In der Bildung und Betreuung wird massiv gespart. Dies auf Kosten des Personals und der Kinder. Burnouts, Überforderung und ein immer grösser werdendes Gefälle der Bildungsunterschiede sind die Folgen. Es ist längst an der Zeit, diese Sparmassnahmen zu bekämpfen.
von AG Feminismus und Arbeit (BFS Zürich)
Sparmassnahmen am falschen Ort
Die Armee braucht mehr Geld, denn die Weltlage ist angespannt und im Ernstfall soll man sich ja verteidigen können. Die multiplen Krisen auf dieser Welt lassen sich sowieso nur noch mit Waffen, Gewalt und starken Männern lösen. Der Sozialstaat, allen voran die Bildung, Betreuung und das Gesundheitswesen, verbraten viel zu viel Geld, welches besser in die Aufrüstung investiert würde.
So in etwa kann man das Denken und Vorgehen verschiedener westlicher Länder beschreiben. Auch das der Schweiz. Das Budget der Armee wird Jahr für Jahr erhöht. Ende 2024 hat der Bundesrat dann Sparmassnahmen angekündigt. Ab 2027 sollen 3,6 Milliarden und ab 2030 sogar über 4 Milliarden Franken gespart werden. Dazu legt der Bundesrat einen Massnahmenkatalog vor, in dem aufgeführt ist, wo die Sparmassnahmen überall angesetzt werden. Von den Sparmassnahmen nicht betroffen ist – *Trommelwirbel* – die Armee. Was für eine Überraschung. Ironie off.
Der grösste Sparposten des Katalogs ist mit 900 Millionen Franken die Streichung der Beiträge auf familienergänzende Kinderbetreuung.[1] Neben anderen Bereichen wird auch in der Bildung gespart. Die Sparmassnahmen in Betreuung und Bildung allein machen schliesslich über einen Viertel des gesamten Sparpaketes des Bundes aus. Und das in einem Sektor, der schon heute chronisch unter Personalmangel leidet. Die Folge ist, dass Berufstätige reihenweise mit einem Burnout aus dem Beruf scheiden.
Das Stressempfinden am Arbeitsplatz hat in den letzten Jahren allgemein zugenommen. Am stärksten davon betroffen sind die Gesundheits- und Sozialberufe. So zeigt sich, dass sich jede fünfte Lehrperson konstant überbelastet fühlt.[2] Mit der Aussicht auf weitere Sparmassnahmen wird das Lehr- und Betreuungspersonal wahrscheinlich nicht wirklich durchatmen können.
Schauen wir uns die Verhältnisse in den Schulen doch einmal genauer an. Auf wen haben diese Sparmassnahmen einen Einfluss?
Auf Kosten von Personal und Kindern
In der Primarschule sind 80% der Lehrpersonen Frauen. Das ist nicht besonders erstaunlich, wenn man sich das Arbeitsfeld und die Aufgaben der Lehrpersonen anschaut.
Neben der schulischen Bildung der Kinder ist in der Primarschule die ausserfachliche soziale Bildung wichtig und die Betreuungsaufgaben sind von grösserem Umfang als auf anderen Schulstufen. Kinder in diesem Alter brauchen mehr Unterstützung bei gewissen alltäglichen Tätigkeiten. Lehrpersonen müssen die Kinder beispielsweise bei kaltem Wetter daran erinnern, für die Pause eine Jacke anzuziehen. Sie müssen emotional stets verfügbar sein, wenn es den Kindern nicht gut geht. Zeit und Energie brauchen auch grössere Konflikte, bei denen die Lehrpersonen das Gespräch mit den Eltern suchen müssen. Das sind nur einige Beispiele dafür, dass die Lehrpersonen viel Care-Arbeit leisten. Und diese Care-Arbeit, die einen wichtigen Teil des Berufs ausmacht, ist häufig nicht bezahlt, wie an folgendem Beispiel erklärt wird.
Eine Klassenlehrperson in Zürich hat heute 120 Jahresstunden für Elterngespräche, für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts oder für Konflikte im Schulalltag zur Verfügung. Diese Jahresstunden sind im Vertrag ausgewiesen und werden bezahlt. Das Problem ist nur, dass diese Zeit nicht ausreicht. Viel unverzichtbare Arbeit wird deshalb unbezahlt verrichtet. Lehrpersonen fordern deshalb 250 Stunden, um dieser Arbeit gerecht werden zu können. Der Staat baut darauf, dass Lehrpersonen unbezahlte Mehrarbeit aus Liebe zum Beruf leisten – eine systematisierte Ausbeutung unter pädagogischem Deckmantel.
