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Krankenversicherung: Die Probleme der EFAS

Am 24. November 2024 wird in der Schweiz den Gesetzesentwurf zur Einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) abgestimmt. Der VPOD hat das Referendum ergriffen. Offiziell geht es um eine Vereinheitlichung der Finanzierung von ambulanter, stationärer und Langzeitpflege. In der Tat würden mit der EFAS aber vor allem die Krankenkassen mehr Macht erhalten und marktwirtschaftliche Kriterien weiter im Gesundheitswesen verankert – auf Kosten des Pflegepersonals und der Versicherten.

von Benoit Blanc

Zusammenfassung

Gesundheitsfinanzierung heute
Die EFAS betrifft die Finanzflüsse für die Leistungsrückerstattung in den drei Bereichen der Gesundheitsversorgung, die durch die Krankenversicherung gedeckt werden. So ist die Finanzierung aktuell geregelt:
1. «Stationäre» Leistungen (Spital) werden zu 55% vom Heimatkanton der Patient:innen finanziert, die restlichen 45% gehen zu Lasten der Krankenkassen (unter Vorbehalt der Franchise und des Selbstbehalts der versicherten Person).
2. Ambulante Leistungen (Arztpraxis etc.) werden durch die Krankenkassen rückerstattet, ohne kantonale Beteiligungen und unter Vorbehalt der Mitfinanzierung durch die versicherte Person (Franchise und Selbstbehalt).
3. Die Langzeitpflege (Spitex, Heim u.a.) wird finanziert durch: a) die Krankenkassen, b) durch die Versicherten, mit einem Beitrag, der nicht über 20% des Beitrags der Krankenkassen liegen darf, c) durch die Kantone, die die «Restfinanzierung» übernehmen.

Was ist EFAS?
EFAS zielt nun darauf ab, die je nach Pflegeart unterschiedlichen Systeme durch eine einheitliche Finanzierung zu ersetzen. Alle Leistungen zu Lasten der Krankenversicherung, sei es im Rahmen eines Spitalaufenthalts, einer ambulanten Behandlung oder bei Pflegeleistungen durch die Spitex oder in einem Heim, würden zu 26,9% ihrer Nettokosten (nach Abzug von Franchise und Selbstbehalt) durch die Kantone und zu 73,1% durch die Krankenkassen finanziert. Damit steigt die Macht der Kassen und diese geht mit einer Stärkung des privaten Sektors und einer Zunahme von Marktmechanismen im Gesundheitswesen einher – und das auch zuhause und in den Pflegeheimen.

Die drei Ziele der Krankenkassenlobby
1. EFAS sollte die Verlagerung vom stationären zum ambulanten Bereich beschleunigen und so zur Kostendämpfung beitragen. Eine Verlagerung in ein ambulantes Setting ist nämlich immer auch gleichbedeutend mit einer Verlagerung von Kosten und Verantwortung von der Institution Spital zu den Patient:innen und ihren Angehörigen. EFAS ist darum auch ein Sparprogramm im öffentlichen Gesundheitswesen.
2. EFAS rundet diese Kostenverschiebung zu Lasten der Prämienzahlenden ab. Ambulante Behandlungen werden nicht nur gefördert, weil die Kantone nichts dafür zahlen müssen, sondern weil die Krankenkassen durch die Übernahme der Finanzierung ihre Macht ausbauen und die Kosten via Franchisen und den ungerechten Pro-Kopf-Prämien auf die Versichterten abwälzen.
3. Mit EFAS wird die Koordination in der Gesundheitsversorgung verstärkt (durch die Förderung der integrierten Pflegemodelle der Krankenkassen). Koordination im Gesundheitsbereich ist an sich nichts Schlechtes. Die Krankenkassen haben aber das Problem an sich gerissen, um einerseits selbst die Steuerung über die behandelnden Ärzt:innen zu übernehmen, und andererseits finanzielle Belastungen zum obersten Kriterium der Behandlungswahl zu machen. Die Abschaffung der freien Ärzt:innenwahl ist das Ziel. Mit der EFAS möchten sie diese Entwicklung beschleunigen.

