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Über die Aktualität der kommunistischen Einheitsfronttaktik

Der Aufstieg rechtsextremer Parteien in Europa nimmt erschreckende Ausmasse an. In Italien regiert die Faschistin Meloni, die AfD wird bei der Bundestagswahl 2025 wohl ihr bisher bestes Ergebnis erzielen, und in Österreich wird die von SS-Schergen gegründete FPÖ die Regierung stellen. In europäischen Städten finden regelmässig Naziaufmärsche statt. Die Unfähigkeit der Behörden und der Unwille der Polizei, dagegen vorzugehen, ist keine geschichtliche Neuheit und wird bei jedem Aufmarsch wieder bestätigt. Die Linke muss es selbst tun. Aber mit welchen Bündnissen können wir den Aufstieg des Faschismus in Europa bekämpfen? Die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung im 20. Jahrhundert gibt Antworten auf diese Frage.

von Philipp Schmid (BFS Zürich)

Die historische Aufgabe des Faschismus

Die historische Aufgabe des Faschismus nach dem 1. Weltkrieg war es, die Arbeiter:innenbewegung zu zerschlagen, um eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft zu verhindern und das Überleben des Kapitalismus mit massiver Gewalt zu sichern. Aus Angst vor der aufstrebenden Arbeiter:innenbewegung waren weite Teile der Konservativen und Liberalen bereit, mit den Faschist:innen zu kooperieren und ermöglichten ihnen den Aufstieg zur Macht. Die Kapitalist:innen wiederum liessen ihr Privateigentum von faschistischen Schlägerbanden schützen und akzeptierten oder unterstützten dafür auch ihre politische Machtübernahme und die Errichtung einer faschistischen Diktatur.

Aber dass es heute keine grossen Arbeiter:innenorganisationen mit Massenanhang wie in den 1920/30er Jahren mehr gibt und die Möglichkeit einer sozialen Revolution in weite Ferne gerückt ist, heisst nicht, dass keine faschistische Gefahr existiert. Ebenso wenig lässt sich daraus ableiten, dass der Faschismus im 21. Jahrhundert eine grundlegend andere Aufgabe zu erfüllen hätte als im vorigen.

Die faschistische Gefahr heute

Die Kapitalist:innen und die bürgerlichen Regierungen finden derzeit keine Rezepte, um aus den multiplen strukturellen Krisen – Klimakrise, ökonomische Verwerfungen und Verarmung, Care-Krise, innerimperialistische Spannungen und Kriege – zu einem einigermassen funktionierenden Akkumulationsregime und den dafür notwendigen stabilen politischen Verhältnissen zurückzukehren. Deshalb hat der Kapitalismus gegenwärtig, auch ohne die Gefahr einer grundlegenden Umwälzung der Eigentumsverhältnisse, das Potenzial, wieder faschistische Barbarei hervorzubringen. Liberale und Konservative setzen bereits heute zentrale Forderungen der extremen Rechten um. Der faschistischen Forderung nach Remigration, also der Deportation von Millionen Menschen, die als nichteuropäisch dargestellt werden und angeblich nicht in die Volksgemeinschaft des 21. Jahrhunderts passen, kommen die bürgerlichen Parteien entgegen mit der Ausrufung des europäischen Asylnotstands, der Verschärfung der Abschiebepraxis von Migrant:innen, dem Ausbau des europäischen Grenzregimes und der Verschärfung der Repressionsmassnahmen im Inneren. Darüber hinaus ist es alles andere als abwegig, dass insbesondere die fossile Industrie den angesichts der Klimakatastrophe längst überfälligen Ausstieg aus ihrem Geschäftsfeld notfalls mit Hilfe faschistischer Banden verhindern wird.

Aus diesen Gründen muss eine konsequente antifaschistische Strategie damals wie heute auf die Überwindung des Kapitalismus zielen, um dem Faschismus den Nährboden zu entziehen.

