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Die Linke und die Militanz: Ihr seid „friedlich“, was sind wir?

Bezüglich der Frage nach angewendeten Mitteln und Taktiken der politischen Linken ist seit vielen Jahren eine deutliche Zweiteilung zu beobachten. Während sich viele Organisationen, aber auch ganze soziale Bewegungen konsequent dazu bekennen, sich „friedlich“ zu verhalten, haben sich andere Gruppierungen für ihre Militanz regelrecht eine ideologische Basis geschaffen, die zeigen soll, dass Strassenkampf und militante Aktionen „bewusstseinsbildend“ wirken würden oder „objektiv richtig“ seien. Was bei beiden Positionen und damit grundlegend in der Linken fehlt, ist eine offene und öffentliche Auseinandersetzung über die gewählten Mittel in unseren politischen Kämpfen.

von Matthias Kern (BFS Zürich)

Was heisst schon friedlich?

Seit die Klimabewegung vor über einem Jahr aus dem Boden geschossen ist, gibt es in ihrem Umfeld einige Grundprinzipien, die quasi zu „Dogmen“ erkoren nur selten diskutiert oder hinterfragt werden. Eines davon ist, dass sich die Bewegung als „friedlich“ versteht. „Friedlich“ in einem sehr engen Sinne: Keine Sachbeschädigung, keine Angriffe, keine übermässige Störung. Man ist um breite Akzeptanz bemüht, um Instagramtauglichkeit. Die Demos sind bewilligt und wenn die Polizei etwas sagt, dann wird dem Folge geleistet. Zwar geht’s dem Klima scheisse, aber wo kämen wir hin, so ohne Prinzipien. Und die „Friedlichkeit“ ist eines dieser Prinzipien, das in den letzten Jahrzehnten, im Stadium der Alternativlosigkeit des Kapitalismus – in einer Zeit, in der das Ende der Welt einfacher vorstellbar war wie das Ende des Kapitalismus[1] – zu einer seltsamen Maxime in politischen und sozialen Kämpfen erkoren wurde.

Obwohl fast allen von uns in der Klimabewegung bewusst ist, dass sich fast alles ändern muss, damit wir die sich bereits entwickelnde Klimakatastrophe noch abwenden oder zumindest eindämmen können, fällt uns bezüglich der gewählten Mittel nur wenig ein. Ein bisschen Wahlwerbung – #Klimawahl! – einige „Streiks“, am liebsten auf den Feierabend gelegt, wir möchten ja nicht stören oder dass uns die Leute doof finden, weil wir die Uni, die Arbeit oder die Schule schwänzen. Und dabei gehen wir nicht so vor, wie wir eigentlich sollten. Anstatt zu schauen, was wir unbedingt erreichen müssen und uns dann die entsprechend drastischen Mittel anzueignen, schauen wir was „möglich“, „erlaubt“ und scheinbar „gutgeheissen“ wird. Gutgeheissen und erlaubt von einem System (oder einer Gesellschaft), die halt dann doch lieber den SUV kauft, die nun nicht mehr nur Avocados sondern auch den Black Friday importiert hat und die zwar weiss, dass es so nicht weitergehen kann, aber doch alles macht wie bisher.

Der CO2-Ausstoss sinkt nicht einmal annähernd so, wie er das eigentlich müsste und die Ausreden und Schönfärbereien diesbezüglich klingen dermassen an den Haaren herbeigezogen, dass nicht mal die verantwortlichen Personen daran glauben dürften. Und in dieser Situation wird uns nun gesagt, wir sollten uns schön an die Regeln halten. Regeln, die offensichtlich nicht funktionieren. Und wir als Bewegung nicken mit dem Kopf. Friedlich sollen wir sein, ja wollen wir sein, in einer Situation, in der uns gerade die Zukunft geraubt wird! In einer Welt, in der allen bewusst sein sollte, dass die aufgrund der Klimaerwärmung drohenden Kriege und Migrationsbewegungen und Umweltkatastrophen zu einem Ausmass an Gewalt und Zerstörung führen werden, in dessen Vergleich sich die aktuellen Bilder aus Hurrikangebieten wohl eher anfühlen, als sei dort ein kleines Sommerwindchen durchgezogen.

Und in dieser Situation sollen wir friedlich sein? In dieser Situation also sind rote Fingerabdrücke an der Fassade einer Schweizer Grossbank „Gewalt“, während dieselbe Bank gerade auf Kosten unserer Zukunft Milliardengewinne einfährt und deren Manager dabei selig lächelnd auf die Freiheit des Marktes verweisen? Sind es tatsächlich die 200 Klimastreikenden, die in Madrid am COP25 die Bühne besetzt hatten, die „psychologische Gewalt“ angewendet hatten? Sind es nicht vielmehr die hunderten Vertreter*innen der Staaten und der Öllobby, die so wenig gegen die drohende Katastrophe zu unternehmen bereit sind, dass mittlerweile sicher ist, dass an den Folgen Millionen sterben werden?