Die grosse Veränderung: neue Finanzierung der Langzeitpflege
Die Altenpflege wurde in der Geschichte gemeinhein als Aufgabe der Gemeinschaft bzw. des Staates betrachtet. Die neoliberale Privatisierungswut nahm auch diesen Bereich ins Visier. Seit 2011 zahlen die Krankenkassen denselben Betrag an die Langzeitpflege – die gestiegenen Kosten wurden von der öffentlichen Hand alleine übernommen. Wenn die Langzeitpflege nun im Sinne der Krankenkassen „wirtschaftlich“ werden soll, weil sie die Bezahlung und damit die Kontrolle übernehmen, geht das zu Lasten der Pflegefachpersonen und der Patient:innen.

Der eigentliche Zweck von EFAS
Das Hauptargument für die EFAS ist ihr Sparpotenzial. Allerdings kommt die pessimistische Schätzung des Sparpotenzial auf 0%. Die vermeintliche Kostensenkung ist also nur ein irreführendes Verkaufsargument, damit eine Vorlage angenommen wird, deren Zweck ganz woanders liegt. Die EFAS ist im Endeffekt ein Projekt, welches durch marktwirtschaftliche Umstrukturierungen die Gesundheitskosten – für die Krankenkassen – senken und das Gesundheitswesen zunehmend privatisieren will. Darüber wird am 24. November eigentlich abgestimmt.

Redaktion sozialismus.ch

EFAS wird als ein sehr technischer Entwurf präsentiert, mit einer sehr breiten Unterstützung: von Fachverbänden aus dem Gesundheitswesen – wie jenen der Ärzt:innen (FMH), Spitäler (H+), Pflegeheime (curaviva) und Spitex (Spitex Schweiz) – über die Kantone bis zu einem Konsument:innenverband (Schweiz. Konsumentenforum kf). Kurz, es wird alles getan, um Fragen, geschweige denn Widerstand, gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Die EFAS wird gleichwohl vom VPOD bekämpft – aus gutem Grund. Mit der EFAS würde die Macht der Krankenkassen in der Gesundheitspolitik weiter vergrössert werden. So sollen insbesondere die integrierten Pflegemodelle der Krankenkasse gefördert werden, die den Zugang der Versicherten zu Pflegeleistungen und die freie Berufsausübung der teilnehmenden Ärzt:innen stark einschränken. Dieser verstärkte Einfluss der Krankenkassen würde sich auch auf die Pflege zu Hause und die Pflegeheime erstrecken. Ihr Machtzuwachs geht Hand in Hand mit einer Stärkung des privaten Sektors und einer Zunahme von Marktmechanismen im Gesundheitssektor.

Die Entscheidung der grössten Krankenkassen im Juni 2024, einen neuen Verband zur Vertretung ihrer Interessen zu gründen und aus SantéSuisse und Curafutura auszutreten – die es nicht schaffen, ihre Streitereien beizulegen – läutet ein neues Zeitalter ein, in dem die Krankenkassen eine gewichtigere Position im Gesundheitssystem einnehmen. Das macht die Bekämpfung der EFAS umso wichtiger. Hierfür ist es wichtig zu verstehen, warum die Vorlage problematisch ist.

Wo stehen wir?

Die EFAS betrifft die Finanzflüsse für die Leistungsrückerstattung in den drei Bereichen der Gesundheitsversorgung, die durch die Krankenversicherung gedeckt werden: 1) die «stationären» Leistungen anlässlich eines Spitalaufenthalts, 2) die «ambulant» erbrachten Leistungen, z.B. bei einer Untersuchung in einer Arztpraxis, einer Röntgenuntersuchung oder einem chirurgischen Eingriff, der keine Übernachtung in einem Spital erfordert, 3) die Langzeitpflege, die entweder zu Hause durch eine Spitex oder in Pflegeheimen erbracht wird.

Derzeit werden diese drei «Leistungs»-Gruppen, wie sie üblicherweise genannt werden, von der Krankenversicherung durch unterschiedliche Finanzierungsmechanismen gedeckt:

1) «Stationäre» Leistungen werden zu 55 % vom Heimatkanton der Patient:innen finanziert, die restlichen 45 % gehen zu Lasten der Krankenkassen (unter Vorbehalt der Franchise und des Selbstbehalts der versicherten Person).

2) Ambulante Leistungen werden durch die Krankenkassen rückerstattet, ohne kantonale Beteiligungen und unter Vorbehalt der Mitfinanzierung durch die versicherte Person (Franchise und Selbstbehalt).

