Preisanstiegs stellen müssen, selbst wenn das Ausmass und die Folgen für die Lohnabhängigen in den umliegenden Ländern gravierender sein werden. Die Linke steht vor der Herausforderung, den Ukraine-Krieg, die Klimakatastrophe, die Energiekrise und die massiven Preissteigerungen zusammen zu denken. Sie muss Forderungen und konkrete Aktionen entwickeln, mit denen dieser brisanten Gemengelage wirksam begegnet werden kann.

von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)

Krisenbewältigung in der Schweiz

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse machte bereits im Sommer klar: eine allfällige Energieknappheit darf unter keinen Umständen zu einer Kontingentierung des Gases für die Unternehmen führen. Dabei bedienen sich die Wirtschaftsvertreter:innen beim eingeübten Pandemie-Vokabular und behaupten, dass eigentlich alle Unternehmen irgendwie „systemrelevant“ seien, weil sie die „kritische Infrastruktur“ des Landes bilden würden. Energiesparen sollten daher zuallererst die privaten Haushalte. Dazu kommen ein paar „öffentliche“ Massnahmen wie das Abschalten der nächtlichen Strassenbeleuchtung.

Schützenhilfe bekommen die Schweizer Kapitalist:innen dabei vom Bundesrat, der seine Krisenbewältigung einmal mehr auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit, beziehungsweise auf den Schutz von Profiten und der Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit des hiesigen Kapitals ausrichtet. Am 31. August 2022 präsentierte die Regierung der Bevölkerung die Krisenstrategie sowie 80 individuelle Energiespartipps. Erst wenn das Gas tatsächlich knapp werden sollte, wird es zu Verboten und Kontingentierungen kommen. Ob diese auch die Industrie treffen werden, ist aber noch unklar.

Allgemein ist die Debatte von kleinlichen und unkreativen Vorschlägen geprägt. Sie fokussiert darauf, wo im öffentlichen Raum oder in den privaten Haushalten ein bisschen Energie eingespart werden kann. An die Unternehmen werden dagegen höchstens zaghafte Sparappelle gerichtet. Dabei wird erstens übergangen, dass eine wirklich nachhaltige Reduktion des Energieverbrauchs von politischen Entscheidungen abhängt: Vom Ausbau des öffentlichen Verkehrs, von der Gebäudeisolation, vom Ausbau erneuerbarer Energien. Zweitens wird die Ungleichheit beim Energiekonsum verschwiegen. Als ob es keinen Unterschied gäbe zwischen dem Beheizen einer Villa und dem einer Dreiraumwohnung, in der eine vierköpfige Familie wohnt. 

Gleichzeitig wird trotz des Hitzesommers die Klimakrise ignoriert. Zurzeit erstellt der Bundesrat in Zusammenarbeit mit der privaten Investmentgesellschaft Energy Infrastructure Partners „Notfallpläne“ zur Errichtung neuer Gaskraftwerke. Verschiedene Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft versuchen die sich abzeichnende Krise zu nutzen, um der Energiewende grundsätzlich den Kampf anzusagen und fossile Kraftwerke sowie die Atomenergie zu rehabilitieren.

An der Delegiertenversammlung der SVP am 20. August 2022 wurde nicht nur ein „Energiegeneral“ gefordert. Ebenso wurde als Lösung der Energiekrise auch die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland vorgeschlagen, „um wieder Energie aus Russland beziehen zu können“. Diese Aussage einer Delegierten zeugt zwar von einem sehr beschränkten Verständnis, wie Energiehandel und -transport funktioniert, sie zeigt aber, dass die europäische Rechte zunehmend selbstbewusst auf eine Verständigung mit Putins Kriegsregime pocht. Die reaktionären und rechtsextremen Parteien in Europa sowie ein Teil des Kapitals – insbesondere die fossile Auto- und Chemieindustrie in Deutschland – drängen immer vehementer auf einen Friedensschluss, um mit Putin und seinem Regime wieder geschäftliche Beziehungen (also vor allem Rohstofflieferungen) aufnehmen zu können.

