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Ökosozialismus: Eine strategische Debatte eröffnen (Teil 3)

Christian Zellers Buch „Revolution für das Klima, warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen“ fordert eine Debatte über eine zukünftige ökosozialistische Strategie. An dieser Stelle äussert sich Christian Hoffmann zu den Vorschlägen und geforderten Massnahmen in Zellers Buch und stellt ihnen eine Reihe von Forderungen aus der ökologischen Bewegung gegenüber, die als Sofortprogramm eine raschen und bedeutenden Rückgang der CO2-Emissionen zur Folge hätten. (Red.)

von Christian Hofmann

Langsam zeichnet sich – nicht nur auf dieser Internetpräsenz – eine Strategiedebatte um ökosozialistische Interventionsmöglichkeiten ab. Wenig überraschend ist Christian Zellers Argumentationslinie bisher Ausgangspunkt der Diskussion. Unbestritten ist sein Buch „Revolution für das Klima“ aus ökosozialistischer Perspektive, mindestens für den deutschsprachigen Raum, das Beste, welches bisher erschienen ist. Zusätzlich ist es Zeller, der fast unermüdlich zur Strategiedebatte auffordert und ermutigt und es als einer der wenigen radikalen Linken sogar gelegentlich schafft, über den eigenen kleinen Kreis hinaus immerhin wahrgenommen zu werden. So weit, so erfreulich.

Was sind die nächsten Schritte?

So groß aber die theoretischen und praktischen Leistungen ökosozialistischem Engagements der letzten Jahre auch sein mögen, so trüb bleiben bisher die Aussichten auf nächste Schritte, geschweige denn erste dringend notwendige Erfolge. Hier klafft die „grosse Lücke zwischen lächerlichem Minimalismus und abstraktem und letztlich ohnmächtigem Maximalismus“, wie Urs Zuppinger in der hiesigen Debatte Christian Zeller mit dessen eigenen Worten noch einmal vor Augen führt. Zuppinger selbst findet noch drastischere Worte für das „Kernproblem“ aller Ökosozialist:innen: „Ein Abgrund trennt beim aktuellen Stand des Klassenkampfs das Verhalten der Lohnabhängigen von den Anforderungen, die zu erfüllen sind, um die konkrete Umsetzung der ökosozialistischen Perspektive zu ermöglichen“. Und vollkommen richtig fährt er fort: „Es bleibt nur noch äusserst wenig Zeit, um eine radikale Verbesserung dieser ‚Randbedingung‘ herbeizuführen, denn die Umsetzung unseres Projekts untersteht den genau gleichen, extrem kurzen Fristen wie der bevorstehende Klimakollaps“. Es muss also gelingen, innerhalb kürzester Zeit die grosse Lücke zwischen „lächerlichem Minimalismus und abstraktem und letztlich ohnmächtigem Maximalismus zu schliessen“. 

Diese ‚extrem ungünstige Ausgangslage‘ wurde von Zuppinger in seinem Debattenaufschlag gut auf den Punkt gebracht und Zeller räumt in seiner Antwort freimütig ein: „Urs Zuppinger benennt in seiner Kritik zu Recht eine strategische Herausforderung, der ich zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet habe.“ Mit dieser strategischen Herausforderung wären wir genau an dem Punkt angelangt, auf den es auch unseres Erachtens ankommt. Denn bei allen Vorzügen, die „Revolution fürs Klima“ unbestritten hat, bleibt das Buch bezüglich dem dringenden Handlungsbedarf tatsächlich in einer ‚unklaren, abstrakten und letztlich nicht erklärten Perspektive‘ stecken. In der bisherigen strategischen Debatte ist diese Problematik gut herausgearbeitet, aber die Perspektive ist aus unserer Sicht nicht wirklich klarer geworden.

Klimabewegung und Gewerkschaften: Ein Hoffnungsschimmer?