3) Die Langzeitpflege wird finanziert durch: a) die Krankenkassen, in einer Höhe, die 2011 gemäss dem Prinzip der «Kostenneutralität» im Vergleich zum vorhergehenden Jahr festgelegt wurde und sich seither nur sehr wenig verändert hat, b) durch die Versicherten, mit einem Beitrag, der nicht über 20% des Beitrags der Krankenkassen liegen darf, c) durch die Kantone, die die «Restfinanzierung» übernehmen, die für die Deckung der Rechnungen der Leistungserbringer:innen nötig ist.

Diese unterschiedlichen Finanzierungsmodelle haben einen historischen Hintergrund. Sie widerspiegeln insbesondere die enge Verbindung, die die öffentliche Hand (Kantone und Gemeinden) bis Anfang der 2000er-Jahre mit den Spitälern, der Spitex und den Pflegeheimen pflegte.

Was ist die EFAS?

Der vom Parlament angenommene Vorschlag zielt darauf ab, die je nach Pflegeart unterschiedlichen Systeme durch eine einheitliche Finanzierung zu ersetzen. Alle Leistungen zu Lasten der Krankenversicherung, sei es im Rahmen eines Spitalaufenthalts, einer ambulanten Behandlung oder bei Pflegeleistungen durch die Spitex oder in einem Heim würden zu 26,9% ihrer Nettokosten (nach Abzug von Franchise und Selbstbehalt) durch die Kantone und zu 73,1% durch die Krankenkassen finanziert.

Dieser Verteilungsschlüssel soll garantieren, dass der Gesamtanteil der jeweilig von den Krankenkassen und den Kantonen sichergestellten Finanzierung nicht von der heutigen Situation abweicht. Die versicherten Personen würden weiterhin eine Franchise zwischen 300 und 2500 Franken, einen Selbstbehalt von 10% bis zu maximal 700 Franken pro Jahr und einen Beitrag zur Langzeitpflege zahlen.

Bei einer Annahme der EFAS würden die Änderungen in zwei Phasen in Kraft gesetzt. 2028 würde die einheitliche Finanzierung für die stationären und ambulanten Leistungen in Kraft treten. Auf die Langzeitpflege würde sie frühestens im Jahr 2032 ausgedehnt. Bis dahin müsste ein nationaler Tarif für diese Leistungen geschaffen werden, unter Federführung einer neuen Tarifstruktur, die die Versicherungen, die Leistungserbringer:innen und die Kantone umfasst. Vier Jahre nach dieser Ausweitung der EFAS auf die Langzeitpflege könnte der Kostenbeitrag der Versicherten im Vergleich zur heutigen Höhe angehoben werden.

Wie lässt sich diese Änderung rechtfertigen?

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG), das die Bundespolitik umsetzt, präsentiert die Gründe der EFAS wie folgt: «Das Hauptziel dieser Reform ist die Förderung der koordinierten Versorgung über die ganze Behandlungskette und von ambulanten statt stationären Leistungen. Gleichzeitig sollen Gesundheitsleistungen für die Prämienzahlenden erschwinglicher werden und verschiedene, durch die unterschiedliche Finanzierung entstandene Fehlanreize wegfallen.» In Bezug auf Worthülsen ist das schwierig zu toppen.

Was aber heisst das konkret? Hier ist – immer noch in den Worten des BAG – beschrieben, wie dieses «Hauptziel» in dreierlei Form konkretisiert werden soll:

1) «Die einheitliche Finanzierung sollte die Verlagerung vom stationären zum ambulanten Bereich beschleunigen und so zur Kostendämpfung beitragen».

2) «Die einheitliche Finanzierung rundet diese Kostenverschiebung zu Lasten der Prämienzahlenden ab».

3) «Mit der einheitlichen Finanzierung wird die Koordination in der Gesundheitsversorgung verstärkt. Das daraus entstehende Sparpotenzial könnte bis zu 440 Millionen Franken pro Jahr betragen.»

Schauen wir uns diese Argumente nacheinander an.

Verschiebung von stationär zu ambulant: Für wen und wofür?

Die Anhänger:innen stützen ihr Argumentarium auf zwei Postulate: a) die Verlagerung der Behandlungen von einem stationären in ein ambulantes Setting muss vorangetrieben werden; b) die von der EFAS vorgesehene einheitliche Finanzierung ist die Voraussetzung für die Beschleunigung dieser Verlagerung. Das alles ist mehr als anfechtbar und widerspiegelt eine gefährliche Auffassung der Krankenversicherung.