Rote Handabdrücke an einer UBS-Scheibe

Es wäre nur noch so gerecht, nur noch so richtig, wenn wir endlich unsere Wut, Trauer, Ohnmacht zur Geltung kommen liessen. Wenn wir bei den riesigen Autos die Luft aus den Reifen lassen, einfach mal die Stadt ein Wochenende vom Autoverkehr freihalten, die Unternehmen, welche sich an den dreckigsten Aktivitäten beteiligen, nicht nur benennen, sondern ihre Geschäfte blockieren. Mit jedem Kohlekraftwerk, das wir für ein paar Stunden blockieren, verhindern wir mehr CO2-Ausstoss, als wir über unsere Konsumgewohnheiten jemals einsparen könnten. Wir sollten also unbequem sein, blockieren, stören, nerven, wütend machen. Es geht um alles, friedlicher wird es nicht. Schon gar nicht, wenn wir nichts tun.

Die Militanz als Fetisch

Im Französischen gibt es für politisch aktive, in sozialen Bewegungen und auf den Strassen präsente Aktivist*innen den Begriff der „militantes“, der Aktivismus ist „le militantisme“. Eigentlich ein schöner Begriff, der nur in der deutschen Sprache so nicht wirklich eine Entsprechung hat. Wenn auf deutsch von „Militanz“ oder von „militanten Aktivisten“ gesprochen wird, bezieht sich das im Rahmen des politischen Aktivismus auf sehr spezifische Formen. Gemeint sind Gruppen und Bewegungen, die sich explizit zu Gewalt als Mittel der politischen Äusserung bekennen. Von bürgerlichen Medien gerne als „schwarzer Block“ bezeichnet, stehen dahinter wiederum heterogene Gruppierungen und unterschiedliche ideologische und theoretische Fundamente. Gemeinsamkeit ist aber, dass Gewaltanwendung nicht nur als legitim, sondern oftmals als notwendige politische Aktionsform verstanden wird, da sie per se etwas Revolutionäres oder „(System-)Bruchartiges“ an sich habe und die es deshalb möglichst oft zu propagieren gelte.[2]

Wie „vermittelbar“ eine Gewaltanwendung oder ein bewusst begangener Gesetzesverstoss ist, wird von den in der Schweiz traditionell militant auftretenden Kräften kaum mehr debattiert. Wahrscheinlich als Konsequenz des massiven Niedergangs der organisierten Arbeiter*innenbewegung, ist weder diese noch die „Arbeiter*innenklasse“ als Ganzes im Blickfeld, wenn es um Aktionen, Demonstrationen und Militanz geht. Es scheint mittlerweile komplett egal, was die lohnabhängige Bevölkerung denkt, oder wie sie sich zu linksradikalen Projekten positioniert. Ja, mittlerweile scheint es nicht einmal mehr eine Rolle zu spielen, wie die Präferenzen und Ansichten innerhalb einer sozialen Bewegung selbst gelagert sind. Wichtig erscheint, was die teilweise mit dem Begriff der Politischen Widerstandsbewegung gefasste linke Szene für richtig und notwendig hält. Zentral scheint die Einheit der sich selbst so bezeichnenden „Revolutionär*innen“, und nicht mehr die Einheit der Arbeiter*innenklasse oder der Subalternen.

Sogar wenn von 1´500 Personen, die gemeinsam auf die Strasse gehen, schlussendlich zwei Drittel militante Angriffe und brennende Barrikaden ablehnen (würden), fände sich ganz bestimmt irgendein „objektiver“ Grund, eine nicht von der Hand zu weisende Wichtigkeit, trotzdem zu diesen Mitteln des politischen Protests zu greifen und so werden diese Handlungen immer wieder gegen jedwede Kritik verteidigt. Statt Debatte bleiben unumstössliche Grundsätze und Prinzipien. Statt einer Auswertung der Aussenwirkung und der Resultate von Strassenkämpfen bleiben die repetierte Notwendigkeit militanter Aktionen und zum Sieg erhobene kurzfristigen Raumgewinne.

Zur Vermittelbarkeit unserer Mittel

Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass wir auf jegliche Mittel, die störend sind und die unter Umständen als „gewalttätig“ bezeichnet werden könnten, verzichten müssen. Nur: Wir müssen erklären, was wir tun. Und wir müssen es begründen. Wir müssen aufzeigen, dass unser körperlicher Einsatz, unsere Blockade, unsere Besetzung notwendig ist, um Schlimmeres zu verhindern. Damit werden wir nie alle erreichen. Und wir werden auch nicht verhindern können, dass Kritik kommt. Aber wir müssen uns der Kritik stellen und Antworten finden. Es kann auch sein, dass wir nicht oder noch nicht eine Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite haben. Das darf uns dann allerdings nicht egal sein und wir müssen dafür kämpfen, diese Mehrheit zu gewinnen – ohne inhaltlich oder in der Konsequenz unserer politischen Forderungen Abstriche zu machen.

