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Wozu eigentlich ein öffentliches Gesundheitssystem?

Anti-Impf-Bewegungen, oft von rechten bis rechtsextremen Rädelsführer:innen dominiert und gelenkt, scheinen die lautstärkste Kritik an den gegenwärtigen Massnahmen der Behörden zur Eindämmung der Pandemie zu üben. Das bedeutet nicht, dass Kritik am Staat und  an dessen Handhabung der Pandemie nicht gerechtfertigt sei. Im Gegenteil! Aber konstruktive Kritik muss ein solidarisches und umfängliches Gesundheitssystem als zentrale Forderung erheben. Hinter den abgedroschenen Phrasen der Impfgegner:innen für mehr Freiheit und Selbstbestimmung verbirgt sich tatsächlich eine Ideologie, welche die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen (Gesundheit, aber auch Ernährung, Wohnraum etc.) in die Verantwortung der:des Einzelnen schiebt. (Red.)

von José Sanchez; solidaritéS

Die Kritiken, die nur allzu oft auf das Zertifikat oder die Impfung sowie die Inkohärenzen der politischen und gesundheitspolitischen Behörden während der COVID-Krise fokussiert sind, dürfen uns nicht davon abhalten, Forderungen nach einem umfassenden öffentlichen Gesundheitssystem als Grundlage einer gerechten und solidarischen Gesellschaft zu erheben.

Indem die Anti-Impf-Bewegungen in der Debatte über die Durchsetzung der Impfungen von „Segregation“ sprechen, ignorieren sie die tatsächlichen sozialen Bedingungen. Dabei sind gerade die Arbeitszeit und die Arbeitsbedingungen, die Motivation und der Sinn der Arbeit, die Arbeitswege und die Gestaltung der Umwelt wichtige Komponenten unseres Gesundheitszustands. Dieselben Beobachtungen lassen sich auch für die Wohn- und Ernährungsbedingungen, das Realeinkommen, Erholung und Freizeit machen. Eine umfassende öffentliche Gesundheitspolitik geht also weit über die individuelle Wahl eine:r Ärzt:in, eines Medikaments… oder einer Terrasse hinaus! Vor allen Dingen bleiben die wirklichen Segregationen also sozial, (entlang des Zugangs zu Ressourcen und nicht entlang des (Un)geimpftseins; Anm. Red), und lassen sich nicht auf einen individuellen Zustand oder auf die „Freiheit“ oder das „Recht“, zu wählen, reduzieren.

Am Beispiel der NHS

Als das staatliche Gesundheitssystem (National Health Service; NHS) 1948 in Grossbritannien gegründet wurde, führte es folgende Grundsätze ein:

  1. den Bedürfnissen jeder:s Einzelne:n gerecht werden,
  2. völlig kostenlos sein
  3. und auf den medizinischen Bedürfnissen der Patient:innen basieren, nicht auf der deren Zahlungsfähigkeit.

Ausgehend von diesem Modell muss man verschiedene Aspekte berücksichtigen: Prävention, Pflege, Forschung, Kontrolle der Angestellten.

1) Die Prävention in der Gesundheitspolitik sollte auf den zahlreichen Elementen basieren, die hier eine Rolle spielen: die medizinische Prävention, der allgemeine Gesundheitszustand (Ernährung, Arbeit, Wohnen, Erholungsaktivitäten, Freizeit), ständige Weiterbildung über alle wissenschaftlichen Aspekte von Krankheiten, das Immunsystem, die Geschichte der Wissenschaften (mit ihren Erfolgen und Misserfolgen), den freien Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen und über das Studium der verschiedenen medizinischen Schulen (die „traditionellen“ wie die „alternativen“, um es einfach auszudrücken).

2) Die Pflege verlangt nach einer grossen Anzahl medizinischer Einrichtungen (Ambulanzen, Krankenhäuser, Apotheken) und Dienstleistungen (häusliche Pflege, psychosoziale Zentren) mit einer geografischen Vernetzung in der unmittelbaren Nähe aller Bevölkerungsgruppen. Besagte Infrastrukturen müssen mit ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet sein, das gute Arbeitsbedingungen und eine kontinuierliche Weiterbildung hat. Die Pflege darf nicht mit einer industriellen Logik der Rationalisierung und der Kosteneinsparungen umgesetzt werden. Auch der Einsatz von Medikamenten und deren Behandlung muss transparent und offen für Kritik sein, indem die verschiedenen historischen Erfahrungen berücksichtigt werden.

3) Die öffentliche Kontrolle der Finanzen und die Planung der gesamten Gesundheitsindustrie (Medikamente, Geräte, Forschung) ist unverzichtbar, um alle diese lebenswichtigen Sektoren aus der Logik des Privatprofits herauszuholen, und, um Prioritäten setzen und planen zu können. Dies muss mit dem Ende der Patente, der kompletten Transparenz über alle Forschungsarbeiten sowie mit dem Einbezug anderer medizinischer Methoden und Wissensquellen als nur derjenigen der Grosslabore einhergehen. Zudem würde ein Ende der Forschung und Herstellung von chemischen und bakteriologischen Waffen auch immense Ressourcen freisetzen, um sie der Gesundheit zugutekommen zu lassen und grosse Gesundheitsrisiken zu vermeiden.

4) Die Ausweitung der Rechte der Arbeitnehmer:innen im Gesundheitssektor, in der pharmazeutischen und chemischen Industrie würde eine weitreichende und permanente Kontrolle der Produktion ermöglichen sowie Präventivmassnahmen ermöglichen zur Erhaltung der Umwelt und Artenvielfalt, zur Verhinderung der Verschmutzung der Luft, des Wassers, der Nahrung und des Lebensraums. So würde eine breitere öffentliche Kontrolle durch die gesamte Bevölkerung garantiert.

Welche Oppositionen gibt es?

In Deutschland, Österreich und den Niederlanden führen rechtsextremen Bewegungen die öffentlichen Demonstrationen gegen die Behörden an. Selbst wenn die Demonstrant:innen ein breiteres Spektrum abdecken und auch andere ideologische Tendenzen (insbesondere naturalistische und religiöse) sowie eine grosse Verunsicherung angesichts der Fehlentwicklungen in der Gesundheitspolitik zum Ausdruck bringen, bleibt der gemeinsame Nenner grösstenteils das Misstrauen gegenüber dem öffentlichen Sektor und die Befürwortung eines individualistischen oder profitorientierten Ansatzes in Gesundheitsfragen. So sind in der Schweiz beispielsweise elf von zwölf ungeimpften Nationalräten Mitglieder der SVP.

Sie nehmen eine staats- und regierungsfeindliche Haltung ein und lehnen jegliche staatliche Intervention in einen Bereich ab, der aus rein ideologischen Gründen hauptsächlich, oder gar ausschliesslich, als privat angesehen wird. Sie üben eine liberale Kritik an der öffentlichen Gesundheitspolitik und der Rolle des Staates im Allgemeinen. Offensichtlich kann man diesen Positionen nicht mit medizinischen und gesundheitspolitischen Argumenten oder durch mehr Aufklärung beikommen. Wenn diese Gruppen zahlenmässig zu gross bleiben, ist die Ausrottung jedes Virus unmöglich. In diesem Fall müsste eine Impfpflicht eingeführt werden. Österreich und Deutschland bereiten sich etwa bereits darauf vor, eine Impfpflicht einzuführen.

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1 Kommentar

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