Welche Kriterien entscheiden denn, ob eine Verlagerung in ein ambulantes Setting wünschenswert ist? Für die Anhänger:innen der EFAS ist es der Beitrag zur «Kostendämpfung». Aus Sicht der Gesundheit der Bevölkerung müssten zwei andere Überlegungen prioritär sein. Einerseits sicherlich die Entwicklung von neuen, von den betroffenen medizinischen Fachrichtungen validierten Behandlungen, die weniger belastend für die Patient:innen sind, eine weniger lange Kontrollzeit erfordern und so eine schnellere Rückkehr nach Hause ohne höheres medizinisches Risiko, ermöglichen. Andererseits, und das geht oft vergessen, braucht es einen Allgemeinzustand der Patient:innen und ein soziales Umfeld, die eine solch schnelle Rückkehr nach Hause ermöglichen. Es braucht die notwendigen Ressourcen, um sicher zu gesunden und die eigenen Grundbedürfnisse ohne Schwierigkeiten abzudecken. Eine Verlagerung in ein ambulantes Setting ist nämlich immer auch gleichbedeutend mit einer Verlagerung von Kosten und Verantwortung von der Institution Spital zu den Patient:innen und ihren Angehörigen, mit den praktischen und finanziellen Herausforderungen, sowie den Sorgen, die das mit sich bringt.

Im Prinzip müssten diese zwei Kriterien von den Ärzt:innen berücksichtigt werden, die eine ambulante statt stationäre Behandlung vorschlagen. Die EFAS, das illustriert das BAG-Argumentarium, schlägt vor, sie einem dritten Kriterium unterzuordnen: den Kosten. Das ist das erste grundsätzliche Problem dieses Entwurfs.

Diese Feststellung wird durch eine zweite Beobachtung gestützt. Für ein Spital oder Ärzt:innen kann aus rein finanzieller Sicht Folgendes den Unterschied zwischen einer ambulanten und einer stationären Behandlung machen: der Tarif, mit dem die jeweilige Behandlung rückerstattet wird und das Ausmass der Kostendeckung bzw. das mögliche Erzielen eines Gewinns durch den jeweiligen Tarif. Es ist für sie hingegen überhaupt nicht von Bedeutung, ob ein Teil des Tarifs durch die Kantone finanziert wird oder nicht. Die Spitäler beklagen sich allerdings seit Jahren darüber, dass die ambulanten Tarife völlig unzureichend für die Abdeckung der Kosten sind. Laut der Direktorin von H+ erreicht die fehlende Deckung bald 30% (Competence, 3/2024). EFAS wird daran nichts ändern.

Eine Verlagerung in ein ambulantes Setting ist nämlich immer auch gleichbedeutend mit einer Verlagerung von Kosten und Verantwortung von der Institution Spital zu den Patient:innen und ihren Angehörigen.

Die einzige Änderung von EFAS in Bezug auf die Verlagerung zu ambulanten Behandlungen ist der Beitrag der Krankenkassen. Derzeit haben diese nur ein mässiges Interesse an dieser Verlagerung, weil sie – mit unseren Prämien! – nur 45% der Spitaleinweisungen finanzieren, im Gegensatz zu 100% der ambulanten Behandlungen. In gewissen Fällen kann das dazu führen, dass sie für eine ambulante Behandlung mehr rückerstatten müssen als für einen entsprechenden Spitalaufenthalt. Mit einer einheitlichen Finanzierung verschwindet dieser Effekt. Die Kassen könnten also voll auf die therapeutische Behandlungswahl einwirken, indem sie sich z.B. weigern, eine Kostengutsprache für einen Spitalaufenthalt zu machen, mit dem Argument, dass eine ambulante Behandlung möglich und billiger ist.

In Bezug auf die Verlagerung von stationären zu ambulanten Behandlungen ist die Bedeutung der EFAS also wie folgt: Die einheitliche Finanzierung löst nicht das Problem der Unterfinanzierung der ambulanten Behandlungen und leistet keinerlei Beitrag zur Verbesserung der medizinischen und sozialen Bedingungen der ambulanten Behandlungen. Hingegen ermöglicht die EFAS den Krankenkassen, im Namen von Zahlenspielen, mehr ambulante Behandlungen aufzuzwingen.

