Das Schweizer Pensionskassensystem ist unsozial und unökologisch. Wie könnte ein radikaler Umbau aussehen?
von Luca Caplero (BFS Basel)
Als vor etwas mehr als 50 Jahren das heutige 3-Säulen-Rentenmodell eingeführt wurde, entstand die Grundlage für ein lukratives Geschäftsmodell für die Finanzindustrie. Denn neben der AHV, die mit dem sogenannten Umlageverfahren funktioniert, basiert die 2. Säule – auch berufliche Vorsorge genannt – mit dem Kapitaldeckungsverfahren.
Die Idee ist folgende: Jede*r Lohnarbeitende, die mehr als 22’000 CHF jährlich verdient, zahlt in eine Pensionskasse ein. Diese verwaltet das Geld, legt es an, erwirtschaftet damit Profit und zahlt einen Anteil des Vermögens nach Erreichen des Rentenalters ihren Versicherten zurück. Alle «sparen für sich selbst» – das Gegenteil also von einem solidarischen Umlageverfahren, wie es bei der AHV der Fall ist. Denn wer mehr verdient, kann auch mehr Rente beziehen. Das ist vor allem für Frauen und Geringverdienende ein Problem.
Die Pensionskassen verwalten nicht einfach das Geld für ihre Versicherten. Sie erwirtschaften damit auch Profite für sich selbst – auf Kosten von Arbeiter*innen und der Natur.
Beim Umlageverfahren hingegen zahlen vereinfacht gesagt alle Erwerbstätigen in einen Topf ein, aus dem dann die Renten der nicht mehr Erwebstätigen bezogen werden. Wer mehr verdient, zahlt mehr ein. Gleichzeitig ist der Bezug gedeckelt, sodass dadurch eine solidarische Umverteilung stattfindet.
Geld für die fossile Industrie
Unsolidarisch ist dieses System auch aus weiteren Gründen: Denn die Pensionskassen verwalten nicht einfach das Geld für ihre Versicherten. Sie erwirtschaften damit auch Profite für sich selbst – auf Kosten von Arbeiter*innen und der Natur.
Aktuell verwalten die Schweizer Pensionskassen rund 1400 Milliarden Franken. Davon wurden laut einer Studie der Klima-Allianz rund 64% in CO2-intensive Unternehmen investiert. Diese Schätzung ist eher konservativ, denn es ist schwierig, präzise herauszufinden, wieviel Geld in welche Unternehmen gesteckt wird. Systematische Intransparenz ist nämlich ein weiteres Problem. Eine öffentliche Diskussion wird dadurch verunmöglicht – ganz zu schweigen von einer demokratischen Kontrolle. Doch steht fest, dass die Schweizer Pensionskassen mit der Zukunft unseres Planeten zocken. Statt wirklich vorzusorgen, setzen sie unsere Zukunft und vor allem jene der Menschen aus dem Globalen Süden aufs Spiel.
Auch ein weiterer Investitionsbereich von Pensionskassen hat ungerechte und klimaschädliche Auswirkungen: 2022 investierten die Schweizer Pensionskassen 27% ihres Vermögens in Immobilien. Der renditengetriebene Neubau von Immobilien hat spürbare Auswirkungen auf die Mietpreisentwicklung und die städtische Verdrängung. Er hat aber auch Auswirkungen auf die Umwelt: Denn Baumaterialien sind für 10% des Schweizer Treibhausgasemissionen verantwortlich. Statt umweltschonend zu sanieren, ist es für viele Grossinvestoren lukrativer, alte Gebäude abzureissen und neue Betonklötze hinzustellen.
Greenwashing
Um der Kritik an diesen umweltschädlichen Geschäftspraktiken zu begegnen, hat die Pensionskassenindustrie umfangreiche Greenwashing-Methoden entwickelt. Zum Beispiel sollen mit «grünen» Investitionsfonds nicht-fossile Unternehmen gefördert werden. Das Problem ist nur, dass auch die allermeisten dieser «grünen» Fonds fossile Unternehmen beinhalten, wie jüngst eine Studie aufgedeckt hat. Weiter haben sich die Pensionskassen die Strategie der «active ownership» auf die Fahnen geschrieben. Dabei sollen die finanzierten Unternehmen in Richtung «nachhaltiger» Unternehmensstrategien beeinflusst werden, indem an GVs entsprechend abgestimmt wird oder mit der Führung das Gespräch gesucht wird. Das ist aber nichts als heisse Luft. Dadurch hat sich aber eine aufgeblasene Bürokratie von Begutachter*innen und Berichteschreiber*innen, die unverbindliche Gespräche führen, entwickelt. Das Ganze wird dadurch nur noch unübersichtlicher.
