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Antiimperialismus aus der Sicht der Peripherie

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die Nachwirkungen des Arabischen Frühlings im Nahen Osten zeigen trotz der vielen Unterschiede zwei zentrale Gemeinsamkeiten: So steht der Nahe Osten in einem postkolonialen Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnis zu den ehemaligen Kolonialmächten im Westen. Auch die Ukraine war seit dem 17. Jahrhundert Gegenstand des russischen Imperialismus und Kolonialismus – durch das zaristische Russland wie durch die Sowjetunion. Trotz dem Zerfall der Sowjetunion und Etablierung als eigenständige Nation stand die Ukraine weiterhin im Einflussbereich Russlands. Beide Regionen haben also Dekolonisationskämpfe auszufechten. Doch das Blockdenken treibt die campistische Linke dazu, innerhalb dekolonisierender Gesellschaften reaktionäre und autoritäre Bewegungen oder Regierungen zu unterstützen, solange sich diese nur gegen den Westen richten. Schattenseite dieser einseitigen Unterstützung der Feinde des Westens ist die Disqualifizierung lokaler Klassenkämpfe und Demokratiebewegungen sowie die Unterstützung der nicht-westlichen Autokratien und Imperialismen.  (Red.)

von Joey Ayoub, Dana El Kurd, Leila Al-Shami, Romeo Kokriatski; aus south/ south dialogues

„Antiimperialismus der Idiot:innen“ 

Im April 2018 fanden überall in der westlichen Welt Proteste gegen den „Krieg gegen Syrien“ statt. Der Widerstand gegen diesen Krieg vereinte Gruppen sowohl von der radikalsten Linken des politischen Spektrums als auch von der extremen Rechten. Doch dieser Krieg, der die Menschen im Westen so empörte, war nicht der genozidale Krieg, den der syrische Präsident Bashar Al Assad seit Jahren gegen die syrischen Bevölkerungen geführt hatte. Stattdessen richteten sich die Proteste gegen gezielte Luftangriffe auf die militärischen Kapazitäten des Regimes, das gerade einen chemischen Angriff und ein Massaker in den Vororten von Damaskus verübt hatte.

Warum waren Menschen aus der politischen Linken, die sich selbst als „Antiimperialist:innen“ verstanden, so bereit, sich zu mobilisieren, um begrenzte Militäraktionen westlicher Staaten gegen Assads militärische Einrichtungen und Anlagen zur Herstellung chemischer Waffen zu vereitelten, während sie sich aber gegen die Aktionen des syrischen Regimes selbst oder seiner russischen und iranischen Verbündeten nie mobilisierten? Und das, obwohl wiederholt nachgewiesen wurde, dass diese Akteure für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind. Die gleichen Stimmen waren es auch, die es versäumt hatten, eine revolutionäre Bewegung in Syrien zu unterstützen, die Demokratie forderte. War dieser Pseudo-Antiimperialismus etwa ein „Antiimperialismus der Idiot:innen“ (Al-Shami 2018)? Seitdem hat sich dieses Szenario in so unterschiedlichen Kontexten wie Hongkong und der Ukraine wiederholt ereignet, was die Annahme nahelegt, dass es kein Einzelfall ist, dass die Linke es versäumt, sich auf die Seite der revolutionären Bewegungen und diejenige der von der Vernichtung bedrohten Zivilbevölkerung zu stellen, um stattdessen autoritäre Regime und nicht-westliche Imperialismen zu unterstützen. Tatsächlich ist dies ein Hauptmerkmal der Praxis der heutigen „antiimperialistischen“ Linken.

Wir stellen eine zentrale Frage: Wie können wir unterdrückte Bevölkerungen unterstützen – selbst wenn wir uns dabei mit unserer eigenen Unterdrückung auseinandersetzen –, während wir gleichzeitig Raum für Kritik an geopolitischen Dynamiken und hegemonialen Mächten lassen, die unsere Kämpfe instrumentalisieren? Wir hoffen, dass die in diesem Beitrag dargestellten Perspektiven unterstreichen, dass es möglich ist, beides zu tun. Es ist möglich, den Bevölkerungen vor Ort zuzuhören und sich mit ihnen zu solidarisieren, auch wenn ihre unmittelbare Lebenswirklichkeit mit geopolitischen Plänen und Vorstellungen kollidiert. Und es ist auch möglich und entscheidend, gleichzeitig gegenüber übergeordneten geopolitischen Dynamiken wachsam zu bleiben. Die Perspektiven auf Syrien und die Ukraine verdeutlichen die vielen Widersprüche des sogenannten Antiimperialismus der Linken im Globalen Norden, während die Perspektiven auf Palästina und den Libanon auf dieser Einschätzung aufbauen, um zu zeigen, wie wichtig die Solidarität unter den unterdrückten Bevölkerungsgruppen ist – sowohl um den Antiimperialismus der Idiot:innen zu bekämpfen, als auch um eine fortschrittliche Bewegung zu entwickeln, die besser geeignet ist, die ungewisse Zukunft zu meistern, die uns allen bevorsteht.