Kantonale Finanzierung und «Kostenverschiebung»: Es gibt Alternativen

Kommen wir zur «Kostenverschiebung zu Lasten der Prämienzahlenden.» Für die Kantone bedeutet diese Verlagerung in den ambulanten Bereich eine proportionale Verringerung ihres Anteils an der Finanzierung der Gesundheitskosten. Sie müssen nämlich 55% für einen Spitalaufenthalt zahlen, aber nichts für eine ambulante Behandlung (sie beteiligen sich aber an der Finanzierung eventueller Pflegeleistungen zu Hause, die sich daraus ergeben). Hingegen gehen 100% der ambulanten Behandlung zu Lasten der Krankenkassen und damit der Prämienzahler:innen.

Die derzeitige Entwicklung im ambulanten Bereich wird gefördert, weil ambulant insgesamt billiger ist. Das bedeutet somit eine geringere finanzielle Beteiligung der Kantone an den Gesundheitsausgaben und eine grössere Beteiligung der Versicherten.

Die pessimistische Schätzung des Sparpotenzial von EFAS kommt auf 0%.

Dieser Sparansatz der Kantone im Gesundheitsbereich ist äusserst fragwürdig, weil das System der Pro-Kopf-Prämien der Krankenversicherung sehr schwer auf den mittleren und unteren Einkommen lastet, während die Steuern, die die kantonalen Beiträge finanzieren, im Prinzip progressiv sein müssten.

Es braucht aber keine EFAS, um diese kontraproduktive Auswirkung zu korrigieren. Die Kantone könnten z.B. das durch die Verlagerung eingesparte Geld für eine Subventionierung der Krankenkassenprämien verwenden.

«Koordination in der Gesundheitsversorgung» oder «Managed Care»: Von den Versicherungen gesteuert?

Bei der Betrachtung der «Koordination in der Gesundheitsversorgung» stossen wir auf den Kern der EFAS und einen der Hauptgründe für deren Projektierung und Förderung durch einige der grössten Krankenkassen aus dem Curafutura-Verband (dieser wurde übrigens von Ignazio Cassis präsidiert vor dessen Wahl in den Bundesrat ). Worum geht es?

Die Krankenkassen haben Krankenversicherungsmodelle für die sogenannte «integrierte Gesundheitsversorgung» entwickelt – mit erhöhtem Tempo im letzten Jahrzehnt. Sie nutzen diese Modelle als neues Instrument der Anwerbung von Kund:innen: Denn ein detaillierterer Kostenausgleich zwischen den Kassen hatte dazu geführt, dass es mehr billige Krankenkassen gibt, bei denen die Direktwahl der behandelnden Ärzte durch die Versicherten viel schlechter funktioniert.

Je verbreiteter Modelle der sogenannten integrierten Gesundheitsversorgung werden, die die freie Arztwahl einschränken im Gegenzug zu günstigeren Prämien, desto mehr werden sie zum Bezugspunkt dessen, was in Bezug auf die Gesundheitsversorgung und ihre Qualität «normal» ist.

Die Modelle der «integrierten Gesundheitsversorgung» bieten den Versicherten Prämienverbilligungen «im Tausch» gegen einen mehr oder weniger bedeutenden Verzicht auf die freie Wahl der Personen, die sie behandeln. Die am wenigsten restriktiven «Hausarztmodelle» verlangen, dass vor einer fachärztlichen Untersuchung immer ein:e gewählte:r Allgemeinmediziner:in konsultiert wird, der eine Überweisung ausstellen muss. Die restriktivsten Modelle begrenzen die Auswahl der Hausärzt:innen und Fachärzt:innen mittels einer von der Kasse erstellten Liste.