Die meisten NGOs formulieren keine grundlegende Kritik am Pensionskassensystem. Man stellt lieber harmlose Klimarankings von Pensionskassen auf oder fordert auf naive Weise die Arbeitenden auf, eine Mail an die eigene Vorsorgeeinrichtung zu schreiben. So etwa die Klima-Allianz. In anderen Fällen werden Pensionskassen dazu aufgefordert, ihr Geld aus besonders dreckigen oder menschenfeindlichen Unternehmen abzuziehen (Divestment). Die Logik des Systems – das Erwirtschaften von Profit auf Kosten von Umwelt und Arbeitenden – bleibt bei all diesen Vorschlägen aber unangetastet.
Vollpension
Ende der 1960er Jahre wurde in der Schweiz eine «Vollpension» auf der Grundlage eines solidarischen Umlageverfahrens zur Diskussion gestellt. Die staatliche Volkspension sollte künftig mindestens 60 Prozent des Einkommens abdecken, auf jeden Fall aber eine jährliche Rente von 6000 Franken garantieren. Die damals von der PdA (Partei der Arbeit) lancierte Initiative wurde jedoch aufgrund von bürgerlichem, aber auch sozialdemokratischem und gewerkschaftlichem Widerstand versenkt.
Heute müsste ein solches System wieder ins Zentrum einer sozialökologischen Transformation gestellt werden. Es wäre solidarischer, weil bei einem Umlageverfahren mit fixen Lohnabzügen Menschen mit hohen Einkommen die Renten von armen Arbeitenden solidarisch mitfinanzieren. Es wäre geschlechtergerechter, weil vor allem Frauen aufgrund von Teilzeitarbeit und Mutterschaft geringe oder gar keine Pensionskassenrenten bekommen. Und es wäre klimagerechter, weil der Erwirtschaftung von Profit auf Kosten von Mensch und Natur mit den Pensionskassenbeiträgen den Boden entzogen würde.
Doch wäre solcher Umbau nicht ganz einfach umzusetzen. Denn faktisch gehört nicht den Pensionskassen das Geld. Sie sind vielmehr Verwalterinnen von Vermögen der Lohnabhängigen. Wahrscheinlich würde ein sofortiger Umbau der Pensionskassen somit von vielen als Enteignung wahrgenommen.
Deshalb haben Autor*innen des «Denknetzes» vor längerer Zeit den Vorschlag einer «sukzessiven Überführung der obligatorischen Rentensicherung auf das einfache, transparente und einer demokratischen Steuerung unterworfene Regime des Umlageverfahrens» entworfen. Der Grundgedanke ist einfach: Ab einem Stichtag werden keine Gelder mehr in die 2. Säule eingezahlt. Die bereits bestehenden Pensionskassenvermögen werden allerdings beibehalten und von den bisherigen Kassen verwaltet, bis sie vollends in Form von Renten zurückbezahlt worden sind.
Mit einem radikalen Umbau des Rentensystems würde auch ein wichtiger Pfeiler der schweizerischen Sozialpartnerschaft gestürzt.
Das käme einem sukzessiven Rückbau der Pensionskassen im Zeitraum einer Generation gleich. Was dieser Vorschlag aber nicht berücksichtig: Aus einer ökologischen Sicht müsste dafür gesorgt werden, dass die verbleibenden Vermögen sinnvoll investiert werden. Das kann nur über eine demokratische Kontrolle und eine ökologisch sinnvolle Steuerung der Investitionstätigkeiten geschehen. Vorstellbar wäre zum Beispiel, dass die Pensionskassen als Anlagevehikel für die Investition in staatliche Fonds für einen ökologischen und sozialen Umbau benutzt würden.
Ende der Sozialpartnerschaft
Dass damit die Interessen der finanziell und politisch mächtigen Pensionskassen beschnitten werden, liegt auf der Hand. Damit würde aber zudem ein wichtiger Pfeiler der schweizerischen Sozialpartnerschaft gestürzt. Es ist nämlich gesetzlich vorgeschrieben, dass die Pensionskassen durch ein «paritätisches» Organ mit Vertretern von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen verwaltet werden. Während sich einige naiven Linken in den 1970er Jahren dadurch eine langsame Kontrollübernahme durch die Arbeiter*innen erhofften, hat sich erwarteterweise das Gegenteil ergeben: Die grossen Gewerkschaften und ihre Bürokraten wurden an die Interessen der Pensionskassenindustrie gebunden. Ein sozialer und ökologischer Umbau des Rentensystems steht somit vor derselben Herausforderung wie die Klimagerechtigkeitsbewegung im Allgemeinen. Es braucht breite soziale Bewegungen, die für radikale, aber auch konkrete Visionen kämpfen. Denn wahrhaftig klauen uns die Reichen und Mächtigen die Zukunft. Nicht nur, weil sie unseren Planeten zerstören. Das von ihnen geprägte Rentensystem verunmöglicht es auch vielen, im Alter ein würdiges Leben zu führen.