Syrien

Einseitiger Antiimperialismus

Da die antiimperialistische Linke mit reduktionistischen Binaritäten arbeitet, die aus dem Kalten Krieg stammen, teilt sie die Welt oft in zwei kriegerische geopolitische Blöcke, oder „gute“ und „böse“ Staaten ein. Diese Weltsicht, die oft als „Lagerdenken“ oder „Campismus“ bezeichnet wird, sieht das „imperialistische Lager“ durch die Vereinigten Staaten, Europa und Israel vertreten und das „antiimperialistische Lager“ durch Russland, China, Iran, Syrien, Nordkorea, Venezuela und andere. Das letztere Lager wird immer unterstützt, unabhängig vom autoritären Charakter seiner Regime oder dem Ausmass der Menschenrechtsverletzungen, die sie begehen. Jeder, der sich rhetorisch gegen das imperialistische Lager stellt, wird als Verbündete:r angesehen. Daher reicht es oft aus, wenn eine Sache von den USA rhetorisch „unterstützt“ wird, um sie in den Augen der Campst:innen umgehend zu diskreditieren. In diesem Rahmen haben es viele versäumt, die Volksrevolution zu unterstützen, die 2011 in Syrien stattfand, und sich stattdessen hinter den syrischen Diktator gestellt, der fälschlicherweise als Widerstand gegen einen von den USA eingefädelten Regimewechsel dargestellt wurde. Die antiimperialistische Linke nahm die Behauptungen des syrischen Regimes, dass es eine der letzten Bastionen des Widerstands gegen die westliche und israelische Hegemonie sei, unbesehen für bare Münze.

Diese „antiimperialistische“ Linke lehnt den Klassenkampf oder den sozialen Konflikt ab, der sich innerhalb von Staaten abspielt, um den Konflikt zwischen Staaten zu favorisieren. Das erinnert an das Konzept der „proletarischen Nation“, das von den Faschist:innen im frühen zwanzigsten Jahrhundert vertreten wurde, wonach die Welt in unterdrückte und unterdrückende Nationen eingeteilt wurde. Die Weltgeschehnisse ausschliesslich durch diese geopolitische Brille zu betrachten, bedeutet, dass die autoritäre Linke keine Skrupel hat, einen Staat gegenüber einem anderen in einem zwischenimperialistischen Konflikt (ob nun real oder imaginiert) zu unterstützen. Anstatt eine revolutionäre soziale Umgestaltung anzustreben, ist dies ein Abgleiten in den von Faschist:innen wie [dem esoterisch-rechtsextremen russischen Philosophen] Aleksander Dugin befürworteten „Multipolarismus“, bei dem die westliche Hegemonie am besten durch das Aufkommen anderer globaler Machtachsen in Frage gestellt wird. Indem sie die internationalistische Solidarität aufgeben, löschen sie die Stimmen vor Ort, und den einfachen Menschen wird jegliche Handlungsfähigkeit abgesprochen. Es wird kein Versuch unternommen, den lokalen Kontext, die Geschichte, Politik oder Wirtschaft zu verstehen. Dadurch wird ein epistemologischer Imperialismus etabliert, bei dem die Weissen im imperialen Kern das Narrativ für den gesamten Globus bestimmen [‚epistemologischer Imperialismus‘ meint keinen eigentlichen Imperialismus im Sinne territorialer oder machtpolitischer Expansion. Es geht um die willkürliche oder eigenmächtige Aneignung sozialer Konflikte oder Kämpfe aus bestimmten sozio-historischen Kontexten durch Menschen, die ausserhalb dieser Konflikte stehen, ohne dabei die historischen Kontexte und Bedingungen zu berücksichtigen, in denen diese Kämpfe und Konflikte angesiedelt sind. Im Wesentlichen geht es darum, dass sich Campist:innen die geopolitischen Fronten als Ausgangspunkt rosinenpicken, um ihre eigenen Auffassungen zu unterfüttern; Anm. d. Red.]. Doch unter diesen Voraussetzungen ist Syrien lediglich ein Schlachtfeld, auf das Pseudo-Antiimperialist:innen ihre eigene Ideologie und ihre politischen Kämpfe projizieren.

Russland und Syrien als Bollwerk gegen den Imperialismus – Demokratiebewegungen als Agent:innen des westlichen Imperialismus 

Da die „antiimperialistische“ Linke es versäumt hat, auf jeden Imperialismus nicht-westlichen Ursprungs zu reagieren, ist sie gegenüber dem russischen und iranischen Imperialismus machtlos, die nach wie vor die grösste Bedrohung für die syrische Selbstbestimmung darstellen. Russland und der Iran haben Assad in bedeutendem Masse diplomatisch und finanziell unterstützt. Beide Länder griffen militärisch ein, um das Regime zu retten, als es kurz vor dem Zusammenbruch stand, und halfen dabei, die demokratische Opposition zu zerschlagen. Assads derzeitige Macht wird durch die anhaltende militärische Präsenz Russlands und Irans im Land aufrechterhalten. Russland wurde für seine Unterstützung mit lukrativen Verträgen zur Gas- und Ölförderung belohnt. Dem russischen Unternehmen Stroitransgas, das sich im Besitz eines mit dem Kreml verbundenen Oligarchen befindet, wurden beispielsweise 70 Prozent der Einnahmen aus der Phosphatförderung für fünfzig Jahre zugesichert. Währenddessen kauft der Iran die Immobilien Syriens auf und bevölkert Städte mit den Familien der vom Iran unterstützten schiitischen Milizen (Al-Shami 2021). Früher waren das die Häuser sunnitischer Oppositionsgemeinschaften, die der Iran gewaltsam vertrieben hat, wodurch sich die Demografie entlang konfessioneller Linien verändert hat, um sicherzustellen, dass Assad eine loyale Wähler:innenschaft hat und die Geflüchteten niemals zurückkehren können.