Logischerweise ist eines der Kriterien für die Aufnahme in diese Liste die «Wirtschaftlichkeit»… Denn mit diesen Modellen werden zwei grundlegende Veränderungen umgesetzt, die von den Versicherungen eingefordert werden und in der Abstimmung im Jahr 2012 über «Managed Care» mit grosser Mehrheit abgelehnt wurden: Die freie Arztwahl durch die Patient:innen wird abgeschafft. Stattdessen gibt es neu eine freie Wahl der Versicherungen, welchen Ärzt:innen sie ihre Leistungen rückerstatten (die «Vertragsfreiheit»). Die integrierte Gesundheitsversorgung ist die versteckte Rückkehr von «Managed Care». Die Modelle der «integrierten Gesundheitsversorgung», insbesondere die restriktivsten, werden oft von gesunden Menschen gewählt, die der Ansicht sind, dass die vorgesehenen Begrenzungen kaum Auswirkungen auf sie haben (sie nehmen fast keine Untersuchungen in Anspruch), aber willkommene Einsparungen bei ihren Gesundheitsausgaben ermöglichen. Aber auch Personen, die mehr Behandlungen in Anspruch nehmen (müssen), wählen diese Modelle, weil sie sich höhere Prämien schlicht und einfach nicht leisten können. Und je mehr sich diese Modelle verbreiten, umso mehr werden sie zum Bezugspunkt dessen, was in Bezug auf die Gesundheitsversorgung und ihre Qualität «normal» ist.

Hier kommt die EFAS zum Zug. Im Durchschnitt verzeichnen die Versicherten mit Versicherungsmodellen der «integrierten Gesundheitsversorgung» weniger Spitalaufenthalte als Versicherte ohne Einschränkung der Arztwahl, weil ihr Gesundheitszustand besser ist. Da aber derzeit nur 45% der Spitalkosten zu Lasten der Krankenkassen gehen, im Gegensatz zu 100% der Kosten ambulanter Behandlungen, reduziert sich hierdurch die Kostendifferenz zwischen den zwei Versicherungsmodellen. Dies begrenzt die Rabatte, die den Versicherten «offeriert» werden können, die ein Modell der «integrierten Gesundheitsversorgung» wählen. Wenn mittels EFAS eine einheitliche Finanzierung eingeführt wird, so wird dieser Effekt beseitigt. Somit könnten die Rabatte für integrierte Modelle erhöht werden, wodurch sie noch attraktiver würden. In einem von curafutura verbreiteten Werbespot für die EFAS wird erklärt, dass es so möglich wäre, die Rabatte von 20 auf 30% zu erhöhen.

Der im Jahr 2022 vom Büro Polynomics im Auftrag des BAG erstellte Bericht bestätigt diese Analyse. Laut Polynomics bedeutet die Einführung einer einheitlichen Finanzierung Folgendes: Sie «erhöht die Attraktivität von verbindlichen Modellen [das Wort ist gut gewählt, B.B.] der koordinierten Versorgung. Dies liegt daran, dass die Krankenversicherer einen grösseren Teil der mit diesen Modellen verbundenen Einsparungen über Prämiensenkungen an die Versicherten weitergeben können. […] zum anderen erhöht sich der Anreiz der Versicherer, […] indem sie den Behandlungspfad über Kostengutsprachen sowie die Leistungs- und Rechnungskontrolle stärker steuern.» (Polynomics (2023), Sparpotential einheitliche Finanzierung. Schlussbericht. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG).

In anderen Worten: EFAS wird der Entwicklung einer von den rechten Parteien und den Unternehmer:innenkreisen eingeforderten Budget-Krankenkasse neuen Schwung verleihen. Damit verbunden ist eine Bindung der tiefsten Prämien an eine immer grössere Kontrolle der Behandlungswahl durch die Krankenkassen («den Behandlungspfad […] stärker steuern», in der euphemistischen Formulierung von Polynomics).

Koordination im Gesundheitsbereich ist an sich ja nichts Schlechtes. Die Krankenkassen haben aber das Problem an sich gerissen, um einerseits selbst die Steuerung zu übernehmen und andererseits finanzielle Belastungen zum obersten Kriterium der Behandlungswahl zu machen.

Eine der Stärken der Offensive der Krankenkassen zugunsten einer «integrierten Gesundheitsversorgung» ist es, dass sie auf der Vereinnahmung einer guten Idee beruht. So brauchen Menschen, die an chronischen Krankheiten und mehreren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden oder sehr gebrechlich geworden sind, insbesondere im Alter, sicherlich eine koordinierte Gesundheitsversorgung. So werden seit Jahren Behandlungsprozesse für Menschen mit Diabetes umgesetzt. Wir sind aber noch lange nicht am Ziel und die ärztlichen Lösungen für dieses Bedürfnis werden den Anforderungen nicht immer gerecht. Die Krankenkassen haben das Problem an sich gerissen, um einerseits selbst die Steuerung zu übernehmen und andererseits finanzielle Belastungen zum obersten Kriterium der Behandlungswahl zu machen. Mit der EFAS möchten sie diese Entwicklung beschleunigen.