Ein dauerhafter, stabiler Kompromiss zwischen Wirtschaftswachstum und wirksamer Klimapolitik, Profitstreben und sozialem Ausgleich, imperialistischer Konkurrenz und Frieden, ist im Kapitalismus unmöglich. Aufgrund dieser inhärenten Widersprüche produziert der Kapitalismus regelmässig strukturelle Krisen, die auch im 21. Jahrhundert Menschen dazu bringen können, sich faschistischen Bewegungen zuzuwenden. Darum muss eine konsequente antifaschistische Strategie damals wie heute auf die Überwindung des Kapitalismus zielen, um dem Faschismus den Nährboden zu entziehen.

Diese strategische Ausrichtung löst aber das Problem von angemessenen Handlungsmöglichkeiten angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse nicht. Wir müssen eine Antwort auf die Frage finden, mit welchen konkreten Mitteln und Bündnissen wir in sozialen Abwehrkämpfen gegen Rechts vorgehen können, um eine kollektive Basis für solidarische Alternativen zu Krieg und Krise zu schaffen. Die Erfahrungen der Arbeiter:innenbewegung und der Kommunistischen Internationale zu Beginn der 1920er Jahre bieten dafür einige lehrreiche Ansatzpunkte.

Die Entstehung der Einheitsfronttaktik

Die sozialistische Machtergreifung in den wirtschaftsstärksten europäischen Ländern stand nicht mehr auf der Tagesordnung nach dem Abflauen der revolutionären Phase 1917-1921, als die letzten Arbeiter:innenaufstände in Deutschland und Italien niedergeschlagen worden waren. Der 1923 von der III. Internationale geführte Aufstand der Kommunistischen Partei Deutschlands («Deutscher Oktober») stellt eine Ausnahme dar, war aber nie mit grossen Erfolgsaussichten verbunden gewesen. Die Kommunist:innen stellten sich ab 1920/21 auf eine längere, defensive Phase ein. Die Kapitalist:innen setzten zu Gegenangriffen an und attackierten Löhne, Arbeitszeit sowie erkämpfte betriebliche Vertretungen.

Mit der Einheitsfronttaktik sollte ein Schritt auf die sozialdemokratischen Arbeiter:innen zugegangen werden, um gemeinsam die nach dem 1. Weltkrieg erkämpften Errungenschaften zu verteidigen. Gleichzeitig sollte dies dazu dienen, sie für das revolutionäre Lager zu gewinnen.

1921 entwickelte die III. Internationale, die Weltorganisation der kommunistischen Parteien, auf ihrem 3. Kongress die Taktik der Einheitsfront. In den Kämpfen nach dem 1. Weltkrieg zeigte sich, dass sich die sozialdemokratischen Arbeiter:innen nicht so schnell von ihrer Partei lösen würden, wie von den Kommunist:innen erwünscht. Die Kommunist:innen waren weiterhin eine Minderheit.

Gründungskongress der Kommunistischen Internationale 1919, in der Mitte Lenin, dahinter Trotzki

Die Arbeiter:innen, teils seit Generationen in allen Lebensbereichen durch sozialdemokratische Vorfeldorganisationen (Kultur-, Bildungs-, Sport- und Musikvereine), Gewerkschaften und Parteien sozialisiert, waren nicht bereit oder fähig, sich von diesem Milieu zu trennen. Sie blieben ihrer Partei und deren Führung treu, trotz der konterrevolutionären und klassenverräterischen Rolle, die sie während den europäischen Revolutionen nach 1917 spielte.

Als Teil der proletarischen Klasse blieben die sozialdemokratischen Arbeiter:innen aber objektive Verbündete. Mit der Einheitsfronttaktik sollte nun ein Schritt auf sie zugegangen werden, um gemeinsam die nach dem 1. Weltkrieg erkämpften Errungenschaften zu verteidigen. Gleichzeitig sollte dies dabei helfen, die sozialdemokratischen Arbeiter:innen von der Richtigkeit der kommunistischen Praxis zu überzeugen, und sie für das revolutionäre Lager zu gewinnen. Dafür würden die Kommunisti:innen auch mit den reformistischen Führungen verhandeln, ohne jedoch ihre eigenständige politische Handlungsfähigkeit aufzugeben. Der 4. Kongress der III. Internationale hielt fest: «Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern, die anderen Parteien oder Gruppen angehören, und mit allen parteilosen Arbeitern zwecks Verteidigung der elementarsten Lebensinteressen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Jeder Kampf um die kleinste Tagesforderung bildet eine Quelle revolutionärer Schulung, denn die Erfahrungen des Kampfes werden die Werktätigen von der Unvermeidlichkeit der Revolution und der Bedeutung des Kommunismus überzeugen. […] Der wirkliche Erfolg der Einheitsfronttaktik erwächst von „unten“, aus den Tiefen der Arbeitermasse selbst. Die Kommunisten können dabei aber nicht darauf verzichten, unter gewissen Umständen auch mit den Spitzen der gegnerischen Arbeiterparteien zu unterhandeln. […] Die Selbständigkeit der Agitation der Kommunistischen Partei darf auch während der Verhandlungen mit den Spitzen keinesfalls eingeschränkt werden.»