Unter diesen Bedingungen leiden nicht nur die Lehrpersonen. Im Einschulungsalter von rund 6 Jahren sind Kinder in einer Phase des Lebens, welche entscheidend ist für den restlichen Verlauf ihres Lebens. Neben dem familiären Umfeld ist die Schule hier ein wichtiger Ort. In diesem Alter werden Denk- und Handlungsmuster gelernt und gefestigt, welche dann für das restliche Leben so gelebt werden. In einer Klasse mit über 20 Kindern und einer Lehrperson ist es nicht möglich, jedem Kind gerecht zu werden und es durch diese wichtige Phase im Leben zu begleiten. Gerade Kinder, welche in nicht privilegierten Familienverhältnissen aufwachsen, leiden darunter. In diesen Fällen sollte die Schule auch ein Ort der Sicherheit und der sozialen und kulturellen Bildung sein. Überlastete Lehrpersonen können dies nicht leisten.
Es gibt Studien zur Schweiz, die zeigen, dass der Punkt der Einschulung der kritischste ist.[3] In dieser Lebensphase werden die schulische und berufliche Laufbahn des Kindes und somit auch die späteren Lebensverhältnisse geprägt. Und genau da wäre es wichtig, dass es Lehrpersonen und Betreuungspersonal gibt, die eine faire Ausbildung für alle Kinder ermöglichen können.
Projekt Tagesschule Zürich und die Lüge der Chancengleichheit
Um diese Verhältnisse zu verbessern, wurde mit der Begründung für grössere Chancengleichheit in der Stadt Zürich 2022 über das Projekt der flächendeckenden Tagesschulen abgestimmt und mit über 80% angenommen. In der Theorie klingt das schön: Bessere Bildungschancen für alle Schüler:innen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weniger Betreuungsarbeit durch die Eltern. Bis 2030 sollen alle Schulen in der Stadt nach diesem Modell funktionieren.
In der Praxis sieht es dann nicht mehr so gut aus. Was als Fortschritt verkauft wird, ist in Wahrheit ein neoliberaler Umbau: Mehr Betreuungsaufwand, weniger Qualität – auf dem Rücken von Personal und Kindern.
Die Idee der Tagesschule ist, dass die Kinder den ganzen Tag an der Schule verbringen, also auch ihre Mittagspause. Alle Kinder müssen dadurch die Angebote von Hort und Mittagstisch in Anspruch nehmen können. Konkret würde dies bedeuten, dass der Hort zu einer Art Mensa wird. Auf individuelle Bedürfnisse und Sorgen der Kinder könnte nicht mehr wirklich eingegangen werden. Durch die vielen Kinder wird der Lärmpegel deutlich erhöht, eine wirkliche Erholung über den Mittag wäre nicht mehr gewährleistet. Gerade diese Erholungszeit ist für Kinder, welche sozial ausgegrenzt sind oder besondere Betreuung benötigen, aber enorm wichtig.
Auch Lehrpersonen, welche die Mittagszeit zur Erholung und Vorbereitung des Unterrichts benötigen, werden bei der Betreuung am Mittag mitarbeiten, um das Betreuungspersonal zu entlasten. Für das Betreuungspersonal werden die Schichten in kleine Einheiten mit Zimmerstunden unterteilt. Das führt dazu, dass hohe Arbeitspensen beinahe nicht mehr möglich sein werden. Schon bei niedrigen Anstellungspensen müsste an allen Tagen in der Woche gearbeitet werden. Was bleibt, ist ein Spagat: maximale Flexibilität bei minimaler Bezahlung – ein Arbeitsmodell, das Armut fest einplant.
Der neue Einheitstarif, der für die Mittagsbetreuung angesetzt wird, ist für die einkommensstarken Familien eine klare Entlastung, während sich für einkommensschwächere Familien die Kosten für Betreuung kaum verbessern.
Mit dem grossen Versprechen der Chancengleichheit für alle kommt das Konzept der Tagesschule bei vielen gut an. Doch auch hier zeigt sich hinter den grossen Versprechen wenig Inhalt. Ein Ziel der Tagesschule, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist für die privilegierten Familien tatsächlich erreicht. Für ärmere Familien, Lehrer:innen, Betreuungspersonal und viele Kinder bringt das neue System der Tagesschule viel Stress und macht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf um einiges schwieriger. Doch die Politiker:innen und Wirtschaftsverbände stört das nicht. Denn es kann gespart werden – mit dem Vorwand der Chancengleichheit.