Gerade in der Klimabewegung sind die Voraussetzungen dafür nicht schlecht. Unser Problem – die drohende Klimakatastrophe – und unser Kampf dagegen sind von grösster Relevanz. Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass Fehler und Untätigkeiten, die heute begangen werden, zu unumkehrbaren Resultaten führen werden. Alleine das rechtfertigt so einige Mittel. Und diese Mittel sind dann vermittelbar: Wir haben die Wissenschaft auf unserer Seite, wir haben das offensichtliche Versagen der bürgerlichen Politik und wir haben die unmittelbare Bedrohung unserer Leben und derer unserer Kinder. Das reicht, um seine Taten, Blockaden, Besetzungen, Störungen und eventuell auch Sachbeschädigungen zu erklären.

Wir können uns der Gewalt nicht entziehen

Denn schlussendlich ist Gewalt auch in einer Gesellschaft, die sich für im weiteren Sinne „demokratisch“ hält, nichts Abwesendes. Gewalt ist sogar allgegenwärtig. Wir sehen das in der Klimakrise. Untätigkeit kann Gewalt sein, dann nämlich, wenn sie dazu führt, dass Millionen sterben werden. Aber auch der extreme Druck, den der Kapitalismus erzeugt, führt zu Gewalt. In Deutschland sassen bis vor kurzem beispielsweise ungefähr 7‘000 Menschen pro Jahr im Knast, weil sie ohne gültiges Ticket im öffentlichen Verkehr gefahren sind und die Bussen nicht bezahlen konnten. Und wer schon ein paar Mal auf Demonstrationen oder ähnlichen Veranstaltungen war, weiss, dass auch das Einstehen für eine Meinung sehr schnell in körperlicher Gewalt gegen einen selbst münden kann – ausgeführt von denjenigen, die der Staat dazu abstellt: der Polizei.[3]

Was wir auf der Strasse an Demonstrationen, Gegendemonstrationen und Blockaden sehen, ist immer nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Soziale Bewegungen manifestieren sich auf den Strassen, gehen aber im besten Fall weit darüber hinaus. Und wir alle leben in einer Welt, in der wir uns den vielfältigen Formen von Gewalt nicht entziehen können. Da drin nun auf jegliche Form des Protests, die als „Gewalt“ ausgelegt werden könnte, zu verzichten, beraubt uns unserer Handlungsfähigkeit. Gewalt und Militanz zur zentralen Maxime zu erheben, lässt uns zu elitären Zirkeln verkommen, die scheinbar wissen, was für die Welt am besten ist und dies dann ohne Rücksicht durchzudrücken versuchen. Wir sollten stattdessen versuchen, in sozialen Bewegungen und als Teil der lohnabhängigen Bevölkerung offen und immer wieder von Neuem zu debattieren, welche politischen Ausdrucksformen sinnvoll und notwendig sein könnten.


[1] Dieser Satz geht auf Mark Fisher zurück.

[2] Rosa Luxemburg meinte 1906 in einer Schrift über Massenstreiks und die politische Strategie der Revolutionär*innen einmal, dass es unmöglich sei auf voluntaristische Art und Weise „Revolution“ zu propagieren: «„Revolution“ wie „Massenstreik“ sind Begriffe, die selbst bloß eine äußere Form des Klassenkampfes bedeuten, die nur im Zusammenhang mit ganz bestimmten politischen Situationen Sinn und Inhalt haben.» Anschliessend betonte sie, dass es absurd wäre, wenn die politischen Agitatoren mit der Idee des Massenstreiks bei den Arbeiter*innen hausieren gehen würden. «[…] das wäre eine ebenso müßige, aber auch ebenso öde und abgeschmackte Beschäftigung, wie wenn jemand die Idee der Revolution oder des Barrikadenkampfes zum Gegenstand einer besonderen Agitation machen wollte.» [Rosa Luxemburg: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, 1906]

[3] Zur Zeit erleben wir die polizeiliche Repression am Beispiel der Ereignisse rund um den selbsternannten «Marsch fürs Läbe» in Zürich. Hunderte Personen werden Strafbefehle erhalten, dutzende weitere wurden von der Polizei einvernommen. Hintergründe: https://www.woz.ch/2008/marsch-fuers-laebe/post-von-der-staatsanwaltschaft

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