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Das SRF und die Nazis der Jungen Tat: Zwischen Verharmlosung und Both-Siding

Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) begleitet in einer Reportage die rechtsextreme Junge Tat bei ihren Aktivitäten. Wenn es das Ziel war, deren Positionen zu entlarven, ist das gründlich schief gegangen. Wenn ein ehrliches Interesse an ihren Motiven im Vordergrund stand, hat der Journalist seinen Job nicht verstanden und das SRF seinen öffentlichen Auftrag nicht erfüllt. Denn herausgekommen ist ein verharmlosendes Porträt der derzeit aktivsten Neonazigruppe der Schweiz.

von Ben Huber (BFS Basel), Tim Suter und Philipp Schmid (BFS Zürich)

Der absehbare Propagandacoup

Es ist einiges schief gelaufen. Ein halbes Jahr lang recherchierte der SRF-Journalist Samuel Konrad für eine Reportage über die Junge Tat. Herausgekommen ist viel Sendezeit für Rechtsextreme und eine laue Einordnung unter dem Titel: «Die Junge Tat, zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit».

Wenn die Junge Tat eines kann, dann ist es Marketing. Ihre Kader besuchen internationale Schulungen bei rechtsextremen Institutionen wie dem inzwischen aufgelösten Institut für Staatspolitik. Sie sind vernetzt mit Vordenkern der Identitären Bewegung (allen voran mit dem österreichischen Faschisten Martin Sellner) und haben PR-taugliche Ausbildungen. Als Journalist weiss man also, worauf man sich einlässt, wenn man sich mit diesen Leuten trifft. Könnte man meinen.

Stattdessen begleitet Samuel Konrad die Junge Tat auf einer Propagandawanderung – das sanfte Format der Jung-Nazis. Offensichtlich haben sie auch die Bildhoheit: Sie bestimmen, wo gefilmt und mit wem gesprochen werden darf. Als ein weniger erfahrenes Mitglied eine Frage nicht adäquat beantwortet, kommt aus dem Off die Regieanweisung eines Nazi-Kaders, die Szene noch einmal zu drehen. Bei einem ausführlichen Interview am Ende der Reportage baut die Junge Tat sogar ihre eigenen Kameras auf – sie ist sich offensichtlich bewusst, dass hier für sie nützliches Material produziert wird.

Die ungenügende Verurteilung

Im Gespräch mit dem SRF-Journalisten und «Extremismus-Experten» Daniel Glaus wird das Ganze eingeordnet. Er erklärt einige rechtsextreme Codes und erläutert die Entwicklung der Jungen Tat zu ihrem heutigen Auftreten. Sein Fazit: «Eigentlich muss man ihnen zuhören, dann wird klar, was sie wollen». Das macht Konrad dann auch ausführlich und geht so weit, dass er rechtsextreme Social-Media-Videos in voller Länge wiedergibt.

Martino Mona, Strafrechtsprofessor an der Universität Bern, gibt ebenfalls seine Einschätzung ab. Die Ansichten der Jungen Tat seien zwar totalitär, aber als freiheitliche Gesellschaft müsse man das aushalten. «Es ist auch nicht verboten, Remigration zu fordern», so der Rechtsexperte. Das sei zwar unangenehm, aber «das muss man in der Diskussion aushandeln». Die deutlichste Kritik kommt ausgerechnet von einem Mitglied der Jungen SVP (Max Slongo, JSVP Säntis), der die Junge Tat klar als antidemokratische und Hitler verherrlichende Neonazis bezeichnet.

Die rassistischen Phantasien

Die Junge Tat inhaltlich überführen zu wollen, kann nur schief gehen. Es gibt nichts zu entlarven. Der als «Ethnopluralismus» verpackte Rassismus, der sich gegen die «Durchmischung der Kulturkreise» [sic] wendet, sowie der angebliche «grosse Austausch» der christlichen Bevölkerung durch Muslim:innen folgen keiner kohärenten Logik, die man argumentativ widerlegen könnte, sondern sind Verschwörungsideologien.

Ihre Absichten und Pläne, wie die als „Remigration“ getarnten Deportationsphantasien, sind nicht geheim – sie stehen auf Homepages und werden in Interviews breitgetreten. Samuel Konrad war offensichtlich weder inhaltlich noch rhetorisch auf der Höhe, um dem geschulten Nazi-Nachwuchs etwas entgegenzusetzen. Dass er en passant die «linksextreme» Antifa als Teil des Problems sieht (Both-Siding), ist Ausdruck seiner mangelnden politischen Bildung, die nötig wäre, um in der Reportage klare Kante gegen die Faschist:innen zu zeigen.