Die Prinzipien der Einheitsfront

Die Einheitsfronttaktik der III. Internationale beruht auf mindestens vier zentralen Prinzipien, die bis heute gültig sind.

1. Die Einheitsfront ist ein Bündnis zwischen linken (Arbeiter:innen-)Organisationen – auch mit reformistischen linken Organisationen – mit einem doppelten Ziel. Erstens sollen die Interessen und Errungenschaften der Lohnabhängigen durch kollektive Kämpfe verteidigt werden. Zweitens sollen diese kollektiven Erfahrungen das Vertrauen der Lohnabhängigen in ihre eigene Stärke und Selbstorganisation fördern, um das revolutionäre Lager zu stärken.

2. Innerhalb des Bündnisses werden gemeinsame inhaltliche Ziele vereinbart. Jede Organisation innerhalb des Bündnisses behält ihre politische, agitatorische und propagandistische Autonomie. So können innerlinke Grabenkämpfe überwunden werden, ohne die bestehenden Differenzen unter den Tisch zu kehren. «Getrennt marschieren, vereint schlagen», fasste dies Trotzki 1931 zusammen.

3. Es wird versucht, alle linken (Arbeiter:innen-)Organisationen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, welche die inhaltliche Basis teilen, und zwar sowohl die Organisationsbasis als auch deren Führung. Keine Organisation wird aufgrund nicht nachvollziehbarer Begründungen oder «Prinzipien» ausgeschlossen. Angestrebt wird die «Einheit der Lohnabhängigen» und nicht nur die «Einheit der Revolutionär:innen».

4. Die Freiheit der Kritik und der öffentlichen Debatte der einzelnen Bündnispartner:innen muss gewährleistet sein. Das Werkzeug der Kritik ist fundamentaler Bestandteil der linken Bewegung. Inhaltliche und strategische Debatten öffentlich zu machen, ist kein Zeichen von Schwäche gegenüber den politischen Gegner:innen, sondern Ausdruck einer demokratischen Kultur, die kollektive Lernprozesse einer Bewegung ermöglicht.

Die Einheitsfront als Alternative zu Sekierertum

Die Einheitsfronttaktik stand im Gegensatz zu sektiererischen Bündniskonzeptionen wie den stalinistischen Alleingängen in der Zeit der Sozialfaschismusthese 1924-1935. Sie besagte, dass die Sozialdemokratie den linken Flügel des Faschismus darstelle und daher ebenso bekämpft werden müsse wie die eigentlichen Faschist:innen. Sie entstand parallel zur Stalinisierung der UdSSR ab 1922 und Stalins Abkehr vom Ziel der Weltrevolution, die in der Propagierung des «Sozialismus in einem Land» ihren Ausdruck fand. Das Zentralorgan der KPD schrieb z.B. im November 1931: «Der Hitler-Faschismus unterscheidet sich keineswegs grundsätzlich von dem Faschismus der Brüning-Parteien [liberal-rechte Parteien]. […] Die SPD ist die entscheidende Kraft, die die Durchführung der faschistischen Diktatur in Deutschland ermöglicht. […] Kampf gegen den Faschismus heisst Kampf gegen die SPD, genauso, wie es Kampf gegen Hitler und die Brünig-Parteien heisst. Nicht mit, sondern gegen Breitscheid [SPD] wird der Faschismus in Deutschland geschlagen […].»[1]

Die Gleichsetzung der SPD mit den Nazis verhinderte – ebenso wie die sozialdemokratische Feindschaft gegenüber den Kommunist:innen – ein Bündnis unter deutschen Arbeiter:innen und war mitverantwortlich dafür, dass Hitler sein faschistisches Terrorregime errichten konnte.