Dabei trifft es durchaus zu, dass das militärische Eingreifen westlicher Staaten in Syrien primär im Kontext des Krieges gegen den Terror erfolgt ist, um ISIS zu vertreiben, und nicht gegen Assad. Die Luftangriffe der Koalition zerstörten die Stadt Raqqa, die de facto-Hauptstadt von ISIS, vollständig und forderten viele zivile Opfer. Doch diese Intervention wurde von der „antiimperialistischen“ Linken ignoriert; das Leben von Zivilist:innen ist entbehrlich, während die militärischen Kapazitäten des Assad-Regimes es nicht sind.

Pseudo-Antiimperialist:innen beteiligten sich an der Verbreitung von Desinformationen, um die syrische Opposition zu diskreditieren und die Narrative des Regimes/ Russlands zu unterstützen. Durch die Übernahme des „Krieg-gegen-Terror“-Diskurses diffamierten sie jede Opposition gegen Assad als islamistische Extremist:innen oder vom Ausland unterstützte Agent:innen, die eine westliche Intervention befürworten. Massaker wurden als „inszeniert“ abgetan, und die Opfer wurden als “ Krisendarsteller:innen“ [im Engl. crisis actors] beschuldigt. Jegliche militärische oder sogar nicht-militärische Hilfe für die Opposition wurde abgelehnt, was diese daran hinderte, ihre Communities vor der Auslöschung zu schützen. Forderungen danach, die Verantwortlichen des Regimes durch Sanktionen oder rechtliche Mittel für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, wurden ebenso abgelehnt wie Forderungen nach der Einrichtung einer „Flugverbotszone“, um Zivilist:innen vor Angriffen aus der Luft zu schützen. Die Ablehnung jeglicher Intervention zur Verhinderung von Völkermord und Kriegsverbrechen unter dem Deckmantel des „Antiimperialismus“ hat den Begriff seiner Bedeutung beraubt und die Diskussion darüber erstickt, ob eine Intervention aus humanitären Gründen überhaupt gerechtfertigt werden kann oder unter welchen Bedingungen. Indem sie das Narrativ des Regimes und seiner Unterstützer:innen unterstützen, während sie diejenigen diskreditieren, die versuchen, sich sowohl dem inländischen Faschismus als auch dem ausländischen Imperialismus im syrischen Kontext entgegenzustellen, haben diese Pseudo-Antiimperialist:innen den Vormarsch des Imperialismus und Faschismus auf der ganzen Welt erleichtert [der Begriff des Faschismus wird hier ungenau gebraucht, wir empfehlen stattdessen von diktatorischer Regierung und autoritär-reaktionären Bewegungen zu sprechen; Anm. d. Red.].

Ukraine

Als jüngster Neuzugang in der Gemeinschaft der dekolonisierenden Nationen wurde die Ukraine mit den üblichen Einwänden gegen ihre Existenz konfrontiert – mit campistischer Rhetorik, revisionistischer (oder propagandistischer) Geschichtserzählung, rassistischen Stereotypen und der Negierung ihrer Eigenständigkeit [im Engl. agency]. Viele dieser Einwände stammen aus einer unausgereiften – oder unverhohlen manipulativen – Sichtweise über Zentrum und Peripherie [Das Zentrum-Peripherie-Modell unterscheidet im internationalen Kontext zwischen fortgeschritten kapitalistischen Volkswirtschaften als Zentrum und weniger entwickelte Volkswirtschaften als deren Peripherie, wobei die Interdependenz die Entfaltung des Zentrums begünstigt und die Entwicklung der Peripherie hemmt; Anm. d. Red.], die die komplizierte und komplexe Natur der geopolitischen Verhältnisse auf dem Planeten in leicht zu unterscheidende Binärbilder von weiss und schwarz re-organisiert, in „gut“ gegen „böse“ einteilt oder in unterstützungswürdig gegen „CIA-Spitzel“ einteilt.

Opfer- und Täterumkehr durch Diffamierung 

Auch wenn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 diese Aspekte nun in den Vordergrund des globalen Diskurses über die Ukraine gerückt hat, kristallisierten sie sich erstmalig schon während des Maidan-Aufstandes im Jahr 2014 heraus, als das (inzwischen bekannte) imperiale Narrativ von der Ukraine als „Nazi“-Staat an Bedeutung gewann. Doch wie konnte diese relativ unscheinbare osteuropäische Nation eigentlich einen Namen erhalten, den andere, nach aussen hin tatsächlich faschistische Nationen selbst lieber vermeiden – und warum hat sich dieser Mythos gehalten? 