Umverteilung und Bereicherung der Konzerne

Die Energiekrise wird nicht nur zu einer massiven Verarmung führen, sondern verschärft auch die soziale Ungleichheit, weil insbesondere die fossilen Konzerne sich in der Krise auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Die Gewinne der grossen Ölkonzerne haben seit Ausbruch des Krieges neue Rekorde geknackt. Während die Öl- und Gasproduzenten von den gestiegenen Preisen profitieren, geraten einige Öl- und Gashändler in massive finanzielle Schwierigkeiten.

Mehrere Energiehandelsunternehmen wie der grösste deutsche Gasimporteur Uniper haben sich verzockt, weil sie ihren Abnehmer:innen Gaslieferungen zugesagt haben und diese nun wegen den gedrosselten Lieferungen aus Russland nicht mehr erfüllen können bzw. zu deren Erfüllung das Gas auf dem „freien Markt“ zu massiv gestiegenen Preisen einkaufen müssen.

Mit der Gasumlage in Deutschland in der Höhe von circa 34 Milliarden Euro Steuergeldern sollen nun die angeschlagenen Gashandelsunternehmen gerettet werden. Dass sich Konzerne wie Uniper, VNG und EWE auf Kosten der Arbeiter:innen bereichern, nachdem sie jahrelang mit Putins Autokratie Geschäfte gemacht, ist schon Schweinerei genug.

Doch wenn der Staat Steuergelder an Konzerne umverteilt, melden sich nicht nur solche, die pleite sind. Dann ist bei den Konzernen und ihren Führungen Gratismentalität angesagt. Mittlerweile ist klar, dass auch weitere Gashändler, die jahrelang auf Kosten der öffentlichen Hand von hohen Energiepreisen profitiert haben und denen es finanziell gut geht, ebenfalls die hohle Hand beim deutschen Staat machen. Bis zu 3,4 Milliarden Euro – Reichtum, der von Lohnabhängigen erarbeitet wurde – sollen an diese Krisenprofiteure ausbezahlt werden. Mit dabei sind selbstverständlich auch die Schweizer Handelsunternehmen DXT Commodities und Enet Energy aus dem Tessin, das vom Milliardär und Putinvertrauten Gennadi Timtschenko gegründete Handelshaus Gunvor sowie Axpo, die zu 100% der öffentlichen Hand gehört.

Auch in der Schweiz wollen gewiefte Kapitalist:innen aus der Krise und auf Kosten der Bevölkerung Profite schlagen. Der neuste Erguss aus der Küche der Marktfetischist:innen ist die Idee, dass Unternehmen, die z.B. 2021 billigen Strom für zwei Jahre eingekauft haben und nun nicht alles brauchen werden, den überschüssigen Strom zu den aktuellen Marktpreisen verkaufen und satte Gewinne einstreichen können. So hätten Firmen Anreize, Energie zu sparen und könnten dabei Geld verdienen, argumentieren die Befürworter dieser Geschenke an die Unternehmen. Als Kritik an solchen Krisenprofiteur:innen laut wurde, meinte die NZZ, dass sich niemand entschuldigen müsse, wenn er Geld verdient… Tja, wenn man gleichzeitig die Frechheit hat, der Bevölkerung zu sagen, man müsse für die Wirtschaft frieren, dann vielleicht schon.

Herausforderungen für die Linke

Von linker Seite ist bisher wenig (Kreatives) zu dieser brisanten Gemengelage zu hören. Die Sozialdemokratie möchte die Energiekonzerne – die zurzeit Extraprofite einstreichen – dazu bewegen, freiwillig (!) auf einen Teil der Profite zu verzichten. Ansonsten schlage man ab Herbst einen Preisdeckel für die Energiepreise vor, was aber wiederum von den Wirtschaftsverbänden und den Liberalen abgelehnt wird. Die Gewerkschaften haben sich – abgesehen von vereinzelten Meinungsäusserungen – kaum merklich in die Debatte eingemischt. Aber bisher existiert kein Massnahmenkatalog, kein Aktionsplan, ja nicht mal eine Protestnote, gegen die Preissteigerungen. Wie schon in der Pandemie scheinen sie sich hinter einer Burgfriedenspolitik zu verstecken und zu schweigen.