Wie sieht es bei der Langzeitpflege aus?

Die Finanzierung der Langzeitpflege, sei es zu Hause oder im Pflegeheim, wird in einer zweiten Phase in die EFAS eingegliedert – frühesten 2032. Die Voraussetzung für die Bewältigung dieser Phase ist die Ausarbeitung eines nationalen Tarifsystems zur Regelung der Finanzierung durch die sogenannten «Vertragspartner:innen», d.h. die Krankenkassen, die Spitex- und Pflegeheimverbände und die Kantone.

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist der Tarif für die Rückerstattung der Pflegeleistungen durch die Krankenkassen plafoniert. Die in dieser Zeit erfolgte Erhöhung der Stundenkosten ging also im Wesentlichen zu Lasten der Kantone oder der Versicherten.

Mit der EFAS wird die Höhe des Kantonsanteils fixiert. Die Kostenerhöhungen werden sich also auf die Finanzierung durch die Krankenkassen auswirken. Das hat zwei Konsequenzen. Einerseits wird der relative Rückzug der Kantone zur beschleunigten Erhöhung der Krankenkassenprämien beitragen. Andererseits werden die Krankenkassen, mit dem Argument dieser Prämienentwicklung, ihr Gewicht in die Waagschale werfen, damit der nationale Tarif für Langzeitpflege so «wirtschaftlich» wie möglich ist. Mit der Entscheidung der Versicherer zur Gründung eines neuen Dachverbands werden diese auf ihre «Partner:innen» noch mehr «Druck ausüben». Die Kantone, erfreut darüber, die Restfinanzierung losgeworden zu sein, werden sich aus der Verantwortung nehmen. Die Rechnung wird somit von zwei Gruppen bezahlt: vom Personal – mit verschlechterten Arbeitsbedingungen – und von den Patient:innen – mit einem gestutzten Leistungsangebot und höhreren Prämien.

Welche Einsparungen bringt die EFAS?

Wie jedes Mal, wenn von der Krankenversicherung die Rede ist, wird das «Sparpotenzial» zum Mass der Relevanz der vorgeschlagenen Massnahmen. Wie hoch ist es im Fall der EFAS?

Polynomics hat dieses «Sparpotenzial» evaluiert und es lohnt sich, aus ihrer Zusammenfassung zu zitieren: «Ohne Einbezug der Pflege ist ein jährliches Sparpotenzial durch EFAS zwischen 0 CHF (pessimistisches Szenario) und gut 300 Mio. CHF (optimistisches Szenario) pro Jahr am wahrscheinlichsten. Die Berechnungen sind mit einigen Unsicherheiten verbunden und es konnten auch nicht alle Effekte quantifiziert werden. Das grösste Sparpotenzial zeigt sich bei den verbindlichen Modellen der koordinierten Versorgung [also den Einschränkungen des Zugangs zu Behandlungen, die den Menschen auferlegt werden, die einem integrierten Versicherungsmodell beigetreten sind; B.B.]. Von den Einsparungen profitieren die Krankenversicherer, Kantone wie auch die Patientinnen und Patienten. Die Einsparungen lassen sich nicht sofort realisieren. Da sie hauptsächlich auf Verhaltensänderungen von Akteuren beruhen, werden sie erst nach einer gewissen Zeit eintreten. […] Bei EFAS mit Einbezug der Pflege dürften sich die möglichen Einsparungen im optimistischen Szenario etwas erhöhen. Am wahrscheinlichsten ist in diesem Fall ein Sparpotenzial zwischen 0 CHF (pessimistisches Szenario) und 440 Mio. CHF (optimistisches Szenario) pro Jahr.».

Polynomics legt also höchste Vorsicht an den Tag, was das Sparpotenzial von EFAS angeht. Und wie es sich für eine «objektive» Information gehört, erwähnt das BAG auf seiner Website nur den oberen Wert des Berichts…

Um sich ein Bild von diesen Zahlen zu machen, muss man sie den durch die Krankenkassen finanzierten Gesundheitsausgaben gegenüberstellen, die 2022 bei 34,5 Milliarden Franken lagen. Die optimistischste Schätzung von Polynomics entspricht also 1,3% dieser Summe… und könnte genauso gut bei 0% liegen.