Einheit der Lohnabhängigen vs. Einheit der Revolutionär

Die Sozialfaschismusthese lebt bis heute in modifizierter Form in Teilen der linksradikalen Szene fort. Insbesondere in der deutschsprachigen Linken gibt es in fast allen Städten «Revolutionäre Bündnisse», die sich aus kommunistischen Kleinorganisationen zusammensetzen. Typisch sind klandestine Organisationsformen, Black-Block-Auftritte und eine generelle Orientierung auf die linksradikale Szene. Im Kampf gegen Rechts wird die «Einheit der Revolutionär:innen» propagiert.

Die jüngeren historischen Ursprünge dieser autonomen, linksradikalen Bündnisorientierung liegen in den 1970er Jahren. Die Verfechter:innen teilten die Analyse, dass sowohl die grossen eurokommunistischen als auch die sozialdemokratischen Parteien und ihre Arbeiter:innenbasis das Ziel einer revolutionären Umwälzung aufgegeben haben – was soweit richtig ist – und dass deshalb die Einheit unter denen gesucht werden muss, die noch für die Revolution kämpfen. Eine Zusammenarbeit mit sogenannten «reformistischen» Organisationen und Lohnabhängigen wird aus Prinzip ausgeschlossen. Die Schlussfolgerung ist also die gleiche wie die aus der Sozialfaschismusthese und führt auch heute in der Tendenz zu einem sektiererischen Verhalten gegenüber all jenen Lohnabhängigen, die (noch) nicht revolutionär sind, es aber durch eine gemeinsame Praxis werden könnten.

Die Einheitsfront als Alternative zu Opportunismus

Die Einheitsfronttaktik steht darüber hinaus im Widerspruch zur opportunistischen Haltung, Bündnisse gegen Rechts mit Teilen des Bürgertums einzugehen. Die Massendemonstrationen im Januar 2024 gegen die Alternative für Deutschland (AfD) und ihre Remigrationspläne haben dies gezeigt. Die Demonstrationen waren zu begrüssen, eine «Brandmauer» gegen Rechts ist daraus aber nicht entstanden. Der Aufbau einer dauerhaften antifaschistischen Gegenmacht zusammen mit den Ampelparteien, die in ihrer Regierungszeit sowohl Sozialabbau als auch eine rassistische Migrationspolitik betreiben, war offensichtlich nicht möglich.

Solche republikanischen Fronten gegen Rechts werden heute vor allem von bürgerlichen und sozialliberalen Kreisen gefordert. Historisch wurde diese Position aber auch vom Stalinismus vertreten. Nachdem die Sozialfaschismusthese mit der Machtübernahme der Nazis offensichtlich in die Katastrophe geführt hatte, wurde ab 1933/35 die sogenannte Volksfronttaktik propagiert.

Gründungskongress der Antifaschistischen Aktion der KPD 1932: Ab 1932 propagierte die KPD zwar die Einheitsfront mit der SPD. Dass dies nicht wirklich ernst gemeint war, erkennt man schon am Transparent links, das die repressive Rolle der SPD ins Zentrum des Kongresses stellt.

Sie leitete eine 180-Grad-Wende in der kommunistischen Bewegung ein und forderte fortan im Kampf gegen Rechts das Bündnis nicht nur mit der Sozialdemokratie (was einer Einheitsfront entspräche), sondern auch mit den «antifaschistischen», republikanischen Teilen des Bürgertums. Dazu wurde in der III. Internationale 1933 bzw. auf dem Kongress 1935 eigens die kommunistische Faschismusdefinition angepasst. Man orientierte sich nun an der bekannten Definition des Stalinisten Georgi Dimitroffs, welcher Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ zusammenfasste.

Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass alle Kapitalist:innen, die nicht Teil des Finanzkapitals waren (aber natürlich trotzdem ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus hatten), zu potentiellen Bündnispartnern der Kommunist:innen wurden. Dimitroffs Faschismusdefinition lieferte die theoretische Rechtfertigung für eine Bündnispolitik mit dem republikanischen Bürgertum. Umso absurder ist es, dass die Dimitroffsche Faschismusmdefinition bis heute in vielen Organisationen der linksradikalen Szene verbreitet ist. Denn das eigentliche Ziel, das die stalinistische Führung mit der Volksfronttaktik verfolgte, war vielmehr die Verhinderung revolutionärer Umwälzungen, wie die Beispiele Frankreich und Spanien 1936 zeigen. In beiden Ländern kam es 1936 zu revolutionären Aufständen: in Frankreich aus Enttäuschung über die unerfüllten Versprechen der regierenden Volksfront, die von der Kommunistischen Partei Frankreichs unterstützt wurde, und in Spanien als Reaktion auf den Putschversuch Francos.

In beiden Fällen spielte die KP eine systemerhaltende und konterrevolutionäre Rolle. Die Volksfronttaktik verlangte nämlich die Unterordnung der revolutionären Ziele unter die Interessen der pro-kapitalistischen Bündnispartner:innen und trug so zur Stabilisierung der Verhältnisse bei. Ziel der UdSSR war es, die Beziehungen zu den europäischen Mächten Frankreich und England nicht zu gefährden, da Stalin versuchte, sie in ein Verteidigungsbündnis gegen Hitler einzubinden. Zudem hatte Stalin kein Interesse an einer sozialistischen Revolution, die einen demokratischen Sozialismus auf der Basis von Fabrikräten und Arbeiter:innenselbstverwaltung hervorbringen und damit das Ansehen seiner eigenen „sozialistischen“ Parteidiktatur gefährden würde.

Es wäre unverzeihlich, die Fehler, die die kommunistische Bewegung im 20. Jahrhundert begangen hat, ein zweites Mal zu machen. Die Prinzipien der Einheitsfronttaktik können die revolutionäre Linke davor bewahren.

Trotz teilweise radikaler Rhetorik spielen die alten stalinistischen und poststalinistischen Parteien bis heute eine systemstabilisierende, keine systemüberwindende, Rolle. Ein aktuelles Beispiel ist die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ), die grosse Wahlerfolge erzielte und in Graz sogar eine ganze Stadt regiert. Damit kann sie zwar teilweise ein linksreformistisches Programm umsetzen, aber den Kapitalismus überwindet sie nicht. Und die faschistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) war bei den Nationalratswahlen im September 2024 auch in Graz die eigentliche Wahlsiegerin.

Die Lehren für heute

Nachdem der französische Präsident Macron als Reaktion auf den Wahlsieg des rechtsextremen Rassemblement National (RN) bei den Europawahlen im Juni 2024 das Parlament aufgelöst hatte, deutete vieles darauf hin, dass der RN als Sieger aus den Neuwahlen hervorgehen würde. Um dies zu verhindern, schlossen sich innerhalb weniger Tage mehr als 100 linke Organisationen und Gewerkschaften zur Nouveau Front Populaire (NFP) zusammen, die ein linksreformistisches Programm verfolgte, das unter anderem die Rücknahme der trotz massiver Streiks durchgesetzten Rentenreform Macrons von 2023 vorsah. Die NFP war weit mehr als ein Abkommen zwischen den Apparaten, sie entsprach einem echten Bedürfnis der linken Bevölkerung. Sie entsprach, zumindest in einigen Regionen, einer Einheitsfront von unten. Davon zeugten die Massenveranstaltungen der NFP während des Wahlkampfes in ganz Frankreich. Die Linke in Frankreich war sich bewusst, dass ein Sieg der RN zu einem Aufstieg des Strassenfaschismus und zu massiven Angriffen auf demokratische Rechte, linke Organisationen, gewerkschaftliche Organisierung, Migrant:innen und die Errungenschaften der feministischen und LGBTIQ-Bewegung führen würde. Ein Sieg der RN musste daher unbedingt verhindert werden.