Das Kaputtsparen hat System
Die Ökonomisierung der Bildung hat viele negative Folgen. Schon in der Grundschule herrscht Leistungsdruck, und soziale Ungleichheiten werden früh zementiert. Kinder aus privilegierten Verhältnissen haben klare Vorteile, während benachteiligte Kinder zurückbleiben. Das Bildungssystem orientiert sich zunehmend an den Bedürfnissen der Marktwirtschaft: Naturwissenschaften und Wirtschaft zählen, während kritisches Denken und Geisteswissenschaften vernachlässigt werden. Bildung wird zur Auswahlmaschine für den Arbeitsmarkt – Menschlichkeit stört da nur.
Auch die Arbeit im Bildungsbereich wird abgewertet. Lehr- und Betreuungspersonal, meist Frauen, arbeiten am Limit und werden schlecht bezahlt – oft mit dem Argument, sie täten es «aus Liebe». Ein patriarchales System, das von unbezahlter Fürsorge lebt und gerade deshalb nichts daran ändern will. Trotz allem regt sich Widerstand – durch Streiks, Proteste und gewerkschaftliche Arbeit.
Widerstand gegen das herrschende System
Im Februar 2024 haben die Oberstufenlehrer:innen in Genf gestreikt. Sie wehrten sich gegen eine geplante Erhöhung ihres Arbeitspensums bei gleichbleibendem Lohn. Der Lehrer:innenverband hat schnell und entschieden reagiert und während der Prüfungszeit einen einwöchigen Streik organisiert. Am dritten Tag des Streiks haben sich die Lehrer:innen mit der Bildungsdirektorin getroffen und der Streik wurde vorerst beendet.
Im Juni 2024 hat dann das Bildungskollektiv Kritische Lehrpersonen (KriLp) – unterstützt von anderen Organisationen und Gewerkschaften – zur Bildungsdemo in Zürich aufgerufen. Der Slogan machte deutlich: Die Schule brennt! Die Organisator:innen der Demo forderten kleinere Klassen, den Abbau von Leistungsdruck auf die Schüler:innen und mehr Zeit, um auf deren Bedürfnisse eingehen zu können. Die Mobilisierung und Selbstorganisierung der Lehrpersonen war erfolgreich: Mehrere tausend Menschen haben an der Demonstration teilgenommen.

Trotz der starken Selbstorganisation und Widerstandsbereitschaft des Lehrpersonals sind die Ergebnisse der Proteste häufig hinter den Forderungen zurückgeblieben. Substanzielle Veränderungen im Bildungssektor konnten nicht erreicht werden und der Bildungs- und Sozialabbau schreitet weiter voran. Die Probleme, die Lehrer:innen und Schüler:innen täglich vor sich ausgebreitet sehen, lösen sich nicht auf. Im Gegenteil: Alles spricht für mehr Druck, mehr Erschöpfung, mehr Entsolidarisierung – solange wir es zulassen.
Doch bleibt die Streikbereitschaft der Lehrpersonen ein Lichtblick in der Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse in der Schweiz. Nur durch die entschiedene Selbstorganisation der Lohnabhängigen am Arbeitsplatz und ausserhalb der Arbeitssphäre (im Quartier, im Wohnhaus, im Verein etc.) können wir solidarische Gruppen bilden, die in der Lage sind, kollektiv gegen die sozialen Angriffe vorzugehen.
Selbsthilfebücher und Life-Coaches lösen keine kollektiven Probleme – diese müssen gemeinsam erkannt und bekämpft werden. Neoliberale und konservative Kräfte verteidigen ein System, das wenigen dient. Ihre Versprechen vom «Wohlstand für alle» sind Illusionen, die von den wahren Machtverhältnissen ablenken.
Wir durchschauen die Nebelgranaten aus bürgerlichen Phrasen – und greifen die Wurzel des Problems an: Kapitalismus, der auf Kosten unserer Leben funktioniert. Wir stellen uns mit aller Stärke gegen die Angriffe, bekämpfen jeden sozialen Rückschritt und gleichzeitig den Kapitalismus selbst. Es reicht nicht zu hoffen – wir müssen uns organisieren, vernetzen, streiken. Nicht morgen. Jetzt.
[1] Liste des Bundes mit den aufgeführten Sparmassnahmen kann unter folgendem Link gefunden werden: srf.ch/news/schweiz/bundesfinanzen-bundesrat-will-rund-vier-milliarden-franken-einsparen
[2] bfs.admin.ch/asset/de/31866457 und lch.ch/aktuell/detail/die-berufszufriedenheit-2024-der-deutschschweizer-lehrerinnen-und-lehrer
[3] Studie über die Gerechtigkeit in der Bildung: Becker, Rolf, und Jürg Schoch. 2018. Soziale Selektivität Empfehlungen des Schweizerischen Wissenschaftsrates SWR.