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Grünes Gas für die Energiewende?

Auch die Landwirtschaft soll ihren Teil zur «Energiewende» beitragen. Die EU-Kommission setzt auf einen massiven Ausbau von Biogas, bis 2030 soll sich die Produktion verzehnfachen. Entstehen sollen v. a. Grossanlagen zur Biomethan-Produktion. Dies wird nicht nur weitreichende Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die ländlichen Räume, sondern auch auf die Umwelt haben. Im derzeitigen «marktliberalen» Modell der Energiewende wird Biomethan, genauso wie «grüner» Wasserstoff, vor allem zur Legitimierung und Fortschreibung fossiler Infrastruktur genutzt.

von Eva Gelinsky; aus emanzipation.org

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine und die durch Putin veranlasste Drosselung der Gaslieferungen durch Gazprom, sind die europäischen Regierungen gezwungen, ihre Energieabhängigkeit von Russland zu verringern. Doch anstatt den fossilen Ausstieg konsequent voranzutreiben, geschieht das Gegenteil; in Europa investiert vor allem Deutschland in den Auf- und Ausbau von Flüssiggasanlagen (LNG). Diese Entwicklung, also die verstärkte Erschliessung und Nutzung fossiler Energieträger, läßt sich auch international beobachten; die«fossile Gegenoffensive» läuft (Fossile Gegenoffensive – Grüner Kapitalismus ist nicht in Sicht).

Die für LNG erforderliche kapitalintensive Infrastruktur wird sich erst in Jahrzehnten amortisieren. Darum ist davon auszugehen, dass auch die gegenwärtig getätigten Investitionen die Nutzung von Erdgas langfristig festschreiben werden; es droht ein fossiler Lock-in. Gerechtfertigt und «grün gewaschen» wird der Ausbau mit der Behauptung, die neuen LNG-Terminals seien «H2-ready»; sie sollen sich also rasch auf die Nutzung von Wasserstoff (und dessen Derivate, z. B. Ammoniak) umstellen lassen. Kritische Energieexpert:innen verweisen auf technische Probleme: Tatsächlich werde meist ein erheblicher Umbau notwendig sein, der die Neubaukosten für Wasserstoffterminals übersteigen könnte. Oft heiße «H2-ready» auch nur, dass eine Beimischung von Wasserstoff zu Erdgas möglich wäre; dies verzögere den Erdgasausstieg weiter. Grundsätzlich sei die Gaslobby an der Produktion und Nutzung von «blauem» (1) (statt «grünem») Wasserstoff interessiert, um noch möglichst lange fossiles Erdgas verkaufen zu können.

Darüber hinaus sind (auch) in Deutschland in den nächsten Jahren zusätzliche Gaskraftwerke geplant, die dann einspringen sollen, wenn die erneuerbaren Energien phasenweise nicht genügend Strom erzeugen können («Back-up-Kraftwerke»). Um einen Anreiz für den Bau solcher Anlagen zu schaffen, hat die EU Gaskraftwerke letztes Jahr sogar als klimafreundlich eingestuft. Und auch hier ist zumindest theoretisch vorgesehen, dass in den neu gebauten Anlagen ab spätestens 2036 nur noch «CO2-neutrale Gase» eingesetzt werden dürfen. Allerdings bestehen, neben dem grundsätzlichen Problem der mengenmässigen Verfügbarkeit dieser «grünen» Gase, auch hier diverse technische Hürden, die die Umstellung behindern werden (2).

Neben Gaskraftwerken könnten auch Biogasanlagen flexibel Strom bereitstellen (3), die erforderliche Infrastruktur wäre bereits in einem gewissen Ausmaß vorhanden. In den Ausbauplänen der deutschen Bundesregierung spielt Biogas jedoch nur eine untergeordnete Rolle (zu den Gründen, siehe 2.), die installierte Leistung der Anlagen könnte sogar sinken (4).

Anders sieht es in der EU aus: Neben Wasserstoff setzt die EU auf den Ausbau der «klimaneutralen» Gasquelle Biomethan. Im 2022 vorgestellten REPowerEU-Plan ist festgehalten, dass Europa bis 2030 jährlich nicht mehr nur 17 Milliarden (so das Ziel im Fit-for-55-Paket), sondern 35 Milliarden Kubikmeter Biomethan produzieren soll (5). Damit würde sich die Produktion in der gesamten EU bis 2030 verzehnfachen; 20 % der Erdgaseinfuhren aus Russland sollen sich auf diese Weise ersetzen lassen.Neben Biomethan sollen auch Biogas und Bio-LNG (siehe Kasten) zur Dekarbonisierung der Industrie, der Gebäude und des Verkehrssektors beitragen.


Biogas entsteht, wenn organisches Material in speziellen (Biogas-)Anlagen mit Hilfe von Bakterien unter Ausschluss von Sauerstoff (anaerob) abgebaut wird. Je nach eingesetztem Material produzieren die Bakterien Biogas mit einem Methangehalt von 50 bis 75 %. Bei den meisten Biogasanlagen wird das entstandene Gas vor Ort in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Vergoren wird meist gut abbaubare Biomasse wie Gülle und Energiepflanzen (vor allem Mais-, Getreide- und Grassilage). Genutzt werden können auch organische Abfälle und Reststoffe aus Landwirtschaft und Industrie, sowie Bioabfälle aus kommunalen Sammlungen. Stroh und Holz sind unter anaeroben Bedingungen nur schwer oder gar nicht abbaubar und werden daher nicht eingesetzt.

Biomethan: Da der Methangehalt von Biogas zu gering ist, kann es nicht ins Erdgasnetz eingespeist werden. Bei der sogenannten Veredelung wird Biogas getrocknet, entschwefelt und das enthaltene CO2 abgeschieden. Der Methangehalt wird dabei fast verdoppelt. Erst bei einem Methangehalt von 98 Prozent hat Biogas dieselben chemischen Eigenschaften wie fossiles Erdgas und kann ins Erdgasnetz eingespeist werden, so dass dessen Nutzung von der Erzeugung räumlich getrennt erfolgen kann.

Bio-LNG: Bio-LNG besteht aus Biogas, welches gereinigt und in Erdgasqualität zu Biomethan aufbereitet wird. Das Biomethan wird im Folgeprozess bei ca. -150 bis -160 Grad Celsius verflüssigt. Bio-LNG kann u. a. als Kraftstoff (LKW, Schifffahrt) eingesetzt werden.


Wie sind diese Ausbaupläne zu bewerten, die bereits das fossile Kapital und weitere Grossinvestoren anziehen (siehe 1.)? Ähnlich wie für Wasserstoff gilt auch für Biomethan und Bio-LNG, dass diese vielseitig fossile Treibstoffe ersetzen und so fossile Infrastruktursysteme am Leben halten können – zum Beispiel den Verbrennermotor oder das Erdgas-Verteilnetz. Alte Geschäftsmodelle lassen sich so fortsetzen. Dies dient vor allem den Interessen der fossilen Konzerne (6), ein grundlegender Umbau des Energiesystems wird dagegen weiterhin behindert. Denn genauso wie «grüner» Wasserstoff wird auch Biomethan/Bio-LNG insgesamt zu knapp und und zu teuer sein, um in allen vorgesehenen Bereichen zur Dekarbonisierung eingesetzt zu werden (siehe 5.). Daher ist davon auszugehen, dass in vielen Industrie- und Infrastruktursystemen noch über lange Zeit fossiles Gas (ob als LNG oder «grauer» bzw. «blauer» Wasserstoff) zum Einsatz kommen wird. Aufgrund der begrenzten Mengen sollten Biomethan und Bio-LNG also gezielt nur dort genutzt werden, wo eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist und für ihren Einsatz keine Alternativen bestehen.

Während Wasserstoff durch gigantische Produktionsanlagen im Globalen Süden neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse fortschreiben wird, dürfte die forcierte Biogasproduktion nicht nur weitreichende Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die ländlichen Räume, sondern auch auf die Umwelt haben (siehe 4.). Bereits jetzt geraten mit dem Ausbau und den entsprechend geänderten politischen Rahmenbedingungen kleinere Anlagen, die im ländlichen Raum bislang zur dezentralen Strom- und Wärmeproduktion genutzt wurden, unter Druck. Gegen neue Großanlagen, die mit entsprechend großen Mengen an Biomasse und Reststoffen wie Gülle «gefüttert» werden müssen, gibt es z. B. in Frankreich und Deutschland zunehmend Proteste (siehe 3.).

Unter kapitalistischen Verhältnissen – dies zeigen (auch) die Entwicklungen im Bereich Biogas – ist nicht mit einer vernünftigen, bedarfsgerechten und ökologisch akzeptablen Energieversorgung zu rechnen. Biogas erspart nicht den industriellen Um- und Rückbau, den eine wirklich sozial-ökologische Wirtschaft verlangt. Auch die dringend erforderliche Neuausrichtung der Landwirtschaft wird durch den von der Industrie und der EU geplanten Ausbau der Biomethanproduktion massiv behindert. Darüber hinaus drohen klimaschädliche Effekte, weil der vorgesehene Bedarf an «CO2-neutralem Gas» auf absehbare Zeit nicht «grün» zu decken sein wird. Damit unterstreicht auch das Beispiel Biogas, dass neben einem grundlegenden Umbau der Landwirtschaft auch dringend konkrete Schritte in Richtung eines gesamteuropäisch organisierten, vergesellschafteten Energiesektors unternommen werden sollten, wie sie z. B. die Kampagne RWE & Co. enteignen vorschlägt.

1. Die fossilen Konzerne beginnen in den Biogassektor zu investieren

Auch wenn das Kerngeschäft der fossilen Konzerne immer noch – und aktuell auch wieder im wachsenden Maße – in der Exploration und im Verkauf fossiler Energieträger besteht und sie zuletzt ihre Investitionen in erneuerbare Energien teilweise reduziert haben, finden global seit 2021 verstärkt Übernahmen im Biogassektor statt.

BP ist unter den europäischen Großkonzernen führend; seit Oktober 2022 ist der Konzern im Besitz des US-Unternehmens Archaea Energy. Archaea produziert Biogas an 50 Standorten in den USA in einem Umfang von rund 6.000 Barrel Öläquivalent pro Tag (boe/d) (etwa 365 Millionen Kubikmeter Biogas pro Jahr). BP geht davon aus, dass sich die Produktion von Biogas in den USA bis 2030 auf 70.000 boe/d (ca. 4 Mrd. m³/Jahr) versiebenfachen wird (7). BP hat ein globales Biogas- und Biokraftstoffgeschäft aufgebaut, das, so das Unternehmen, in einem zunehmend unterstützenden Umfeld mit schnell wachsender Nachfrage und attraktiven steuerlichen Anreizen positioniert sei. BP erwartet eine Rendite von mehr als 15 % aus seinem Bioenergiegeschäft.

Auch andere große europäische Konzerne investieren. Im November 2022 zahlte Shell rund 2 Milliarden Dollar für das dänische Unternehmen Nature Energy, den größten Produzenten von Biogas in Europa. Nature Energy produziert rund 3.000 boe/d Biomethan und plant einen weiteren Ausbau der Produktion in Dänemark, den Niederlanden und Frankreich. Shell selbst hat 2021 mit der Produktion von Biomethan in seiner ersten US-Anlage in Oregon begonnen und will dort mit vier im Bau befindlichen Projekten weiter expandieren. Aktuell investiert der fossile Konzern in große Biomethan-Anlagen im Norden Brandenburgs, im Landkreis Vechta und in Nordfrankreich (siehe 3.). Neben Biomethan ist Shell seit einigen Jahren im Bio-LNG-Markt aktiv. Anfang 2022 hat das Unternehmen im Rheinland mit dem Bau der derzeit größten Bio-LNG-Anlage begonnen (8). Der Konzern betreibt auch entsprechende Tankstellen (in Deutschland bislang rund 40, in Österreich hat Shell Anfang 2023 die erste LNG-Tankstelle eröffnet, die später auf Bio-LNG umgestellt werden soll). Bei der Biomethan-Produktion setzt Shell vor allem auf die Verwendung von Gülle, da diese – im Vergleich zu nachwachsender Biomasse wie Mais – eine bessere CO2-Bilanz aufweist. Der Begriff «Bio-LNG» sollte allerdings nicht missverstanden werden: Da Biomethan auf absehbare Zeit nicht in den erforderlichen Mengen verfügbar ist, wird an den Tankstellen eine Mischung von Biomethan und fossilem Methan angeboten.

Das französische Unternehmen TotalEnergies hat sich das Ziel gesetzt, bis 2025 weltweit 2 Terawattstunden Biogas und Biomethan pro Jahr und bis 2030 mehr als 20 TWh/Jahr zu produzieren. Das Unternehmen kaufte 2021 Frankreichs größten Biogashersteller, Fonroche Biogaz, und schloss 2022 eine globale Vereinbarung mit Veolia zur Erzeugung von Biomethan. Total hat auch Biomethanprojekte in den USA, Indien und den Niederlanden. Im Januar 2023 nahm das Unternehmen die Biogasproduktion in seiner 18. Anlage, der größten in Frankreich, in BioBearn auf. Die Anlage soll 2023 69 Gigawattstunden Biomethan produzieren, das in das regionale Gasnetz eingespeist wird. Die volle Kapazität der Anlage beträgt 160 Gigawattstunden pro Jahr. Außerdem soll Total bei der polnischen Regulierungsbehörde UOKIK einen Antrag auf Übernahme des größten polnischen Biogasunternehmens Polska Grupa Biogazowa gestellt haben, das 15 mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerke und zwei Solarkraftwerke in Polen besitzt.

Es sind nicht nur europäische Großkonzerne, die in das Biogasgeschäft einsteigen: Im Februar 2023 gab das US-amerikanische Goldman Sachs Asset Management bekannt, dass es eine Biomethan-Geschäftseinheit namens Verdalia Bioenergy einrichtet. Verdalia wird zunächst in Anlagen in Spanien investieren. In den nächsten vier Jahren beabsichtigt Verdalia mehr als 1 Milliarde Dollar im Sektor anzulegen.

2. Deutschland setzt primär auf Wasserstoff – und große Biomethan-Anlagen

Innerhalb der EU ist Deutschland der mit Abstand größte Biogasproduzent. Laut Daten der Branche verfügt die Bundesrepublik über knapp 10.000 von insgesamt 20.000 Biogasanlagen. Allerdings sind nur rund 250 Biogasanlagen an das Erdgasnetz angeschlossen, daher wird nur ein geringer Anteil (10 TWh) der insgesamt ca. 95 TWh in Biomethan umgewandelt. Biomethan deckt damit nur ein Prozent des jährlichen Gasverbrauchs.

Schon die erste Ausbauphase ab Mitte der 1990er Jahren hat erhebliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die ländlichen Räume. Was in den 1980er Jahren im kleinen Maßstab auf bäuerlichen Betrieben zur Energie-Selbstversorgung beginnt, weitet sich aus, als die Bundesregierung mit einer gesetzlich garantierten Einspeisevergütung pro Kilowattstunde die Produktion attraktiver macht. Da viele bäuerliche Betriebe mit der Lebensmittelproduktion kaum noch Geld verdienen – eine direkte Folge der EU-Agrarpolitik des «Wachsens oder Weichens» – , steigen sie in die Biogasproduktion ein; in der Hoffnung, damit ihren Betrieb zu retten. Bald reichen die hofeigene Gülle und sonstige Reststoffe nicht mehr, der Maisanbau weitet sich aus und die Kritik an der «Vermaisung» der Landschaft nimmt zu. Die Anlagen werden nun überwiegend mit Mais gefüttert, weil Mais eine deutlich höhere Methanausbeute hat als Gülle. Der Staat zahlt bis zu 20 Cent proKilowattstunde Biogas-Strom, garantiert auf 20 Jahre – ab 2009 sogar 27 Cent. Das beschleunigt den Kampf der Landwirt:innen um Pachtflächen, deren Preise markant steigen.

In mehreren Etappen, in denen das EEG immer wieder angepasst wird, erfolgt 2014 mit einer deutlichen Kürzung der Einspeisevergütung die Kehrtwende: Die Biogasproduktion rechnet sich nicht mehr, die Zeiten garantierter Renditen sind vorbei. Mit dem EEG 2014 beginnt die Bundesregierung den Schwerpunkt auf die energetische Nutzung von biogenen Rest- und Abfallstoffen zu legen. Diese Ausrichtung soll sowohl das Potential dieser bisher weitgehend ungenutzten Stoffe (v. a. Gülle) erschliessen, als auch die Flächen- und Nutzungskonkurrenzen reduzieren und die biologische Vielfalt, Böden und Gewässer entlasten. Gleichzeitig soll ein Beitrag dazu geleistet werden, die kontroverse Debatte über die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen zum Anbau von Energiepflanzen («Tank oder Teller») zu entschärfen. Die ökonomischen Auswirkungen, die diese geänderten Rahmenbedingungen für die bäuerlichen Betriebe haben, spielen in den politischen Überlegungen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

Mit dem aktuellen EEG 2023 setzt die Bundesregierung ihre Neuausrichtung des Sektors fort. Bevorzugt gefördert werden sollen nun große Biomethananlagen. Diese sollen jedoch nicht, wie herkömmliche Biogasanlagen, 5.000 bis 7.000 Stunden im Jahr Strom und Wärme erzeugen; die großen «Biomethan-Spitzenlastkraftwerke» dürfen nur knapp 900 Stunden in Betrieb sein. Als hochflexible Erzeuger («Peaker»-Anlagen) besteht ihr Zweck vor allem darin, die Residuallast zu decken.

Viel teurer könne man Strom kaum erzeugen, kritisiert die Biogasbranche. Das EEG hänge damit zudem den geplanten Erdgas-betriebenen «Back-up-Kraftwerken» ein grünes Mäntelchen um, indem diese in den wenigen Stunden Betriebszeit auch noch Biomethan verfeuern dürften. Auch bei den neuen Biomethan-Kraftwerken wird die (erhoffte) großflächige Umstellung auf Wasserstoff eingeplant. Alle neuen Anlagen müssen «H2-ready» sein, d. h. es ist technisch zu gewährleisten, dass sie Strom auch auf Basis von Wasserstoff herstellen können.

Parallel zum Ausbau der Biomethananlagen sollen die Ausschreibungen für die herkömmlichen dezentralen Biogasanlagen zurückgefahren werden. Dies dürfte zu einer massiven Stilllegung kleiner Vor-Ort-Biogasanlagen führen. Sowohl die Biogasbranche, als auch bäuerliche Verbände kritisieren, dass diese Anlagen aber gebraucht würden: sowohl für die dezentrale Wärmeversorgung, den Ausgleich der volatilen Stromproduktion durch Wind und Sonne, als auch für die landwirtschaftlichen Betriebe, die auf diesen Betriebszweig angewiesen sind.

Die Zurückhaltung der deutschen Politik in Sachen Biogas (9) könnte etwas mit dem anhaltenden Einfluss der Gasbranche zu tun haben, die für den «Energieumbau» vor allem auf Wasserstoff setzt: «Während öffentlich der «grüne» Wasserstoff aus erneuerbaren Energien vorangestellt wird, verfolgt die Gasindustrie neben der nur teilweise plausiblen Weiternutzung ihrer Infrastrukturen noch ein größeres Ziel: Je großflächiger auf Wasserstoff gesetzt wird, für den das «grüne» Angebot knapp ist, desto größere Lücken kann sie mit ihrem «blauen» Produkt füllen.» (10) (Thiele 2023: Die Gasindustrie ist die neue fossile Gegnerin der Klimabewegung. In: Neues Deutschland, 23. Februar).

3. Wachsende Proteste gegen Großanlagen

In Deutschland richten sich die Proteste derzeit gegen zwei von Shell geplante Anlagen, die im Norden Brandenburgs (11) und in Niedersachsen (Landkreis Vechta) entstehen sollen. Obwohl der Landkreis Vechta eine jener Regionen ist, die eine sehr hohe Viehdichte aufweisen, fürchten Landwirt:innen in der Region, dass die Gülle für den Betrieb nicht ausreicht. 450.000 Tonnen Gülle und Mist werden pro Jahr für den Betrieb der Anlage benötigt. Da die Tierzahlen in der Region sinken, wird davon ausgegangen, dass Shell die Stoffe aus einem grösseren Umkreis beschaffen muss; Lärm- und Geruchsbelästigungen durch das ständige Hin- und Herfahren von Lastwagen mit organischen Abfällen dürften die Folge sein.

Auch in Frankreich richtet sich der Widerstand vor allem gegen neue Großanlagen. Ein Beispiel ist das Projekt Métha Herbauges in Nordfrankreich, das von Nature Energy France (Shell) betrieben wird. Die Anlage, für die Kosten von 70 Millionen Euro veranschlagt sind, soll 500.000 Tonnen organische Stoffe und Zwischenfrüchte verwerten, um jährlich bis zu 23,6 Millionen Kubikmeter Biogas zu erzeugen. Viele Anwohner:innen fürchten, dass die Anlage negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben wird: Zum einen soll die Anlage jährlich 19.000 Kubikmeter Wasser verbrauchen. Zum anderen nähmen die Nutzungskonflikte zwischen Landwirtschaft und Energieerzeugung in Frankreich bereits an verschiedenen Orten zu: Die kleinbäuerliche Organisation Confédération Paysanne berichtet beispielsweise, dass in der Bretagne Biogasbetreiber viehhaltende Betriebe aufkaufen und in den Getreideanbau einsteigen. Nutzungskonkurrenzen könnten auch bei mittelgroßen Anlagen entstehen: Da die Anlagen, wenn sie einmal gestartet sind, fortlaufend zu 100 Prozent ausgelastet sein müssen, können Landwirt:innen dazu gezwungen sein, zusätzliche Biomasse einzukaufen. So sei es schon vorgekommen, dass Biogasbetreiber in trockenen Jahren den Viehhalter:innen den Futtermais weggekauft hätten, weil sie höhere Preise bezahlen könnten.

Nach Angaben der französischen Agentur für den ökologischen Wandel (ADEME) würde Frankreich mit seinen 160 Millionen Tonnen Viehabfällen pro Jahr über ein Potenzial zur Erzeugung von 130 TWh Biogas bei einem Gesamtgasverbrauch von fast 450 Twh verfügen. Um diese Gasmenge zu erzeugen, wären allerdings Hunderte Großanlagen wie Métha Herbauges erforderlich (12).

4. Folgen der intensiven Biogasproduktion für Landwirtschaft und Umwelt

Großanlagen wie sie derzeit in Frankreich und Deutschland entstehen, drohen eine Form der industrialisierten Tierhaltung festzuschreiben, die nicht nur grundlegende tierethische Fragen aufwirft, sondern auch massive Klima- und Umweltprobleme verursacht (13). In den kontroversen Diskussion um den Biogasausbau geht es also auch darum, welche Form der Landwirtschaft unterstützt und erhalten werden soll: der Landwirtschaftsbetrieb mit der kleinen Biogasanlage, die mit Gülle genauso viel Energie erzeugt, wie der Betrieb verbraucht oder die industrielle Biogasproduktion, die Unmengen an Gülle aus der industrialisierten Tierhaltung benötigt und für die zusätzlich auch Energiepflanzen angebaut werden müssen.

Mit dem Ausbau der Biogasproduktion steigen auch die Mengen, der nach der Fermentation zurückbleibenden Gärreste (14).

Zwar können bei der energetischen Nutzung von Gülle tendenziell
hohe Treibhausgas (THG)-Einsparungen gegenüber konventionellem Güllehandling erzielt werden; im Vergleich zur gewöhnlich praktizierten Lagerung und Ausbringung der Gülle können insbesondere die (gasförmigen) Ammoniakverluste reduziert werden. Allerdings ist auch die Verwertung der Gärrückstände mit ökologischen Probleme verbunden: In Deutschland fallen allein durch die bestehenden (kleineren) Anlagen jährlich ca. 82 Mio. t an, die von den Landwirt:innen und Biogasanlagenbetreibern verwertet werden müssen. Bei Großbetrieben steigen die anfallenden Mengen entsprechend: In Tierhaltungsbetrieben mit 10 000 Sauen und über 40 000 Ferkeln (15) und einer angeschlossenen Biogasanlage, die die Gülle zur Energieerzeugung nutzt, bleiben jährlich z. B. mehr als 60.000 t Gärreststoffe zurück. Der größte Teil dieser Gärrückstände wird aktuell noch in der Landwirtschaft als Dünger eingesetzt. Dabei stoßen Landwirt:innen und Anlagenbetreiber mehr und mehr an ihre Grenzen: Nährstoffüberschüsse v. a. in viehstarken Regionen und strenger werdende Rahmenbedingungen, darunter die Anpassung der Düngeverordnung, schränken die Ausbringung zunehmend ein. Eine Studie des Thünen-Instituts wies bereits 2010 darauf hin, dass eine weitere Ausweitung der Biogasproduktion daran scheitern könnte, dass es nicht genug Flächen gibt, um die Reste auszubringen. Daher wird zunehmend in energiereiche Aufbereitungsverfahren investiert, um die Gärrestmenge zu begrenzen und die Stoffe besser lager- und transportfähig zu machen, dazu zählen Separation, Trocknung, Pelletierung, biologische Behandlung, Verdampfung und Nährstoffextraktion.

Wie sich die Gärreste auf die Bodenfruchtbarkeit auswirken, ist umstritten. Kritiker:innen weisen darauf hin, dass durch die fermentierten Reststoffe noch weniger Humus aufgebaut wird, als durch herkömmliche Gülle: Damit Stickstoff und Kohlenstoff im Humus gespeichert und zur Bodenfruchtbarkeit beitragen können, muss das Verhältnis von Kohlenstoff zu Stickstoff 9 zu 1 betragen, wie im Humus selbst. Die meisten Gärreste erfüllen diese Bedingung nicht, im Allgemeinen enthalten sie weniger als 5 Kohlenstoffanteile pro Stickstoffanteil. Ist der Stickstoffanteil hoch, trägt der Dünger sogar zum Humusabbau bei. Gärreste wirken also wie synthetischer Stickstoffdünger: ihre Nährstoffe sind schnell pflanzenverfügbar, gleichzeitig besteht aber die Gefahr der Auswaschung; ihr großflächiger Einsatz kann so zu einer weiteren Nitratbelastung des Grundwassers beitragen (16).

Zu den Wirkungen von Gärresten gibt es insgesamt nur wenig Forschung. Kaum bekannt ist beispielsweise, welchen Einfluss Schwermetall- und Antibiotika-Einträge aus Futtermitteln, der Kupfereintrag aus der Klauenpflege oder Desinfektionsmittel-Reste auf Bodenmikroorganismen haben.

Das Umweltbundesamt weist darüber hinaus darauf hin, dass es sich bei Biogasanlagen um komplexe Industrieanlagen handelt, die ein erhebliches Risikopotenzial aufweisen: Da in Biogasanlagen große Mengen extrem entzündbarer und klimaschädlicher Gase erzeugt, gespeichert und umgesetzt werden, besteht v. a. in alten, schlecht gewarteten Anlagen und bei unsachgemäßem Gebrauch eine hohe Unfallgefahr. Dazu sind in den Anlagen erhebliche Volumina allgemein wassergefährdender Stoffe in Form von Gülle, Substraten oder Gärresten vorhanden. Bei den sogenannten Nawaro (Nachwachsende Rohstoffe)-Biogasanlagen, die vorwiegend Energiepflanzen vergären, sind außerdem die Umweltbelastungen bei der landwirtschaftlichen Produktion dieser Pflanzen zu beachten (17). Grundsätzlich konkurriert die energetische Nutzung von ⁠Biomasse⁠ mit anderen Verwendungsmöglichkeiten. Eigens auf fruchtbaren Ackerflächen angebauter «Energiemais» steht in direkter Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion, aber auch zu einer stofflichen Nutzung, zum Beispiel für biobasierte Kunststoffe oder Chemikalien.

Eine Steigerung der Nachfrage nach Anbaubiomasse hat auch Einfluss auf die globale ⁠Landnutzung⁠ (18). Die Ausweitung der Bioenergienutzung in den Industrieländern ist jedoch nicht der einzige Nachfragetreiber. Sie wird z. B. von einer steigenden Nachfrage nach tierischen Produkten und entsprechend hohem Futtermittelbedarf begleitet.

Durch die eingesetzte, zum Teil veraltete oder unzureichende Technik können Biogasanlagen, entgegen ihrem eigentlichen Sinn, auch kontraproduktiv für die Energiewende sein. Denn ein nicht unerheblicher Anteil, durchschnittlich etwa 5 %, des in Biogasanlagen produzierten Methans, entweicht unkontrolliert in die ⁠Atmosphäre⁠.

5. Abschliessende Bewertungen

Wie sinnvoll ist ein weiterer Ausbau der Biogas-Produktion und welche Funktion könnte Biogas im Rahmen der Energiewende einnehmen? Während verschiedene «Umweltstakeholder» (z. B. das Umweltbundesamt, der BUND oder die Deutsche Umwelthilfe) einen weiteren Ausbau äußerst kritisch sehen und Biogas nur eine beschränkte Rolle im zukünftigen «erneuerbaren» Energiesystem zuweisen, betrachtet die EU-Kommission eine verstärkte Nutzung v. a. von Gülle und anderen Reststoffen als unverzichtbar für die Energiewende. Allerdings dürften diese Ausbaupläne die bäuerliche Tierhaltung noch weiter unter Druck setzen. Darüber hinaus ist fraglich, ob die massiven Klima- und Umweltfolgen der industriellen Tierhaltung, die in Zukunft Hauptrohstofflieferant für die Biomethanproduktion sein dürfte, die Treibhausgaseinsparungen durch Biogas nicht vollständig zunichte machen.

Beim Vergleich verschiedener Techniken zur Produktion erneuerbarer Energien ist die jeweilige Flächeninanspruchnahme ein wichtiges Bewertungskriterium. Insbesondere fruchtbare Ackerflächen werden zunehmend knapp. Das Umweltbundesamt weist darauf hin, dass Wind- und Solarenergie der ⁠Biomasse⁠ in der Flächeneffizienz um ein Vielfaches überlegen sind. Während die Flächeneffizienz der Bioenergie wenig steigerungsfähig ist, hätten die Stromerträge von Photovoltaikanlagen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Zudem könnten Wind- und Solarenergie im Gegensatz zu Energiepflanzen auch auf bebauten oder unfruchtbaren Böden genutzt werden (19). Das UBA fordert daher, dass v. a. Anbaubiomasse aufgrund ihres hohen Bedarfs an fruchtbaren Flächen auch künftig nur in einem begrenztem Ausmaß zur Energieversorgung beitragen sollte (20).

Die heftig umstrittene Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) (21) weist Biogas konsequenterweise nur eine untergeordnete Rolle für die Wärmeversorgung zu. In einem Kommentar zum GEG fordert die Deutsche Umwelthilfe, dass biogene Gase auch öffentlich klar als nachrangige Heizungsoption kommuniziert werden sollten. Eine Gleichstellung mit Wärmepumpen und anderen erneuerbaren Energieträgern sei nicht angemessen: Zunächst entstehe Wärme aus Biogas lediglich als Koppelprodukt bei der Vor-Ort-Stromerzeugung und sei entsprechend rar. Zwar sollte eine verstärkte Nutzung der ausgekoppelten Wärme unbedingt angestrebt werden. Da jedoch bei vielen Biogasanlagen die Anschlüsse an Wärmenetze zu weit entfernt liegen würden, lasse sich die gasbasierte Wärmeerzeugung durch Biogasanlagen höchstens geringfügig ausweiten.

Auch sei der Hype um Biomethan kritisch zu hinterfragen. So gäbe es in Deutschland erst wenige Anlagen, die Biogas zu Biomethan aufbereiten und ins Gasnetz einspeisen. Dort werde es mit einem entsprechenden «Qualitätsaufschlag» teuer weiterverkauft. Negativ sei auch, dass vor allem größere Biomethananlagen, aufgrund der höheren Methanausbeute, nach wie vor Energiepflanzen nutzten; mehr als die Hälfte der Energiebereitstellung sei aktuell allein auf Mais zurückzuführen.

Daher fordert die Umwelthilfe einen konkreten Umstieg von Energiepflanzen auf nachhaltige Substrate (nicht nur Gülle, sondern organische Abfälle und Reststoffe aus Landwirtschaft und Industrie, sowie Bioabfälle aus kommunalen Sammlungen) (22). Diese knapp verfügbaren und teilweise saisonalen Schwankungen unterworfenen Ressourcen sollten nicht primär zur Wärmeerzeugung genutzt werden, sondern in hochflexiblen Biogasanlagen Strom zu Spitzenlastzeiten erzeugen und damit systemdienlich die fluktuierende Stromeinspeisung durch Wind- und Solaranlagen ausgleichen (23).

Das GEG ist darüber hinaus ein weiteres Beispiel dafür, wie «grüner» Wasserstoff und Biomethan zur Rechtfertigung fossiler (Gas-)Infrastruktur eingesetzt werden. In der aktuellen Fassung sieht das GEG vor, dass auch nach dem 1. Januar 2024 neue Gasheizungen eingebaut werden dürfen. Die Bedingung ist auch hier, dass die Heizungen auf Wasserstoff umrüstbar sein müssen. Da der auf absehbare Zeit rare und damit teure «grüne» Wasserstoff zuerst für die Dekarbonisierung von Industrieprozessen beispielsweise in der Stahl- oder Chemie-Industrie benötigt wird, dürfte er im Wärmebereich kaum zum Einsatz kommen. Bis Wohnungen mit «grünem» Wasserstoff zu erschwinglichen Preisen beheizt werden können, ist längst der nächste Heizungsaustausch fällig. Auch das Hintertürchen, «H2-ready»-Gasheizungen bei ausbleibendem Wasserstoffnetz anteilig mit Biomethan zu betreiben, führt in die Sackgasse. Denn auch Biomethan ist derart rar und teuer, dass die knappen Mengen zwischen dem Industrie-, Verkehrs- und Wärmesektor hart umkämpft sein werden.

Ähnlich kritisch lautet die Einschätzung bzgl. Bio-LnG. Die Gasindustriebehauptet, dass mit verflüssigtem Methan (LNG) betriebene Lkw weniger Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen ausstoßen als herkömmliche Diesel-Lkw und zwar unabhängig davon, ob sie mit fossilem oder erneuerbarem (Bio-)Kraftstoff betankt werden. Die Ergebnisse verschiedener Studien (24) hierzu sind allerdings ernüchternd: LNG-Lkw sind nicht besser für das Klima als Diesel-Lkw, weder bei den Treibhausgasen noch bei den Luftschadstoffen.

Die Gasindustrie verkauft LNG als praktikable «Brückentechnologie», mit der sich die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor sofort reduzieren ließen; in Zukunft soll der Gesamtbestand der Fahrzeuge mit erneuerbarem (Bio-)Methan betrieben werden. Doch auch hier stellt sich das Mengenproblem. Da nachhaltiges Biomethan aus erneuerbarem Strom nur in begrenzten Mengen verfügbar ist, dürften die Preise entsprechend hoch bleiben. Eine Analyse der Organisation Transport & Environment zeigt, dass das inländische Biomethanpotenzial selbst mithilfe extrem hoher Subventionen – bis zum Sechsfachen des Verkaufspreises von fossilem LNG – lediglich 18 Prozent des erwarteten Energieverbrauchs des deutschen Schwerlastverkehrs im Jahr 2050 decken könnte. Die Ausschöpfung dieses Potenzials käme den deutschen Steuerzahler nicht nur teuer zu stehen, sondern würde auch bedeuten, dass kein Biomethan für die Dekarbonisierung des Strom-, Gebäude- und Industriesektors übrig bliebe.

Weitere Investitionen in Fahrzeuge und LNG-Tankstellen dürften zu einem fossilen Lock-in führen: Da nicht genügend erneuerbares Methan zu wettbewerbsfähigen Kosten zur Verfügung stehen wird, dürfte die Branche stattdessen auf fossiles Erdgas zurückgreifen (müssen), um den Kraftstoffbedarf einer wachsenden LNG-Flotte zu decken. Solange einige Lkw-Hersteller, Spediteure, Infrastrukturbetreiber und – siehe Shell – fossile Konzerne weiterhin in diese Technologie investieren, haben sie ein Eigeninteresse daran, diese Investitionen zu schützen.

Die EU-Kommission hält sich bei ihren ambitionierten Ausbauszenarien an Gutachten und Einschätzungen, die ein deutlich positiveres Bild zeichnen. Im September 2022 lancierte sie gemeinsam mit Industrievertreten das Biomethane Industry Partnership-Program. Biomethan, so die zentrale Behauptung, sei das billigste und am schnellsten skalierbare erneuerbare Gas auf dem Markt. Ebenfalls 2022 wurde ein Mitteilungsentwurf der Kommission bekannt. In diesem wird deutlich, dass sie der Biogaserzeugung eine zentrale Rolle zuweist, um den Agrarsektor der EU vor den steigenden Energiekosten zu schützen. Mit dem Ausbau, der landwirtschaftlichen Betrieben eine zusätzliche Einkommensquelle erschließen soll, sollen die durch die hohen Energiepreise drohenden«Wettbewerbsnachteile gegenüber der Konkurrenz aus Drittländern» vermieden werden. Doch welche Betriebe werden vom Ausbau profitieren und unterstützt die Biogasproduktion tatsächlich «den grünen Wandel in der Landwirtschaft», wie es die Kommission behauptet? Wie oben bereits erwähnt, lassen Investitionen wie jene von Shell in Deutschland, Nature Energy (Shell) in Frankreich oder dem Investment Fond Copenhagen Infrastructure in Spanien (Katalonien) den Schluss zu, dass der Biomethanausbau vor allem die industrialisierte Tierhaltung fortschreiben wird. Ein Industriezweig, der mit bäuerlicher Landwirtschaft schon lange nichts mehr zu tun hat und dessen Umwelt- und Klimabilanz verheerend ist. Landwirtschaftliche Betriebe spielen in dieser vertikal stark integrierten Branche – wenn überhaupt – dann nur noch die Rolle von Subunternehmern und Zulieferern (25). Diese – über die GAP hinausgehende – Subventionierung der Fleischindustrie fällt darüber hinaus ausgerechnet in eine Zeit, in der – siehe das Beispiel Niederlande – die intensive Tierhaltung an ökologische Grenzen stößt. Ein «grüner Wandel in der Landwirtschaft», dies unterstreicht auch das Beispiel Biogas, ist mit der herrschenden EU-Agrarpolitik also ganz sicher nicht zu haben.

Für den Energiebereich gilt: Im derzeitigen «marktliberalen» Modell der Energiewende wird Biomethan, genauso wie «grüner» Wasserstoff, vor allem zur Legitimierung und Fortschreibung fossiler Infrastruktur genutzt. Dazu sollte klar sein, dass der Übergang zu erneuerbaren Energien insgesamt nur langsam vorankommt und damit in keinster Weise dazu beiträgt, die Erderhitzung abzubremsen. Darüber hinaus führen die ansteigenden Investitionen in erneuerbare Energien zu einer zusätzlichen Energieerzeugung, nicht jedoch zum Ersatz der fossilen Energieträger (Fossile Gegenoffensive – Grüner Kapitalismus ist nicht in Sicht). Die derzeit stattfindende «fossile Gegenoffensive» unterstreicht dazu einmal mehr, dass die garantierte Versorgung mit verhältnismäßig günstigen fossilen Energieträgern eine Priorität der herrschenden Politik ist und bleibt (Fossile Gegenoffensive – Grüner Kapitalismus ist nicht in Sicht). Da die Nachfrage (vor allem kurzfristig, aber auch längerfristig) sowohl nach Wasserstoff, als auch nach Biomethan nicht «grün» und sozial-ökologisch verträglich zu decken sein wird, werden entweder fossiles Erdgas oder «blauer», «türkiser» oder gar «grauer» (26) Wasserstoff ins Spiel kommen. Dies ist der Hintergrund, weshalb sowohl die Politik, als auch die Industrie permanent (nicht nur im Bereich Wasserstoff) «Technologieoffenheit» fordern (27).

Die herrschende «Energiewende» zementiert und stärkt also Strukturen, die einen ökologisch verträglichen gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur bis auf weiteres verhindern werden. Dies macht die Enteignung und Vergesellschaftung der großen Agrarkonzerne und des gesamten Energiesektors umso dringlicher. Allerdings wären die Probleme mit der gesellschaftlichen Aneignung noch nicht gelöst. Es wären nur die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass ein umfassender Um- und Rückbau dieser Sektoren und die dringend erforderliche Entfossilisierung überhaupt durchgesetzt werden können. Da sowohl das «Fleisch-», als auch das fossile Kapital ausgesprochen stark zentralisiert und in großen transnationalen Konzernen organisiert ist, ist deren gesellschaftliche Aneignung keine triviale Angelegenheit. Darüber hinaus garantiert öffentliches Eigentum allein in keiner Weise eine sozialökologische Konversion (Fossile Gegenoffensive – Grüner Kapitalismus ist nicht in Sicht). Andere, vermeintlich einfacher durchsetzbare Strategien sind, angesichts des Ausmaßes der ökologischen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, allerdings auch keine Option.


(1) Wie konventioneller Wasserstoff wird auch «blauer» per Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt, nur dass das frei werdende CO2 anschließend über die Technologie des «Carbon Capture and Storage» (CCS) abgeschieden und gespeichert werden soll.

(2) Der Austausch der Energieträger ist nicht ohne zusätzliche technische Anpassungen der Anlagen möglich: das Brennverhalten von Erdgas und Wasserstoff ist so unterschiedlich, dass Gaskraftwerke nicht einfach beides verbrennen können. Ein späterer Umbau der Gaskraftwerke oder der verwendeten Turbinen ist ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden: Aktuell existieren noch keine Gasturbinen, die sich mit Wasserstoff betreiben lassen.

(3) Biogasanlagen können auch dann Strom produzieren, wenn es draussen dunkel und windstill ist. Sie sind grundlastfähig und könnten so einen Beitrag zu einer stabilen Stromversorgung liefern.

(4) In der Schweiz gibt es derzeit ca. 100 Biogasanlagen. 2021 wurden 365 Gigawattstunden einheimisches Biogas in der Schweiz genutzt. Hinzu kommen weitere 1830 Gigawattstunden Biogas aus dem Ausland. Diesen Zahlen steht ein Gesamt-Gasabsatz von 38’350 Gigawattstunden gegenüber. Biogas macht also nur einen kleinen Teil – knapp 6 Prozent – am Schweizer Gasabsatz aus, Schweizer Biogas erst recht, hier sind es weniger als 1 Prozent. Der Anteil von erneuerbarem Gas am Schweizer Gasabsatz ist 2022 von 5,5 auf 7,7 Prozent gestiegen. Über das Für und Wider eines weiteren Ausbaus gibt es auch in der Schweiz kontroverse Diskussionen; eine klare politische Unterstützung für einen Ausbau gibt es bislang nicht.

(5) Die Zahl beruht auf einer im Dezember 2021 veröffentlichten Studie: „Assistance to assessing options improving market conditions for bio-methane and gas market rules“.

(6) Die europaweit aktivste Lobbykraft hinter Wasserstoff ist die fossile Gasindustrie – also Erdgasproduzenten und Firmen, die Erdgasnetze bauen und betreiben. Eine ausführliche Studie europäischer NGOs zeigt, wie stark die von der Gasindustrie dominierte öffentlich private Lobbyvereinigung Hydrogen Europe und mit ihr verbundene Organisationen die EU-Wasserstoffpolitik prägen. Der führende Lobbyverband im Biogas-Sektor ist die European Biogas Association.

(7) Die Unternehmen haben auch ein Auge auf den wachsenden US-amerikanischen Biogas- und Biomethanmarkt geworfen, der durch den US Inflation Reduction Act (IRA) gefördert wird.

(8) In der Bio-LNG-Anlage sollen ab etwa der zweiten Jahreshälfte 2023 jährlich bis zu 100.000 Tonnen eines CO2-neutralen verflüssigten Gemischs aus Biomethan und Erdgas produziert werden.

(9) EU-Staaten wie Dänemark planen dagegen einen weiteren Ausbau: In Dänemark wurde Ende 2021 mit Biogas bereits ein Viertel des heimischen Gasbedarfs abgedeckt. 2034, so die Pläne, sollen es 100 Prozent sein – hergestellt vor allem aus heimischen Reststoffen (v. a. Gülle).

(10) Aktuell überarbeitet die Bundesregierung ihre Nationale Wasserstoffstrategie. Im Entwurf, der Ende 2022 bekannt wurde, ist explizit festgehalten, dass auch »blauer« Wasserstoff gefördert werden soll. Projekte wie ein Anfang 2023 vereinbartes Joint-Venture zwischen RWE und dem norwegischen Unternehmen Equinor sind hierfür nur ein Beispiel. Die Unternehmen wollen in Norwegen große Anlagen zur Erzeugung von «blauem» Wasserstoff aus Erdgas bauen. Das dabei entstehende CO2 soll aufgefangen und unter dem Meer gespeichert werden. Sowohl die deutsche, als auch die norwegische Regierung unterstützen die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen. «Blauer» Wasserstoff in großen Mengen, so RWE-Chef Markus Krebber könne den Anfang machen und anschließend immer grüner werden. Und Equinor ergänzt: «Emissionsarmer blauer Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag leisten, um grünem Wasserstoff den Weg zu ebnen und die Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen.»

(11) Mit Bekanntwerden der konkreten Pläne hat sich in Karstädt eine Initiative gegründet, die Unterschriften gegen den geplanten Bau sammelt.

(12) 2010 gab es in Frankreich 44 Biogasanlagen, heute sind es 1424 (Stand November 2022). Zwischen 2015 und 2021 hat sich die Einspeisekapazität in Frankreich um das 22-Fache erhöht. Zudem werden gerade 940 Anlagen gebaut, die diese Leistung noch einmal vervierfachen werden. Bis 2030 sollen zwischen 14 und 22 Terrawattstunden (TWh) Einspeisekapazität erzielt werden.

(13) Agrarwissenschaftler:innen weisen zurecht darauf hin, dass nicht «die Kuh» das eigentliche Klimaproblem darstellt, sondern die Industrialisierung von Landwirtschaft und Tierhaltung.

(14) Die flüssigen oder festen Rückstände, die bei der Vergärung von Biomasse in einer Biogasanlage zurückbleiben, werden als Gärrest bezeichnet.

(15) Betriebe dieser Größenordnung sind in vielen EU-Staaten (v. a. Deutschland und Spanien) verbreitet.

(16) Insgesamt besteht in landwirtschaftlich intensiv genutzten Böden ein großes Überangebot an Stickstoff und eine Unterversorgung mit Kohlenstoff. Dies führt nicht nur zu Humusabbau, sondern befördert auch die Lachgas (NO2) -Bildung und Stickstoff-Auswaschung und damit neben dem Klimaeffekt auch eine generell ineffiziente Nährstoffnutzung. Ein Humusabbau führt im weiteren Prozess über ein reduziertes Bodenleben zur Verdichtung der Böden, was Lachgas- und Methanemissionen nochmals verstärkt. Intensiv bewirtschaftete, humusarme Böden sind darüber hinaus stark erosionsgefährdet.

(17) Es gibt mittlerweile Regionen in Deutschland, in denen der Maisanteil mehr als 75% der Ackerfläche einnimmt und das Jahr für Jahr. Mais wird auf Mais angebaut, eine gesunde Fruchtfolge und Fruchtartendiversifizierung sind dort nicht mehr gegeben. Dies führt zu Problemen u. a. bei der Bodenerhaltung, der Biodiversität und beim Grundwasserschutz. Für gasförmige Brennstoffe wie Biogas und Biomethan legt das EEG 2023 eine Absenkung des sogenannten Maisdeckels, also eine Reduzierung des Einsatzes von Mais (und Getreidekorn), fest. So ist eine schrittweise Absenkung des Maisanteils ab 2024 von 40 % auf 35 % sowie ab 2026 auf 30 % geplant.

(18) Diese Auswirkungen werden als indirekte Landnutzungsänderungen (englisch: indirect land use change; kurz iLUC oder iluc) bezeichnet. Darunter werden Verdrängungseffekte verstanden, die durch eine zusätzliche Nachfrage (beispielsweise nach Bioenergieträgern) ausgelöst werden. Wegen der zusätzlichen Rohstoffnachfrage wird die vorangegangene Produktion (zum Beispiel von Nahrungsmitteln) auf andere Flächen verdrängt, wenn die Nachfrage nach den zuvor angebauten Produkten bestehen bleibt. Dies führt andernorts zur Erschließung neuer Anbauflächen, die im iLUC-Konzept der «neuen» Nachfrage zugerechnet werden.

(19) Allerdings führt der derzeitige Ausbau der Solarenergie ebenfalls bereits zu Nutzungskonflikten um die knappe Ressource Ackerboden.

(20) Details in der Studie: Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcenschonend nutzen. Zum Beitrag von Biogas für den Stromsektor vgl. die UBA-Studie (Energieziel 2050: 100% Strom aus erneuerbaren Quellen). Diese kommt zum Schluß, dass eine regenerative Stromversorgung ohne Bioenergie im Jahr 2050 möglich ist.

(21) Das Gesetz soll regeln, dass ab 2024 nur noch Heizungen eingebaut werden, die zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden.

(22) Die Menge und das Potential dieser Reststoffe (jenseits von Energiepflanzen und Gülle) werden sehr unterschiedlich eingeschätzt.

(23) Eine 2022 erstellte Kurzstudie des Deutschen Biomasseforschungszentrums (DBFZ) und des Wuppertal-Institutes (WI) kommt zum gleichen Ergebnis: Die Rolle sowohl von Biogas als auch Biomethan im Stromsystem der Zukunft bestehe vor allem in der flexiblen Strombereitstellung zur Glättung der Residuallast und damit im mittleren Ausblick als Ersatz für Erdgas in der Spitzenlast. Einen vollständigen Ersatz von Erdgas durch Biogas anzustreben, sei dauerhaft nicht zielführend und werde der langfristigen Rolle von Biogas nicht gerecht.

(24) Decarbonization of on-road freight transport and the role of LNG from a German perspective, How to decarbonise long-haul trucking in Germany.

(25) Die Grossen der Branche bündeln Schlachtung, Zerlegung, Verpackung und Logistik unter einem Dach. Den Landwirt:innen bieten sie Rundum-Pakete von der Anlieferung des Spermas bis zum Abholen des Schlachtviehs. Sie legen fest, wie viele Tiere aufgezogen werden, welches Futter verwendet wird und zu welchem Preis die Tiere abkauft werden. Aufgrund ihrer Marktmacht können sie gegenüber den Tierproduzenten niedrige Preise durchsetzen. Im gesamten Produktionsprozess machen die Arbeitskosten nur 2,1%, das Futtermittel dagegen 75% aus. Mit der Tierproduktion wird der unprofitabelste Bereich ausgelagert, der Landwirt, der kaum Entscheidungsbefugnis über den Produktionsprozess hat und ständig zur Kostensenkung gedrängt wird, trägt die Risiken möglicher Preissteigerungen bei den Rohstoffen. So sind am Anfang der Wertschöpfungskette, in der konventionellen Tiermast, nur noch Betriebe konkurrenzfähig, die in grossem Stil und möglichst billig Lebewesen für die Schlachtung produzieren.

(26) Siehe Konzeptwerk Neue Ökonomie: Wasserstoff und Klimagerechtigkeit, S. 1.

(27) Das in Deutschland v. a. von der FDP mantraartig wiederholte Credo der «Technologieoffenheit» speist sich aus dem neoliberalen Glaubenssatz, dass nur «der Markt» die Energiewende ökonomisch «rational» steuern könne. Die Politik sollte in dieses Kräftespiel möglichst wenig eingreifen; idealerweise setzt sie nur einen weit gesteckten Rahmen. Wie die zukünftige «klimaverträgliche» Energiewirtschaft dann aussehen wird, ist und bleibt offen, je nachdem wie die Unternehmen – «der Markt» – dies in ihrer «Freiheit» kalkulieren und organisieren. Die sich bereits jetzt abzeichnenden Widersprüche, Scheinlösungen, Lock-ins und sozial-ökologischen Fehlentwicklungen sind, geht man von diesem Glaubenssystem aus, kein grundsätzliches Problem; schließlich kann es letztlich keiner besser wissen und machen als «der Markt».

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