Die Welle der Universitätsbesetzungen in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung ist in der Schweiz angekommen. Mehrere Universitäten wurden in verschiedenen Städten besetzt. Die meisten wurden nach wenigen Tagen geräumt, in Zürich sogar am selben Tag wie die Besetzung. Die erste und längste Besetzung war diejenige der Universität Lausanne (UNIL). Sie dauerte vom 2. bis 15. Mai 2024. Wir haben ein Interview mit einer Besetzerin geführt.
Interview mit Anouk; von Emil Höllein (BFS Zürich)
Wie entstand die Idee, die Universitäten zu besetzen?
In den USA und in Frankreich gab es bereits eine Bewegung. Die Besetzung der UNIL (die erste in der Schweiz) ist Teil dieser Bewegung [bei Veröffentlichung des Interviews war die Besetzung schon beendet; Anm. d. Red.].
Habt ihr Kontakt zu Universitätsbesetzungen in anderen Ländern und Städten?
Wir haben noch keine Kontakte in den USA, aber wir versuchen, eine internationale Koordination aufzubauen, um ein Treffen zu organisieren. Wir haben auch eine nationale Koordination in der Schweiz gegründet, um den Kontakt und die Diskussion zu fördern.
Gibt es in der Westschweiz eine Tradition der Besetzung von Universitäten?
Nein, es gibt nicht wirklich eine Tradition der Besetzung von Universitäten. Die letzte Besetzung der UNIL war die des Kollektivs R, das sich für Rechte von Migrant:innen und gegen das Dublin-System einsetzte. Die Besetzung, die wir an der UNIL durchgeführt haben, war dennoch eine Neuheit, da wir die Halle und nicht einen Hörsaal besetzten und vor Ort schliefen. Das ist in der politischen Tradition der Schweiz doch recht selten.
Was sind eure Forderungen?
Die erste Forderung ist, dass die UNIL klar Stellung bezieht gegen den laufenden Genozid in Gaza und insbesondere gegen die Ermordung von Student:innen und Forscher:innen im Gazastreifen, sowie gegen die Zerstörung der Universitäten. Die zweite Forderung ist, dass die UNIL eine proaktive Aufnahmepolitik für palästinensische Flüchtlinge und Palästinenserinnen und Palästinenser erleichtert. Die dritte Forderung ist, dass die UNIL uns eine Liste der laufenden Kooperationen mit israelischen akademischen Institutionen vorlegt. Die vierte und wichtigste Forderung ist, dass alle diese Kooperationen sofort beendet werden.
Welche Reaktionen hat ihr bislang von den Medien, der Universität und anderen Studierenden erhalten?
Die Reaktionen, die wir erhalten haben, also von Seiten der Medien, sind im Allgemeinen negativ. Es gibt eine ziemlich starke Komplizenschaft der Medien mit dem zionistischen Regime. Wir wurden insbesondere als antisemitisch dargestellt, eine propagandistische Anschuldigung, die gegen jegliche Palästinasolidarität erhoben wird. Von der Universität kommen gemischte Reaktionen. Wir konnten mit dem Rektorat ins Gespräch kommen. Letztendlich ist es auf unsere Forderungen eingegangen, aber gleichzeitig nur in sehr begrenzter Weise. Laut dem Rektorat gibt es keinen Grund ein Einfrieren der Zusammenarbeit auszusprechen.
Andere Studenten hatten natürlich ganz verschiedene Meinungen zur Besetzung. Doch im Allgemeinen hatten wir eine breite Unterstützung. Es gab einen Unterstützungsbrief, der von 400 Professor:innen der Universität Lausanne unterschrieben wurde. Wir haben viele Flugblätter in der gesamten Universität verteilt. Wir haben Kundgebungen mit vielen Leuten abgehalten. Wir haben also eine breite Unterstützung der Universitätsgemeinschaft.
Auf welche Weise sind die UNIL und die Universitäten im Allgemeinen mit dem israelischen Staat verbunden?