Wichtige Teile der revolutionären Linken wollten nicht abseits stehen und Teil dieser Dynamik werden. «Angesichts der Herausforderungen der Situation erscheinen diese Organisationen [revolutionäre Organisationen, die nicht Teil der NFP waren] als marginal und sektiererisch und sind dementsprechend nutzlos für unser soziales Lager», schrieb die Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA-l’Anticapitaliste) im Juni 2024. Sie arbeiteten in der NFP daran, dass die kollektive Erfahrung innerhalb des Bündnisses eine zukünftige Einheit in sozialen Kämpfen schaffen und so zu einem Hebel für die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse werden kann.Dank der NFP konnte bis auf weiteres verhindert werden, dass die RN bei den Wahlen im Juni und Juli 2024 an die Regierung kam. Allerdings war auch die sozialliberale Parti Socialiste (PS), die mit ihrer sozial- und neoliberalen Politik für den Aufstieg der RN mitverantwortlich war, Teil der NFP. Ob sich aus der NFP langfristig eine echte antifaschistische Einheit entwickeln kann, die dem Faschismus tatsächlich den Boden entziehen kann, ist daher ungewiss. Die Gefahr ist gross, dass sich die Parti Socialiste und andere pro-kapitalistische Organisationen durchsetzen und die NFP nicht nur dem Namen nach, sondern auch in der politischen Realität zu einer republikanischen Volksfront wird, wie es in Spanien und Frankreich in den 1930er Jahren der Fall war. In diesem Fall könnte sie einen Sieg des RN bei den Präsidentschaftswahlen 2027 nicht verhindern.

Dennoch war die Gründung der NFP wichtig, um einen Sieg des RN zu verhindern. Sie hat auch gezeigt, dass die Linke das Potenzial hat, eine echte Gegenmacht zu bilden, wenn sie sich auf eine inhaltliche Basis und eine – wenn auch kurzfristige – Taktik einigen kann. Der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann[3], der bis heute von neostalinistischen und maoistischen Organisationen als grosser Arbeiterführer verehrt wird, meinte noch eine Woche nach der Machtübernahme der Nazis im Februar 1933: «Das, was sich gegenwärtig in ganz Deutschland abspielt, die täglichen Demonstrationen, Zusammenstösse, Kampfhandlungen in allen Teilen des Reiches, ist der beste Ausdruck dafür, wie geladen, wie gespannt von revolutionären Energien die ganze Atmosphäre ist[4]

Thälmann und die KPD-Führung glaubten ernsthaft, dass die Nazis innerhalb weniger Monate abgewirtschaftet hätten und dies den Weg für die Machtübernahme der Kommunist:innen ebnen würde. Einen Monat nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den ehemaligen Weltkriegsgeneral und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg war die grösste kommunistische Partei ausserhalb der UdSSR zerschlagen.

Die Faschist:innen dürfen nicht an die Macht kommen. Der beste Garant dafür ist eine linke Bewegung, die fortschrittliche Organisationen, Gewerkschaften und emanzipatorische Bewegungen in einem Bündnis vereint und das drohende Übel an seinen kapitalistischen Wurzeln packt. Es wäre unverzeihlich, die Fehler, die die kommunistische Bewegung im 20. Jahrhundert begangen hat, ein zweites Mal zu machen. Die Prinzipien der Einheitsfronttaktik können die revolutionäre Linke davor bewahren.


[1] Rudolf Breitscheid sass für die SPD im Reichstag. Nach der Machtübernahme der Nazis floh er nach Frankreich. Das nazihörige Vichy-Regime lieferte ihn 1941 an die Gestapo aus. Er wurde im KZ Buchenwald inhaftiert, wo er 1944 starb.
[2] Rote Fahne, 18.11.1931
[3] Ernst Thälmann war seit 1924 Vorsitzender und Reichtstagsabgeordneter für die KPD. Er wurde bereits am 3. März 1933 verhaftet. Nach 11 Jahren Einzelhaft in verschiedenen Gefängnissen und KZ wurde er im August 1944 auf Befehl von Adolf Hitler erschossen.
[4] Referat auf der Tagung des ZK der KPD, 7. Februar 1933.

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