Zuppinger bleibt äußerst kleinteilig und geht konkret eigentlich nur auf die Frage ein, welche Berufsperspektiven die jungen Klimaaktivist:innen anvisieren könnten. Er bemerkt selber dazu, dass dies nur einen „kleinen Teil der Fragestellung abdeckt.“ Wir sind hier noch skeptischer und könnten nicht einmal beantworten, ob diese Frage überhaupt von Relevanz ist. Zumindest auf den – nicht wenigen – Klimaprotesten, an denen wir uns beteiligt haben, wurde diese Frage nicht diskutiert und wir hätten auch nicht gewusst, wo wir sie wie hätten einfließen lassen können!? Zeller dagegen bleibt in der Diskussion nicht kleinteilig, sondern versucht in seiner Antwort die große Perspektive zu zeichnen und verweist auf drei Ebenen: Auf der ersten Ebene geht es ihm um den Neuaufbau einer Bewegung der Lohnabhängigen. Auf der zweiten Ebene um soziale Verankerung der radikalen Klimabewegung und auf der dritten um den transnationalen, letztlich globalen Maßstab. Die genannten drei Ebenen sind in dieser Abstraktheit sicherlich nicht falsch. Die durchaus praktischen Beispiele, wo bereits (neue) soziale Bewegungen und Klimaproteste sich annähern oder zusammenwirken, sind gut gewählt und bilden tatsächlich den kleinen Hoffnungsschimmer am Horizont. Aber ob die bisher doch sehr überschaubaren Ergebnisse ausreichen, um die jungen Klimaaktivist:innen zu motivieren? Dass Teile der jungen Klimaaktivist:innen in Deutschland beispielsweise auf Verdi zugegangen sind, war natürlich ein großartiger Schritt, weil es immerhin der Versuch war, die eigene soziale Bubble zu verlassen und aus der ökologischen eine sozialökologische Frage zu machen. Trotzdem sollte man die Ergebnisse nicht überschätzen. Oft sind die Aktivist:innen nur auf den hauptamtlichen Apparat der Gewerkschaft getroffen, der versucht hat, sie für seine klassische Politik – also auf Wachstum ausgerichtete Tarifauseinandersetzungen – einzuspannen. Aller Anfang ist schwer – und wir wollen nicht behaupten, dass aus diesen kleinen Aktionen nicht mehr erwachsen könnte. Allerdings sollte man auch hier nicht – mangels Alternativen – vorschnell ins Schwärmen kommen. 

Die Unterstützung von kleinteiligen Tarifauseinandersetzungen auf der einen Seite und die große Hoffnung, diese mögen dereinst den Blick für das große Ganze schärfen, ist ja gerade die „grosse Lücke zwischen lächerlichem Minimalismus und abstraktem und letztlich ohnmächtigem Maximalismus“, die es schnellstmöglich zu schließen gilt. In „Revolution fürs Klima“ versucht Zeller genau dies mit einer ganzen Reihe von Übergangsforderungen. Diese verstehen wir so, dass sie der Versuch sind, eine Möglichkeit zu bieten, sofort ins Handeln zu kommen und trotzdem über den Kapitalismus hinausweisen, also das, was radikale Linke mit Verweis auf Rosa Luxemburg oft als ‚revolutionäre Realpolitik‘ bezeichnen. Zusammengefasst geht es in ‚Revolution fürs Klima‘ um den ökologischen Umbau der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion, die radikale Abrüstung als Schritt zur Infragestellung der Armeen, den Aufbau eines dezentralen Systems erneuerbarer Energien, den Umbau der Städte und den Ausbau von gesellschaftlichen Infrastrukturen wie Mobilität und gutem Wohnen. Nicht zuletzt enthält das Buch das Plädoyer für den Umbau der öffentlichen Finanzen zur gesellschaftlichen Umverteilung des Reichtums und zur Finanzierung des Umbaus, letzten Endes Finanzinstitutionen im Dienste des gesellschaftlichen und ökologischen Umbaus. Dazu kommt die Forderung nach Selbstorganisierung überall, wo es möglich ist, und den Aufbau von Gegenmacht von unten. Soweit Zeller.

Die Frage der Umsetzbarkeit

Die Idee von revolutionär realpolitischer Klimapolitik ist unseres Erachtens wegweisend, schließlich brauchen wir jetzt sofort erste Maßnahmen und Erfolge, sonst ist der Klimakollaps nicht mehr abzuwenden. Auch müssen diese Erfolge, wenn irgend möglich, bereits in Richtung Aufhebung des Kapitalverhältnisses zielen, denn dauerhaft wird man den Kapitalismus unmöglich so zähmen können, dass er sich im Rahmen der planetaren Grenzen bewegt. Insofern unterstützen wir Zellers Ansatz unbedingt. Was allerdings seine im obigen Absatz aufgeführten Ideen anbelangt, haben wir einige Fragen und sehen durchaus auch Problematiken: Die Unterscheidung von in dieser Gesellschaft umsetzbaren Sofortmaßnahmen und Übergangsforderungen, die über diese Gesellschaft hinausweisen, verschwimmen im Buch unseres Erachtens ständig, was große Irritationen bezüglich der Umsetzbarkeit hervorruft. Nun hat sich Zeller natürlich einiges dabei gedacht und könnte sein Maßnahmenpaket sicherlich gut begründen. Tatsächlich könnte man hier lange auf einer Metaebene über das Verhältnis von Reformen und Revolution, das Hinüberwachsen des einen in das andere usw. diskutieren. Indes: Diese Diskussion würde uns beim momentanen Stand der Dinge nicht weiterbringen!

Die jungen Aktivist:innen wollen zu Recht jetzt unverzüglich erste Maßnahmen einleiten, um das Pariser Klimaschutzziel noch zu halten. Dies übrigens unabhängig davon, ob sie eher dem ‚System Change not Climate Change‘-Flügel der Bewegung angehören, oder dem realpolitischen. Die meisten würden diese Unterscheidung so vermutlich gar nicht vornehmen und sich irgendwo dazwischen verorten. Luisa Neubauer spricht sicherlich sehr vielen ihrer Mitstreiter:innen aus dem Herzen, wenn sie zum »System Change« kommentiert: „Ich fände es nice, würden wir mal besprechen, was in den nächsten drei Jahren passieren sollte.“ Wer die Fakten der Klimakrise ernst nimmt, kann dieser Aussage nicht widersprechen. Die Klimaerhitzung ist mittlerweile tatsächlich so dramatisch, dass wir es uns schlicht nicht mehr leisten können, mit der drastischen Reduzierung des Ausstoßes der Treibhausgase zu warten, bis unser derzeitiges Wirtschaftssystem gänzlich überwunden ist. 

Für ein Sofortprogramm!

Was die Klimabewegung jetzt braucht, ist ein Sofortprogramm, welches jetzt, in dieser Gesellschaft – am besten heute – einzuleiten ist. Als Ökosozialist:innen sind wir natürlich der festen Überzeugung, dass dieses Sofortprogramm dauerhaft nicht reichen wird. Um unsere Perspektive stark zu machen, sollten wir, wo immer es geht, Sofortmaßnahmen und längerfristige Perspektive verbinden. Der Clou wäre hier, frei nach dem kommunistischen Manifest, in allen diesen Forderungen die ‚Eigentumsfrage als die Kernfrage der Bewegung‘ herauszustellen. Die objektive Entwicklung selbst drängt in diese Richtung, denn Überwindung der zwanghaften Wachstumsgesellschaft und Sofortmaßnahmen bedingen sich wechselseitig. Natürlich müssen wir enorm aufpassen, uns in der jungen Bewegung nicht belehrend und oberlehrerhaft zu verhalten. Auch wenn wir uns sicher sind, der Bewegung theoretisch voraus zu sein, sollten wir nicht vergessen, wer in den letzten beiden Jahren die größeren Leistungen und Erfolge gebracht hat. 

In Anbetracht dieser Gedanken haben wir letztes Jahr versucht, Forderungen der Bewegung zu sammeln und diejenigen herauszunehmen, die in ihrer Umsetzung sowohl echte Auswirkungen bezüglich CO2-Reduzierung hätten, als auch nicht auf dem Rücken der Lohnabhängigen ausgetragen werden und dadurch zwangsläufig das bürgerliche Eigentum angreifen. Diese Forderungen oder Maßnahmen wären sofort umsetzbar und hätten trotzdem eine echte Stoßrichtung zu einem revolutionären Bruch mit dieser Eigentumsordnung. Die Forderungen sind nicht von uns erdacht, sondern kommen selbst aus der Bewegung oder dem Umfeld, sind dort aber teils wenig prioritär oder führen gar nur ein Schattendasein. Diese Forderungen – kein Anspruch auf Vollständigkeit und teils mit dem Fokus auf Deutschland! – müssten wir innerhalb der Proteste hervorheben. In diese Richtung bräuchten wir ein Sofortprogramm, mit welchem wir weit über die eigenen Reihen hinaus Zuspruch finden könnten. Hier eine Zusammenfassung der Sofortmaßnahmen in Schlagworten:

• Ein Kohleausstieg bis spätestens 2025 mit Entschädigungen nur für die (ehemaligen) Arbeiter:innen

• Ein massiver Ausbau der regenerativen Energien ohne Rücksicht auf Profite und Eigentum.

• Die Pflicht zur energetischen Sanierung des Wohnraums bei Verbot von Mietsteigerungen.

• Das Umschichten der landwirtschaftlichen Subventionen zugunsten von Ökolandbau mit hohen Umweltauflagen.

• Die entschädigungslose Überführung aller Wälder in Schutzgebiete.

• Einen kostenlosen ÖPNV und eine massive Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken.

• Einen Güterverkehr auf der Schiene.

• Die Streichung aller Steuervorteile für den individuellen, motorisierten Verkehr, wie etwa dem Dienstwagenprivileg.

• Strikte Tempolimits.

• Personalisierte Kontingente fürs Fernfliegen. Außerdem gilt es:

• Den Klimaschutz in die (Betriebs)Versammlungen zu bringen. Da freie Zeit der eigentliche Reichtum ist, muss nicht zuletzt die Einführung der 30h-Woche bei vollem Lohnausgleich und ein Mindestlohn von 16 Euro gefordert werden.

Diese und ähnliche Forderungen bieten unseres Erachtens mehrere Vorteile. Im Gegensatz zu den Maßnahmen aus „Revolution fürs Klima“ wären sie tatsächlich sofort umsetzbar. Sie kommen aus der Bewegung und sind konkret und greifbar. Trotzdem haben sie sozialökologische Sprengkraft und heben sich von allen Varianten ab, die ökologische Krise auf das Individuum und/oder den Markt abzuschieben.

Ökologie als Lifestyle?

Im Gegensatz zu vielen anderen Ideen die in und um die Klimabewegung diskutiert werden sind sie – ähnlich den Ideen von Zeller – in einer weiteren Perspektive wertvoll. Im gängigen Diskurs wird die ökologische Frage noch immer als Lifestyle einer gut betuchten und ernährungsbewussten Elite wahrgenommen. Hier dient Öko tatsächlich dazu, den eigenen Lebensstil zur Show zu stellen. Dies ist sicherlich einer der Gründe, warum weite Teile der Lohnabhängigen der jungen Ökologiebewegung skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Wir erinnern uns: „Ein Abgrund trennt beim aktuellen Stand des Klassenkampfs das Verhalten der Lohnabhängigen von den Anforderungen, die zu erfüllen sind, um die konkrete Umsetzung der ökosozialistischen Perspektive zu ermöglichen“ (Zuppinger). Die ökologische Frage aus der Lifestyle-Ecke herauszuholen und zu einer politischen Frage – letztlich zu einer Frage des Klassenkampfes – zu machen wäre hier ein riesiger Schritt. Eine Abkehr von den kapitalistischen Formen des Wachstumszwangs kann immerhin den Lebensstandard auch enorm heben. Dies gilt erst recht, wenn freie Zeit, kurze Wege zum Arbeiten und Einkaufen, zur Schule und zur Kita, saubere Luft und begrünte Straßen, auf denen die Kinder spielen können, als wahrer Reichtum begriffen werden. Nachhaltiger Wohlstand sollte nicht mit kapitalistischem Konsumzwang verwechselt werden. Auch für diese Perspektive würden obige Sofortmaßnahmen genügend Raum und Anknüpfungspunkte bringen.

Ursprünglich und ausführlicher haben wir viele der in diesem Artikel dargelegten Gedanken in dem Paper „Kapital kann kein Klima“ (Herbst 2020) entwickelt (siehe vor allem die Abschnitte 7 & 8 in Kapital kann kein Klima). Die dort ausgeführten Gedanken und Sofortmaßnahmen haben weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch stehen sie im prinzipiellen Widerspruch zu Zellers Ideen. Wir finden allerdings nach wie vor, dass sie an vielen Punkten – gerade was die praktische Arbeit in und mit der Klimabewegung anbelangt – konkreter und greifbarer sind. Eine Programmatik mit Sofortmaßnahmen könnte mindestens ein weiterer Schritt sein, um aus der ‚unklaren, abstrakten und letztlich nicht erklärten Perspektive‘ herauszukommen. Wir würden es sehr begrüßen wenn alle Ökosozialist:innen in einen produktiven Austausch treten und diese Strategiedebatte fortführen. 

When do we want it? – now! 


Christian Hofmann veröffentlichte 2020 zusammen mit Philip Broistedt „goodbye Kapital“ im Papy Rossa Verlag.

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1 Kommentar

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