Wir haben einen 20-seitigen Bericht erstellt, der komplett ist und sich mit der Art und Weise befasst, wie israelische Universitäten am Genozid beteiligt sind, und insbesondere mit den Universitäten, mit denen die Universität Lausanne Verbindungen hat.
Wie reagieren die Universität und die Polizei auf die Besetzung?
Das hängt von den Orten ab. An der UNIL hatten wir Glück, da das Rektorat zuerst auf uns eingegangen ist und wir deshalb nicht geräumt wurden. Letztendlich konnten wir jedes Mal unsere Anwesenheit aushandeln und sind schließlich gegangen. Nach zwei Wochen Besetzung haben wir die Halle schließlich verlassen. Aber man sieht, dass dies keineswegs überall der Fall ist und dass es eher die Norm ist, die Polizei zu schicken und sich nicht auf Diskussionen einzulassen. Vor allem an der EPFL war das der Fall, es gab mehrere Besetzungsversuche, aber jedes Mal griff die Polizei ein.
Wie war die Solidaritätsbewegung mit Palästina in der Romandie/Lausanne bisher?
Es gab sehr viele Demonstrationen, die ziemlich regelmäßig in Lausanne und anderswo organisiert wurden, von bereits bestehenden Gruppen, aber auch von neuen Gruppen, die sich nach dem 7. Oktober gebildet haben. Eine Herausforderung, an der wir seither arbeiten, ist die Koordination der Aktionen der Genoss:innen auf lokaler und nationaler Ebene sowie innerhalb der Föderation Schweiz-Palästina. Und so sind es auch diese Gruppen, die parallel zur Besetzung mobilisiert haben, um uns zu unterstützen.
Welche Perspektiven siehst du in dieser internationalistischen Welle von Universitätsbesetzungen?
Ich denke, es ist bereits ein politischer Sieg, dass das Thema der akademischen Kollaboration auf die politische Agenda gesetzt wurde. Das ist wirklich neu, man hat Berichte in den großen Medien gesehen, die diese institutionelle Zusammenarbeit dokumentierten, auch wenn uns die Begriffe nicht passen, ist das ein Sieg. Denn vorher war die Boycott Diverst und Sanction (BDS) -Bewegung eine relativ kleine Minderheit und wenig bekannt. Unsere Besetzung führt dazu, dass die BDS-Bewegung breiter bekannt wird, also ist das ein Sieg. Die nächsten Perspektiven sind, zu sehen, wie man diese Bewegung trotz der Repression dauerhaft verankern kann. Und dann zu sehen, inwieweit sie ihre Aktionsformen diversifizieren kann und dabei radikal und konfrontativ gegenüber der Schweizer Komplizenschaft zu bleiben. Es gibt also viele Herausforderungen, die uns beschäftigen und die wir in unseren Generalversammlungen diskutieren.
Welche anderen Schritte als Universitätsbesetzungen in Solidarität mit Palästina kann die Palästina-Bewegung unternehmen, um dem Leiden in Gaza ein Ende zu setzen?
Generell muss man auf allen verfügbaren Orten mobilisieren, also an unseren Arbeitsplätzen, an unseren Studienorten und an unseren Lebensorten. Man muss sich mobilisieren, um sicherzustellen, dass wir die BDS-Kampagne an allen Lebensorten weiterleiten, um zu verhindern, dass diese Räume Komplizen des Genozids sind und Verbindungen mit dem israelischen Apartheidstaat haben. Generell ist die Bilanz, die die palästinensischen Genoss:innen aus dem Sturz des Apartheidregimes gezogen haben, dass es wirklich der internationale Druck ist, der eine Rolle spielt. Es geht darum, die Normalisierung des zionistischen, kolonialen Apartheidstaates Israel weiterhin abzulehnen und dies bei allen anstehenden Ereignissen, sei es der Eurovision Song Contest, die Olympischen Spiele, der kulturelle Bereich, der politische Bereich usw., immer wieder zu betonen. Es geht also darum, die Bewegung in den Massen und den verschiedenen sozialen Räumen zu verankern. Daran werden wir in den nächsten Monaten arbeiten.