Der mediale Erfolg

Samuel Konrad ist sich zwar der Gratwanderung bewusst, mit seiner Reportage nur Wasser auf ihre Aufmerksamkeitsmühlen zu giessen, und spricht dies auch an einer Stelle an. Die vielen nicht eingeordneten und unwidersprochenen Passagen erfüllen aber genau den Zweck, den die Junge Tat selbst (auch in der Doku) ankündigt: Ihre faschistischen Inhalte so lange zu wiederholen, bis sie so normalisiert sind, sodass die SVP sie übernehmen kann.

Und genau diesen Steilpass spielt SRF den Rechtsextremen zu. Wenn man bedenkt, welche Rolle die Medien beim Erstarken der extremen Rechten und Rechtspopulist:innen spielen, ist das umso erschreckender. Das Beispiel zeigt, wie die rechte Rhetorik immer weiter in den Bereich des Sagbaren vordringt. Wie sonst kommt das SRF auf die Idee, einen Beitrag über Nazis unter anderem mit dem Wort Meinungsfreiheit zu betiteln?

Der gegenwärtige Erfolg der Rechten ist nicht zu übersehen. Das bekommt auch das SRF zu spüren. Der Service Public und das öffentlich-rechtliche SRF sind den Rechten schon lange ein Dorn im Auge. Das SRF und seine Inhalte seien viel zu links. Die aus rechten und konservativen Ecken forcierten Sparmassnahmen zeigen Wirkung. Neben der etappenweisen Entlassung vieler Journalist:innen werden kleinere, aber dennoch wichtige Formate aus dem Programm gestrichen. Betroffen sind vor allem Kultur- und Wissenschaftssendungen, die junge und queere Menschen ansprechen.

Der wiederholte Fehler

Ausgerechnet in dieser Situation hofiert das SRF die Junge Tat und hat dabei aus seinem Fehler vom letzten Jahr nichts gelernt: Im März 2024 berichtete dasselbe Format «rec.» über einen jungen Mann, der sich karnivor (hauptsächlich von Fleisch) ernährt. Es stellte sich heraus, dass dieser junge Mann namens Simon Corchia der Bruder von Manuel Corchia ist, einem der beiden Gesichter der Jungen Tat. Schon vor einem Jahr hagelte es Kritik, weil auch die höchst problematischen Aussagen Simons unkommentiert im Raum standen. Ob den damaligen Produzent:innen der Reportage bekannt war, dass es sich dabei um den Bruder des Neonazis Manuel Corchia handelt, ist unbekannt und wurde nie aufgeklärt, hätte aber von den Journalist:innen ohne weiteres herausgefunden werden können.

Nun, genau ein Jahr später, bietet das SRF den Neonazis erneut eine Plattform. Die öffentliche Empörung ist dementsprechend gross. Das SRF hilft derweil bei seiner eigenen Abschaffung mit.

Der Mechanismus der Verharmlosung

In der Reportage wird jede halbherzige Kritik des Reporters von den Nazis entweder als Jugendsünde oder als «Meinung» abgetan. Zudem inszenieren sie sich als Opfer: Nichts dürfe mehr kritisiert werden, es gebe keine Meinungsfreiheit mehr. Damit normalisieren sie falsche Tatsachen und verharmlosen Hass, Rassismus, die Verteufelung von Menschenrechten und vieles mehr.

Die Rechtsextremen zielen darauf ab, Zukunftsängste und Unsicherheit zu schüren, um sich dann als Vertreter:innen der Stabilität und des «einfachen Volkes» zu inszenieren. Da ist eine halbe Stunde Sendezeit auf SRF willkommen und hilfreich. Worum es den Rechtsextremen wirklich geht, kann die ganze Welt in den USA, Russland, Ungarn, Italien, Argentinien und anderen Ländern live mitverfolgen. Einmal in die Regierung gewählt, bauen sie demokratische und Menschenrechte Stück für Stück ab, demontieren demokratische Staatsgrundlagen und krempeln die Gesellschaften autoritär und repressiv um.

Das Schweigen der Betroffenen

Dass menschenverachtende und rassistische Positionen in Sendungen eines öffentlich-rechtlichen Medienunternehmens diskutiert werden, ist an sich schon ein Skandal. Über faschistische Positionen gibt es nichts zu diskutieren. Jede Sekunde Öffentlichkeit für solches Gedankengut ist eine zu viel – und bringt die Nazis ihrem Ziel nur näher.

Das Ziel der Berichterstattung ist: verstehen, diskutieren, aufklären. Wenn schon nicht die Nazis, dann wenigstens die Gesellschaft. Die kommt leider nicht zu Wort. Wo ist die Drag Queen, deren Veranstaltung gestört wurde? Wo sind die Menschen von der Pride, die von der Jungen Tat angegriffen wurden? Wo sind die Migrant:innen, die direkt von den faschistischen Deportationsphantasien betroffen sind? Diese Menschen brauchen keine Aufklärung darüber, was die Junge Tat will und «ob man das noch sagen darf» – sondern Selbstorganisation und geeignete Mittel der antifaschistischen Gegenwehr.

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