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Schweiz: Bürgerliche Offensive zur Kaschierung der Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern

Die Unternehmen lancieren zusammen mit den bürgerlichen Politiker:innen und ihren Propagandaverbänden eine neue Offensive zur Kaschierung der Lohnungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Neben statistischen Tricks fokussieren sie sich dabei vor allem darauf, die Schuld für die Lohndifferenzen der konservativen Mentalität in der Schweiz oder gar den Frauen selbst in die Schuhe zu schieben. Dass mit der Offensive lohnabhängige Frauen massiv vor den Kopf gestossen werden, nehmen die Bürgerlichen willens in Kauf. Denn umgekehrt würde die Durchsetzung einer echten Lohngleichheit an den Grundpfeilern des kapitalistischen Akkumulationsmodells der Schweiz rütteln. (Red.)

von Jean-François Marquis; aus alencontre.org

„Es ist nicht die Schuld der Unternehmer:innen, sondern diejenige der Frauen“

„Man kann nicht behaupten, dass ein Lohnunterschied einer Diskriminierung gleichkommt“ (Neue Zürcher Zeitung, 30.1.2023), „Umstrittene Statistiken zur Lohngleichheit“ (agefi, 25.1.2023), „Streit um Lohnvergleiche“ (Schweizer Fernsehen, 10vor10, 6.3.2023): Diese Titel zeugen von einer neuen bürgerlichen Offensive. Sie hat zum Ziel, die Feststellung zu deskreditieren, dass Frauen bei den Löhnen diskriminiert werden. Der feministische Streik am 14. Juni rückt näher, ebenso wie die Frist, bis zu der Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten über die Analyse ihrer Lohnunterschiede informieren müssen [Betriebe dieser Grösse sind seit der Revision des Gleichstellungsgesetzes per 1. Juli 2020 verpflichtete, ihren Betrieb auf mögliche Lohndiskriminierung zu prüfen. Die Ergebnisse müssen an alle Angestellten bis spätestens 1. Juli 2023 kommuniziert werden; Anm. d. Red.]. Mit Blick auf so eine Blösse geht es den Bürgerlichen nun darum, jegliche Forderungen präventiv zu ersticken. Zu diesem Zweck verbreiten die Unternehmer:innen und bürgerliche Politiker:innen ein „breit angelegtes“ Argumentarium. Das erklärte Ziel dabei lautet: Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen sind nicht so groß wie behauptet, und wenn es sie noch gibt, ist das nicht die Schuld der Unternehmer:innen, sondern der Frauen oder der „Mentalität“.

Die politische Rechte und die bürgerlichen Liberalen schieben FLINTA*-Personen die Schuld an der Lohnungleichheit zu, indem sie ihnen eine konservative Wertvorstellung andichten, nach der sie sich für Familie statt Karriere entscheiden. Tatsächlich lastet aber der Hauptteil der Sorgearbeit auf FLINTA*-Personen, weswegen sie Einbussen in der Karriere und der Rente als Sachzwang hinnehmen müssen. Deswegen lasst uns gemeinsam den diesjährigen 14. Juni zu einem gelungenen feministischen Streik machen! Wir sehen uns am 14 Juni um 9:00 Uhr an der Kanzleistrasse 164a (Zürich) zum feministischen Streikz’morgen!

Ungleichheiten beseitigen, indem man Frauen beseitigt…

Die Wirtschaftsprofessorin Conny Wunsch von der Universität Basel ist eine Vorkämpferin für die Minimierung von Lohnungleichheiten. In einem im Februar 2021 veröffentlichten Beitrag[1] kündigte sie an, dass die „unerklärten“ (auf diesen fragwürdigen Begriff kommen wir später noch zurück) Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen durch die Anwendung moderner statistischer Analysemethoden „um bis zu 50%“ reduziert würden. Diese „Schlussfolgerung“ taucht in der bürgerlichen Argumentationen immer wieder auf.