Die Antwort liegt in der imperialen Perspektive auf die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Imperialist:innen – und damit meinen wir nicht nur die Kriegstreiber:innen, die sich bei dem Gedanken an territoriale Eroberungen berauschen, sondern auch die sogenannte „antiimperialistische“ Opposition in den westlichen Ländern – teilen eine Solidarität, die über politische Streitigkeiten und Klassenunterschiede hinweggeht, aber nur, wenn es eine „kleinere Nation“ zu unterdrücken gibt. Tatsächlich passt der offene Imperialismus der russischen Elite hervorragend zur Ablehnung der als modernen reaktionären Wert verstandenen „politischen Korrektheit“ [bzw. „Wokeness“; Anm. d. Red.], die sich angeblich in den populären „linken“ Medien verbreitet hat. 

Indem die Ukraine als „Nazi“-Staat bezeichnet wird, zwingen Imperialist:innen und diejenigen, die behaupten, gegen das Imperium zu sein, einer kolonisierten Bevölkerung eine propagandistische Version der Realität auf. Diese Taktik, die zweifelsohne auch anderen peripheren Bevölkerungen vertraut ist, wird von den Imperialist:innen genutzt, um ihren Opfern die Unterstützung zu entziehen und ihnen den Zugang zu Sympathie und Solidarität im imperialen Zentrum [hier der Westen]  zu verwehren.

Das reflexartige Lagerdenken derjenigen, die von sich behaupten, „antiimperialistische Werte“ zu vertreten, untergräbt aber tatsächlich ihre erklärten Werte und fügt sich perfekt in den gesellschaftlichen Mythos ihrer vermeintlichen imperialistischen Rivalen [Westen] ein: der Mythos eines Kampfes „grosser“ Zivilisationen, die darum kämpfen, ihr eigenes Erbe und ihre eigene Kultur gegen „fremde“ Einflüsse zu sichern.

Am 1. April 2022 prangerten Demonstrant:innen in Binnisch (syrische Provinz Idlib) Russland als imperialistische Krake an. (Omar Haj Kadour/AFP)

Kein Kampf um die eigene Unabhängigkeit, nur Vasall des Imperialismus 

Dieser „Antiimperialismus der Idiot:innen“ hat zu einer synkretistischen Ideologie [Vermischung verschiedenartiger bis entgegengesetzter Vorstellungen; Anm. d. Red.] geführt, die sowohl von den Akteur:innen der imperialen Staaten als auch von den sogenannten „Antiimperialist:innen“ propagiert wird: der Ideologie der „multipolaren Welt“. Die unmittelbare Konsequenz einer multipolaren Welt bedeutet aber lediglich, dass es eine Vielzahl imperialer Zentren anstelle eines einzigen gäbe, und würde nichts an der grundsätzlichen Natur der geopolitischen Beziehungen ändern, die von der Ausbeutung der Peripherie durch das Zentrum geprägt sind. 

Im Fall der Ukraine wird dies auch rasch ersichtlich. Kritiker:innen der militärischen Unterstützung des Westens für die Ukraine und auch die russische Propaganda selbst haben die Ukraine oft als „Stellvertreter“- oder „Marionetten“-Staat des US-Imperialismus bezeichnet und dabei sowohl die Tatsache, dass der Westens nach 2014 zunächst gezögert hatte die Ukraine zu unterstützen, als auch die Folgen dieser fehlenden Unterstützung ignoriert. Wie Syrer:innen und andere seit langem wissen, hat die Diffamierung, als „US-Marionette“ den Diskurs über die grundlegende Natur dieser Konflikte in Bahnen gelenkt, die für die Einordnung des Konfliktes nicht zentral sind und von geopolitischen Interessen für die beteiligten Staaten besessen sind, anstatt von dem Leid, das die Menschen in diesen Staaten erfahren.

In seiner Rede vom September 2022 setzte der russische Diktator Wladimir Putin mit seinen Verweisen auf den angeblich antiimperialen und dekolonialen Charakter Russlands den „Antiimperialismus der Idiot:innen“ auch gleich in die Praxis um. Dies war ein Versuch, die Unterstützung anderer peripherer Nationen und der „Antiimperialist:innen“ des imperialen Zentrums für sich zu gewinnen, um so das antiimperiale Argument der Ukraine als Teil ihrer Verteidigung gegen die anhaltende russische imperiale Aggression zu entkräften. Russland – nach allen Kriterien ein reaktionärer, ethnisch-chauvinistischer Staat – versucht auf diese Weise, rechte und linke politische Strömungen zu „vereinen“.

Diese Verbindung ist nicht nur ideologisch und moralisch inkohärent, sondern breitet sich auch gleichzeitig mit ähnlichen Bewegungen aus, die im imperialen Zentrum an Zugkraft gewinnen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo Bewegungen wie der „MAGA-Kommunismus“[1], die „Dirtbag Left“[2] und der „patriotische Sozialismus“[3] vor allem auf der Grundlage so einer angestrebten Links-Rechts-Synthese an Fahrt gewonnen haben. Dies erschwert die internationalen Solidaritätsbemühungen immens, da Versuche, die Aufmerksamkeit auf den antiimperialen und dekolonialen Kampf der Ukraine zu lenken, stattdessen die Kritik auf sich ziehen, den US-Imperialismus zu unterstützen, und das russische Narrativ von der [historischen und kulturellen] Künstlichkeit der Ukraine weiter zementieren, anstatt Ausdruck der Eigenständigkeit [im Engl. agency] der ukrainischen Bevölkerung zu sein.

Antiimperialismus kann nur aus der Perspektive der betroffenen Bevölkerungen an der Basis der Gesellschaft gedacht werden

Diesen „Antiimperialismus der Idiot:innen“ zu bekämpfen, ist für die Ukraine und andere peripherisierten Nationen, die von imperialen Mächten bedrängt werden, nicht nur eine intellektuelle Übung. Ihn zu bekämpfen, ist buchstäblich eine Frage von Leben und Tod. Es ist jedoch unmöglich, den Keim der Wahrheit in dieser ansonsten moralisch bankrotten Idee zu leugnen: Die Unterstützung der Ukraine und im weiteren Sinne auch anderer antiimperialer Bewegungen stärkt die globale Position der Vereinigten Staaten, indem sie die kulturelle und militärische Hegemonie des Imperiums auf Kosten der konkurrierenden imperialen Kerne stärkt.

Dem Imperialismus in einer wirklich antiimperialistischen Weise zu begegnen, setzt angesichts dieser Schwierigkeiten zunächst einmal Ehrlichkeit voraus. So muss sich der Antiimperialismus zunächst mit der materiellen Welt auseinandersetzen – einer Welt, in der Imperien existieren, und die Schwächung eines Imperiums oft ein anderes stärkt, ob beabsichtigt oder nicht. Indem man ehrlich über die Konsequenzen antiimperialistischer Aktionen spricht, können Antiimperialist:innen die gängigen Abwehrmechanismen des „Antiimperialismus der Idiot:innen“ entkräften und sich für ein tieferes und differenzierteres Verständnis dessen einsetzen, was wirklich notwendig ist: internationale Solidarität für alle unterdrückten Bevölkerungen, ohne sich um die geopolitischen „grossen Spiele“ zu kümmern, die die Grundlage dafür geschaffen haben.

Palästina 

Palästina ist ein beliebtes Thema bei selbsternannten Antiimperialist:innen im globalen Norden. Palästinensische Symbole sind angesagt, und die täglichen Übertretungen der israelischen Besatzungstruppen bieten nützliche Gesprächsthemen. Für diese antiimperialistische Linke ist Palästina ein sehr deutliches und eklatantes Beispiel für die anhaltenden Auswirkungen des amerikanischen Imperialismus. Und das ist auch gerechtfertigt angesichts der historischen Unterstützung der USA für das israelische Staatsprojekt.

Auch die Palästinenser:innen selbst sehen ihren Kampf auf diese Weise – als ein Schlachtfeld im grösseren Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus. Umfragen zeigen, dass die Palästinenser:innen die USA als die grösste Bedrohung für die Region ansehen, mehr noch als ihren eigenen Besatzer (El Kurd 2022). Die Geschichte der Palästinenser:innen ist in den internationalistischen Bewegungen der „Dritten Welt“ auch eine Sache des Stolzes, und auf die Position, die Palästina in den 1960er und 1970er Jahren einnahm, blickt man oft mit einem Gefühl der Nostalgie und Romantisierung zurück.

Während der Rest der Region, und generell der Globale Süden, in der Auseinandersetzung mit dem Einfluss anderer imperialistischer Mächte auch auf grüne Zweige kommt, so bleibt ein bedeutender Teil der Palästinenser:innen in einer Zeit und geopolitischen Realität stecken, die längst vergangen ist. Insbesondere die palästinensische Linke, vor allem die in der Diaspora (ausserhalb des historischen Palästina), wird von denjenigen dominiert, die nach wie vor von jeder politischen Macht begeistert sind, die sich den USA entgegenstellt. Somit ist ihr Verständnis von „Antiimperialismus“ kurzsichtig geworden.

Woher kommt das Blockdenken im palästinensischen Widerstand?

Für einige rührt ihr Campismus von Pragmatismus her. Sie glauben nicht, dass Russland/China/Iran strahlende Leuchttürme einer aufgeklärten und unabhängigen Welt sind. Ihre Unterstützung für diese Akteure beruht vielmehr darauf, dass sie alles tun, was für die Palästinenser:innen vorteilhaft erscheint. Darüber hinaus lässt diese Sichtweise keinen Raum für eine langfristige Vision, die Palästina mit den nach Gerechtigkeit und Würde strebenden Menschen in der ganzen Welt verbindet. Dieser Pragmatismus wurzelt allem voran in der Selbsterhaltung, aber auch in der Vorstellung, dass der palästinensische Kampf alles andere übertrumpft – was auch immer andere Bevölkerungen und Bewegungen im Kampf für Gerechtigkeit betrifft. Dies war die ausdrückliche Begründung dafür, warum palästinensische politische Parteien der „Linken“ und „Rechten“ die Entscheidung der Hamas unterstützten, die Beziehungen zum syrischen Regime zu normalisieren (Ibrahim 2022). Dies ist wohl für Palästinenser:innen verständlich, die derzeit mit der existenziellen Bedrohung durch die Vernichtung des historischen Palästina konfrontiert sind, aber dafür umso weniger für diejenigen, die sich in einer privilegierteren Position befinden, insbesondere im globalen Norden.

Andere wiederum haben ein solches Verständnis von Antiimperialismus aus der Überzeugung von der Radikalität Russlands/Chinas/Irans. Arabische Regime haben schon immer Propaganda betrieben, aber heute wird die Medienlandschaft zunehmend von immer raffinierterer Desinformation durchdrungen. Diese Bemühungen kommen insbesondere von Russland und seinen Verbündeten und sind nicht spezifisch für die palästinensischen Medien (Gelbart 2023). Aber in Verbindung mit der Tatsache, dass bestimmte westliche linke Stimmen in ihrem campistischen Antiimperialismus unbeirrt geblieben sind und zunehmend die sozialen Medien dominieren, hat dies die Zahl der „wahren Gläubigen“ weiter erhöht. Und das Scheitern der Aufstände des Arabischen Frühlings und die weitere Verschlechterung des demokratischen Modells haben diese Tendenzen noch verschärft.

Ganz gleich, was die Motivation eines solchen Antiimperialismus ist, die Tatsache, dass dies ein starker Trend innerhalb der palästinensischen Politik bleibt, hat die Wirksamkeit der palästinensischen Nationalbewegung und der mit ihr verbundenen Solidaritätsbewegungen auf der ganzen Welt stark beeinträchtigt. Um es klar zu sagen: Diese Campist:innen stellen keineswegs die grosse Mehrheit dar; da sie jedoch lautstark sind, in Online-Räumen dominieren und in Basisorganisationen (insbesondere in der Diaspora) zunehmend an Einfluss gewinnen, spielen sie eine überragende Rolle dafür, wie wirksam die palästinensische Nationalbewegung ist.

Antiimperialismus aus der Perspektive geopolitischer Machtblocks kann nur anti-internationalistisch sein 

Obwohl die Campist:innen sich so vehement gegen den Westen als Gegner wenden, bleibt letztlich doch der Westen ihr zentraler Bezugspunkt – nicht etwa die zu Befreienden. Denn diese Art von Antiimperialismus bedeutet eine Neuausrichtung der Palästinenser:innen auf Akteur:innen und Räume im globalen Norden: der bereits erwähnte epistemologische Imperialismus. Dies geht auf Kosten des regionalen Machtaufbaus mit ihren Nachbar:innen und oft auch mit anderen Ethnien, die ebenfalls für ihre Freiheit kämpfen. Stattdessen entfremden die Palästinenser:innen Syrer:innen, Libanes:innen, Iraker:innen und andere, indem sie lautstark den Vorrang des palästinensischen Kampfes verkünden und die Diktatoren unterstützen, die deren Bevölkerungen aktiv ermorden.

Auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wird, spricht eine solche Weltsicht für eine höchst problematische Annahme: nämlich die, dass Palästina irgendwie aus den Problemen der gesamten Region herausgelöst werden kann und in einer Blase seine Unabhängigkeit erreichen kann. Es ist auch so, als betrachteten diese Campist:innen die weiteren Bevölkerungen ihrer Region als gänzlich unwichtig, handlungsunfähig und der Bemühungen um den Aufbau von Beziehungen oder die Verknüpfung von Kämpfen nicht würdig. Eine solche Auffassung ist nicht nur unethisch, sondern auch gefährlich, da sich die Palästinenser:innen zunehmend isoliert fühlen.

Libanon

Libanon im Griff iranisch-syrischer Intervention

Am 17. Oktober 2019 gingen Bürger:innen und Einwohner:innen Libanons auf die Strasse, um gegen das sektiererische System des Landes zu protestieren und den Sturz des Regimes zu fordern [Sektiererisch im Folgenden Sinn: seit dem Bürgerkrieg 1975 bis 1990 besteht im Libanon eine parlamentarische Demokratie auf Basis von Konfessionsproporz: der Staatspräsident ist stets maronitischer Christ, der Premierminister sunnitischer Muslim, der Parlamentspräsident schiitischer Muslim; Verteilung der Parlamentssitze ist zur Hälfte je christlich, je muslimisch. Die stabile Mobilisierung von Bevölkerungsanteilen entlang konfessioneller Grenzen ist aufgrund der Angst vor Machtverschiebungen zwischen den einzelnen Konfessionen nachvollziehbar. Gleichzeitig verhindert der etablierte Status bestimmter Parteien Neueinzüge in die etablierte Politik, was die Bildung einer Oppositionen verunmöglichen. Und die patriarchale-konfessionellen Strukturen und Werte der etablierten Parteien verhindern säkulare und progressive Alternativen; Anm. d. Red.]. Kurz darauf gingen die Hisbollah [schiitische Partei und Miliz im Libanon; Anm. d. Red.] und ihre Verbündeten hart gegen die Demonstrant:innen vor, oft in Koordination mit staatlichen Kräften. Die von diesen Gruppen entsandten Männer wurden als Shabbiha bekannt, ein Begriff, der ursprünglich mit dem Assad-Regime in Syrien in Verbindung gebracht wurde. Obwohl das Assad-Regime 2005 nach der Zedernrevolution aus dem Libanon vertrieben worden war, blieb die politische Kultur, die diese Shabbiha am besten verkörperten, im Lande erhalten, vor allem durch die Hisbollah, den mächtigsten Verbündeten des Assad-Regimes. In der Tat wurde die Hisbollah, wie der libanesische Forscher Ziad Majed feststellt, de facto zum politischen Erben des Assad-Regimes im Libanon, eine politische Realität, die die eigene Ausrichtung der Gruppe und ihr militärisches Eingreifen in Syrien nach 2012 zum Schutz des Assad-Regimes gegen die Revolution stark vorwegnahm (Majed 2020). Und obwohl der libanesische Aufstand über die Hisbollah hinausging, machte die Hisbollah ihn zu ihrem Thema, indem Nasrallah [Generalsekretär der Hisbollah; Anm. d. Red.] erklärte, sie werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um das sektiererische Regime zu schützen (Saab & Ayoub 2020). Begleitet wurde das harte Vorgehen von einer Verleumdungskampagne, die die Demonstrant:innen beschuldigte, von ausländischen Botschaften bezahlt zu werden (Al-Taffar 2019).

Diese Taktik dürfte einer:m iranischen Leser:in bekannt vorkommen, da das Regime, das am stärksten für die Macht der Hisbollah verantwortlich ist, zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts selbst mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert war. Nach der brutalen Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei rebellieren die Menschen im ganzen Iran offen gegen die Islamische Republik. Im ganzen Land sind Rufe wie „Tod dem Diktator“ zu hören, und Vertreter:innen des Regimes werden direkt angegriffen. Dieser Aufstand zeigt, wie stark die Region verflochten ist. Die Taktiken des iranischen Regimes werden seit Khomeinis Zeiten in den Libanon, nach Syrien und in den Irak exportiert und sind nur noch gewalttätiger geworden, seit ein Schlüsselregime dieser Vision, das Assad-Regime, seit 2011 mehrfach kurz vor dem Zusammenbruch stand. Deshalb sollten die Demonstrant:innen in der gesamten Region auch erkennen, dass wir [als Personen aus der Region; Anm. d. Red.] bereits miteinander verbunden sind, und anfangen, voneinander zu lernen.

Campismus und Internationalismus sind nicht vereinbar

Aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise im Libanon gab es wenig Gelegenheit, Solidaritätsbande zu knüpfen, obwohl das Potenzial dazu vorhanden ist. Wie im Falle der Palästinenser:innen gibt es eine Form des libanesischen Chauvinismus, der Anliegen, die als fremd oder „anders“ gelten, feindlich gegenübersteht. Diese Tendenz wurde während des Aufstandes im Oktober 2019 direkt in Frage gestellt, vor allem durch Solidaritätserklärungen mit anderen Kämpfen. Das beste Beispiel dafür ist der Ruf „Revolution überall“ in Beirut, der von iranischen Demonstrant:innen aufgegriffen wurde und sich an einem populären syrischen Ruf orientiert.

Campistischer Antiimperialismus ist ein Hindernis für die Ausbreitung internationalistischer Politik, und zwar aus dem einfachen Grund, dass er bestimmte Kämpfe über andere stellt und am Ende oft jeden Kampf schwächt. Diejenigen, die die Hisbollah oder das syrische und iranische Regime im Namen eines vagen Anti-Israel/Saudi-Arabien/USA unterstützen, blenden deren Opfer in der Region aus und bringen Pro-Palästina mit der Befürwortung einer repressiven Politik in Verbindung. Dies widerspricht dem erklärten Geist der palästinensischen Sache, die sich selbst auf die Seite der Freiheit und Gerechtigkeit stellt. Ironischerweise verstärkt der campistische Antiimperialismus am Ende den Diskurs von Staaten wie Israel, das bereits versucht, die palästinensische Sache unschädlich zu machen, indem es behauptet, sie sei eine Erweiterung der iranischen Geopolitik. Wie die Palästinenser:innen sehen sich auch die Libanes:innen auf der Weltbühne zunehmend isoliert, und der Campismus hat dieses Problem nur noch verschlimmert.

Schlussfolgerung

Mit diesem Artikel wurde versucht, den vorherrschenden Diskurs in der politischen Linken in Frage zu stellen, um so Solidarität aufzubauen. Wir hoffen, dass die hier geführte Diskussion zeigt, wie wichtig es ist, Solidarität aufzubauen, selbst angesichts komplizierter geopolitischer Dynamiken und einer kurzsichtigen „antiimperialistischen“ Linken, die mehr daran interessiert ist, sich der US-Hegemonie zu widersetzen, als die am stärksten Marginalisierten zu schützen. Wir schliessen mit der Feststellung, dass das Verfassen dieses Artikels an sich schon ein gemeinschaftlicher Aufbau von Solidarität war. In der Tat waren die Diskussionen und Ideen, die zwischen den Autor:innen während der Ausarbeitung dieses Artikels ausgetauscht wurden, äusserst fruchtbar. Wir hoffen, dass dies der:m Leser:in verdeutlicht, wie wichtig solche Gespräche für den Aufbau von Solidarität zwischen den Bevölkerungen sind, auch wenn wir – auf den ersten Blick – in unseren Kämpfen nicht miteinander verbunden sind, und selbst wenn diese Gespräche schwierig sind.


Übersetzung durch BFS-Redaktion

Referenzen

Al-Shami L (2018) The anti-imperialism of idiots. Available here.

Al-Shami L (2021) Assad’s Pyrrhic Victory. Available here. 

Al-Taffar B (2019)  ‘An Embassy Shia’: I won’t Sacrifice my Life for Anyone’s ‘Shoe’. In: Daraj Media. Available here.  

El Kurd D (2022) Palestinian Perceptions of International Threats. In: Arab Center Washington. Available here. 

Gelbart H (2023) The UK Company Spreading Russian Fake News to Millions. BBC News. Available here. 

Ibrahim A (2022) Iranian Support Vital for Hamas after Ties Restored with Syria. Al Jazeera. Available here.

Majed Z (2020) The Legacy of Samir Kassir 15 Years On. In: The Fire These Times. Available here. 

Saab J, Ayoub J (2020) The Dual Nature of Lebanon’s October 17th Uprising. In: Saab J (ed) A region in revolt: mapping the recent uprisings in North Africa and West Asia. Ottawa: Daraja Press, pp. 103–134.

Über die Mitwirkenden

Joey Ayoub ist Doktorand an der Universität Zürich, Redakteur bei Shado Mag und Gastgeber des Podcasts The Fire These Times. Er ist Libanon-Palästinenser.

Dana El Kurd ist Assistenzprofessorin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Richmond. Sie ist palästinensisch-amerikanischer Herkunft. 

Leila Al-Shami ist Aktivistin und Mitautorin von Burning Country: Syrer in Revolution und Krieg. Sie ist britisch-syrisch. 

Romeo Kokriatski ist geschäftsführender Redakteur von The New Voice of Ukraine und Mitveranstalter des Podcasts Ukraine without Hype. Er ist ukrainisch-amerikanischer Herkunft.

Anmerkungen zum Text

[1] MAGA-Kommunismus: MAGA-Kommunist:innen gehen von der Prämisse aus, dass Trump die amerikanische Politik grundlegend verändert habe, indem er die Beschränktheit des politischen Systems in den USA auf zwei Parteien und die Möglichkeit zu nur kleinen Meinungsdifferenzen erstmalig durchbrochen hat. Somit habe Trump zum ersten Mal seit langer Zeit eine Massenbewegung entstehen lassen, die sich ausserhalb des Status quo positioniert und sogar gegen den Status quo. Dass die MAGA-Bewegung und radikal linke Positionen weltpolitisch nicht vereinbar sind, sei dabei sekundär. Was zählt, ist, dass MAGA mit einer Unterstützungsbasis hauptsächlich aus der Arbeiter:innenklasse den Klassenkampf wieder in die amerikanische Politik bringe. Deswegen sei der Antagonismus zwischen MAGA und dem Status Quo so zentral. Amerikanische Linke müssten entsprechend begreifen, dass ein Verbleib in einer theoretisch reinen Linken nur zu politisch irrelevanten Echokammern führe. Wer sich mit den echten Widersprüchen im heutigen Amerika auseinandersetzen will, müsse sich offen auf die MAGA-Bewegung einlassen. 

[2] Dirtbag-Left: Eine Tendenz oder Subkultur, die durch Vulgärsprache, die man sich von der politischen Rechten zurückholen will, eine linkspopulistische und antikapitalistische Botschaft vermitteln will. Die Szene ist mit in den 2010er Jahre entstandenen linken US-amerikanischen Medien verbunden, wie z. B. dem Podcast Chapo Trap House.

[3] Patriotischer Sozialismus: Patriotische Sozialist:innen berufen sich dem Selbstverständnis nach auf sozialistische Vorstellungen, insbesondere auf die Tradition der kommunistischen Bewegung in den USA. Tatsächlich aber zeigen sie sich der MAGA-Bewegung gegenüber offen und vertreten kultur- und familienpolitisch äusserst konservativ-reaktionäre Vorstellungen. Abtreibung und LGBTQI+-Rechte und -Identität werden konsequent abgelehnt. Sie stellen sich in ihrer Vorstellung von Antiimperialismus einseitig und unbedingt auf die Seite Russlands. Sowjetkultur und gegenwärtige russische Kultur, wie etwa das Z-Symbol, werden vermischt. Rechtsextreme Denker:innen wie Aleksander Dugin oder Lyndon LaRouche werden gelesen und rezipiert.

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