Und das alles wird gemacht für das? Das «finanzielle» Argument ist nur ein irreführendes Verkaufsargument, damit eine Vorlage angenommen wird, deren Probleme ganz woanders liegen [der Skandal der falschen AHV-Prognosen ruft in Erinnerung, dass das eine systemische Praktik der Politik in der Schweiz ist; B.B.].

Welchen Platz nimmt die EFAS in der Gesundheitspolitik ein?

Was also sind die wirklichen Probleme, die durch die EFAS aufgeworfen werden? Eines davon ist die bereits aufgezeigte Beschleunigung der Entwicklung der integrierten Gesundheitsversorgung. Sie bettet sich darüber hinaus in ein umfassenderes Ziel ein. Um dessen Reichweite einzuschätzen, kann auf die starke Unterstützung der EFAS durch das «Forum Gesundheit Schweiz» verwiesen werden. Das vor fast 20 Jahren gegründete Forum wird vom Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller präsidiert und «will zu einem breit abgestützten Konsens über eine wirkungsvolle Eindämmung der Kostenzunahme im Gesundheitswesen beitragen, indem es marktwirtschaftliche Lösungen in die Diskussion einbringt.» Das Ziel steht also fest!

Und hier sind die «Forderungen» des Forums – und die Übersetzung, was sie damit eigentlich meinen:

  • «Konsequente Einführung der neuen Spitalfinanzierung gemäss den Kriterien Qualität und Wirtschaftlichkeit – ohne kantonale Vorgaben, die dem Willen des Bundesgesetzgebers zuwiderlaufen.»

= keine kantonale Unterstützung für öffentliche Spitäler, um die privaten Spitäler nicht zu «benachteiligen

  • «Transparenz über Leistungen und Nutzen im Gesundheitswesen – auch dank eines Schweizer Health Technology Assessment-Modells (systematische Bewertung medizinischer Verfahren und Technologien).»

= Möglichkeit der Verweigerung der Rückerstattung von Behandlungen, deren Kosten-Nutzen-Verhältnis als unzureichend eingestuft wird

  • «Mehrkassensystem mit innovationsfreundlichem Wettbewerb statt staatlich kontrollierter Einheitskasse.»

= deutlicher kann es kaum gesagt werden…

  • «Effiziente und effektive Grundversicherungsleistungen mit Fokus auf Nutzen für die Versicherten und Patienten.»

= Begrenzung der Rückerstattung der Leistungen mittels des Arguments einer nicht aufgezeigten «Effizienz und Effektivität»

  • «Vertragsfreiheit zwischen Versicherern und Leistungserbringern.»

= den Versicherungen ermöglichen, die Ärzt:innen auszuwählen, deren Leistungen sie rückerstatten, und damit die therapeutische Behandlungspraxis zu beeinflussen

  • «Wirtschaftliche Anreize für die integrierte Versorgung von chronisch Kranken und Verfeinerung des Risikoausgleichs.»

= EFAS

  • «Gleiche Finanzierungsanteile bei allen obligatorischen Leistungen der Grundversicherung, nicht nur ambulant, sondern auch stationär.»

= EFAS

Das ist also der Platz und Sinn der EFAS. Sie ist einer der Teile einer Politik, die darauf abzielt, den öffentlichen Bereich der Gesundheitspolitik zu zerschlagen und den privaten Sektor zu stärken – mit Marktmechanismen und privaten Versicherungen als Kern des Systems.

Folglich müssen wir am 24. November 2024 folgende Grundsatzfrage beantworten: Möchten wir ein Gesundheitssystem, das immer mehr von den privaten Krankenkassen gesteuert wird, in dem private Unternehmen einen immer gewichtigeren Platz einnehmen und in dem die Gesundheit immer mehr zu einer reinen Ware wird? Oder wollen wir diese Entwicklung klar ausbremsen und öffentlichen Diensten – die entwickelt wurden, um eine öffentliche Politik umzusetzen, die demokratisch debattiert und entschieden wurde – wieder zum Herzstück des Systems machen?

Darum geht es. Darum macht es Sinn, dafür zu kämpfen, dass das Nein zur EFAS am kommenden 24. November gewinnt!

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