Ein entscheidender Punkt der von Frau Wunsch vorgeschlagenen „Modernisierung“ ist die Vergleichbarkeit zwischen Männern und Frauen. Am Anfang steht eine offensichtliche Tatsache: Die Beschäftigung von Frauen und Männern ist segregiert. Vereinfacht gesagt: Das Pflegepersonal in Pflegeheimen besteht fast ausschließlich aus weiblichen Teilzeitarbeitskräften, die Führungskräfte in den Produktionsabteilungen von Industrieunternehmen sind fast ausschließlich männliche Vollzeitbeschäftigte. Dies erschwert die Bildung von Paaren, die jeweils aus einem Mann und einer Frau mit denselben Eigenschaften (gleiches Alter, Ausbildung, berufliche Verantwortung, Branche usw.) bestehen und für den Lohnvergleich verwendet werden können.

Angesichts dieses Mangels an „common support“, wie es im Fachjargon heißt, werden die fehlenden Elemente (der Mann arbeitet in der Pflege in einem Pflegeheim; die Frau ist eine leitende Ingenieurin) mithilfe statistischer Instrumente „modelliert“. Die Modellierung kann jedoch nicht optimal sein. Conny Wunsch ist der Meinung, dass nur solche Paare berücksichtigt werden sollten, bei denen ein „common support“ vorliegt. Auf diese Weise und durch den Einsatz „robusterer“ statistischer Methoden gelingt es ihr, die „unerklärte“ Lohnlücke um 50% zu verringern. Aber zu welchem Preis: 80% der Frauen werden aus dem Vergleich herausgenommen, da es keine männliche Entsprechung gibt, die ihre Eigenschaften teilt. Dies gilt insbesondere für Frauen mit einem sehr niedrigen Gehalt.

Angesichts der Absurdität dieses Ergebnisses – das ihr allerdings als PR-Maßnahme dient – schlägt Frau Wunsch vor, die Forderung nach „common support“ auf die wichtigsten Variablen zu beschränken und so den Anteil der berücksichtigten Frauen zu vergrößern. Die Basler Professorin kommt dann zu dem Ergebnis, dass der „unerklärte“ Lohnunterschied im privaten Sektor von 7,7% auf 6% und im öffentlichen Sektor von 6,4% auf 3,2% sinkt. Aber eine von fünf Frauen, die in der Privatwirtschaft arbeiten, und eine von zehn Frauen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, wird immer noch aus dem Vergleich herausgenommen. Trotz aller Mühe gelingt es Frau Wunsch also nicht, den „unerklärten“ Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen zum Verschwinden zu bringen. Ein vom Bundesrat in Auftrag gegebenes Gutachten zeigte bereits 2015, dass die angeblich „ausgefeilteren“ statistischen Analysen diesen Unterschied, der dem harten Kern der von Frauen erlittenen Lohndiskriminierung entspricht, nicht verschwinden lassen.[2]

Deswegen kommt zum feministischen Streik am 14. Juni 2023! Zürich: 12:00 Uhr am Bürkliplatz zum gemeinsamen z’Mittag; 17:30 Uhr am Bürkliplatz zum Demozug; Basel: 17:30 Uhr am Theaterplatz zum Demozug.