Als Linke müssen wir einen Weg finden, wie wir den Kampf gegen die Abwälzung der Energiekrise und der Inflation auf die Lohnabhängigen, den ökologischen Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft und die Solidarität mit der ukrainischen (und russischen) Bevölkerung miteinander verbinden können. Gelingt es der Linken nicht, diese drei Achsen zu kombinieren, macht sie sich unglaubwürdig.

  1. Lässt man die Solidarität mit der Ukraine fallen und pocht man auf einen Friedensschluss, um die (Energie-)Preise zu senken und die Verarmung in Europa zu lindern, unterstützt man nicht nur die Forderungen des fossilen Kapitals, sondern agiert eurozentrisch und neokolonial über die Interessen der ukrainischen Lohnabhängigen hinweg.
  2. Spielt man ökologische und soziale Forderungen gegeneinander aus und will angesichts von Energieknappheit und Verarmung neue fossile Kraftwerke zulassen, verschiebt man den ökologischen Umbau auf später, was angesichts der Klimakatastrophe schlicht nicht drin liegt. Die Hitzewelle, die Dürre und die sintflutartigen Regenfälle, die im Sommer 2022 ganz Europa heimgesucht haben, waren eine weitere eindrückliche Warnung.
  3. Und schliesslich ist es keine Option, die sozialen Anliegen der Lohnabhängigen aussen vor zu lassen. Die rechten Parteien und die Querdenker:innen-Sezene hocken bereits in ihren Startlöchern, um den sozialen Unmut auf ihre Mühlen zu lenken. Sie werden versuchen, die aktuelle Gemengelage für eine Rehabilitierung von Putin und eine Abkehr der (liberalen) Energiewendebemühungen auszunutzen.

Was tun gegen den Katastrophen-Kapitalismus?

Die Energiekrise könnte Anlass bieten, um etwas gegen den Energiehunger des fossilen Kapitalismus zu unternehmen und die Gesellschaft sozial und ökologisch umzubauen. Stattdessen beschränkt sich der Bundesrat darauf, die Interessen des Kapitals zu schützen. Die Notleidenden sind vor allem jene, die sich hohe Energiepreise nicht leisten können. Eine progressive Antwort auf die Krise müsste zwischen notwendigem und überflüssigem Energiekonsum unterscheiden. Jede:r sollte das Anrecht auf bezahlbare Energie zur Deckung der Grundbedürfnisse haben.

Angesichts der sich überlappenden Krisen des Katastrophen-Kapitalismus ist neben kurzfristigen Forderungen (Verbot neuer fossiler Kraftwerke, Lohn- und Rentenerhöhungen, Teuerungsausgleich für alle Lohnabhängigen mittels einer gleitenden Lohnskala, Besteuerung der Krisenprofiteur:innen, Ausbau des kostenlosen öffentlichen Verkehrs, öffentliche Investitionen zur energetischen Sanierung von Wohnungen, Arbeitszeitverkürzung zur Senkung des Energieverbrauchs u.a.)[2] die Enteignung der Konzerne und die Vergesellschaftung des gesamten Energiesektors die angemessene Lösung. Die Überführung von Energieproduktion,-transport und -versorgung in öffentliches Eigentum unter Kontrolle der Nutzer:innen und Beschäftigten wäre die Voraussetzung, um allen Menschen eine niedrigpreisige Basisversorgung mit Energie zu garantieren (mit progressiv steigenden Tarifen, falls über die Grundversorgung hinaus Energie verbraucht wird).

So lässt sich die dringende Entfossilisierung der Gesellschaft konkret in Angriff nehmen und damit der Energiekrise, der Inflation und gleichzeitig der Klimakatastrophe wirksam begegnen. Vergesellschaftung ist darüber hinaus ein Mittel gegen rechts und man schwächt dabei auch Putins Regime, wenn man seinen (zumindest indirekten) Verbündeten im Energiehandelsgeschäft den Laden dicht macht.


[1] Für eine differenzierte linke Erklärung der Inflation siehe den Artikel „Warum steigen die Preise?“ von Guido Speckmann, der im August in der Analyse&Kritik erschien.

[2] In Deutschland ist die Debatte schon weiter und es existieren verschiedene Forderungen von linker Seite. Christian Hofmann und Klaus Meier haben bereits im Mai 2022 in der Analyse&Kritik einige Vorschläge formuliert.

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert