Die gängige und von Washington beeinflusste Deutungsweise der Geschichte besagt, dass die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen werden mussten, um die japanische Regierung zu zwingen, endlich zu kapitulieren. Tatsächlich aber suchten führende japanische Politiker:innen seit Ende 1944 und seit Mai 1945 auch die neue Regierung unter Admiral Suzuki Kontakt zu Washington, um über die Kapitulation Japans zu verhandeln. Ihre einzige Forderung war der Erhalt von Kaiser Hirohito. Alle Verantwortlichen der US-Regierung und des US-Militärs wollten dies Japan zunächst auch zusichern. Erst der 1945 gewählte neue Präsident Harry Truman und sein Aussenminister James Byrnes zogen diese Zusicherung zurück. Denn Byrnes und Truman verfolgten das Ziel, die Sowjetunion mit den Atombomben einzuschüchtern und den USA so zur Überlegenheit zu verhelfen, mit der sie der ganzen Welt die Bedingungen für den Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg diktieren könnten. Um die humanitären Katastrophen und Kriegsverbrechen in Hiroshima und Nagasaki zu rechtfertigen wurde später der Mythos geschaffen, dass durch die Atombomben der Krieg beendet und letztlich mehr Leben gerettet als vernichtet worden seien.
von Robert Lochhead (MPS Romandie)
Jeden 6. und 9. August jähren sich die beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, was uns die die Kriegsverbrechen der USA von 1945 erneut ins Gedächtnis ruft. Dabei ist es wichtig, die tatsächlichen Hintergründe der kriegsverbrecherischen Geschehnisse zu kennen. Auch 2023 hat dies nicht an Relevanz eingebüsst, denn die Gefahr, die von Atomschlägen ausgeht, scheint die Mächtigen dieser Welt wieder mehr zu faszinieren als abzuschrecken. Putin und sein Aussenminister Serguej Lawrow drohen inmitten ihres imperialistischen Angriffskrieges gegen die Ukraine unverblümt und öffentlich damit, notfalls auf die Atombombe zurückzugreifen. Der Rechstradikale Amichai Elijahu, immerhin Minister in der israelischen Regierung zog öffentlich die Möglichkeit in Betracht, eine Atombombe gegen Gaza einzusetzen. Und unabhängige Beobachter:innen wie das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI) schätzen mittlerweile glaubwürdig ein, dass Israel etwa 80 bis 90 Atomwaffen besitze. Die NATO übt öffentlich Druck auf die Schweizer Regierung aus, damit sie den internationalen Atomwaffenverbotsvertrag von 2017, den 93 Länder unterzeichnet und davon 69 bereits ratifiziert haben, nicht unterzeichnet.
Aber auch die drohende Klimakrise und die damit verbundene Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe werden einen enormen Anstieg anderweitiger Stromerzeugung erfordern, was Kernkraftwerken gegenwärtig wieder ganz natürlich neue Legitimität verleiht. Viele Länder haben den Bau neuer Kernkraftwerke beschlossen. Die Gefahren einer überhitzten Erde werden gegen die Gefahren der Radioaktivität und den Auslass von radioaktiven Stoffen in die Umwelt, neue Tschernobyls und Fukushimas also, eingetauscht. All das macht es notwendig, eine frische Anti-Atom-Bewegung aufzubauen, gegen die Atombombe und gegen die Gefahren der zivilen Atomkraft.
Wozu also die Atombombe?
Der kürzlich erschienene, ansonsten sehr gute Film Oppenheimer von Christopher Nolan wiederholt die offizielle Geschichtsdeutung, wonach die Atombomben notwendig gewesen seien, um Japan zur Kapitulation zu zwingen. Die Atombomben haben mitsamt der Spätfolgen bis Ende 1946 zwar 166‘000 Leben ausgelöscht. Aber, dass dadurch Japan in die Kapitulation gezwungen worden sei, habe unterm Strich nichts desto trotz mehr Leben, das Leben hunderttausender amerikanischer und japanischer Soldat:innen verschont, die sonst bei den Kämpfen einer Landung auf japanischem Boden gestorben wären. Dieses Narrativ ist aber seit mindestens dreissig Jahren von der Geschichtswissenschaft widerlegt worden. Die Forschungsresultate sind – und deswegen ist es wichtig , auch heute noch darüber zu sprechen –, jedoch nicht in die Mainstream-Geschichte oder die Schulbücher eingedrungen. Und die Propaganda Washingtons ist noch immer aktiv.
Als Japan am 11. August 1945 kapituliert und die GIs nach Hause zurückkehren, war die öffentliche Meinung in den USA ganz natürlich davon überzeugt, dass der Sieg der Atombombe zu verdanken war. Nur wenige Minderheitsstimmen äusserten Kritik: Kritisch gegen dieses bis heute gängige Narrativ äusserte sich etwa der US-Air Force Generalmajor Curtis E. LeMay, der Kommandeur der strategischen Bombereinheiten, am 20. September 1945 in einer Pressekonferenz:
LeMay: «Der Krieg wäre zwei Wochen später vorbei gewesen, ohne dass die Russen eingetreten wären und ohne die Atombombe.»
Presse: «Ist das Ihre Meinung, Sir? Ohne die Russen und ohne die Atombombe?»
LeMay: «Die Atombombe hatte nicht das geringste mit dem Ende des Krieges zu tun.»[1]
Und am 5. Oktober 1945 schrieb David Lawrence, der konservative Besitzer der Zeitschrift U.S. News and World Report: «Sprecher der Luftwaffe sagen, es sei gar nicht nötig gewesen, weil der Krieg sowieso schon gewonnen war. Zuverlässige Quellen beweisen, dass Japan viele Wochen vor dem Abwurf der Bombe zur Kapitulation bereit war.»
In einem Interview mit der Sunday Times am 18. August 1946 (das Interview wurde am folgenden Tag, dem 19. August, von der New York Times übernommen) erklärrte Albert Einstein: «Ich habe den Verdacht, dass die Angelegenheit [die Entscheidung, die Atombombe einzusetzen] durch den Wunsch vorangetrieben wurde, den Krieg im Pazifik um jeden Preis vor dem Eintritt Russlands zu beenden.[…] Ich bin sicher, dass all das unter Präsident Roosevelt nicht möglich gewesen wäre.»
1948 sollte der britische Physiker Patrick Blackett (1897-1974), Nobelpreisträger 1948, in seinem in London veröffentlichten Buch über die Atombombe, schreiben: «[…] der Abwurf der Atombomben war nicht so sehr die letzte Kriegshandlung des Zweiten Weltkriegs, sondern vielmehr die erste grosse Kriegshandlung im kalten diplomatischen Kriege mit Russland ….»[2]
Die UdSSR hatte Japan am 7. August 1945, einen Tag nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima, Japan den Krieg erklärt. Der Feldzug der Roten Armee in der Mandschurei und in Nordkorea endete jedoch bereits am 3. September, da die japanische Regierung am 2. September 1945 an Bord des Kriegsschiffes USS Missouri im Hafen von Tokio die Kapitulation Japans unterzeichnete.
Einen Nachschlagartikel schreiben, der «die Schwätzer zum Schweigen bringt»
1940 hatte Präsident Franklin Delanoe Roosevelt (1882-1945) das Manhattan-Projekt in Gang gesetzt, das streng geheime Projekt zum Bau der Atombombe. Die Leitung wurde General Leslie Groves (1896-1970) vom US Corps of Engineers übertragen, unter der Aufsicht von Kriegssekretär Henry L. Stimson (1867-1950), James B. Conant (1893-1978), der Präsident der Harvard Universität, und Vannevar Bush (1890-1974), der Präsident der Carnegie Foundation. Am 16. Juli 1945 würden Bush, Conant und Groves in der Wüste von New Mexico in Alamogordo dabei sein, als die erste Atombombe Trinity erfolgreich detoniert.
1959 wurden die persönlichen Papiere von Stimson für die Öffentlichkeit freigegeben, und in den 1970ern diejenigen von Conant. Dadurch war es James G. Hershberg, Stimsons Biograf, 1993 möglich geworden, zu veröffentlichen, dass Conant am 23. September 1946 – alarmiert durch die dennoch spärliche Kritik – an Stimsons Stabschef Harvey Bundy (1888-1963) geschrieben hatte, dass eine Autoritätsperson einen offiziellen Bericht veröffentlichen sollte, der als Referenzquelle für die Zukunft dienen solle. Denn Conant befürchtete, dass die zivile Kritik zu einer massiven Friedensbewegung anschwellen könnte, die den allgemeinen Verzicht auf Atomwaffen fordern würde. Bei dieser Autoritätsperson soll es sich nach Hershbergs Angaben um Stimson gehandelt haben, ein «weiser alter Mann von 73 Jahren», ein Republikaner in einer Regierung der demokratischen Partei.
Harvey Bundy verfasste einen Plan und schlug vor, dass sein 26-jähriger Sohn McGeorge Bundy (1919-1996)[3] zusammen mit Stimson einen Artikel verfasse, der u.a, darlegen solle, dass der Einsatz der Atombombe den Krieg um mehrere Monate verkürzen würde und die für November 1945 auf der Insel Kyushu (Operation Olympic) und für März 1946 auf der Hauptinsel Honshu (Operation Coronet) vorbereiteten Landungen in Japan verhindern würde. Hätten besagte Militäroperationen wie vrobereitet stattgefunden – so der Artikel – hätte dies den Tod von hunderttausenden von US-Soldat:innen und auch japanischen Soldat:innen, vielleicht von einer halben Million Menschen gekostet. Ausserdem wurde darin die These aufgestellt, dass auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 niemand wirklich geglaubt hätte, dass die Japaner:innen zu für den Westen akzeptablen Bedingungen kapitulieren würden ohne langwierige Kämpfe.
Der 20-seitige Artikel, der von Groves durchgesehen und korrigiert und nur von Stimson unterzeichnet wurde, erschien in der Februarausgabe 1947 der renommierten New Yorker Zeitschrift Harper’s Magazine. Die Veröffentlichung wurde sorgfältig wie eine grosse Medienoperation vorbereitet: 400 Vorabkopien wurden an einflussreiche Journalist:innen und Kommentator:innen, Zeitungen, Radio- und Fernsehsender geschickt. Die Washington Post und Reader’s Digest veröffentlichten den Artikel in voller Länge, Time und die New York Times druckten Auszüge ab. Der Artikel wurde von allen Seiten mit lobenden Leitartikeln begrüsst und in mehreren Ländern nachgedruckt.
Inzwischen hatte der Kalte Krieg begonnen. Die Autoren des Artikels wollten nun auch die öffentliche Unterstützung für einen möglichen Einsatz der Atombombe gegen die UdSSR verstärken. Bei einer geheimen Sitzung des National War College im Oktober 1947 würde Conant erklären, dass im Falle eines Krieges gegen die UdSSR, «wir, wenn es militärisch sinnvoll erschiene, als Erste [Atom-]bomben abwerfen würden.»
In all seinen Interviews und öffentlichen Erklärungen sowie in seinen zwischen 1955 und 1960 erschienenen Memoiren, übernahm Präsident Harry Truman natürlich die Argumentation aus Stimsons Artikel. Die Anzahl der Leben US-amerikanischer und japanischer Soldat:innen, die durch einen durch die Atombombe verkürzten Krieg angeblich bewahrt worden wäre, war aber eine willkürliche Erfindung. Sie schwankte je nach Anlass zwischen einer Viertelmillion, einer halben Million und sogar einer Million.
In den 1980er Jahren, versuchten zwei Historiker, diese berühmte Zahl in den vorbereitenden Schätzungen der US-Generäle im Frühjahr 1945 zu überprüfen. Rufus E. Miles Jr. kam 1985 zu dem Schluss, dass die Zahl nicht mehr als 20‘000 hätte betragen haben können. Barton Bernstein, der alle vorbereitenden Studien und Schätzungen des Generalstabs durchgesehen hatte, kam zu dem Schluss, dass die vorgesehenen Verluste bei der Landung auf Kyushu im November 1945 und der Invasion auf Honshu im März 1946 nicht mehr als 46‘000 getötete US-Soldat:innen betragen hätten. Die Historiker:innen fanden also auch rein mathematisch keine Grundlage für Hunderttausende, eine Viertelmillion oder eine Million geretteter Leben, die eine Atombombe rechtfertigen würden..
Gar Alperovitz
Einen guten Abriss über die US-amerikanischen Vorwände für den Einsatz der Atombomben bietet ein dickes, 850 Seiten starkes Buch, dass 1995 gleichzeitig in New York und London erschien: The Decison to Use the Atomic Bomb von Gar Alperovitz und sieben weiteren Co-Autoren.[4] Das Buch wurde nur ins Deutsche übersetzt (Gar Alperovitz, Hiroshima. Die Entscheidung für den Abwurf der Bombe, 1995).
Gar Alperovitz (1936) ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. In den 1960er Jahren war er parlamentarischer Assistent des linksdemokratischen Senators Gaylord Nelson aus Wisconsin, der den Vietnamkrieg ablehnte. Im Jahr 1965 veröffentlichte er seine Doktordissertation Atomic Diplomacy: Hiroshima and Potsdam. Er schrieb vor allem über die Wirtschaft der USA. Mit einem Team von 30 Mitarbeiter:innen hatte erArchive und persönliche Papiere, die in den 1970er Jahren endlich geöffnet wurden, durchgeforscht. Am 5. August 2023 hatte Gar Alperovitz einen kurzen Artikel in der Los Angeles Times erscheinen lassen, um seine Schlussfolgerung nochmals zu wiederholen: «U.S. leaders knew we didn’t have to drop atomic bombs on Japan to win the war. We did it anyway.»[5]
Gar Alperovitz sparte selbstverständlich die Verbrechen des japanischen Imperialismus nicht aus: «Das japanische Volk muss sich mit sehr vielen hässlichen Seiten der Geschichte auseinandersetzen – darunter nicht nur Pearl Harbor, sondern auch die Bombardierung Shanghais, die Plünderung Nankings, die Zwangsprostitution koreanischer Frauen, die Menschenversuche in dem berüchtigten Bataillon 731, die Schrecken des Todesmarsches von Bataan sowie die systematische Folterung und Ermordung von Kriegsgefangenen. All das erklärt jedoch nicht, wie es zu Hiroshima kommen konnte.»
Hinzu kommen die schlimme Unterdrückung der Arbeiter:innenbewegung, der Verbot der Kommunistischen Partei Japans 1926 und auch der Sozialistischen Partei 1932, und die schreckliche Behandlung der Kolonien Japans: Korea, Taiwan, Mandschurei, China, Indochina, Malaysia, Burma, Indonesien, Philippinen.
Harry Truman und Jimmy Byrnes: Keine Kapitulation Japans vor der atomaren Detonation erwünscht
Am 12. April 1945 starb der Präsident der Vereinigten Staaten Franklin Delanoe Roosevelt plötzlich an einem massiven Schlaganfall. Er war gerade erst im November 1944 für eine vierte Amtszeit wiedergewählt worden gegen seinen Republikanischen Rivalen. Sein Vizepräsident Harry S. Truman (1884-1972) war plötzlich Präsident, obwohl Roosevelt ihn in so gut wie nichts einbezogen hatte. Das geheime Manhattan Project war ihm unbekannt. Harry Truman war seit 1935 Senator aus Missouri gewesen, als Vertreter der Demokratischen Partei. Mit Truman rutschte die US-Regierung deutlich nach rechts. 1941 hatte Senator Truman immerhin nichts Geringeres vorgeschlagen, als Deutschland bei seinem Überfall auf die UdSSR zu helfen.[6]
Truman wandte sich an seinen Freund in der Demokratischen Partei James F. Byrnes (1882-1972), der sein Mentor im Senat gewesen war. Byrnes war seit 1931 Senator für South Carolina. Von 1943 bis 1944 war er Direktor des Amtes für Kriegsmobilisierung gewesen. Byrnes war in das Manhattan-Projekts eingeweiht worden. Truman beeilte sich, Jimmy Byrnes zum Staatssekretär zu ernennen und Byrnes begann auch sofort mit der Ausübung des Amtes, noch bevor er vom Senat bestätigt wurde. Harry Truman und Jimmy Byrnes verbrachten jeden Tag mehrere Stunden miteinander. Byrnes war Hauptberater und fast schon eine Art Co-Präsident. Es würden diese Beiden sein, die über den Abwurf der beiden Atombomben Entscheidung trafen. Und niemand sonst.
Byrnes war extrem verschlossen. Ein «sehr machiavellistischer Charakter», wie manche meinten. Später, nachdem er sich mit Truman zerstritten hatte, wurde Byrnes von 1951 bis 1955 Gouverneur von South Carolina, wo er sich für die Aufrechterhaltung der Rassentrennung, insbesondere der Schulen, einsetzte. Truman würde berichten, dass Byrnes ihm bei einem ihrer ersten Gespräche im Mai 1945 gesagt hatte, dass die Atombombe es den USA nun ermöglichen würde, die Bedingungen des Friedens zu diktieren.
Die Polenfrage oder die Konfrontation der USA mit Sojwet-Russland
Im Januar 1945 ermöglichte der Vormarsch der Roten Armee, im von den Deutschen befreiten Warschau eine Regierung der Polnischen Arbeiterpartei (POP) einzusetzen, die Stalin in Lublin, das bereits im Juli 1944 von den Deutschen befreit worden war, gebildet hatte. In London befand sich jedoch seit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 bereits die Exilregierung der Republik Polen.
Die polnische Exilregierung in London vereinte alle politischen Parteien ausser den Kommunistischen. 1942 hat sich die polnische Exilregierung geweigert mit Stalin um die Zukunft Polens zu verhandeln. An der Konferenz von Jalta im Februar 1945 forderten Roosevelt und Churchill von Stalin, dass die Londoner Exilregierung nach Warschau zurückkehren dürfe, um eine Koalitionsregierung mit der POP-Regierung zu bilden und freie Wahlen abzuhalten. Stalin und die Regierung der UdSSR waren unnachgiebig und lehnten jede Infragestellung der mit der stalinistischen Diktatur verbundenen Regierung ab.[7]
Der Physiker des Manhattan-Projekts, Leo Szilard (1894-1964), Einsteins Freund, berichtet, dass er und zwei weitere Wissenschaftler des Projekts am 28. Mai 1945 mit James Byrnes sprachen, «dass bei diesem Gespräch: “Mr. Byrnes nicht argumentierte, dass der Einsatz der Atombombe gegen die Städte in Japan notwendig sei, um den Krieg zu gewinnen. Byrnes war damals sehr besorgt über den steigenden Einfluss Russlands in Europa; [Mr.Byrnes war der Ansicht], dass unser Besitz und die Demonstration der Atombombe Russland in Europa gefügiger (more manageable) machen würden.”»[8]
Szilard kehrte erschrocken nach Chicago zurück und alarmierte seine Kolleg:innen vom Manhattan-Projekt. Fünf der prominentesten unterzeichneten im Juni 1945 den sogenannten Franck-Report, benannt nach dem Physiker James Franck (1882-1964), der 1925 den Nobelpreis erhalten hatte und Erstunterzeichner war. Dieser an Truman gerichtete Appell wurde im Juli durch eine Petition unterstützt, die von 70 Wissenschaftler:innen des Metallurgical Laboratory der Universität Chicago und der Oak Ridge Anlage unterzeichnet wurde.[9] Sie forderten eine Demonstration der Bombe in einem unbewohnten Gebiet, sprachen sich gegen einen überraschenden Einsatz in Japan aus, verlangten aber, Japan Zeit zu geben, um über eine Kapitulation nachzudenken, und den Vereinten Nationen die Möglichkeit zu geben, eine weltweite Kontrolle über die Atomenergie zu organisieren, um ein atomares Wettrüsten zu verhindern.
James Byrnes war besessen von der Unmöglichkeit, Stalin dazu zu bringen, die Absorption der osteuropäischen Länder rückgängig zu machen. James Byrnes sollte eine härtere und bedrohlichere Haltung gegenüber der UdSSR verkörpern, die die Atombombe als «diplomatisches» Mittel zur Einschüchterung der UdSSR einsetzen wollte, um Zugeständnisse zu erwirken, zunächst in der Frage Polens.
Die herrschende Klasse Japans strebte eine Kapitulation an
Erst 1955 wurde bekannt, dass die US-Geheimdienste seit 1923 alle verschlüsselten japanischen Nachrichten der Streitkräfte, der Kriegsmarine, des Generalstabs, der Regierung und des Aussenministeriums gelesen hatten. Das war das MAGIC-Programm. Seine Archive wurden erst 1978 und nur teilweise veröffentlicht. Am 13. Juli 1945 berichtete Allen Dulles (1893-1969), der OSS-Agent in Bern [Das Office of Strategic Services war von 1942 bis 1945 ein Nachrichtendienst des US-Kriegsministeriums; Anm. d. Red.] und spätere Direktor der CIA: «Per Jacobsson, schwedischer Staatsangehöriger und Wirtschaftsberater der Bank für Internationale Zahlungen in Basel, ist von Kojiro Kitamura, Direktor der Bank, Vertreter der Yokohama Specie Bank und früherer Finanzattaché in Berlin, angesprochen worden. Kitamura gab Jacobsson zu verstehen, dass er dringend Kontakt mit Vertretern Amerikas aufnehmen wolle und dass die einzige Bedingung, auf der Japan im Zusammenhang mit einer Kapitulation beharren würde, eine gewisse Rücksichtnahme auf die kaiserliche Familie sei. […] In allen Diskussionen mit Jacobsson betonten die japanischen Gesprächspartner lediglich zwei Punkte: a) die Beibehaltung des Kaisers und b) die Möglichkeit, zur Verfassung von 1889 zurückzukehren.»[10]
Doch Washington ergriff die Gelegenheit zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges, die ihm Japan bot, nicht. Auch wenn Japan schon seit langem versucht hatte, sich zu ergeben: Bereits am 24. September 1944 hatte der schwedische Botschafter in Tokio, Wilder Bagge, dem Foreign Office in London mitgeteilt: «Ich höre aus sehr verlässlicher Quelle, dass das Friedensproblem in weiten Zivilkreisen Japans mit wachsender Besorgnis erörtert wird. Ein baldiger Zusammenbruch Deutschlands wird erwartet, und man glaubt nicht, dass Japan dann den Krieg fortsetzen kann.»
Am 12. Mai 1945 hatte Oberst William J. Donovan (1883-1959), der Vorgesetzte Allen Dulles’, Truman berichtet: «Eine Quelle hat am 11. Mai mit dem japanischen Botschafter in der Schweiz, Shunichi Kase, gesprochen. Sie berichtet, dass der Botschafter den Wunsch geäussert habe, bei der Vermittlung einer Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den Japaner:innen und den Alliierten zu helfen. Der Botschafter hält direkte Gespräche mit den Amerikaner:innen und Brit:innen für besser als Verhandlungen über die UdSSR, da diese Möglichkeit das Prestige der Sowjets so sehr steigern würde, dass der gesamte Ferne Osten kommunistisch werden könnte.»
Am 4. Juni 1945 dann ein weiterer Bericht aus der Schweiz: «Quelle hat Kontakt mit [Yoshiuro] Fujimura [Leutnant zur See, Marineattaché in Bern, (1907-1992); Anm. d. Red.], der als einer der wichtigsten Vertreter für Marineangelegenheiten in Europa gilt … Fujimura gab Quelle zu verstehen, dass die Marinekreise, die jetzt die japanische Regierung kontrollieren, zur Kapitulation bereit wären, aber, wenn möglich, mit einer gewissen Wahrung des Gesichtes aus diesem Zusammenbruch. Diese Marinekreise legen laut Fujimura besonderen Wert darauf, den Kaiser beizubehalten, um Kommunismus und Chaos zu verhindern.»
Allen Dulles, im Mai 1945 in Bern, auch ein Republikaner, wollte diese Kontakte weiterführen und eine Verhandlung einfädeln. Er wurde aber Anfangs Juni nach Washington einberufen. Gar Alperovitz schreibt, man wisse nicht warum, und aus diesen Kontakten wurde anscheinend nichts. Viele Friedensfühler wurden ausgestreckt und nicht ergriffen.
Die herrschende Klasse in Japan
Am 7. April 1945 wurde nach der Einnahme von Okinawa durch die US-Streitkräften eine neue Regierung unter dem alten Admiral Kantaro Suzuki (1868-1948), gebildet. Am 5. April 1945 hatte das OSS dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, damals noch Franklin D. Roosevelt, ein Informationsmemorandum übermittelt: «Admiral Suzuki trennen Welten von jener Gruppierung der Kwantung-Armee, die seit dem Militäraufstand am 26. Februar 1936 die Politik Japans bestimmte. […] Suzukis Ernennung sieht nach einem verzweifelten Hilfsarrangement aus, einem Versuch, diese Hardliner kaltzustellen und der Politik dennoch eine neue Ausrichtung zu geben, die, wenn möglich, die Grundlagen für Friedensverhandlungen legen kann.»
Am 22. Juli 1944, nach der Niederlage in der Schlacht von Saipan auf den Marianen Inseln (aber auch nach der Landung der Alliierten in der Normandie), wurde Ministerpräsident (seit 1941) und eigentlicher Militärdiktator, General Hideji Tojo, der vor dem Krieg Anführer dieser Kwantung-Armee Fraktion war, zum Rücktritt gezwungen und durch Admiral Mitsumasa Yonai (1880-1948) ersetzt. Admiral Yonai war 1940 Ministerpräsident gewesen, als er vergeblich versucht hatte, Japan aus dem Krieg herauszuhalten. Kaiser Hirohito gab nun Tojo ausdrücklich zu verstehen, dass er ihn nicht mehr als Ministerpräsidenten haben wolle und die Regierung der Kriegsmarine anvertrauen wolle.
Seit 1868, waren die japanische Kriegsmarine und das japanische Heer von zwei gegensätzlichen Clans, dem Satsuma-Clan und dem Choshú-Clan, geleitet. Die japanische Kriegsmarine pflegte Traditionen der britischen Royal Navy, während das Heer die Lehren der deutschen Reichswehr aufwertete.
Seit 1936, wurde die japanische Politik von den geheimen Gesellschaften junger radikaler ultra-nationalistischer Offiziere, vor allem aus dem Heer, beherrscht. Sie ermordeten liberale Politiker, Generäle und Admirale, die versuchten, sich ihnen entgegenzustellen. Die traditionellen Regierenden wurden unter Druck gesetzt in einer Art japanischen Faschismus und Militärdiktatur.
Die Siege der ersten Monaten, der Überraschungsangriff auf Pearl Harbour in Hawaii am 7. Dezember 1941 und die Eroberung aller Kolonien der Westmächte ab 1942 (Hongkong, Malaysia, Singapur, Indonesien, Burma, dann die Philippinen und Neuguinea) schweissten die japanische herrschende Klasse im Vertrauen auf den Sieg zusammen und linderten wahrscheinlich die Zweifel, die der junge Kaiser Hirohito (1901-1989) haben konnte. Die wahnwitzige Propaganda des Tojo-Regimes fanatisierte die japanische Bevölkerung, die man über nichts informierte, während alle Dissident:innen inhaftiert oder von der Kenpeitai, der schrecklichen Militärpolizei, überwacht wurden.
Die Niederlagen gegen die US-Navy in Midway im Juni 1942 und bei Guadalcanal Anfangs 1943 liessen doch in den vernünftigsten Köpfen Zweifel aufkommen. Ab 1943 trafen sich vier ehemalige Ministerpräsidenten wöchentlich, wobei sie sich vor der Kenpeitai versteckten, um gemeinsam die Lage zu studieren: Baron Wakasuki (1866-1949), der 1931 Ministerpräsident gewesen war und vergeblich versucht hatte, das Heer zu zügeln; Admiral Okada (1868-1952), der von 1934 bis zu seiner gescheiterten Ermordung am 26. Februar 1936 Ministerpräsident gewesen war; Admiral Mitsumasa Yonai, Ministerpräsident im Jahr 1940, der sich gegen das Bündnis mit Nazi-Deutschland gewehrt hatte; Prinz Fumimaro Konoye (1891-1945), der 1937 Ministerpräsident gewesen war, als er die Invasion Chinas anführte, und dann 1941, als er einen Krieg mit den USA doch vermeiden wollte, bevor er von General Tojo gestürzt wurde.
Die Gruppe war mit Persönlichkeiten aus der kaiserlichen Familie verbunden: Prinz Naruhiko Higashikuni (1887-1990), Vetter des Kaisers und General des Heeres, der nach der Kapitulation Ministerpräsident sein würde, Prinz Takamatsu Nobuhito (1905-1987), jüngerer Bruder des Kaisers und Kapitän zur See, und Kaiserinwitwe Sadako Kujó (1884-1951), die Mutter des Kaisers. Diese Dame stammte aus der Jahrhunderten alten mächtigen Fujiwara-Familie und war in der liberalen und pro-britischen Atmosphäre der Meiji-Zeit aufgewachsen.[11]
Die Gruppe, in der die Kriegsmarine dominierte, vertrat die alte herrschende Klasse vor der Diktatur des Heeres. Wie jede herrschende Klasse war sie nicht an einem hochmutigen Untergang interessiert, sondern wollte ihre Privilegien auch in der Zukunft bewahren. Diese Gruppe wollte also aus einem verlorenen Krieg herauskommen und Japan in Friedenszeiten auf eine imperialistische Behauptung dank einer starken Exportwirtschaft steuern. Das würde ihr in den 1950er Jahren auch gelingen.
Es war der Druck dieser Gruppe, der dem Kaiser am 22. Juli 1944 die Entlassung von General Tojo und im April 1945 die Bildung der Regierung Suzuki abtrotzte. Die ultra-nationalistischen Militaristen waren also nicht mehr an der Macht. Es war die Suzuki-Regierung, die die viele Versuche unternahm, für Kapitulationsverhandlungen mit den USA Kontakt aufzunehmen: in Stockholm, Bern, Lissabon, Moskau und im Vatikan. Ohne Erfolg.
Im Mai 1945 liess General Douglas MacArthur (1880-1964), der alliierte Oberbefehlshaber der Pazifikfront, der durch die US-Abhör- und Geheimdienste über all dies informiert war, den neuen Präsidenten Truman wissen, dass eine Kapitulation Japans rasch erreicht werden könne, wenn nur die Zusicherung gegeben würde, dass der Kaiser auf seinem Thron bleiben könne. Am 28. Mai 1945 besuchte der ehemalige Präsident Herbert Hoover (1874-1964), Roosevelts Vorgänger, ein Freund MacArthurs, beide Republikaner, Präsident Truman, um ihm das Gleiche zu erklären.[12]
Sie stiessen auf Trumans und Byrnes’ taube Ohren. Truman und Byrnes lehnten jegliche Verhandlungen mit der Regierung von Admiral Suzuki ab. Sie setzten den Krieg bis zur äussersten bedingungslosen Kapitulation durch. Wie viele Menschenleben wurden dafür zwischen Mai und August 1945 geopfert ?
Bedingungslose Kapitulation
Nach dem japanischen Überraschungsangriff am 7. Dezember 1941 auf Pearl Harbour erklärte Washington Deutschland und Japan den Krieg. Winston Churchill und sein Generalstab hielten sich ab dem 22. Dezember 1941 in Washington auf, um ihr Bündnis und ihre Kriegspläne abzustimmen.
Roosevelt und seine Kollegen überraschten die Briten mit der Forderung, dass die Feinde bis zu ihrer bedingungslosen Kapitulation bekämpft werden sollten. Stalin und seine Kollegen waren ähnlich überrascht. Warum sollte man einen Krieg verlängern, indem man sich der Möglichkeit beraubt, einen früheren Waffenstillstand auszuhandeln. Die bedingungslose Kapitulation bedeutet, dass solange gekämpft wird, bis sich der Feind völlig ergeben hat und sein Territorium und sein Staat dem Sieger absolut zur Verfügung stehen.
Am 16. April 1945, erklärt der neue Präsident Harry Truman vor dem Kongress: «Unsere Forderung ist und bleibt die bedingungslose Kapitulation. Es wird keine Verhandlungen über Friedensbedingungen geben mit denen, die den Frieden gebrochen haben.»
Die bedingungslose Kapitulation war die Lektion, die die westliche Bourgeoisie aus dem Ersten Weltkrieg gelernt hatte, als am 11. November 1918 ein Waffenstillstand ausgehandelt worden war, obwohl die deutsche Armee in Frankreich noch nicht einmal vollständig geschlagen war und Deutschland niemals besetzt worden war. Wäre eine bedingungslose Kapitulation jedoch durch die geplante Invasion 1919 erzwungen- und ganz Deutschland von den Alliierten besetzt worden, hätte die «schreckliche» Erschütterung der Deutschen Revolution, die den Kapitalismus zu stürzen drohte, verhindert oder vielleicht rasch von alliierten Besatzungsarmeen niedergeschlagen werden können. Das hätte auch das Fortbestehen des deutschen Heeres und sein Wiederzuwachs verhindern können.
Die japanische Kriegsregierung verstand, die von ihr verlangte bedingungslose Kapitulation entsprechend als Ankündigung des Sturzes ihres Kaisers. Hatte nicht die deutsche Niederlage 1918 den Sturz der kaiserlichen Monarchie ausgelöst, als die Alliierten die Abdankung Wilhelms II. forderten?
In der Demokratischen Partei, der Regierung von Präsident Franklin D. Roosevelt bzw. Harry Truman sowie in den Medien der USA gab es eine gewisse Linke, die Kaiser Hirohito als Kriegsverbrecher richten-, vielleicht sogar aufhängen wollte, weil er an der Ausarbeitung der Eroberungspläne des japanischen Imperialismus beteiligt war.
Für alle Japaner:innen wie für die Alliierten bedeutete die Drohung mit dem Sturz von Kaiser Hirohito, dass die japanischen Streitkräfte und ein Grossteil der Bevölkerung mit der Energie der Verzweiflung kämpfen und sich nicht ergeben würden.
Als Harry Truman am 12. April 1945 Präsident wurde, war es für alle Entscheidungsträger in Washington und London offensichtlich, dass Japan bereits völlig am Ende war. Mehr als 50 Städte waren zu Trümmern bombardiert worden und die U-Boote der US Navy hattendie gesamte japanische Handelsflotte zerstört. Japan konnte nichts mehr per Schiff zwischen seinen vier Inseln des Mutterlandes transportieren und seine Armeen in Burma, Indonesien, Malaysia, Indochina, Mandschurei und China weder versorgen noch zurückholen.
In London und Washington gingen alle Entscheidungsträger davon aus, dass Japan sehr bald kapitulieren würde. Erstens, weil es unter dem Schock des Angriffs der Roten Armee in der Mandschurei wanken würde. Und zweitens, wenn die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation sinnvoll durch eine Zusicherung ergänzt würde, dass Kaiser Hirohito auf seinem Thron bleiben darf.
Dies war im Übrigen auch aus militärischen Gründen geboten, unter anderem weil nur ein Rundfunkbefehl Hirohitos, die zahllosen japanischen Garnisonen, die auf den Pazifikinseln, den Philippinen, in Indonesien, Burma, Malaysia, Indochina und China verstreut waren, dazu bringen kontte, ihre Waffen niederzulegen.
Die Erklärung auf der Potsdamer Konferenz
Es war vereinbart worden, dass sich die Grossen Drei (Harry Truman, Winston Churchill und Josef Stalin) Ende Juni 1945 in Potsdam, einem Vorort von Berlin, treffen würden – also zwei Monate nach der Kapitulation Deutschlands am 8 Mai 1945. Die US-Regierung plante, zusammen mit Churchill und Chiang Kai-shek, dem chinesischen Präsidenten, von Potsdam aus eine förmliche Erklärung an Japan zu richten, in der Japan ultimativ zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert wurde.
Aber Truman beantragte eine Verschiebung der Potsdamer Konferenz und erhielt sie. Sie fand nun vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof in Potsdam statt. Als Grund für die Verschiebung hatte Truman das Ende des Steuerjahres 1944 angegeben. In Wirklichkeit wissen wir heute, dass der Grund darin bestand, dass der Test der ersten Atombombe Trinity in der Wüste von New Mexico frühestens am 16. Juli stattfinden konnte. Truman und Byrnes wollten die Bombe in der Tasche haben, bevor sie sich mit Stalin trafen.
Gar Alperovitz und sein Team haben nicht weniger als ein Dutzend Anträge von Beteiligten der Potsdamer Konferenz bei Truman gezählt, die forderten, dass die beruhigende Nuance in Bezug auf den Kaiser, dass er weiterhin sein Amt ausführen könne, Teil der geplanten Potsdamer Erklärung sein sollte. Sie war Punkt 12 des vom US-Staatssekretariat vorbereiteten Textes. Gar Alperovitz schreibt: «Die Frage ist, warum Truman und Byrnes einen politischen Kurswechsel beschlossen und aus der Warnung die spezifischen Zusicherungen für den Kaiser strichen, zu denen alle anderen massgebenden Beteiligten rieten?»
Denn als Japan schliesslich am 9. August 1945 kapitulierte, wurde ja die Stellung des Kaisers doch bewahrt. In Potsdam liessen Byrnes und Truman diesen Punkt 12 streichen und die Erklärung fiel durch ihre Banalität auf, die nichts Neues brachte.
Die Atombombe auf der Konferenz von Potsdam
Am Vorabend des Treffens der Grossen Drei in Potsdam am 17. Juli 1945 erfuhren Truman und Byrnes von der erfolgreichen Trinity-Explosion in Alamogordo. Am 21. Juli erhält Truman den ausführlichen Bericht von General Groves und gibt ihn Churchill zum Lesen. Stimson berichtet in seinem Tagebuch, was Churchill daraufhin zu ihm sagte:
«[Er] erzählte mir, er habe bei der gestrigen Sitzung der Drei bemerkt, dass Truman offensichtlich durch ein Ereignis sehr ermutigt worden sei und dass er den Russen in höchst nachdrücklicher Weise die Stirn bot und ihnen bezüglich gewisser Forderungen mitteilte, dass sie keineswegs erfüllt würden und dass die Vereinigten Staaten absolut dagegen seien. Er sagte: “Jetzt weiss ich, was mit Truman gestern los war. Ich konnte es nicht verstehen. Als er in die Sitzung kam, nachdem er diesen Bericht gelesen hatte, war er ein anderer Mensch. Er sagte den Russen einfach, wo es langging, und führte überhaupt während der ganzen Sitzung das Kommando.”»
Nicht sicher, ob Trinity funktionieren würde, kamen Truman und Byrnes nach Potsdam, um den Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan zu erwirken. Aber da Trinity gut funktionierte, brauchte die UdSSR nicht mehr in den Krieg gegen Japan einzutreten. Man musste ihr daher auch nicht mehr die Mandschurei, Korea und vielleicht sogar eine Beteiligung an der Invasion Japans überlassen. Die Atombombe sollte Japan schnellstens zur Kapitulation zwingen, um der UdSSR den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Das Zielkomitee
In seinen öffentlichen Erklärungen und seinen Memoiren schreibt Truman, dass die Atombomben auf militärische Ziele abgeworfen wurden. Das ist völlig falsch. Hiroshima hatte nur wenige Fabriken, die für die Verteidigung arbeiteten, und diese befanden sich in den Vororten. Das Stadtzentrum war jedoch das Ziel.
Die Ziele für die beiden Atombomben wurden schon sehr früh, im Mai 1945, vom Zielkomitee/Target Committee ausgewählt. Hiroshima wurde ausgewählt, weil es eine Stadt war, die noch nie von der US-Air Force bombardiert worden war und auch nicht bombardiert werden sollte. Eine mittelgrosse Stadt, die in einem Bergkessel am Meer lag. Die Berge sollten die Wirkung der Bombe verstärken, die so eingestellt war, dass sie in 500 Metern Höhe explodierte. Der Zweck war es, die Kapitulation zu beschleunigen, und deshalb mussten die japanischen Gemüter sehr stark erschüttert werden.
Die Uran-235-Bombe («Little Boy») war in Hiroshima erprobt worden, und natürlich musste auch die andere, die Plutonium-244-Bombe («Fat Man»), erprobt werden. Doch Nagasaki war nicht das erste Ziel des Fluges, der am 9. August 1945 die zweite Bombe abwarf. Das eigentliche Ziel war das grosse Militärarsenal in Kokura, dass von Kasernen und den Häusern der Arbeiter:innen umgeben war. Aber am 9. August war es über Kokura bewölkt und so entschied man sich für Nagasaki.
Historiker:innen fragen sich bis heute, warum eigentlich diese zweite A-Bombe abgeworfen wurde, als wäre die Erste nicht genügend gewesen. Eine Erklärung ist, dass die Verantwortlichen es als nötig ansahen, um gegenüber dem Kongress die 400 Millionen Dollar zu rechtfertigen, die für die Plutoniumproduktion in Hanford (Staat Washington) seit 1943 ausgegeben worden waren.
Fazit
Gar Alperovitz schliesst sein Buch wie folgt: «Nun konnte der Krieg durch die Bombe vielleicht nicht nur vor einer Invasion, sondern auch vor dem Einmarsch der Roten Armee in die Mandschurei beendet werden.» Die Geschichte der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki veranschaulicht den Zynismus und die Verheimlichungen des US-Imperialismus. Die Bombe zerstäubte nicht 120‘000 Japaner:innen, um die japanische Regierung zur Kapitulation zu zwingen, sondern der Krieg wurde verlängert, bis die Bombe bereit war, auf Japan abgeworfen zu werden, um die Sowjetunion einzuschüchtern. Der “Sklavenhalter” Jimmy Byrnes aus South Carolina verkörperte Washingtons Anspruch, nach dem Zweiten Weltkrieg absolut hegemonial in der ganzen Welt zu sein.
Titelbild: Hiroshima nach dem Atombombenabwurf
[1] Gar Alperovitz, Hiroshima. Die Entscheidung für den Abwurf der Bombe, Hamburger Edition, 1995. Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Zitate aus dieser deutschen Fassung des Buches.
[2] Im Film Oppenheimer, ist Patrick Blackett der Professor, den sein Student Robert Oppenheimer mit einem Apfel vergiften will.
[3] McGeorge Bundy war von 1961 bis 1966 der Nationale Sicherheitsberater der Präsidenten Kennedy und Johnson, der die Bombardierung Vietnams forcierte und den Sturz des südvietnamesischen Präsidenten Ngo Din Diêm im Oktober 1963 organisierte.
[4] Gar Alperovitz, The Decision to Use the Atomic Bomb, Vintage Books, Random House, New York, 1996.
[5] Und auch : Gar Alperovitz and Martin J. Sherwin, « They Did it Anyway: The US, the Atomic Bomb and Hiroshima », Socialist Project, The Bullet, August 4, 2023,
[6] Kristine Phillips, The Washington Post, July 17, 2018.
[7] François Fejtö, Histoire des Démocraties populaires, 1.L’ère de Staline (Geschichte der Volksdemokratien, 1.Die Ära Stalin), Points Histoire, Le Seuil, Paris, 1952-1969.
[8] Leo Szilard, « A Personal History of the Atomic Bomb », University of Chicago Roundtable 601, 25. September 1949.
[9] In Oak Ridge, Tennessee, war 1943 eine riesige, ultrageheime Urananreicherungsanlage mit über 50.000 Beschäftigten gebaut worden, die Strom von der Tennessee Valley Authority, der 1933 im Rahmen des New Deal gegründeten Bundesbehörde für Schifffahrt und Wasserkraft des Flusses Tennessee, nutzte.
[10] Das Office for Strategic Services/OSS, 1942 gegründet, war der US-Nachrichtendienst, Vorgänger der CIA,1947 gegründet.
[11] Robert Guillain, J’ai vu brûler Tokyo, Arléa, Paris, 1990, Seiten 265-266. Robert Guillain, Korrespondent der Pariser Tageszeitung Le Temps, verbrachte in Japan den ganzen Krieg hindurch.
[12] Jeremy Kuzmarow, Roger Peace, « Was There a Diplomatic Alternative ? The Atomic Bombing and Japan’s Surrender », The Asia-Pacific Journal, Volume 19, Issue20, Number 4, Article ID 5643, Oct. 15, 2021.