…oder den Frauen die Schuld geben

Die zweite Achse der bürgerlichen Argumentation ist folgende: Die offiziellen Analysen der Lohnunterschiede würden nicht genügend erklärende Faktoren berücksichtigen. Daher könne man nicht behaupten, dass „unerklärte“ Unterschiede gleichbedeutend mit Diskriminierung seien. Dies ist der Sinn des Postulats [Bundesrat wird damit beauftragt, zu überprüfen, ob der Entwurf zu einem Erlass der Bundesversammlung vorgelegt werden muss; Anm. d. Red.], das der freisinnige Nationalrat Marcel Dobler (St. Gallen) im Dezember 2022 eingereicht hat. Er forderte darin „eine Studie, die sich speziell mit dem unerklärten Teil des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen befasst und auf die neuesten wissenschaftlichen Methoden zurückgreift. Die möglichen Ursachen dieses Unterschieds, wie Mutterschaft, Arbeitsunterbrechung, Zivilstand oder Berufserfahrung, sollen für alle Altersgruppen untersucht werden.“ Marcel Dobler ist auch Vorstandsmitglied des Unternehmerverbands economiesuisse, Mitbegründer von Digitec-Galaxus, das er 2014 an die Migros verkauft hat, und seit 2018 Mitinhaber der Spielwarengeschäfte Franz Carl Weber, die fast 200 Angestellte beschäftigen, darunter höchstwahrscheinlich eine Mehrheit von Frauen (was vielleicht sein Interesse an der Frage erklärt).

In den aktuellen offiziellen Analysen spiegeln mehrere Faktoren, die zur Erklärung der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen herangezogen werden, selbst die von Frauen erlittene Diskriminierung wider. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass die berufliche Position (Führungskraft sein oder nicht) einen Teil dieses Unterschieds „erklärt“. Frauen sind jedoch häufig mit dem diskriminierenden Mechanismus der „gläsernen Decke“ [soziale und gesellschaftliche Barrieren, die verhindern, dass man trotz theoretischer Möglichkeit effektiv in Führungspositionen gelangt; Anm. d. Red.] konfrontiert. Wenn man also davon ausgeht, dass die berufliche Position den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen „erklärt“, tut man so, als seien Lohnunterschiede, die auf eine Diskriminierung – die gläserne Decke – zurückzuführen sind, gerechtfertigt. [Fachkreise sprechen oft auch von sogenannt „objektiven“ Faktoren wie der beruflichen Position, dem Dienstalter, des Ausbildungsniveaus oder -art, des Wirtschaftszweiges etc., die einen Lohnunterschied ausreichend erklären würden. Da viele dieser Faktoren aufgrund der sozialen Barrieren wie bspw. der Hauptlast in der Familienarbeit, die bei Frauen liegt, begründet sind, dürften sie eigentlich nicht mehr objektiv genannt werden; Anm. d. Red.]

Mit dem Postulat Doblers würde man aber noch einen Schritt weiter gehen: Ein Lohnunterschied, der darauf beruht, dass Frauen Mutter geworden sind, würde als „erklärt“ und somit gerechtfertigt gelten. Mit anderen Worten: Frauen verdienen weniger als Männer – weil sie Frauen sind. In seiner negativen Antwort auf das Postulat musste der Bundesrat übrigens daran erinnern, dass das Gleichstellungsgesetz besagt, dass jede Diskriminierung „aufgrund des Zivilstandes oder der familiären Situation verboten ist“.

Es braucht jedoch mehr, um die bürgerliche Propagandamaschine zu bremsen. Um diesen recht elementaren Einwand zu umgehen, entwickeln die Bürgerlichen ein doppeltes Argument: Die unterschiedlichen Umstände, in denen sich Männer und Frauen wiederfinden, seien in Wirklichkeit nicht die Folge von Diskriminierungen, die Frauen erleiden (z.B. Benachteiligung bei der Karriere), sondern ihrer „freien Wahl“ oder der vorherrschenden „Mentalität“ in der Bevölkerung, die „konservativ“ sei. Die Unternehmer:innen hätten jedenfalls nichts damit zu tun.

Frauen verdienen weniger – weil sie es wollen.

Beginnen wir mit der „freien Wahl“. Ein Beispiel dafür sind die Äußerungen der Ökonomin Conny Wunsch (NZZ, 30.1.2023). Auf die Frage, ob es noch Unternehmen gibt, die Frauen systematisch weniger bezahlen als Männer, antwortet sie, dass dies nicht ausgeschlossen, aber ihrer Meinung nach eher selten sei. Dann fährt sie fort: „Was vermutlich viel eher passiert, ist, dass ein kleines Unternehmen nur wenig Geld zur Verfügung hat. Es schreibt eine Stelle aus, für die man in einem Grossunternehmen deutlich mehr verdienen könnte. Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind es Frauen, die sich bewerben, weil ihnen ein kurzer Arbeitsweg oder flexible Einsätze wichtiger sind als ein hoher Lohn. Ist das Lohndiskriminierung? […] Wenn eine Firma finanziell eng dran ist und sich in erster Linie Frauen bewerben, kann man ihr keinen Vorwurf machen, wenn sie die Frauen einstellt. Wenn ein Mann den Job akzeptiert hätte, hätte er ebenso wenig verdient. Doch der Mann nimmt eher den längeren Arbeitsweg in Kauf, weil er mehr Lohn will. Hinzu kommt, dass Frauen tendenziell weniger über den Lohn verhandeln als Männer, gerade beim Einstiegsgehalt. Ich empfehle jeder Frau, dies zu tun und ihren Lohn einzufordern. Doch Frauen sind oft risikoaverser als Männer.“

Da haben wir es also: Frauen verdienen weniger, weil sie es wollen, je nach ihren „Vorlieben“ für kurze Wege, flexible Arbeitszeiten und Risikoaversion. Offensichtlich gibt es zwei „Details“, die der Ökonomin Wunsch entgangen sind.

Erstens: Die angebliche „Vorliebe“ von Frauen für Flexibilität hat vielleicht etwas mit der Tatsache zu tun, dass die überwiegende Mehrheit der Haus- und Erziehungsarbeit von ihnen geleistet wird. Wo sind die Maßnahmen zur Entwicklung öffentlicher Betreuungsdienste für Kleinkinder, die jedem Elternteil auf Antrag einen Platz garantieren und ohne finanzielle Hürden zugänglich sind? Wo ist der ausreichend lange Elternurlaub, der es ermöglicht, das erste Jahr mit einem Neugeborenen zu verbringen, ohne die eigene Berufstätigkeit unterbrechen oder drastisch einschränken zu müssen? Wo sind die strengen Sanktionen gegen Unternehmen, die Frauen nach der Geburt weiterhin kündigen, obwohl dies verboten ist? Wann werden Unternehmer:innen verpflichtet, Männern auf Antrag Teilzeitarbeit zu gewähren und die Arbeitszeit von Frauen, die ihr Arbeitspensum vorübergehend reduziert haben, wieder zu erhöhen? Wann wird die Arbeitszeit verkürzt, die notwendig ist, um Berufstätigkeit und Familienpflichten miteinander vereinbar zu machen?

Zweitens gibt es im wirklichen Leben noch etwas anderes als die abstrusen „Vorlieben“ der Frauen: das soziale „Kräfteverhältnis“. Gibt es denn praktisch keine Vollzeitpflegerinnen in der häuslichen Pflege oder in Pflegeheimen und auch keine Vollzeitverkäuferinnen, hauptsächlich wegen ihrer „Vorlieben“? Oder weil die erzwungene Teilzeitarbeit ideal ist, um den Unternehmer:innen maximale Flexibilität bei der Verwaltung der „human resources“ zu garantieren? Sind die anerkanntermaßen unzureichenden Löhne der Frauen, die in der Pflege die Mehrheit bilden, auf ihre „Vorlieben“ für Flexibilität oder ihre zu geringe „Produktivität“ (wie wird sie gemessen?) zurückzuführen? Oder an den zerstörerischen Sparzwängen, die den Gesundheitsdiensten im Namen des „Kampfes gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ auferlegt werden, wobei rechte Parteien und Arbeitgeberverbände die Speerspitze dieser Zwänge bilden? Sind die Löhne im Detailhandel oder in der Reinigung, wo die Frauen in der Mehrheit sind, so niedrig, weil es sich um Unternehmen handelt, die „wenig Geld“ haben? Oder weil Migros, Coop, Manor u.a. in einer genügend starken Position sind, um ihre Lohn- und Beschäftigungsbedingungen durchzusetzen? Und werden all diese Niedriglöhne, die in Branchen bezahlt werden, in denen Frauen in der Mehrheit sind, nicht als „normal“ betrachtet, weil sie vor allem Frauen betreffen, deren Einkommen weiterhin als „Zusatzeinkommen“ angesehen wird?

Ansonsten ist die „Mentalität“ schuld an der Lohnungleichheit

Das Argument der „Mentalität“ ergänzt das vorherige. Hier ist ein Beispiel dafür: Um seinem Postulat eine „wissenschaftliche“ Untermauerung zu geben, beruft sich der Freisinnige Dobler auf eine „aktuelle Analyse“ des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (Wirtschaftsmonitoring, Dezember 2022). Der Hauptautor dieser „Analyse“ ist der Leiter des Bereichs Wirtschaft im erwähnten Amt, Luc Zobrist, freisinniger Politiker in der Stadt Zofingen (AG) und ehemaliger Forschungsassistent bei Avenir Suisse, der Produktionsstätte für Unternehmerpropaganda. Er ist ein wahrer Experte darin. So behauptet er, dass ein anhaltender Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen nichts mit Diskriminierung zu tun habe: „Der grösste Treiber der Lohndifferenz liegt jedoch woanders: Sobald Frauen Kinder kriegen, reduziert die grosse Mehrheit von ihnen ihr Pensum. Dadurch sinken nicht nur ihre Einkommen, sondern mittelfristig auch ihre Karrierechancen und die Berufserfahrung.“ Diese Situation sei jedoch das Ergebnis des „entscheidenden Einflusses von Vorstellungen über Werte, Rollenverteilung und Präferenzen“, Vorstellungen, die „in der Schweiz im europäischen Vergleich eher konservativ sind“. Die Unternehmen können also nichts für die Lohnungleichheit – genau was es zu beweisen galt. Diese angebliche „Erklärung“ ist jedoch in zweifacher Hinsicht anfechtbar.

Erstens ist es irreführend, den Eindruck zu erwecken, dass nur Frauen, die Kinder bekommen haben, von Lohnungleichheiten betroffen sind. Gemäss der vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten detaillierten Analyse der Lohnunterschiede im Jahr 2020[3] beträgt der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen bei Verheirateten (Zobrist stützt sich bei seiner „Beweisführung“ auf den Zivilstand) zwar 25%, wovon zwei Fünftel (10%) als „unerklärlich“ gelten. Aber auch bei den Ledigen ist der Lohnunterschied nicht inexistent: Er beträgt 4,6%, wovon zwei Drittel (3,1%) als unerklärlich gelten. Diese Ergebnisse stimmen mit denen der 2019 veröffentlichten Studie von Betina Combet und Daniel Oesch überein.[4] Auf der Grundlage von Daten aus zwei Kohorten, mit denen der Beginn der beruflichen Laufbahn verfolgt werden kann, zeigen die beiden Autor:innen, dass „junge Frauen niedrigere Löhne verdienen als junge Männer mit vergleichbaren Fähigkeiten, die in vergleichbaren Jobs arbeiten, lange bevor sie Kinder bekommen“ [Hervorhebung durch die Autor:innen]. Sie schätzen diesen „unerklärten“ Unterschied auf 3% bis 6%.

Zweitens spielen die Unternehmen eine aktive Rolle bei der Vergrößerung des Lohngefälles zu Lasten von Frauen mit Kindern. Eine andere Studie[5], an der auch Daniel Oesch beteiligt war, zeigt dies auf. Einerseits zeigt sie, dass bei gleichen Eigenschaften die Tatsache, ein Kind zu haben, die Löhne der betroffenen Frauen um 4% bis 8% reduziert. Andererseits kommt ein Experiment mit Verantwortlichen in Personalabteilungen zu dem Ergebnis, dass sie Frauen mit Kindern, die sich auf eine Stelle als Personalassistentin bewerben, einen um 2-3% niedrigeren Lohn anbieten als kinderlosen Bewerberinnen, obwohl alle anderen Eigenschaften der Bewerberinnen identisch sind. Bei jungen Müttern ist der Unterschied noch ausgeprägter und beträgt 6%. Es sind also a priori Entscheidungen der Unternehmen, die das Lohngefälle zum Nachteil von Müttern vergrößern, und nicht ein angeblicher „Mangel an Berufserfahrung“.

Der Verweis auf die „konservative Mentalität“ in der Schweiz, um die Unternehmen zu entlasten, ist eine typische Heuchelei eines Vertreters der FDP, die seit anderthalb Jahrhunderten ein Pfeiler der bürgerlichen Macht und eine treue Vermittlerin der Forderungen der Unternehmen ist. Was hat etwa die FDP getan, damit die Schweiz nicht als eines der letzten Länder der Welt dastand, das 1971 den Frauen das Wahlrecht einräumte? Wer hat damals so sehr auf die Bremse getreten, dass es den ersten Frauenstreik 1991 brauchte, bis 1996 endlich ein Gleichstellungsgesetz in Kraft trat? Wer hat den Mutterschaftsurlaub, den es in der Schweiz erst seit 2005 gibt, erbittert bekämpft? Wer blockiert immer noch die Einführung eines Elternurlaubs? Und wer bremst seit Jahrzehnten die Finanzierung von öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen?

Der Ursprung einer Hetze

Die „Flexibilität des Arbeitsmarktes“ – d.h. das Fehlen kollektiver Rechte und schwache Regeln zum Schutz der Lohnabhängigen – war schon immer ein entscheidender Vorteil der Schweizer Kapitalist:innen. Der Kampf der Frauen für Lohngleichheit bedroht diesen „Wettbewerbsvorteil“, denn er stellt fest, dass gesellschaftlich festgelegte Regeln –die Gleichheit von Mann und Frau und damit der Grundsatz, dass gleichwertige Arbeit gleich bezahlt werden muss –den Spielraum der Unternehmen einschränken können, den diese gerne unbegrenzt erhalten würden. Und diese Forderung hat eine soziale Legitimität erlangt, die mit derjenigen anderer sozialen Forderungen, wie z. B. der nach einem Mindestlohn, nicht vergleichbar ist. Es ist dieser Fortschritt, den die bürgerlichen Kreise und die Unternehmen mit allen Mitteln behindern wollen. Dies unterstreicht die Bedeutung des gewerkschaftlichen Engagements für die Durchsetzung einer echten Lohngleichheit.


Jean-François Marquis ist Mitglied des Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Übersetzung durch die Redaktion.

Quellen

[1] Anthony Strittmatter, Conny Wunsch (2021): „The Gender Pay Gap Revisited with Big Data: Do Methodological Choices Matter?“, WWZ Working Paper 2021/05.

[2] Christina Felfe, Judith Trageser, Rolf Iten (2015): „Etude des analyses appliquées par la Confédération pour évaluer l’égalité des salaires entre femmes et homme. Rapport final“.

[3] Kaiser, B. & Möhr, T. (2023): „Analyse der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern auf der Basis der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2020“. BSS Volkswirtschaftliche Beratung. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Statistik (BFS), Tabelle 118.

[4] Betina Combet und Daniel Oesch (2019): „The Gender Wage Gap Opens Long Before Motherhood. Panel Evidence on Early Careers in Switzerland“, European Sociological Review.

[5] Daniel Oesch, Oliver Lipps, Patrick McDonald (2017): „The wage penalty for motherhood: Evidence on discrimination from panel data and a survey experiment for Switzerland“, Demographic Research, vol 37, article 56, pp. 1793-1824.

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1 Kommentar

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